Frieden, Freiheit, Freude
Frank versank in seinen üblichen energiesparenden Hirnhalbseitenschlaf. Seine Aufgabe für heute war es, ein Motiv zu suchen, dass Freude auslösen oder als Symbol für Freude gelten könnte. Also hat er sich seinen Fluganzug angezogen, schraubte sich mit Aufwinden in die Höhe und ließ sich mühelos gleiten, um von dort eine Inspiration oder zumindest ein Motiv zu finden. Seine Klassenkameraden hatten dieselbe Aufgabe bekommen und morgen, würde alle ihre Ergebnisse im Virtuellen Netz vorstellen müssen. Die Präsentation war die größere Herausforderung, auf die er noch viel weniger Lust verspürte. Und überhaupt, immer dieses „Frieden, Freiheit, Freude“- Gedöns. Frust, Frust, Frust wäre treffender für ihn, dachte er.
Im Geschichtsunterricht hatte er gelernt, dass vor der großen Katastrophe die Vorfahren der Api auf dem gesamten Planeten verteilt lebten. Sie lebten in engen Kontakt zueinander, so sprachen sie beispielsweise von Angesicht zu Angesicht und Heranwachsende seines Alters sollten beim Spielen sogar Körperkontakt gehabt haben! Eine Vorstellung bei der er einerseits Abneigung andrerseits auch große Neugier verspürte. Er war allein. Körperkontakt war seit der Katastrophe tödlich. Eine Tatsache, die er nicht nur aus dem Unterricht kannte, sondern auch schon miterlebt hatte, denn er hatte auch schon Api, die sich im Flug nahegekommen sind, vom Himmel stürzen sehen. Kontakt war nur im Virtuellen Netz erlaubt. Es stand unter Strafe, körperliche Nähe zu suchen und so wandten sich alle Api voneinander ab, sobald sie einander sahen.
Blitzartig schreckte Frank aus diesem Gedanken auf. Noch im letzten Moment machte er pfeilschnell eine Kehre, um mit den Aufwinden an Höhe zu gewinnen. Ohne die Aufwinde hätte er nicht mehr segelfliegen können und landen müssen. Dann wäre der Tag verloren, er hätte dann am Bodend ie Nährlösungsherstellung überwachen müssen, was noch langweiliger war, als alleine zu fliegen.
Glück gehabt, dachte er. Glück, auch so ein Wort, dass ihn wütend machte. Er wusste auf dem Hochplateau auf dem er lebte, war vor der großen Katastrophe, bei der 98 % aller Lebewesen auf Terra umgekommen sind, Glück, das höchste Ziel. Glück war damals auch erreichbar, philosophierte er für sich weiter, die Buta konnten sich im Gegensatz zu ihren Nachfahren, die Api, sehen, riechen und berühren. Sie aßen vielfältige Nahrung und hatten ausreichend Energie zur Verfügung, so dass sie auf dem Boden länger verweilen durften.
Die Api kannten keine feste Nahrung. Jeder bekam eine Flüssigkeit, die alles beinhaltete, um am Leben zu bleiben. Mehr nicht, denn mehr war nicht da. Es musste mit allen Ressourcen sparsam umgegangen werden.
Deswegen waren die Api auch gezwungen, die meiste Zeit in der Luft zu verbringen, denn dank des Fluganzugs und einer hochentwickelten Flugsegeltechnik war dieses die Daseinsform mit dem niedrigsten Energiebedarf. Und Energie war knapp, weil die Vorfahren sämtliche fossile Energie verschwendet hatten.
Andrerseits kannten die Buta auch noch nicht den Fluganzug und konnten nicht so versiert fliegen wie wir Api, freute sich Frank. Ja, der Fluganzug war genial, zwar war dieser in seiner Spindelform und mit den langen graubraunen Flügeln zwar nicht unbedingt schön, aber es ermöglichte das schnelle wendige und dauerhafte Fliegen in allen Höhenlagen. Noch dazu waren die Api durch eine unkomplizierte Implantation eines Chips des Hirnhalbseitenschlafs mächtig, so dass sie, in der Luft schlafen konnten und nur für die Nährlösungsaufnahme zurück zu ihrer Station mussten.
Und schon kam ihm die Idee zum Thema Freude: Das Fliegen und zwar das pfeilschnelle Herabschießen von großen Höhen und schnelle Wenden kurz vor dem Boden. Schon bei dem Gedanken verspürte er große Lebensfreude. Doch dann wurde ihm bange, denn es wird nicht das sein, was der Lehrer erwartet, weil die hierfür notwendige Konzentration viel Energie erfordert und ein hoher Energieeinsatz für die Api ein unausgesprochenes Tabu war. Er wusste seine Klassenkameraden werden über die Freude am Blumenduft, die Schönheit von Wolkenformationen oder die Aromen der Nährmittellösung referieren. Er nicht, weil er es nicht so empfand und auch noch nie empfunden hatte. Überhaupt, er war ein schlechter Schüler und fühlte sich fremd, wenn im Klassenchat miteinander kommuniziert wurde. Wieso konnten sich die anderen für das frugale Leben begeistern? Warum fanden sie die Nährlösung lecker? Warum darf man nicht streiten? Und warum vermisst keiner Nähe und Körperkontakt?
„Ich werde sie von meiner Version der Freude überzeugen“ sprach sich Frank Mut zu. “Ich werde meinen Sturzflug in der engen Tigerschlucht filmen. Es ist wegen der unberechenbaren Winde zwischen den engen Felswänden und des tosenden Flusses zwar sehr gefährlich, aber das wird besonders sein,“ malte er sich aus, wie sehr er seinen Lehrer und seine Mitschüler mit seinem selbstbewussten Kunstflug beeindrucken würde.
Anna liebte Albin. Albin war eigentlich nicht schön, seine Haut ein wenig zu dunkel und sein Körperbau ein wenig zu gedrungen. Aber er war charmant, lustig und tatendurstig. Häufig eckte er an, weil er eigensinnig war. Aber selbstbewusst, wie Albin war, störte ihn Kritik nicht und auch Strafen ließen ihn nicht von seinen eigensinnigen Ideen abbringen. Und Albin liebte Anna. Anna war eine unauffällige zurückhaltende Schönheit, mit der man Pferde stehlen oder besser gesagt, Planeten bereisen kann.
Denn genau das, war ihr Auftrag. Sie hatten ihren Sohn vor 8 Jahren zum Planeten Al 288 gebracht, mit dem Wissen, das ihr Sohn die Gestalt der Api annimmt und von den Api erzogen wird. Das Kind selbst würde sich vollständig in das fremde Volk integrieren. So hatten die Anta überall im Universum ihre Kinder. Anders konnten sich die Anta, so hieß ihr auf dem Planeten 3WZ lebendes Volk auch kein Leben vorstellen. Denn wie soll man gleichzeitig tanzen, feiern, Freundschaften pflegen, sich um die vielen kulinarischen Genüsse kümmern, die das Universum bot und ein Kind erziehen? Doch Albin und Anna hatten über die Stränge geschlagen und statt eine Arbeitseinheit in der Forschung einzulegen, wochenlang durchgetanzt. Die Königin war sehr verärgert und forderte quasi als Erziehungsmaßnahme Albin und Anna mögen ihren Sohn von Al 288 holen und diesen zum Botschafter fremder Kulturen auf 3WZ heranziehen.
Albin und Anna bekümmerte die sogenannte Erziehungsmaßnahme nicht. Sie haben ein ultramodernes Raumschiff für ihre Reise mit allen technischen Finessen zur Verfügung gestellt bekommen und freuten sich auf das Abenteuer. Den Sohn würden sie später bei der Königin abliefern und darauf hofften, dass ihr Kind im Internat des Königshauses aufgenommen wird.
Zwei Wochen nach der Abreise wurden die beiden vom Ortungsprogramm geweckt, als das Raumschiff auf einem Gebirgshochplateau gelandet war. Draußen war es befremdlich karg. Sie mussten ihre Raumanzüge mit der Düsenflugfunktion anziehen und natürlich durften sie auch die Notfallversorgung nicht vergessen. Das Raumschiff war wahrscheinlich nicht direkt bei ihrem Sohn gelandet, weil dieser sich tief unten in der schmalen Schlucht befinden musste, die für das Raumschiff zu eng und somit nicht zugänglich war. „Wir könnten auch ohne unser Kind zurück und behaupten, dass wir ihn nicht gefunden haben“ dachte Albin, aber Anna flog schon in die Tiefe und um sie nicht allein zu lassen, folgte er ihr.
An der tiefsten und dunkelsten Stelle unweit des Flusses fand ihre Navigation ein Wesen in den zerfetzten Resten einer vogelähnlichen Verkleidung. Das dreckige Bündel fühlte sich schrecklich kalt und feucht an. Aber sowohl das Ortungssystem als auch die Gensensoren ihrer Medizin- und Pflegetechnik zeigten nun unmissverständlich an, dass dieses ihr Kind sein musste. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Jetzt weiß auch das Königshaus, das wir ihn gefunden haben“, dachte Albin, denn natürlich wurden sie vom Königshaus kontrolliert, soweit es die Technik zuließ.
Nachdem sie ihren verletzten und ohnmächtigen Sohn ein Schlafmittel verabreicht hatten, beförderten sie ihn in das eigens vorbereitete Kinderzimmer des Raumschiffes. Sie behandelten die nur harmlosen Wunden und untersuchten dann das hässliche Federkleid ihres Kindes. Sie fanden ein Speichermedium, dass sie aufriefen und abspielten. Sie überflogen langweilige Lehrvorträge und verharrten dann bei einer spektakulären Flugübung in einer Schlucht: Ein vogelähnliches Wesen stürzte sich rasant bis in die tosende Gischt des Flusses um dann im letzten Moment sich mithilfe von Aufwinden wieder in 6.000 m Höhe zu schrauben. Dieses wiederholte er mehrmals, wobei bei jedem Flug eine andere Flugkunstfigur probiert wurde. Doch dann erreichte die Gischt einen Flügel, sodass der nasse und schwere Körper einen Felsen streifte, Federn zerbrachen und der unglückliche Flugakrobat mit Mühe noch soeben zum schmalen Ufer segeln konnte.
„Ein Konstruktionsfehler“, sagte Albin, „die Federn müssen wasserabweisend sein“. „Er ist wie du“ erwiderte Anna mit zittriger Stimme. Albin konnte es zunächst nicht fassen, dass der Junge im Kinderzimmer, das Bündel in der Tigerschlucht und der Flugakrobat dasselbe waren doch dann wurde er, genau wie Anna von einer mächtigen Gefühlswoge von Stolz und Elternliebe nahezu überwältigt. Und so weinten die beiden stundenlang vor Glück.
Die Königin von 3WZ seufzte, der Minister für außerplanetarische Angelegenheiten und auch der Minister für Rohstoffe und Energie hatten sie eindringlich gebeten, sich mit den nun eingespielten Daten vom ehemaligen Heimatplaneten zu befassen. Al 288, war so gut wie ausgestorben, nachdem ihre Vorfahren diesen ausgebeutet und überhitzt verlassen haben. Eine historische Anekdote mehr nicht, dachte sie. Ich sehe es mir morgen an, denn sonst komme ich zu spät zum Fest der medialen Künste, beschloss sie.
10 Jahre später:
Die inzwischen an plötzlichen Herztod verstorbene Königin hatte sich die Dateien nie angesehen. Stattdessen hatten die Minister für außerplanetarische Angelegenheiten und der Minister für Rohstoffe und Energie sich diese zu Nutzen gemacht und Forschungsaufträge zur Verbesserung der individuellen Luftfahrt auf Grundlage des Fluganzugs vergeben und sie mit den Einnahmen aus dem Dryptomitevorkommen aus der Tigerschlucht des Planeten Al 288 finanziert. Jetzt war das Fliegen mit einem Fluganzug das Hauptverkehrsmittel und hatte schon seit langem den energieineffizienten und spaßfreien Drohnenflug abgelöst. Planetenweit wurden hierdurch 20% der Gesamtenergie gespart. Ein Erfolg zu den auch Frank, Anna und Albin beigetragen hatten: Frank, weil er den Umgang mit den Anzug zeigen und erklären konnte und Anna und Albin, weil sie die Einzigen waren, die den eigensinnigen und schüchternen Jungen, mit viel Liebe und Geduld dazu bringen konnten, genau dieses zu tun.
Frank hingegen hatte sich an die glitzernde Partywelt seiner Eltern gewöhnt und sie schätzen gelernt. Er hatte gelernt, sich umarmen zu lassen und mochte persönliche Kontakte. Er aß und tanzte gerne. Er genoss seine Arbeit als Lehrer der Fluganzugakrobatik und Hirnhalbseitenmeditation.
Al 288 hatte er nie wieder besucht.
Ungewöhnlich und witzig, hat mir Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen! Auch, dass die Charaktere sich verändern, nicht schwarz-weiß dargestellt sind, gefällt mir gut. Eine schöne, runde Geschichte.
AntwortenLöschenDa prallen zwei sehr interessante Welten aufeinander.
AntwortenLöschenGuter Ansatz, aber auch Unlogisches. Wie pflanzen sich denn die API fort, wenn sie sich nicht berühren? Noch nicht einmal ansehen? Die Eltern hatten ja keine große Sehnsucht nach ihrem Sprössling Frank, wenn das Zurückholen eine Strafmassnahme gegen sie darstellt. Grammatikalisch mehrmals falsche Zeiten, z.B. "... später abliefern und darauf hofften ..." statt "hoffen". Ausnahmsweise zu viele Kommas (die meisten machen zu wenige), z.B. "... umgekommen sind, Glück, das höchste Ziel", Tippfehler, z.B. "... am Bodend ie ..."
AntwortenLöschenAufgabenstellung ist auf jeden Fall erfüllt und die Story ist kreativ.