DACSF2025_86

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Kuckuck im All

Der unstete Tarin, dessen Gedanken unablässig sprangen, schwebte Lichtjahre entfernt von seinem ehemaligen Zuhause in seiner Kapsel durch die Aurelia-Galaxy. Ihm blieb schleierhaft, wie er die Zeit überlisten konnte, um hierherzugelangen, ohne wesentlich älter geworden zu sein. Fragen über Fragen türmten sich zu einem unlösbaren Rätsel. Fortan rotierte er im endlosen Raum.

Der nie endende Flug steigerte Tarins Verlangen, Gestalten zu entdecken, die in dieser Schwerelosigkeit ähnlich lebten wie er. Wiederkehrend klebte Tarin mit seiner sommersprossigen Nase am Visier seines Helms und hielt durch die Luke Ausschau nach Gesellschaft. War jene Leere beredter, als er dachte?

Der ursprünglich labile Junge war durch seine physische Gefangenschaft auf wenigen Quadratmetern Raumkapsel zu einer starken Persönlichkeit herangereift. Die Enge war unverhandelbar. Er konnte hier vor nichts davonlaufen. Seine jetzige Situation brachte ihn in unbekannte Bewusstseinsebenen. Gerade saß er in seinem komfortabel gepolsterten Sessel, vermummt in seinem durchgängig in Weiß gehaltenen Raumanzug.

Ein Strom fremder Gedanken überfiel ihn. Er lauschte und zuckte zusammen. Ein eiskalter Schauer überlief seine Haut. Tarin geriet in einen altvertrauten Notzustand. Doch diesmal konnte er ihn nicht abwehren. Es war nichts, was er je erlebt hatte.

Es klopfte an der Außenseite der Raumkapsel. Tarin erörterte die Geräuschquelle. Welche Gestalt mochte einen solchen Krach produzieren? Wie würde sie aussehen? Ein Weltraumräuber, der auf einem Streifzug durch die Weiten der Aurelia-Galaxy Beute machen wollte?

„Ich habe seit meiner Ankunft noch kein einziges Lebewesen gesehen“, murmelte er in die Einsamkeit hinein und schüttelte den Kopf. Seit Tarin in der fernen Galaxie angekommen war, verbrachte er seine Tage abgeschottet wie ein Einsiedler in einer Klause. An anderes Leben wollte er erst glauben, wenn er es mit eigenen Augen gesehen hätte.

Es kam neuerdings häufiger vor, dass er einem menschlichen Geflüster ähnliche Töne aufschnappte. Waren es Stimmen seiner fernvergangenen Heimat, die ihm bis hierher gefolgt waren? Konnte das wirklich sein? Diesmal klangen die Geräusche nah, verheißungsvoll, weder eindeutig weiblich noch männlich, erfrischend anders und eine Spur bedrohlich.

Unvermittelt tastete ein Finger gegen die Scheibe von Tarins Luke. Ein unbestimmbarer Jemand klopfte und pochte nachdrücklich auf Antwort. Tarin war zu zittrig, um eine Entscheidung zu fällen. Schnellstmöglich musste er sich fassen: Den Besucher hereinlassen? Ihm Hallo sagen, obwohl es der Ankömmling sicherlich nicht verstehen würde? Oder sollte er ihn durch eine strikte Geste zurückweisen? An eine reibungslose Interaktion wagte Tarin nicht zu denken.

Er betätigte den Hebel an der Luke. Sie öffnete sich leichter, als erwartet. Ein bläulich-violettes Wesen, zusammengerollt wie ein löchriger Ball, kletterte herein. Das selbst auf den zweiten Blick undefinierbare Wesen gluckste leise. Es schloss die Luke mit unerwarteter Achtsamkeit.

Dann blähte es sich zu einer beträchtlichen Größe auf, hüpfte und stieß sich von Wand zu Wand ab. War dessen Umtrieb eine aus seiner Hilflosigkeit heraus geborene Ersatzsprache? Es gab grelle Laute von sich. Und wie süßlich es dabei roch! Der Duft erinnerte ihn an den Azetongeruch eines Diabetikers. Diese unliebsame, jedoch erträgliche Süße strömte aus der Mundhöhle des Wesens hervor und durch den schmalen Lippenspalt hinaus. Entfuhr ihm ein Gift? War es ein aromatisiertes Toxikum, das Tarin inhalierte?

Tarin überlegte, wo er sein einziges Brotmesser gelagert hatte. Andere brauchbare Waffen fielen ihm nicht ein. Die Hände des Ankömmlings schienen unaufhörlich zu wachsen. Sie wurden von Minute zu Minute klobiger. An ihren vorderen Enden formten sie sich zu Krallen. Tarin stufte es vorläufig als ein kleines Monster mit verbesserungswürdigen Manieren ein. Manchmal entfuhr ihm ein kehliger Laut, roh und animalisch. Tarin suchte den Rückzug und drückte sich mit dem Raumanzug an der Wand entlang. Die Hände in der Vorhalte, jederzeit bereit, eine Attacke zu parieren.

Plötzlich entrang sich ihm ein Aufschrei – gedämpft vom Helm, erstickte er zu einem kläglichen Laut. Sein Raumanzug war überall besudelt. Dieses Wesen, das mit seiner schleimigen Zunge ein Sekret absonderte, hickste. Immerhin blieb es jetzt auf einer unter Menschen üblichen Distanz. War es tatsächlich fähig, Tarins Ekel entsprechend zu deuten?

Kurz darauf fuchtelte das aufgeblähte, bläulich-violette Oval mit seinen fortwährend spitzeren Krallen durch die Luft. Ruckartig focht es, offenbar in seiner charakteristischen Manier, gegen sein Unbehagen. War es verunsichert durch das grün und rot blinkende Schaltbrett oder das flackernde Leuchten der Anzeigen?

Der erste gemeinsame Tag hatte die beiden strapaziert und vorzeitig ermattet, sodass sie auf die Sofas niedersanken und prompt einschliefen. Mehrere Stunden später erwachten sie aus einem Schlaf, der bei Tarin komplett traumlos verlief. Er gähnte, stand auf und blickte zu Qivra, wie er das ovale Etwas nach einer inoffiziellen Taufe nannte. Huschte da etwa ein Lächeln auf das Gesicht des sonderbaren Wesens? Es wirkte, als habe es die menschliche Geste irgendwo aufgeschnappt und sofort übernommen – ein unheimlicher Spiegel.

„Nimm Kaffee“, flötete Tarin so mild, wie er konnte, und bot ihm eine schmale Tasse, gefüllt mit einer dunklen, bitteren Brühe – das Einzige, was auf dieser Reise dem Ritual des Menschlichen nahekam. Qivra nickte andeutungsweise, als er ihm die Tasse zuschob. Dieses Verständnis war wie ein erster Lichtmoment. Vermutlich war auch Qivra an einer friedlichen Übereinkunft interessiert und nicht so angriffslustig, wie Tarin ihm zu Beginn unterstellt hatte.

Wieder tätschelte Qivra Tarin, und wieder war überall dort, wo er von seiner Zunge berührt worden war, Schleim, abartiger Glibber. Trotz seiner Abneigung ließ Tarin die Zärtlichkeiten über sich ergehen. Ihm war jedes Mittel recht, solange es ihrem Arrangement diente. Loswerden würde er Qivra ohnehin nicht. Nicht mehr. Seinen eigentümlichen Duft hatte er längst ausgebracht, wie eine Reviermarkierung. Manchmal fragte sich Tarin, ob das Wesen nicht eigens hierhergebracht worden war – abgelegt, wie ein Findelkind, das sich fremder Fürsorge bediente.

Es folgten Missverständnisse und diverse Auseinandersetzungen durch Qivras zunehmende Besitzansprüche. Die Langeweile ereignisarmer Tage gipfelte in einer Aggression seitens Qivras, der sich mit seinen Krallen am Sofa verging und schrille Rufe ausstieß. Wollte er auf körperliche Schmerzen oder seelische Qualen hinweisen? Musste er etwas mitteilen, das Tarin von alleine nicht verstand?

„Sei still!“, brüllte Tarin den aufgerührten Qivra an und zog in Betracht, ihn wegen seines schlechten Benehmens durch die Luke nach draußen zu befördern. Würde Qivra überhaupt noch durch sie passen? Es war keineswegs ausgeschlossen, dass er sich bei einem Rausschmiss weiter aufblähte und sich weigerte, den Platzverweis zu akzeptieren. Würde Qivra ihn mit seinem außergewöhnlichen Erregungspotenzial zerfleischen?

Tarin spürte bereits, wie die scharfen Krallen seine Haut in Stücke zerfetzten und ihn blutig rissen. Allein die gedankliche Vorwegnahme lähmte sein Handeln. Wollte er unversehrt bleiben, musste er Qivra unbegrenzten Aufenthalt gewähren.

Einige Tage später war der Groll einer versöhnlichen Atmosphäre gewichen. Qivra fauchte nur noch selten und hatte sein grässliches „Grrr“ eingestellt.

Ein erneuter Wechsel von Qivras Stimmungslage war unausweichlich. Seine Launen glichen, das wusste Tarin aus Erfahrung, Gezeiten, die einander ablösten und mit jedem Auftreten an Heftigkeit gewannen.

Bald kamen Phasen, in denen er daran zweifelte, ob Qivra sein Fauchen jemals in den Griff bekommen würde. Tarin musste sich disziplinieren, denn sein Verlangen, die Luke zu öffnen und Qivra ins All zurückzubugsieren, war ungebrochen. Die Konflikte häuften sich. Eine einheitliche Sprache, auf die man sich in Diskussionen berufen konnte? Fehlanzeige! Das war ein Nährboden für schwelende Probleme.

Von Tarins Schlichtungsversuchen fühlte sich Qivra derart bedrängt, dass er ihn schließlich in die Schulter biss. Der Raumanzug war gegen Angriffe keine ausreichende Barriere. „Ungeheuer!“, stieß Tarin hervor, überwältigt von Schmerz und Fassungslosigkeit. Qivra machte keine Anstalten, sich zu entschuldigen.

Da es der erste Vorfall solch gravierenden Ausmaßes war und Tarin nicht einordnen konnte, was der Übergriff zu bedeuten hatte, verzieh er Qivra, ohne zu vergessen. Es folgten ähnliche, wenngleich harmlosere Vorfälle. Durch sie lernte Tarin viel über ihr Zusammenspiel, und ansatzweise kehrte eine Harmonie ein. Häufig fragte er sich, ob diese nicht trügerisch sei.

Inzwischen verbrachten die beiden immer öfter Zeit miteinander. Aus ihrer vereinten Ausweglosigkeit keimte eine Solidarisierung, die sie verband und ihnen ermöglichte, den ungewöhnlichen Alltag zu bewältigen. Qivra hatte einen verschwommenen Blick, mit dem er stets nur für die allerkürzeste Dauer Augenkontakt halten konnte. Er schien jedoch über eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe zu verfügen, die ihm half, sein Verhalten in bestimmten Situationen gezielt auf Tarin anzupassen. Es war, als lebte er sich Stück für Stück in ihn hinein. Das „Grrr“ setzte erneut ein und hörte fortan nie mehr auf.

Dennoch war Qivra seit dem besagten Vorkommnis, von Kleinigkeiten abgesehen, nie wieder übergriffig geworden. Dann erkrankte Qivra. Fiebersaft gab es nicht, generell keine Arzneimittel. Wozu auch? Tarin war immun geworden gegen sämtliche Infektionen, resistent gegen Keime und Bakterien. War er noch ein Mensch oder bereits eine Maschine? Nein, nein, Qivras Angriff hatte ihm bewiesen, wie verwundbar er an manchen Stellen war.

Unter den unwirtlichsten Bedingungen zu überleben, mochte er imstande sein, doch sobald ein Widersacher auftauchte, geriet seine Unversehrtheit ins Wanken. Jetzt war alles anders. So kampftauglich Qivra zuvor gewirkt haben mochte, in seiner derzeitigen Konstitution hatte er Tarin nichts entgegenzusetzen.

Qivras Rückstand wurde mit jedem Tag erheblicher. Sein Leib schien schichtweise zu zerfallen, als löste er sich aus der eigenen Hülle. Ein geisterhaftes Abschälen, das täglich mehr von ihm nahm. Falls Tarin je den Niedergang eines Wesens beobachten konnte, erkannte er ihn in diesem Augenblick an Qivra.

Nach einer Weile des Grübelns legte sich Tarin fest: Qivra würde in den nächsten Wochen sterben. Damit rechtfertigte er seinen sanft um Qivra gelegten Arm, seine Nachsicht trotz all der Querelen und durchlebten Unstimmigkeiten. Er war sogar bereit, über seinen Schatten zu springen, trotz des abgrundtiefen Ekels vor Qivras gelegentlich überbordender Sekretion.

Qivras Krallen wuchsen mit jedem Stadium seines Verfalls. Sie wurden spitzer, schärfer, und verwandelten sich in regelrechte Tatzen, gefährlich und schlagkräftig. War dies tatsächlich der vermeintliche Endzustand von Qivra? Tarin spürte die Unberechenbarkeit des Wesens in jedem seiner Bewegungen. Würde es wirklich die unmöglichsten Dinge unternehmen?

Der Untergang des Todeskandidaten Qivra zog sich dahin. Seine Farbe verblasste zu einem leichenhaften Weiß. Doch sein Geist war urplötzlich hellwach, klar – als hätte er noch einmal jeden Winkel seiner Umgebung erfasst. Qivras Handlungen verrieten Klugheit und Cleverness, auch wenn er optisch nur noch einem vertrocknenden Oval glich.

Tarin spürte das dringende Bedürfnis, noch einiges mit Qivra zu besprechen, bevor er ihn endgültig verlieren würde. Auf seltsame Weise war er ihm ans Herz gewachsen, und nun stand er davor, ihn an eine heimtückische Krankheit zu verlieren.

Ihre oft mit Händen und Füßen geführte Kommunikation war im Sterbeprozess auf unergründliche Weise von frischen Kräften belebt. Ihre Gespräche liefen wie die Versuche zweier Wesen, die keine gemeinsame Sprache hatten.

Es kam der Tag, an dem Tarin bemerkte, welchem fatalen Irrtum er bei seinen Deutungen aufgesessen war. Gerade war er erwacht, streckte sich und gähnte ausgiebig, als ihn etwas stach. Tarin vermutete dahinter die Krallen Qivras. In Wahrheit aber hatte er das Messer gefunden. Die Schneide blitzte im fahlen Licht. Da zuckte ihm ein letzter Gedanke durch den Kopf: Vielleicht war es nie sein Wesen gewesen. Etwas Größeres hatte ihn bestimmt, Qivra zu hüten, bis er stark genug war. Ein Kuckuckskind, dem er Wärme lieh, bis es ihn nicht mehr brauchte. Hitze an seiner Kehle, und das Gefühl, als ergösse sich sein Innerstes in die Stille des Alls.

6 Kommentare

  1. Also nachdenken muss man schon über die Geschichte. Aber sie bleibt mysteriös. Warum lässt Tarin ihn überhaupt rein? Und ab da leben sie zusammen und der Quivras benutzt das Messer um ihn zu töten, dabei hätte er es vorher, als er noch gesund war, mit seinen Krallen machen können. Tarin ist Millionen von Lichtjahren unterwegs, rechnet mit keinem Kontakt und ist auch nicht vorbereitet? Okay, es ist Fantasy, aber hier fehlt mir jede Logik.

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  2. Ordentliche Abwicklung eines interessanten Plots, der jedoch einige Ungereimtheiten aufweist. Eine zusammenhängende Geschichte,von Rechtschreibfehlern gesäubert, ohne echte Höhepunkte. 3 Sterne

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  3. Der letzte Satz! Den finde ich richtig richtig gut!

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    1. Du meinst "Hitze an seiner Kehle, und das Gefühl, als ergösse sich sein Innerstes in die Stille des Alls"?

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  4. Hm, gibt es nicht irgendeine Verfahrensrichtlinie für die Begegnung mit einer nichtterrestrischen Spezies? Ich bin ziemlich sicher, dass Tarin gegen alle Best Practices verstoßen hat!!

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