Irre(n) ist nicht menschlich
Einmal in meinem Leben cool sein, wäre mein allergrößter Traum. Doch es blieb nur ein Wunsch und meine einzigen Erfolge lagen darin, als 14-Jähriger definitiv zu wissen, was nicht cool war.
„Schwärmst du wieder in dein Lerngebäude?“ Ein rot-blau gefiederter Kopf starrte mich aus einem Ahornbaum an. Ich seufzte. Eins wusste ich sicher, mit Vögeln reden war uncool. Sprüche wie, du hast ja nen Vogel oder so nen Vogel wie dich gibt’s nur einmal, waren damit vorprogrammiert.
Ich zog meinen Rucksack, der nur über einer Schulter hing, richtig an. Angeblich sollte das cool aussehen, aber da es nicht umsonst zwei praktische Schultergurte gab, konnte ich diese Aktion nicht nachvollziehen.
„Ja“, sagte ich kurz angebunden und lief Richtung Hauptstraße, während die Rauchschwalbe mir hinterher flatterte.
„Ich verstehe nicht, warum du jeden Tag ...“
„Lass gut sein! Wir haben es oft genug durchgekaut“, unterbrach ich den Vogel. Wir verstanden beide nicht, warum ich in die Schule ging. Allein schon aus der Tatsache heraus, dass ich nur ein Buch, eine Bauanleitung oder irgendwas lesen musste, und jedes Detail war Wort für Wort in meinem Hirn abgespeichert. Für immer und ewig. Jede Geschichte, jede Sprache, jede Formel.
Mal nebenbei erwähnt fiel das in die Kategorie uncool.
„Durchgekaut? Ich kann nicht kauen, nur schlucken und Hunger hätte ich wirklich“, meinte die Schwalbe. Ich hetzte über die Straße und der Vogel verfolgte mich. Ein kalter Herbstwind wehte mir ins Gesicht und der beißende Geruch aus Abgasen und frischem Teer verursachte mir Übelkeit.
„Dann such dir was!“ Ich hatte keinen Nerv für Vogelgezwitscher.
„Ich könnte mit in dein Lerngebäude schwärmen. Vielleicht flattert mir noch ein Körnchen Wissen zu.“
Ich verdrehte die Augen und beschleunigte meinen Gang. Leider konnte man so keinen Vogel abhängen.
„Ich habe gestern Vögel gesehen, die sich gesammelt haben. Was ist mit dir?“ Themawechsel war immer eine gute Waffe.
„Ich fliege nicht in den Süden“, sagte die Schwalbe schnabelknackend.
„Flugangst? Reisefieber?“ Seit ich den Vogel letzten Sommer von seinem gebrochenen Flügel gesund gepflegt hatte, wich er mir nicht mehr von der Seite.
„Du und Blaumeise braucht mich noch. Ihr seid noch nicht Flügge.“ Ich schmunzelte. Er machte sein eigenes Problem zum Problem der Anderen.
„Da ist Blaumeise, die hat immer ein Würmchen fürs Bäuchlein“, rief die Schwalbe aufgeregt und zischte über meinen Kopf hinweg. Sie landete auf Roxys Schulter, die den Vogel frech angrinste und ihm eine handvoll Käfer und Maden hinhielt, die er runter schlang. Eklig!
„Na? Hast du keine Freunde, dass du dich mit einer Schwalbe unterhalten musst?“ Jeder Witz verlor spätestens beim dritten Mal seine Wirkung.
„Ich hab genau so viele Freunde, wie du“, murrte ich und sie lachte. Roxy und ich waren unzertrennbar in der Schule. An die Existenz von älteren dubiosen Typen, die Roxy nur am Wochenende traf und die sie meinem sanften Gemüt nicht zumuten konnte, wagte ich noch zu zweifeln.
„Ich mag deinen komischen Vogel“, sagte sie und streichelte dessen Gefieder. Ich könnte schwören die Schwalbe schnurrte. Sie verbrachte eindeutig zu viel Zeit mit uns.
„Ich mag die komische Blaumeise auch. Obwohl sie nach Katze stinkt, die Haare riechen wie die Autoansprüher neben dem Lindenbaum und ihr weht ein fauliger Geruch aus dem Mund.“ Ich unterdrückte ein Grinsen.
„Schwalben können doch gar nicht so gut riechen. Eure Sinne beschränken sich vor allem auf die Augen“, erklärte ich ihr. Die Schwalbe antwortete in einer überheblichen Roxy-Tonlage.
„Lass mich raten, das hast du in einem deiner vielen toten Blatt-Bäume gesichtet, die du immer anstarrst, als seien sie ein sich windender Wurm?“ Klar, wer starrte nicht gerne auf Würmer?
„Das sind Bücher, die Wissenschaftler geschrieben haben. Sie haben sich nur der Forschung von Vögeln gewidmet und wissen alles über sie.“
„Aber Wissenschaffner sind keine Vögel und können nicht wissen, das wir hervorragend riechen.“
„Es ist so abgefahren, dass du Luna verstehst“, sagte Roxy. Nein! Das war es nicht. Es war komisch, uncool, seltsam und verrückt, aber nicht abgefahren.
„Luna?“, fragte ich.
„Ja klar. So oft wie sie mit uns abhängt, hätten wir ihr schon längst einen Namen geben sollen.“ Stimmt! Jeder Kumpel brauchte einen Namen.
„Der Name klingt wie ein Lied am Frühlingsmorgen“, trällerte die Schwalbe.
Wir machten uns auf den Weg zur Schule und Roxy sah mit ihrem kurzen blauen Irokesenschnitt, dem Vogel auf der Schulter und den schwarzen zerrissenen Jeans, wie eine Räuberin auf Streifzug aus.
„Hast du dir einen Totenkopf in die Seite rasiert?“, frage ich und starrte auf ihre linke Kopfseite. Das fiel in die Kategorie misslungener Eigenversuch und den Totenkopf konnte ich nur raten.
„Ja, krass oder?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Wenn du meinst.“ An meiner Stimme konnte sie hören, dass es nicht meinem Geschmack entsprach. Sie grinste und legte ihren Arm um mich.
„Ach Luhni, sieh doch nicht immer alles so ernst. Nicht jeder mag eine gestriegelte Frisur und Kapuzenpullis.“ Luhni war das Beste, was wir aus einem Namen wie Ludwig machen konnten. Wer, bitte schön, nannte denn sein Kind Ludwig? Meine Eltern hatten mir das Uncoolsein quasi in die Wiege gelegt.
Außerdem mochte ich Kapuzenpullis auch nicht. Sie drückten am Hals. Aber Hemden ernteten nun mal unschöne Kommentare von Mitschülern.
Wir blieben an einer Fußgängerampel stehen.
„Hast du mitbekommen, dass die Bauarbeiten in der Burgstraße fertig sind?“, fragte Roxy.
„Nein. Was ist es jetzt?“ Monatelang hatten wir den Baulärm gehört und uns die verrücktesten Ideen zurechtgesponnen, was sie dort bauten. Roxys Gesichtsausdruck zufolge wurde es kein Hier-habe-ich-meine-Ruhe-Park mit allem Drum und Dran für Jugendliche mit nervtötenden Eltern.
„Eine Irrenanstalt.“
„Echt?“ Ich scannte ihren Gesichtsausdruck, um zu sehen, ob sie sich einen Scherz erlaubte. Nein! Kein Augenzucken.
„Und deine Mutter hat das nicht gewusst?“ Nicht, weil sie Irre war, sondern mit Irren arbeitete. So Roxys Worte.
„Doch! Aber dieses Projekt unterlag strengster Geheimhaltung und sie hat sich nur an die Vorschriften gehalten“, machte Roxy im hohen Lehrerton ihre Mutter nach. Ich kicherte.
„Gestern gab es eine inoffizielle Eröffnungsfeier der Anstalt nur für hohen Besuch, dreimal darfst du raten, wer dabei sein durfte.“ Meine Freundin machte eine würgende Geste.
„Und dreimal dürft ihr raten, welche zwei Vögel schon ausgebrochen sind“, sagte eine Stimme hinter uns. Jon ohne h – ein wirklich wichtiges Merkmal, wenn man cool sein wollte – hielt mit seinem Rad neben Roxy. Auch, wenn ich die Bedeutung einzelner Buchstaben nach jahrelanger Analyse immer noch nicht verstand, wusste ich, dass es sehr relevant sein konnte, ob ein bestimmter Buchstabe im Namen war oder nicht. Immerhin fand ich Emely mit y aus unserer Klasse auch deutlich süßer, als Emelie mit ie aus der Parallelklasse. Der Beweis.
„Oder sollte ich sagen, drei Vögel“, ergänzte Jon mit skeptischem Blick auf Luna.
„Darfst dich gerne mitzählen“, sagte Roxy und streckte ihm die Zunge raus.
„Bäh, lass die drin! Vielleicht hast du Tollwut von dem Vieh.“ Am liebsten hätte ich ihn darauf hingewiesen, dass Tollwut nur von Säugetieren übertragen werden konnte. Doch ich schluckte den Kommentar runter. Uncool! Das grüne Ampelzeichen leuchtete auf. Jon trat in die Pedale und fuhr los.
„Übrigens hast du ne Sonne mit Augen in deinem Haar. Sieht aus, als hätte das ein Kindergartenkind rasiert“, rief Jon Roxy zu und fuhr über die Straße Richtung Schule.
„Pah! Alle neidisch.“ Ich betrachtete noch einmal Roxys rasierten Seitenschädel und gab Jon ausnahmsweise recht, was ich sonst nie tat.
„Geh schon mal vor, ich will den Stundenplan checken“, sagte Roxy. Seufzend ging ich mit schnellen Schritten voraus. Wenigstens fand es Roxy nicht schlimm wie ich auf Handys reagierte, oder besser gesagt, die Handys auf mich. Ab und zu weggeschickt zu werden, damit konnte ich leben.
„Oh nein!“ Roxy holte auf und kam an meine Seite.
„Was ist?“ Ihr Gesichtsausdruck sprach nichts Gutes.
„Wir haben gleich Vertretung. Du kannst noch fliehen. Ehrlich, ich lass mir was einfallen.“
„So schlimm?“ Ich wüsste nicht, dass ich mit einem Lehrer Probleme habe.
„Rat mal, in welchem Raum wir sind.“ Okay! Es war wirklich so schlimm.
Ich hatte noch nie Schule geschwänzt und würde auch heute nicht damit anfangen. Solange Roxy ihr Wissen für sich behielt, würde keiner die Wahrheit erfahren. Was auch immer die Wahrheit war.
Ich rutschte auf meinem Platz im Computerraum hin und her, starrte auf einen leeren Bildschirm und lauschte der Vertretungslehrerin Frau Hiller.
„Herr Jenke ist heute krank, aber er hat Themen für Referate vorbereitet und ich zeige euch gleich die Liste, wer mit wem, welches Thema bearbeitet. Ihr könnt die restliche Stunde zum recherchieren nutzen.“ Oder auch nicht, wie mir eine innere Stimme versicherte.
Frau Hiller betätigte den Stromschalter und ließ den Lehrercomputer hochfahren. Die anderen Schüler taten es ihr nach, nur Roxy und ich sparten uns die Aktion.
Zehn Sekunden. Länger würde es eh nicht dauern.
Eins … zwei … drei …
„Was zum …“ Die Lehrerin starrte auf den Rechner, der ungewöhnlich laut wurde. Es war kein normales Brummen, es glich eher einem Hubschrauberstart. Ich musste zugeben, dass das selbst für meine Anwesenheit extrem laut war.
Vier … fünf … sechs … sieben …
Frau Hiller klopfte auf das Computergehäuse mit der Folge, dass der Krach noch unerträglicher wurde. Die Leinwand, die den Rechner der Lehrerin zeigen sollte, flimmerte und flackerte wie ein schwarz-weißer Tornado.
Acht … neun … Ein peitschender Knall hallte im Computerraum, als würden Rotorblätter die Luft zerreißen, und anschließend folgte Stille.
„Was war das denn?“ Die Lehrerin tippte auf ihrer Tastatur und starrte auf den Bildschirm. Sie stand eindeutig unter Schock, sonst würde ihr auffallen wie sinnlos die Aktion war. Mats, unser Computerexperte, eilte zu ihr, rückte seine Brille zurecht und widmete sich dem Rechner, was eindeutig schlauer, aber trotzdem sinnlos war.
Schuldbewusst starrte ich wieder auf den leeren Bildschirm vor mir.
„Ich wusste gar nicht, dass du so explosiv sein kannst“, wisperte Roxy mir zu und kam mir dabei so nah, dass ich wusste was Luna mit fauligem Atem meinte. Eindeutig Zähneputzen vergessen.
„Das wusste ich auch nicht.“ Für gewöhnlich fiel das Internet direkt bei meiner Ankunft aus, sodass schon mal jeder genervt war. Dann stürzten alle Computer in meinem Umkreis von drei Metern ab oder hingen sich auf. Klang, so betrachtet, nach totalem Massenselbstmord.
Dass es an mir lag, hatte ich mir über die Jahre zusammen gereimt. Es war unerklärlich und nicht beweisbar, aber die Indizien waren eindeutig.
Immer brach die Verbindung von Internet, Bluetooth und WLAN ab, wenn ich kam. Meine Eltern hatten sich damit abgefunden, dass es ein alter DVD-Player, ein Steinzeitfernseher, ein uralter Rechner, ein Kabeltelefon und ein Videorekorder für unsere Zwecke taten. Erstaunlicher Weise waren diese Geräte immun gegen meine Anwesenheit. Mein Vater hatte in den Untiefen des Kellers von Oma und Opa ein niemals endendes Antikloch gefunden, welches vermutlich mit dem schwarzen Loch verwandt war, wo er solche Sachen ausgegraben hatte. Diese waren ein totaler Widerspruch zu der modernen Designereinrichtung unserer Wohnung, aber die sollte wohl von den Höhlenmenschengeräten ablenken.
Trotzdem kannte ich mich bis ins kleinste Detail über Rechner, Videospiele, Programmierungen und Technik aus. Alles Gelesene war abgespeichert, aber für mich nicht umsetzbar.
Zum Glück wusste von dieser Abnormität nur Roxy und die sah alles locker.
„Mach dir nichts draus mein kleiner Störsender. Siehs positiv! Die doktorn da vorne noch ne halbe Stunde rum und wir können solange chillen.“ Ihr Gesicht bekam ein eigenartiges Lächeln. „Kannst du mir bitte einen Gefallen tun.“
„Was denn?“ Oh oh! Ihr Blick bedeutete nichts Gutes.
„Bitte geh mit mir auf den Herbstball.“ Oh nein! Das schon wieder. Sie machte große Augen, die glitzerten und funkelten wie beim gestiefelten Kater – ja, auch ich kannte ein paar Filme, Antikloch-DVD-Player sei Dank. Und Videorekorder. Aber ob man dieser Erfindung wirklich danken sollte …
„Vergiss es!“ Ich wich ihrem Blick aus.
„Och, bitte, bitte, bitte! Es wäre so mega. Stell dir all diese aufgemotzten Tussis vor, in ihren überteuerten Kleidchen und dann kommen wir rein und peng!“ Ich schüttelte den Kopf.
„Niemals!“ Es gab Dinge, die wollte ich mir nicht vorstellen. Und coolen Leuten den Tanzabend zu zerstören schon gar nicht.
Als ob der Tag mir heute nicht schon genug zugespielt hätte, regnete es nach der Schule auch noch. Schütten um genau zu sein. Eimerweise.
„Och nee, echt? Das kann ich meinen Haaren nicht antun.“ Roxy blickte in den Himmel, der kein erbarmen zeigte. Die schwarz-grauen Wolken türmten sich und überschlugen sich förmlich.
„Beschützt du mich? Bitte!“ Roxy lullte mich wieder mit ihrem Funkelblick ein. Ich seufzte.
„Du weißt schon, dass aus solchen Gründen alle denken, wir wären zusammen.“
„Ist mir egal! Hauptsache ich werde nicht nass.“ Wie vorteilhaft für Roxys Haare, dass Wasser und ich uns abstießen wie plus und minus an einem Magneten. Wir blieben verbindungslos. Diese Erkenntnis musste für meine Eltern sehr verstörend gewesen sein. Doch wie bei vielem, schwiegen wir darüber hinweg. Das war die absolute erste Hilfe Lösung für alles in meiner Familie. Schweigen und ignorieren. Etwas wofür Roxy mich beneidete. Einmal kein Psychogeschwafel beim Abendessen, war mit Sicherheit ihr größter Wunsch.
„Na, komm schon! Ich will hier nicht versauern.“ Seufzend legte ich meinen Arm um sie und hielt meine andere Hand über ihren Kopf. In dieser beknackten Haltung liefen wir los. Es war, als ob ich in einer Glaskuppel steckte und das Wasser an ihr abperlte. Die Hand, die ich über Roxy hielt, verhielt sich wie eine Rampe und machte alle Menschen, die an uns vorbei hasteten noch nasser, als sie eh schon waren. Zum Glück sorgte das Sauwetter dafür, dass uns keiner beachtete, da wir ohne Zweifel ein merkwürdiges Bild abgaben.
„Hast du eigentlich eine Ahnung, warum das Wasser dich meidet?“ Meine Ahnungen und Vermutungen stapelten sich höher als der Mount Everest. Von bescheuert zu noch bescheuerter.
„Wasserscheu.“ Das Wort mit dem meine Mutter alles erklärte.
„Aha! Das weiß das Wasser und hält Abstand? Sehr rücksichtsvoll von ihm.“
„Was weiß ich wie Wasser denkt“, patzte ich sie an. Darüber wollte ich wirklich nicht reden. Wir wischen eine Regenpfütze aus, da Roxys Füße immer noch nass werden konnten.
„Wie ist das mit dem Trinken? Normalerweise wird Wasser im Körper ausgetauscht. Wie ist das bei dir?“
„Keine Ahnung. Ich habe mich diesbezüglich nicht untersuchen lassen.“ Roxy wusste, dass ich tagelang ohne Wasser trinken überleben konnte. Ihren Adleraugen entging dieses, sonst eher lebensnotwendige Detail bei der Klassenfahrt nicht. Da ich nie Durst hatte, also quasi immer sitt war – ein toller Ausdruck, um zu sagen, dass man keinen Durst hatte – konnte es mir passieren, dass ich das vergaß. Trotzdem kam Wasser bei mir raus wie bei jedem anderen Menschen auch.
„Vielleicht bist du ein Roboter. Das würde auch erklären, warum die Technik auf dich reagiert und du dir alles merken kannst. Du hast bestimmt einen Computer als Hirn“, spann Roxy sich zurecht.
„Einer der bluten kann?“ Ich war mir nicht sicher, worauf dieses Gespräch hinaus lief, aber Roxy kannte meine Wackelzähne und Sportverletzungen. „Und Roboter gehen übrigens bei Wasser kaputt.“
Obwohl ich trocken blieb, kämpften meine Augen sich durch den Regenschleier. Den Nachhauseweg konnte ich nur erahnen.
„Ja, deswegen hast du auch diese Schutzhülle um dich. Und dein Blut …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Vielleicht Kunstblut? Damit du lebensechter wirkst. Du wurdest unwissend gelassen, damit du menschlicher bist.“ Ich betrachtete Roxys Gesichtsausdruck. Glaubte sie ihren Worten wirklich? Sollte ich wütend sein? Oder belustigt?
„Willst du mich jetzt auseinander schneiden?“
„Natürlich nicht. Wer soll mir dann bei den Hausaufgaben helfen?“ Aha! Das war ich für sie. Ein Hausaufgaben-Roboter. Wünschte sich den nicht jeder? Hausaufgaben-Roboter waren doch eigentlich cool. Also ein Gegenbeweis zu Roxys These.
Ich blieb vor einem Mehrfamilienhaus stehen und Roxy sah sich überrascht um. Sie hatte nichts vom Weg mitbekommen.
„Danke, dass du mich bis vor die Tür gebracht hast.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Bis morgen auf dem Ball.“
„Roboter tanzen nicht!“, sagte ich muffig. Lachend holte sie ihren Schlüssel aus der Jackentasche und schloss die Tür auf. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, sagte sie, ehe die Tür hinter ihr zuknallte. Doch, das war's!
Ich konnte nicht wütend auf Roxy sein, obwohl sie mich mit einer gefühllosen, metallischen Maschine verglichen hatte. Aber solche Überlegungen kannte ich von mir und mittlerweile gab es auch KI's, die einfühlsamer und mitfühlender waren, als die Hälfte meiner Klassenkameraden. Vielleicht war ich gut programmiert. Schwachsinn! Ich schüttelte die Gedanken ab und befand mich fünf Minuten später in unserer leeren Wohnung.
Meine Eltern waren auf einer Gala und würden noch lange durch Abwesenheit glänzen. Das versprach ein gemütlicher, langweiliger, uncooler Freitagabend zu werden.
Diesen verbrachte ich in meinem Zimmer mit lesen, zeichnen und viel Essen. Ich liebte die Geschmacksexplosionen aus Schokolade mit Apfelmus, Käse mit Birne oder ganz einfach Nudeln mit Pesto. Da ich wirklich gerne aß, war ich mir sicher, dass nichts an Roxys Vermutungen stimmen konnte. Außer ich wäre ein Roboter mit gut nachgebildeten menschlichen Organen.
Schluss jetzt! Das war absoluter Hirnblöd... Ich hielt inne und lauschte. Ich hatte etwas Scheppern gehört, das nach zerbrochenem Porzellan klang. Das konnten unmöglich meine Eltern sein. Meine Mutter lebte nach der Devise, niemals eine Party vor Mitternacht zu verlassen. Schnell schnappte ich mir mein dickstes Wörterlexikon – sprach für mich, dass es sich hierbei um meine stärkste Waffe handelte – und schlich in die Küche. Ich machte das Licht an. Tatsächlich … Ein zerbrochener Teller lag auf dem Boden. Mein Herz schlug schneller und meine Hände, die das Lexikon umklammerten, schwitzten. Ich scannte alle Ecken ab, doch da war niemand. Sicherheitshalber sah ich mich im Wohnzimmer um. Und um ganz sicher zu sein, auch noch im Bad und Schlafzimmer meiner Eltern. Nichts!
Langsam beruhigte sich mein Puls wieder und ich räumte die Scherben in der Küche zusammen und warf sie in den Mülleimer. Meine Mutter würde ausflippen, wenn sie den zerbrochenen Dior Teller hier entdecken würde. Hatte ich ihn zu nah an den Rand gestellt? Nein, ich hatte den Teller sicher im Spülbecken platziert.
Grübelnd ging ich in mein Zimmer und erstarrte im Türrahmen. Was um alles … ? Da standen drei Jugendliche. Jeder mit einem Buch in der Hand (ihre Waffen?) und sie waren eindeutig einem Oktoberfest entflohen. Ein Mädchen in einem schwarz-roten Dirndl, ich schätzte sie auf 17 Jahre, ein Junge in ihrem Alter trug ein weißes Hemd mit kurzer Lederhose und noch ein Junge in meinem Alter, der genauso bescheuert gekleidet war. Wortlos starrten wir uns an bis der ältere Junge das Wort ergriff.
„Salve, Quomodo vales? Hallo, wie geht es dir?“ Echt jetzt? Wollte der mich verarschen? Er hielt mein Lateinbuch in der Hand.
„Wer seid ihr? Was macht ihr in unserer Wohnung?“ Meine Stimme zitterte leicht. Ich kannte tausend verschiedene Einbrecher. Aus Büchern. Die Realität fühlte sich anders an.
„Mit Freude und tiefstem Dank empfinde ich den Augenblick mich in deiner erhabenen Gegenwart zu befinden. Mein Name ist Clarea, dies ist mein Gemahl Sorero.“ Sie zeigte mit einem dicken Goethewerk auf den Jungen neben sich, „und mein Sohn Tomo'ran.“ Sie deutete auf den Jungen in meinem Alter. „Große Wonne durchströmt mein Herz, dich aufs Neue zu erblicken.“ Was war das für eine Freakshow?
„Mach dich locker! Wir dachten, es wird mal Zeit, bei dir vorbeizuschauen, zu quatschen und zu chillen“, sagte der Junge, der Tomo'ran hieß. Er hielt das Buch „Cool sein mit Worten“ in der Hand.
Mein Gehirn ratterte. Drei Jugendliche waren hier eingebrochen und ich hatte sie überrascht. Jetzt machten sie sich einen Scherz, um dieser ganzen Situation zu entfliehen, aber nicht mit mir.
„Ihr rührt euch nicht von der Stelle, bis die Polizei da ist.“ Ob das klug war? Drei gegen Einen. Doch ich könnte schnell aus der Tür rennen und abschließen. Das sollte ich selbst als miserabler Sportler schaffen.
„Cur vigiles huc venire debent? Warum sollten die Wachen hierher kommen?”, sagte Sorero.
„Alter, deine Sprache ist so was von vor Christus. Quatsch mal normal!”, sagte Tomo'ran im lässigen Ton.
„Oh, welch seliger Augenblick! Endlich darf mein Herz sich wieder an dem Anblick des teuren Sohnes laben! Die Sehnsucht, die lange Zeit mein Gemüt bedrückte, wird nunmehr gestillt. Doch sage, wie wird der edle Knabe genannt, der mir solch' frohe Freude bereitet?” Die hatten alle drei so was von einen an der Klatsche.
Und ja! Natürlich. Das war's! Ich lachte los, weil die Situation zu komisch war.
„Komm schon, nicht alleine feiern – was ist so lustig?” Hatte der echt das Buch mit den blöden Sprüchen so schnell auswendig gelernt, oder kannte er das schon?
„Sorry, Leute. Aber ich weiß, wo ihr her kommt. Ich muss kurz telefonieren.” Ach, Mist! Da fiel mir ein, dass ich die Nummer von der neuen psychiatrischen Klinik nur im Internet finden würde und WLAN mich mied.
„Oder, ich bringe euch dort hin. Würdet ihr mir folgen?”, fragte ich verunsichert.
„Was meinst du Bro? Unser Lichtschiff bringt uns zurück in unsere Area, aber vorher labern wir noch locker. Wir wollten mal checken, wie das Real Life eines Menschen so läuft. Lass mal Erfahrungen droppen. Gecheckt?” Okay, die würden nicht so einfach mitkommen. Ich musste mitspielen.
„Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Ludwig und freue mich euch zu treffen. Lasst und gemeinsam aufbrechen und dabei quatschen.” Es war schwierig zu entscheiden, wie ich reden sollte. Cool, obwohl ich aus Erfahrung wusste, dass niemand, diese Redensweisen cool fand, oder wie ein von Goethe. Oder Latein?
„Sequere me! Folgt mir!” Keiner machte Anstalten zur Tür zu kommen. Was nun? Endlich löste sich Clarea aus der Gruppe, kam zu mir und schloss mich in die Arme. Sie roch ungewöhnlich. Es war eine Mischung aus Zimt und Sanddorn, harzig wie der Kiefernwald, kräuterig wie Minze und Rosmarin und frisch wie eine Blumenwiese. Sie roch nach Zeit, die verging und Sehnsucht, die sich in meinem Herzen öffnete. Ich schluckte und versuchte das Gefühl in meiner Brust zu ignorieren, als sie sich von mir löste und mich betrachte. Ihre Augen glichen einem Sternenhimmel und funkelten mich vertrauensvoll an.
„Wie ist es dir ergangen auf dieser irdischen Sphäre? Was vermagst du uns zu berichten aus den Streichen der Zeit und den Schöpfungen der Menschen? Welche Kunst und Wissenschaft haben sie im Laufe der Jahre erschaffen?” Ach ja! Sofort verlor ich das freie Gefühl in meinem Herzen und wusste wieder, dass ich es mit geistig Verirrten zu tun hatte.
„Ich weiß, du denkst, dass unsere Alten crazy sind, aber die sind voll in Ordnung. Auch wenn sie uns auf fremde Planeten geparkt haben, aber hey … war für den Move, verstehste?”, sagte Tomo'ran und natürlich verstand ich gar nichts.
So, kam ich hier nicht weiter. Ich ging in den Flur, legte mein Waffenlexikon auf die Kommode und holte mein altes Klapphandy – Papas Antikloch sei Dank – und schrieb eine SMS.
„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte. Brennt es? Bei den Wörtern Hilfe! Komm schnell! Irrenhaus! Konnte ich mir nicht so viel vorstellen, aber wenn du mir schon eine SMS schreibst, muss es wirklich wichtig sein und … hey!” Roxy überflutete mich mit Worten und ich packte sie am Arm und zog sie in mein Zimmer. Clarea drehte, wendete und begutachtete meinen tickenden Wecker, als ob sie noch nie einen gesehen hätte. Tomo'ran wand kleine Legoteile in seinen Fingern und steckte sie so ungeschickt zusammen, wie ein Dreijähriger und Sorero hatte seine Hände mit Acrylfarben und Kleber beschmiert und bewunderte die Kunst an seinen Fingern.
Roxy bekam einen Lachanfall. Kopfschüttelnd ging ich zum Fenster und öffnete es. Der Geruch nach Lösungsmittel stieg hier allen zu Kopf. Meine Freundin folgte mir lachend.
„Oh man, was ist das denn für eine Faschingsveranstaltung? Neue Freunde?”, spöttelte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Jetzt verstehe ich das mit dem Irrenhaus.“
„Du musst mir helfen. Die müssen aus der neuen Klinik abgehauen sein.” Roxy beruhigte sich wieder und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Wohl kaum”, behauptete sie. „Die Anstalt hatte gestern Eröffnung, aber heute noch keine Patienten. Das Aufnahmeverfahren läuft noch.”
„Sicher?”, fragte ich sie ungläubig. Wo sollten die denn sonst her kommen?
„Ja, sicher. Auch wenn ich so was lieber nicht wissen möchte, aber als Psychopathentochter weiß ich das nun mal.”
„Kannst du trotzdem helfen? Jeder hat ein Buch in die Hand genommen und danach die Identität des Buches angenommen. Was ist das für eine Krankheit? Wie gehen wir damit um?” Roxy war amüsiert.
„Echt jetzt? Nur weil ich mit einer Kopfdoktorin zusammen wohne, denkst du, dass ich alles über psychisch Kranke weiß?”
„Nein, natürlich nicht. Ich weiß grad nicht weiter.” Clarea tauchte plötzlich vor uns auf und fuhr Roxy über ihre blauen picksigen Haare.
„Ey, Vorsicht! Die sind frisch gegelt”, sagte meine Freundin und machte einen Satz zurück.
„Verzeih, doch dein Gewand dünkt mich seltsam umstimmig zu Ort und Stunde. Ich bin wohl gekleidet in der ehrwürdigen Tracht eurer Art.” Oh ja! Trachtenkleidung war absolut unsere Art. Andererseits … war es etwas Typisch-deutsches. Ob sie Ausländer waren? Clarea wand sich an mich.
„Sag an, mein Sohn, ist's holdes Kind, das an deiner Seite weilet, diejenige, der dein Herz in stiller Treue sich verschrieben.” Was? Roxy reagierte schneller und hob ihre Hände abwehrend.
„Wouw, jetzt mal ganz langsam … Hier ist niemand irgendwem verschrieben.” Ich schmunzelte. So viel zu ist mir egal!
„Natürlich, ich bin mit Sorero in treuem Bunde vereint”, widersprach Clarea und schaute dabei zu ihrem Partner, der immer noch voller Faszination die Acrylfarben zwischen seinen Händen zermatschte.
„Ein guter Fang“, sagte Roxy grinsend.
Plötzlich stand Tomo'ran vor uns. Man, wie konnten die sich alle so erschreckend lautlos bewegen?
„Ey Mam, chill mal. Die Kleine ist voll heiß in dem mega Outfit.” Mein Blick schwenkte zu Roxy. Der konnte sich jetzt auf was gefasst machen. Doch sie schwieg ihn an und wurde rot. Echt jetzt?
Tomo'ran drückte Clarea das Buch übers Coolsein in die Hand.
„Hier, bisschen Upgrade für deine alte Sprache.” Sie hielt eine Hand unter und eine über dem Buch. Es leuchtete. Nein, nicht wirklich! Hände und Bücher leuchteten nicht einfach so. Ich kniff die Augen zusammen und als ich sie wieder richtig öffnete, war alles normal. Noch fünf Minuten länger mit denen in einen Raum und man könnte mich in die neue Klinik stecken. Oder in eine Roboterauffangstation.
„Ah, jetzt check ich's. Goethe ist voll Oldschool.” Verwundert betrachtete ich Clarea. Was hatte ich gedacht? Dass sie immer so redete? Wie konnte sie sich so schnell mit einem Buch identifizieren?
„Sorry, Ludwig. Keine Ahnung, dass ihr so `ne wandelnde Sprache benutzt. Wir reden die selbst das erste Mal. Premiere!” Und der Wahnsinn ging weiter. Sorero gesellte sich zu uns.
„Hic est mirum. Hier ist es wunderbar.” Clarea gab ihm das Buch weiter, ehe ich wegen bevorstehenden Farbflecken protestieren konnte, hatte er es zwischen seine Hände genommen und schon leuchteten diese. Roxy staunte.
Ein Glück, sie sah es auch.
„Oh, fettes sorry. Nix Latein mehr?” Ich nahm vorsichtig das Buch aus seinen Händen, achtete darauf, nicht in die Farbe zu greifen, und legte es auf eine alte Zeitung auf meinem Schreibtisch. Ich holte aus meinem Bücherregal ein Buch über normale Verhaltensregeln und Sprechweisen und gab es Tomo'ran. Auch seine Hände leuchteten und er gab das Buch an Clarea weiter und nach einem kurzen aufleuchten, wanderte es zu Tomo'ran. Es war ein unglaubliches Schauspiel. Mein Kopf kribbelte freudig bei jedem Leuchten.
„Äh, wo kann ich meine Hände waschen?”, fragte Sorero verlegen und legte das farbverschmierte Buch auf das Andere.
„Links neben meinem Zimmer.”
„Danke”, sagte er und verschwand.
„Ich glaube, das sind Schauspieler”, flüsterte Roxy mir zu. Das glaubte ich nicht. Mein Kopf kribbelte und prickelte, wie die Blubberblasen in einer Sprudelflasche und ich spürte eine Spannung, die sich auflud.
„Tut mir Leid, mein Sohn, dass wir hier in deine Privatsphäre eingedrungen sind. Wir kennen uns nicht gut mit den menschlichen Gepflogenheiten aus, aber wir danken dir, dass du uns in Empfang genommen und zugehört hast.” Na ja! Das war mir neu. Eigentlich wollte ich sie loswerden.
„Wieso sagst du mein Sohn?”, fragte ich.
„Weil du es bist.” Roxy prustete los.
„Hast du ihnen diesmal die Bibel gegeben? Die sind echt gut”, fragte meine Freundin.
„Du bist etwas jung für meine Mutter, oder?”, ignorierte ich Roxys Kommentar und wand mich an Clarea.
„Lass dich nicht von meinem äußeren blenden. Ich habe nur eine menschliche Gestalt angenommen, um dich nicht zu erschrecken.“ Echt jetzt? Roxy schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Du bist ein Alien, natürlich. Warum bin ich da nicht drauf gekommen?”
„War die Tarnung meines Bruders nicht gut?”, fragte Tomo'ran. Bruder?
„Na ja, man findet überall komische Menschen.”
„So wie du?”, sagte ich. Roxy grinste.
„Vielleicht bin ich auch ein Alien. Dann hätte ich Hoffnung auf eine bessere Mutter.”
„Ich finde dich bezaubernd und muss dir sagen, dass du durch und durch nach Mensch riechst. Im Gegensatz zu meinem Bruder.” Riechst? Ich wusste nicht viel vom Flirten, aber nach Mensch riechen war ganz sicher keine gute Anmache. Trotzdem wurde Roxy rot. Was war nur los mit ihr?
„Mal angenommen das würde stimmen, warum habe ich dann andere Eltern und bin nicht bei euch?” Clarea sah mich an, als ob ich sie gefragt hätte, ob die Sonne heiß war.
„Weißt du das nicht mehr? Um etwas über die menschliche Entwicklung und ihre Technik herauszufinden. Um Erfahrungen zu sammeln und mit uns zu teilen, die wir auf Quadril verwirklichen können. Du hast damals entschieden auf die Erde zu gehen und die Gestalt eines menschlichen Babys angenommen. Wir haben dich zuletzt gesehen, als wir dich in eins von diesen Krankenhäusern gebracht haben.”
„Ihr habt mich gegen ein anderes Baby ausgetauscht?”, fragte ich erschrocken. Eigentlich wollte ich die ganze Geschichte nicht glauben, aber das Prickeln in meinem Kopf wurde zu einem Klopfen gegen die Schädeldecke. Als ob meine Gedanken wollten, dass ich mich für diese Informationen öffnete.
„Wir haben dich gegen Eins ausgetauscht, dass es nicht überlebt hatte.” Aus Erzählungen wusste ich, dass es knapp um mein Leben stand, nachdem ich geboren wurde. Offenbar hatte es das eigentliche Baby nicht geschafft.
„Kannst du dich an gar nichts mehr erinnern?”, fragte mein Bruder.
Nein! Und doch war da was. Es hämmerte gegen meinen Kopf.
„Entschuldigung, das Wasser geht nicht mehr aus.” Sorero hatte ich ganz vergessen und er drückte mir einen Designer Wasserhahn in die Hand. Meine Mutter und ihr eigenartiger Geschmack. Ob mein Vater als Ersatz eine Wasserpumpe aus seinem Antikloch auftreiben könnte?
„Ich kümmere mich drum”, sagte Roxy und nahm mir den Wasserhahn aus der Hand. Keine Ahnung, wie sie das regeln wollte. Doch wenn sie es nicht schaffte, war ich so gut wie tot.
„Ich helfe dir.” Und Tomo'ran folgte ihr. Da stand ich nun mit … tja, meinen Eltern?
„Er hat alles vergessen”, sagte meine Mutter zu Sorero. Es war eigenartig. Sie standen in Gestalt von Jugendlichen vor mir, doch eine Liebe durchströmte mich, die stärker war, als ich jemals zu meinen echten Eltern spüren konnte. Wie war das möglich? Dazu dieser vertraute Geruch nach Zimt und Harz, Rosmarin und Blumen. Es war eine bunte Mischung aus Zeitlosigkeit und Unendlichkeit.
„Wir wussten, dass das passieren konnte. Die Erde hat sehr laute Töne, eigenartige Geschmäcker und extreme Gerüche. Das kann die Sinne eines Quadrilianers über Jahre stören. Aber du konntest bestimmt trotzdem viele Informationen sammeln, oder?” Natürlich. Mein Kopf war voll. Alles was ich jemals gesehen oder gelesen hatte, befand sich darin.
„Aber ziemlich viel Technik funktioniert in meiner Anwesenheit nicht, ich denke das gilt für alle Quadrilianer. Aber ich habe unzählige Bauanleitungen in meinem Kopf.” Ich könnte ohne Probleme einen Computer, ein Auto oder eine Hydraulik Maschine nachbauen. Es war schon eigenartig. Mein Leben lang hatte ich das Gefühl damit meine Zeit zu verschwenden und jetzt erwies es sich als meine Lebensaufgabe. Ein Quadrilianer also. Ob ich auch meine Gestalt verändern konnte? In ein cooles Aussehen?
Tomo'ran und Roxy, kamen lächelnd zu uns zurück.
„Das macht nichts. Wir werden dein Wissen mit unserem kombinieren, sodass es funktioniert. Ich schlage vor, dass du deine Sachen ins Lichtschiff bringst und deine Entdeckungen auf Quadril präsentierst”, schlug mein Vater vor. Vorfreude breite sich in mir aus. Das klang zu schön, um wahr zu sein.
„Und ich komme mit“. Luna flog durch das geöffnete Fenster und landete auf meiner Schulter. Jetzt war das Irrenhaus komplett.
„Klar, nicht in den Süden reisen, aber auf einen anderen Planeten.“
„Ich lasse dich nicht allein.“
„Ich dachte wir bleiben noch etwas auf der Erde”, sagte Tomo'ran enttäuscht. „Dieser Planet hat so viel zu bieten. Allein sich einen Wasserlauf, den Regen oder einen See anzusehen ist eine Sehenswürdikeit, die wir nicht verpassen sollten.” Natürlich! Mein eigentlicher Planet hat kein Wasser. Ich kenne kein Wasser. Mein Körper braucht kein Wasser, auch wenn ich menschlich aussehe. Diese Erkenntnis stand auch Roxy ins Gesicht geschrieben.
„Und der Herbstball erst. Der ist auch sehr sehenswert”, setzte sie mit einem Grinsen hinzu und die Augen meiner Familie leuchteten. Ich wusste, wann ich verloren hatte.
Das Lichtschiff versetzte mich in absolute Sprachlosigkeit. Die Quadrilianer hatten ein unglaubliches Gebilde erschaffen, das unsichtbar war und per Gedankenkraft gesteuert wurde. In dem Schiff selbst gab es zig Hologramme von sämtlichen Planeten und Sonnensystemen, mit denen man sich verbinden, und in die Welten eintauchen konnte. Außerdem dienten sie der Telepathie-Steuerung. Staunend schaute ich mich um und war von den vielen Farben und Lichter beeindruckt.
Tomo'ran und Roxy machten Besorgungen für den Herbstball. Oh ja, ich hatte so was von verloren, und Luna war auf Proviantsuche für die Reise, von der sie nicht abzubringen war.
Ich hatte keine Ahnung, was meine Eltern sich von der Erde erhofften, aber ich bezweifelte, dass sie noch irgendwas Sinnvolles von den Menschen lernen konnten. Sie würden sehr enttäuscht von dem Planeten und mir sein. Ich erzählte Clarea und Sorero meine Sorgen.
„Glaub mir, alle auf unserem Planeten sind sehr gespannt und freuen sich auf dich. Du bist der erste Quadrilianer, der auf der Erde gelebt hat und sie werden dich wie einen Helden feiern“, beruhigte Clarea mich. Ich horchte auf.
„Meinst du, sie werden mich cool finden?“ Clarea lachte.
„Ich würde nicht behaupten, dass wir so denken, aber was ich von der menschlichen Sprache und Denkweise erfahren habe, könnte man es damit vergleichen. Ja, sie werden dich cool finden.“ Mein Herz weitete sich vor Freude. Mein Traum würde wahr werden. Und scheiß drauf, dass er auf einem anderen Planeten in Erfüllung ging. Einmal in meinem Leben werde ich cool sein.
Hat Spaß gemacht. Bisher mein Favorit!
AntwortenLöschenDie Geschichte ist sehr witzig und toll geschrieben
AntwortenLöschenHabe keine richtige Meinung dazu. Sie berührt mich nicht.
AntwortenLöschenViele tolle Details und hier wird der Hauptcharakter richtig toll durch sein Handeln, Gedanken und sein Sprechen charakterisiert und nicht über den Erzähler, der ihm Eigenschaften zuschreibt. Super geschrieben, ganz viel Situationskomik! Was für eine wunderbare Vorstellung von Aliens, die sich das erste Mal auf der Erde befinden!
AntwortenLöschenRichtig tolle Geschichte!!!👍🏻 Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung!
AntwortenLöschen