Nalfih
Kapitel 1 - Erde
Die Nacht war sternenklar, hell leuchtete der Mond am schwarzen Firmament. Ejgr betrachtete den Himmel. In weiter Ferne war ein schwaches, blaues Leuchten zu erkennen, nicht sichtbar für das menschliche Auge. Nalfih. Sein und Aldnrs Heimatplanet. Aldnr, seine Gefährtin, wartete in sicherer Entfernung, geschickt versteckt in der Dunkelheit. Bald würden sie beide nach Nalfih zurückkehren. Das kleine Bündel, das er im Arm hielt würde aber nicht mitkommen können. Zumindest noch nicht. Wehmütig sah er seinen Nachwuchs noch einmal an. Der kleine Zellklumpen hatte sich in seine Decke gekuschelt und schlief friedlich. Behutsam legte Ejgr das Kleine vor der Haustüre ab. Sie hatten gut recherchiert, hier wohnte ein Pärchen, das erst kürzlich ein Kind bekommen hatte. Eine Kindergärtnerin und ein gutverdienender Astrophysiker, bessere Voraussetzungen hätten sich Ejgr und Aldnr nicht wünschen können. „Mach’s gut“, flüsterte Ejgr, „wir sehen uns wieder, wenn du groß bist.“ Mit diesen Worten drückte er die Klingel und eilte zurück zu Aldnr, die in einem nahen Gebüsch kauerte. Sie beobachteten, wie sich die Haustüre öffnete und ein Mann erschien. „Hallo, ist da wer?“, fragte der Mann, verwirrt darüber, niemanden zu sehen. Er blickte nach unten und hob verwundert das Knäul auf. „Wer bist du denn?“ „Wer ist denn da?“ Eine Frau erschien und schaute ihm neugierig über die Schulter. „Niemand, aber schau mal.“ Er zeigte seiner Frau, was er vor der Haustüre gefunden hatte. „Was ist das?“, fragte sie und schlug die Decke zur Seite um zu sehen, was sich im Innern befand. „Ist das ein Tier?“ Der Mann entgegnete: „Ich kenne kein Tier, das so aussieht! Wir sollten es zur Polizei bringen und…hey, was riecht hier so?“ „Keine Ahnung…vielleicht kommt das von dem Tier?“, mutmaßte die Frau. „Aber ich finde, wir sollten es behalten. Es wurde bei uns ausgesetzt, jemand kann sich nicht darum kümmern. Wir können es nicht weggeben.“ Die Frau berührte das Wesen und es begann, seine Form zu ändern. Langsam, aber immer deutlicher wurden menschliche Züge sichtbar. Das Ehepaar sah fasziniert zu, wie sich aus einem Zellklumpen ein kleiner Mensch formte. Der Duft, süßlich, fast wie Vanille, wurde stärker, die Moleküle, die das Wesen ausströmte wanderten über die Nasen des Ehepaares, durchquerten die Blut-Hirn-Schranke und gelangten schließlich in die Amygdala, wo sie sich an sehr spezifischen Rezeptoren festsetzten und eine Reihe neuronaler Reaktionen auslösten. Das Paar blickte glücklich auf sein Kind, das angefangen hatte zu schreien. Was Kinder halt so machen. „Hast du Hunger?“, fragte die Frau und ging mit dem immer noch in Decken gehüllte Kind ins Wohnzimmer. Der Mann folgte den beiden und in dem Moment, als er die Türe hinter sich schloss hatten beide vergessen, dass die Frau vor zwei Tagen nur ein Kind auf die Welt gebracht hatte. Sie waren glückliche Eltern von kerngesunden Zwillingen.
„Es hat geklappt“, flüsterte Ejgr. „Ja“, entgegnete Aldnr mit Tränen in den Augen.
Kapitel 2 - Erde, viele Jahre später
„Du gehst sofort auf dein Zimmer!“, hörte ich meinen Vater brüllen. Stille folgte. „Ähm, ja…ok…“, erwiderte mein Bruder Adrian. „Dir ist aber klar, dass es genau das ist, was du noch vor zwei Minuten auf gar keinen Fall wolltest, das ich tue…“ „Sofort!“, blaffte unser Vater und ich konnte förmlich das Grinsen in Adrians Gesicht hören, als er ganz ruhig antwortete: „In Ordnung.“ Als er kurz darauf die Stufen heraufkam, streckte ich meinen Kopf aus dem Zimmer und blickte ihn an. „Alles ok?“, fragte ich besorgt. Adrian lächelte. „Ja, er beruhigt sich schon wieder. Ich glaube, er hat selber keine Lust zu Oma und Opa zu fahren und als ich ihm erklärt habe, dass Oma und Opa es verstehen würden, weil wir doch gerade Prüfungszeit haben, ist er sauer geworden, weil ihm diese Argumente nicht selber eingefallen sind.“ Ich musste schmunzeln. Unser Vater war ein herzensguter Mensch und für seine Kinder würde er alles tun. Leider war er nicht der Hellste und durchsetzen konnte er sich auch nicht. Das führte dazu, dass er von unserer Mutter immer wieder zu irgendwelchen Familienbesuchen geschleppt wurde, auf die er im Grunde lieber verzichtet hätte. Wenn Adrian dann auch noch gute Argumente hatte, warum wir nicht fahren müssen, platzte ihm oft der Kragen. Unser Vater saß dann zwischen den Stühlen und es war einfacher seinen Sohn zu schimpfen, als seiner Frau zu sagen, dass sein Sohn Recht hatte und er noch nie auf eine der Feiern wirklich Lust gehabt hatte. Was tut man nicht alles für eine friedliche Ehe. „Und jetzt?“, fragte ich. Adrian zuckte mit den Schultern. „Wie es aussieht bleibe ich als Strafe hier, weil ich gesagt habe, ich würde lieber für die nächste Prüfung lernen, als zu unseren Großeltern zu fahren.“ Ich lachte. „Ok, dann schäm dich mal ordentlich!“ „Ich geb‘ mir Mühe“, entgegnete er und verschwand in seinem Zimmer. Schnell eilte ich die Treppe nach unten, ich wollte nicht, dass unser Vater auch auf mich noch sauer wird, weil ich herumtrödelte. „Ah, Lina da bist du ja!“, empfing meine Mutter mich in der Küche. „Bist du fertig? Können wir los?“ Ein Blick zu meinem Vater genügte um zu wissen, dass er sich schon wieder beruhigt hatte. Meine Mutter hatte das Talent, erhitzte Gemüter schnell wieder abzukühlen. Es war gar nicht so sehr, dass sie etwas Besonderes sagte, sie strahlte einfach Ruhe aus und das übertrug sich auf das Gegenüber. Das war mir bereits als Kind aufgefallen, egal wie traurig, wütend, oder frustriert ich war, nach einem Gespräch mit meiner Mutter ging es mir immer besser. Einmal hatte ich sie gefragt, woher sie das konnte. Sie hatte gelächelt und geantwortet, sie wisse es nicht, es war einfach ein Talent. „Ja, bin ready!“ Ich war gerne zu Besuch bei Oma und Opa, es gab immer gutes Essen und ich liebte Opas Geschichten aus seiner wilden Jugend.
Eineinhalb Stunden später saß ich an dem, wie bei jedem Besuch, liebevoll eingedeckten Küchentisch, ein Stück Erdbeerkuchen und eine Tasse Früchtetee vor mir. Meine Mutter echauffierte sich gerade darüber, dass Adrian sich partout geweigert hatte mitzukommen. Opa Helmut lächelte mild. „Er ist siebzehn, Liebes. Da hat er andere Interessen, als mit zwei alten Komposties Kaffee zu trinken.“ Ja, Oma Gudrun und Opa Helmut hatten eine entspanntere Einstellung. „Aber wir sind eine Familie!“, entrüstete sich meine Mutter. „Helmut hat Recht, Tanja“, meldete sich nun auch meine Oma zu Wort, „der Junge braucht ein bisschen Zeit für sich. So, wie ich ihn kenne, wird er wahrscheinlich eh über seinen Büchern sitzen und das ist äußerst lobenswert, findest du nicht?“ „Schon, aber die Familie ist auch wichtig!“, entgegnete meine Mutter. An ihrem Tonfall war deutlich zu hören, dass ihr langsam die Argumente ausgingen. „Junge Dame!“ Immer wenn meine Oma mit meiner Mutter die Geduld verlor, verwendete sie den Ausdruck ‚Junge Dame‘. „Darf ich dich an deine Jugend erinnern? Wie du anstatt zum Geburtstag deiner Schwester lieber zu einem Rockkonzert gegangen bist?“ Interessiert hörte ich zu und schob mir eine Erdbeere in den Mund. „Oder wie du die Hochzeit von Cousine Alma wegen einem jungen Mann verpasst hast, der nicht mal wusste, dass du existierst?“ Meine Mutter lief rot an, noch roter als die Erdbeere, dich ich mir gerade einverleibt hatte. Das waren ja einige äußerst interessante Anekdoten! „Mutter, bitte…“ „Ich will damit nur sagen, dass du Adrian nicht zwingen kannst mitzukommen. Wenn er…“ „Kennt ihr den Kerl da draußen?“ Alle blickten zu meinem Vater. „Was?“, fragte Oma Gudrun, ein wenig aus dem Konzept gebracht. „Da draußen vor dem Gartentor, da steht jemand, seht ihr?“ Mein Vater deutete nach draußen. Wir schauten in die Richtung, in die mein Vater zeigte. Tatsächlich! Auf dem Gehweg vor dem Gartentor stand eine Gestalt. Es schien, als würde sie direkt durch das Fester starren und sich ab und zu etwas in einem kleinen Buch notieren. „Wer ist das?“, fragte ich. „Das finden wir gleich heraus!“ Opa Helmut, schon immer ein Mann der Tat, stand auf, nahm sich den Fleischklopfer aus der Schublade und marschierte Richtung Haustüre. Gespannt beobachtete ich die Gestalt durch das Fenster. Plötzlich wandte sie sich um, schnappte sich einen dieser neumodischen E-Scooter, der bis zu diesem Zeitpunkt hinter dem Zaun versteckt war und sauste davon. „Hast du ihn erkannt?“, wollte ich von Opa wissen, als dieser kopfschüttelnd wieder in die Küche kam. „Nein“, brummte er. „Das war keiner aus der Nachbarschaft, die kenne ich alle.“ Nachdenklich blickte er aus dem Fenster. „Sollen wir die Polizei rufen?“, fragte mein Vater vorsichtig. „Was sollen wir denen denn erzählen? Hallo, es stand jemand vor unserem Haus und war seltsam? Nein, man würde uns auslachen“, beschloss Oma Gudrun. „Richtig“, pflichtete Opa Helmut ihr bei. „Vielleicht war es nur ein verwirrter Landstreicher.“ Ich sah ihn überrascht an. Er war niemand, der Dinge herunterspielte und da er vorher gleich mit dem Fleischklopfer nach draußen geeilt war, war es offensichtlich, dass er den Kerl nicht für nur einen verwirrten Landstreicher hielt. „Wer will noch ein Stück Kuchen?“, fragte Opa Helmut bevor ich nachhaken konnte.
Kapitel 3 - Nalfih
Zur gleichen Zeit, viele tausende Kilometer von der Erde entfernt, auf dem kleinen Planeten Nalfih in einer bewohnten Höhle: Eine kleine Lampe an einem technischen Gerät fing an zu blinken und es ertönte ein Piepen. Nach einer Weile erschien grummelnd ein Nalf im Raum und wabbelte dem Blinken entgegen. Wackelpudding. Das würde ein Mensch wohl als erstes mit besagtem Wesen assoziieren. Durchsichtig und gallertartig wirkte es wie eine überdimensionale Amöbe, die sich durch Umschichtung des eigenen Volumens fortbewegte. Der Nalf erreichte das piepsende Gerät und funktionierte eine seiner Ausbuchtungen zu einem tentakelähnlichen Greifarm um, mit dem er das Gerät zu sich holte. Der Apparat gab ein Brummen von sich und das Wesen antwortete mit einem blubbernden Geräusch. Es klang, wie ein Wasserspender, in dem gerade eine Luftblase aufsteigt. Kurz herrschte Stille, dann war wieder ein Brummen zu hören und der Nalf hörte aufmerksam zu. Plötzlich erstarrte er. Hatte er bis vor ein paar Sekunden noch leicht pulsiert und vor sich hin gewabert war er nun wie eingefroren. Kurz blubberte er wieder in die Maschine, als wollte er fragen „Wirklich? Ist das wirklich wahr?“ Ein knappes Summen ertönte und es kam Leben in das behäbige Individuum. Aufgeregt fing es wieder zu blubbern an, der ganze Körper schien zu vibrieren. Fast hätte er das Gerät in seinem Tentakel fallen gelassen. Aufgeregt robbte er aus dem Raum, kam aber gleich wieder zurück, weil er vergessen hatte, dass er den Apparat noch bei sich trug. Der Nalf legte den Gegenstand auf seinen Platz und machte sich wieder auf den Weg, den Raum zu verlassen. Dabei veränderte er seine Form. Erst nur schemenhaft, dann immer deutlicher nahm er die Gestalt eines Menschen an. Ein Mann lief nun hektisch durch die Höhle und schien jemanden zu suchen. Seine Stimme erklang mit der Verwandlung immer deutlicher und aus dem Geblubber wurde Sprache. „Aldnr! Wo bist du? Ich habe fantastische Neuigkeiten!“ Unvermittelt stand ein anderes amöbenähnliches Geschöpf vor ihm und blickte verschlafen drein. Der Mann ließ das Wesen nicht zu Wort kommen, umarmte es und rief: „Es ist so weit! Wir können unser Baby nach Hause holen!“
Kapitel 4 - Erde
„Wieso schaust du dir immer diese Alien-Filme an?“, fragte mein Bruder kopfschüttelnd. Ich blickte von meinem Bildschirm auf und ihn begeistert an. Den ganzen Tag lang hatte ich mich schon auf meinen Filmabend gefreut. Ausgestattet mit einer Schüssel Popcorn hatte ich es mir auf dem Sofa bequem gemacht und war bereit für außerirdische Abenteuer. „Wie kannst du das nicht faszinierend finden? Die Idee, eine neue Welt zu erfinden, die Kreaturen danach zu erschaffen, ihre Lebensweise, ihre Bedürfnisse, das erfordert schon Phantasie!“, schwärmte ich. Er entgegnete: „Genau da liegt mein Problem.“ „Hä? Was meinst du?“ „Ok, nehmen wir mal an, es gibt einen Planeten, auf dem Leben zu finden ist, wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Leben ähnlich dem, auf der Erde ist?“ „Ähm…keine Ahnung?“ Ich wusste nicht worauf er hinaus wollte. „Die Erde, so wie sie ist, ist ein Zufallsprodukt. Gas und Staub aus dem Weltall formt sich zu einem glühenden Ball, der langsam abkühlt, aber noch genau den richtigen Abstand zur Sonne hat, damit es nicht zu warm und nicht zu kalt ist. Weil der Staub damals die richtige Zusammensetzung hatte, konnte Wasser entstehen, Atmosphäre, Gesteine, Mineralien und so weiter. Und auf all dem basiert das Leben. Wäre nur ein bisschen was anders gewesen, damals, vor vielen Milliarden Jahren, dann wäre das Leben nicht so, wie wir es heute kennen. Ich sage nicht, dass es kein Leben gäbe, aber es wäre anders.“ „Ja…soweit kann ich folgen“, bestätigte ich. „Und was genau ist jetzt dein Problem mit E.T.?“ Adrian lächelte. „Ich bin der Meinung, dass die Bedingungen, so wie sie auf der Erde herrschen ziemlich einzigartig sind. Das bedeutet, dass das Leben auf einem anderen Planeten ganz andere Voraussetzungen hat, als wir es kennen. Zum Beispiel könnte es deutlich heißer sein, oder es können dort Elemente existieren, die auf der Erde nicht stabil genug wären, darum kennt sie hier keiner.“ „Wie kann man nur so ein Streber sein?“, grinste ich, war aber gleichzeitig total fasziniert von seiner Argumentation. Er fuhr fort: „Wenn nun also unser fremder Planet so ganz anders ist als die Erde, dann muss das Leben dort doch auch anders sein. Es muss auf ganz anderen Elementen basieren und auf völlig andere Bedingungen ausgelegt sein. Und da fehlt mir bei diesen Filmen die kreative Umsetzung. Wie leben diese Wesen und wie wirkt sich das auf Erscheinung und Verhalten aus? Welche Sinne fehlen ihnen? Was können sie stattdessen? Dieses plumpe Alien tötet Menschen weil es ist halt so ist mir zu langweilig.“ Ich dachte kurz darüber nach und entgegnete dann: „Weißt du, ich bewundere dich für dein Wissen, aber manchmal bist du ein echter Klugscheißer.“ Er grinste. „Gern geschehen.“ Dann lies er mich mit meinem plumpen, langweiligen Film alleine. „Pöh! Ich mag die Filme trotzdem!“, maulte ich nach einer Weile und drückte auf Play.
Kapitel 5
Ich sah mich um. Hier war ich noch nie und doch wirkte die Umgebung völlig vertraut. Der Boden war nicht braun und grün, wie ein normaler Erdboden halt so ist, sondern präsentierte sich in Blau- und Lilatönen. Ein gelber Himmel erstrahlte, ohne, dass ich eine spezielle Lichtquelle ausmachen konnte. Vor mir ragte ein dunkelblaues Felsmassiv empor, durchzogen von türkisen und schwarzen Gesteinsschichten. Neugierig ging ich auf die Felsen zu. Es war völlig still, ich konnte nicht einmal meine eigenen Schritte hören. Dennoch wusste ich, dass es nicht lautlos war, ich konnte die Geräusche spüren. Ein riesiges Tier, ähnlich einem Schmetterling, flog vorüber. Ich sah die Flügelschläge und wusste, welches Geräusch sie verursachten, ohne dass es an meine Ohren drang. Als würden die Geräusche in meinem Kopf entstehen. Staunend lief ich weiter und sah mich interessiert um. Bei näherer Betrachtung fiel mir auf, dass die schwarzen Strukturen in dem Felsen keine Gesteinsschicht, sondern ein System von Höhlen und Gängen war. Es herrschte rege Betriebsamkeit in dem System. Zwar konnte ich keine einzelnen Individuen ausmachen, aber ich sah die Bewegung der Masse. Wie bei einem Ameisenvolk, das man aus ein paar Metern Entfernung betrachtet. Man kann keine einzelnen Tiere erkennen, aber die Gesamtdynamik. In einer riesigen Höhle am Fuß des Berges erschienen zwei Wesen, die sich auf mich zubewegten. Die beiden waren von menschlicher Gestalt und doch konnte ich sie nicht genau erkennen. Je mehr ich mich anstrengte die Gestalten auszumachen, desto mehr verschwammen die Konturen. Sie waren in keinster Weise bedrohlich. Im Gegenteil ich wollte zu ihnen, sie hatten etwas vertrautes, obwohl ich ja nicht einmal sehen konnte, wer das war. Noch ein paar Schritte, dann stand ich direkt vor Ihnen. Die größere Gestalt fing an zu summen. Ich fühlte das Summen und wusste gleichzeitig, was es zu bedeuten hatte. „Herzlich willkommen! Weißt du, wo du bist?“ Ich antwortete, indem ich zurück summte und damit kommunizierte: „Nein. Aber es ist schön hier.“ „Möchtest du dich umsehen?“ „Ja, unbedingt!“ Nach diesem kleinen Gespräch drehten sich die beiden um und ich folgte ihnen zum Eingang der Höhle. Bevor ich jedoch die Schwelle überqueren konnte, verschwamm das Bild vor meinen Augen. Ich blinzelte ein paar Mal, dann schlug ich die Augen auf. Ich fand mich zu Hause im Wohnzimmer auf der Couch liegend, im Fernseher lief gerade der Abspann von dem Film, den ich wohl zum Großteil verschlafen hatte. Noch leicht benebelt setzte ich mich auf und schaltete die Flimmerkiste aus. „Mit meiner Phantasie sollte ich wohl solche Filme nicht anschauen“, murmelte ich zu mir selber.
Kapitel 6 - Nalfih
Ejgr zitterte vor Aufregung. Er hatte menschliche Gestalt angenommen und sah zu Aldnr, ebenfalls in Menschenform, der er vor ein paar Stunden gesagt hatte, sie können ihr Baby nach Hause holen. Wobei es jetzt sicher kein Baby mehr war. Die vielen Jahre sollten aus dem kleinen Zellhaufen von damals einen erwachsenen Menschen gemacht haben. „Los geht’s“, murmelte er, als er das zustimmende Nicken seiner Gefährtin sah und betätigte den Hebel, der die Türen des kleinen Raumschiffes schloss. Mit einem Zischen verriegelten sie sich. Er gab ein paar Koordinaten in den Bordcomputer ein und nach einer Bestätigung setzte sich das Raumschiff in Bewegung. Komplett ruhig wie ein japanischer Zug, stieg es nach oben. Als es seine Flughöhe erreicht hatte, sauste es vorwärts in Richtung der eingegebenen Koordinaten. „Voraussichtliche Ankunft auf der Erde in fünf Tagen, acht Stunden, siebenunddreißig Minuten und zweiundvierzig Sekunden“, blubberte es aus einem Lautsprecher. „Was meinst du, wie hat sich unser Kind entwickelt?“, fragte Aldnr. Sie sah aus dem Fenster und beobachtete die Sterne und Kometen, die an ihnen vorbeiflogen. Er lächelte. „Wir werden einem gesunden und intelligenten Nalf gegenüberstehen. Wir haben die Eltern gut und lange beobachtet, weißt du noch?“ „Ja, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Aber was, wenn es nicht mit uns kommen will?“ Nachdenklich musterte Ejgr seine Gefährtin. „Du denkst an den Vorfall damals?“ Jeder Bewohner Nalfihs hatte davon gehört. Es gab große Aufregung in der Bevölkerung, keiner wusste, was zu tun war. Nach langen Beratungen und Diskussionen hatte man sich dafür entschieden, den Nalf nicht gegen seinen Willen nach Nalfih zu bringen. Es lag den Nalfen fern, irgendeinem Wesen etwas aufzuzwingen. Und so hatten die damaligen Eltern schweren Herzens ihren Nachwuchs auf der Erde gelassen. Dieser Vorfall hatte sich seitdem nie wiederholt, dennoch wurde die Regelung offiziell eingeführt, dass kein Nalf dazu gezwungen werden konnte, nach Hause zurück zu kehren. „Ja, genau. Ich habe Angst, dass uns das auch passiert.“ Ejgr nahm die Hand seiner Aldnr und drückte sie leicht. „Ich weiß. Davor habe ich auch Angst.“ „Hat man von dem Kind nochmal was gehört?“ Ejgr überlegte kurz. „Nein, soweit ich weiß nicht. Die Eltern haben befürchtet, dass sie es nicht ertragen können. Seine Erinnerung an die Begegnung mit den Nalfen wurde gelöscht und man hat nichts mehr von ihm gehört.“ Eine Weile saßen sie schweigend da und betrachteten die Dunkelheit des Weltraumes. „Wie war das damals?“, wollte Aldnr wissen. „Das ist doch in deinem Dorf passiert, oder?“ Ejgr schloss die Augen und dachte an das Ereignis. Es ging um den Nachwuchs seiner Nachbarn. Er erinnerte sich an die große Trauer bei den Eltern, die allgemeine Ratlosigkeit, die schwere Entscheidung. Aber er erinnerte sich auch daran, dass die Eltern sicher waren, sich richtig entschieden zu haben. Er blickte zu seiner Gefährtin und sah eine Träne über ihr Gesicht laufen. Sie hatte seine Erinnerungen gesehen, er hatte nichts sagen müssen. Nalfen haben die Fähigkeit, durch Berührung Erinnerungen, Emotionen und Wissen zu übertragen. Sie müssen nicht über Gefühle reden, sie lassen den anderen einfach die eigene Gefühlswelt durchleben. „Weißt du“, begann er, „natürlich will ich, dass unser Baby zu uns nach Hause kommt. Aber wenn es nicht will, dann weiß ich wenigstens, dass es ein gutes Leben führt und mehr kann ich mir nicht wünschen.“ Und dieser Gedanke gab den beiden Frieden. So flogen sie durch das All der Erde entgegen.
Kapitel 7 - Erde
„Ist der Typ nochmal aufgetaucht?“, wollte ich von Opa Helmut wissen. Meine Mutter hatte Oma und Opa zum Essen eingeladen, die ganze Familie saß versammelt am Tisch. Nur Adrian hatte sich zum Lernen in die Bibliothek verdrückt. Gedankenverloren blickte Opa Helmut auf seinen Teller und schob eine Erbse von einer Seite auf die andere. „Nein, der war nicht mehr da“, murmelte er ohne aufzublicken. Müde sah er aus. Seit dieser komische Kerl vor ein paar Tagen vor dem Zaun stand, wirkte mein Opa völlig in sich gekehrt. Normalerweise unterhielt er die Familie am Tisch mit Anekdoten aus seiner Vergangenheit und sorgte für gute Laune. Heute saß er schweigend da und starrte traurig auf sein Essen. An den Blicken der anderen konnte ich sehen, dass es jedem auffiel, aber keiner sagte etwas. Nicht einmal meine Mutter, die für gewöhnlich kein Blatt vor den Mund nahm. Sie war zwei Tage nach dem Ereignis mit der unheimlichen Gestalt noch mal zu Oma und Opa gefahren, weil sie sich vergewissern wollte, dass es den beiden gut ging. Sie kam spät in der Nacht wieder und wollte bis heute nicht erzählen, was sie so lange dort getan hatte. Stimmung, wie auf einer Beerdigung. Das war unheimlich. „Was ist denn mit ihm?“, flüsterte ich Oma Gudrun zu. Sie war ebenso blass, wie mein Opa. Es schien sie mitzunehmen, aber entweder kannte sie den Grund nicht, oder sie wollte nicht darüber reden, denn sie sagte bloß: „Ach, er schläft in letzter Zeit nicht besonders gut, weißt du?“ Das war die Universalausrede. Nicht gut geschlafen, das entschuldigte alles und keiner fragte weiter nach.
Ich kannte das aus anderen Familien. Man hatte sich nichts zu sagen. Saß am Tisch, weil es von einem erwartet wurde und nicht, weil man mit den Leuten Zeit verbringen wollte. So war unsere Familie nicht. Wir unterhielten uns beim Essen und waren den Großteil der Zeit ein lustiger Haufen.
Eine Weile saßen wir einfach stumm da und schwiegen unser Essen an. Aber schließlich hielt ich es nicht mehr aus. „Was soll denn das? Seitdem dieser Kerl aufgetaucht ist, hast du kaum gesprochen, Opa. Wer war das? Und sag jetzt nicht, du hast keine Ahnung, das glaube ich dir nicht!“ Ich spürte, wie ich rot im Gesicht wurde, meine Hände zitterten vor Aufregung. Noch nie hatte ich meiner Familie eine Ansage gemacht. Alle sahen mich an. Ich rechnete mit einem Donnerwetter, was mir einfallen würde, die Stimme zu erheben. Aber bevor jemand schimpfen konnte, wurde es plötzlich dunkel draußen. Als würden sich Gewitterwolken über dem Haus sammeln, um eine Jahrhundertflut loszulassen. Unvermittelt stand Opa Helmut auf. Mit einem sehr geheimnisvollen: „Es ist so weit“ verlies er die Küche. Meine Mutter folgte ihm, mein Vater blickte starr vor sich hin. Oma Gudrun saß wie eingefroren auf ihrem Platz, ich hatte den Eindruck als würde sie nicht mal mehr atmen. Beide regte sich nicht mehr, nicht mal, als ich direkt vor ihren Gesichtern in meine Hände klatschte. „Mama, irgendetwas stimmt hier nicht. Mama?“ Keine Antwort. „Opa?“ Stille. Das konnte nicht wahr sein, was war nur los? Ich folgte meiner Mutter und meinem Opa aus der Küche und sah die beiden auf unserer Terrasse stehen, die in einen großzügigen Garten führte. Als ich vorsichtig näherkam, sah ich, dass eine Frau und ein Mann bei ihnen standen. Ich hatte die beiden noch nie zuvor gesehen. Sie lächelten und wirkten friedlich. Es war ruhig, in der Luft lag ein süßlicher Duft, und trotz des dunklen Himmels herrschte eine entspannte Atmosphäre. Ich hatte nicht das Gefühl, Furcht vor den beiden haben zu müssen. „Ich weiß, was ihr wollt“, sagte mein Opa in die Stille hinein. Nicht feindselig, nicht vorwurfsvoll. Ganz ruhig, eher ein bisschen wehmütig. „Wer sind die beiden?“, wollte ich wissen. Die Frau trat einen Schritt näher. „Ich bin Aldnr und das“, sie zeigte auf den Mann, „das ist Ejgr, mein Gefährte.“ Ihre Stimme klang fremdartig, aber angenehm. Ein bisschen rau, als würde sie nicht oft sprechen, als seien ihre Stimmbänder aus der Übung. „Und wir möchten unser Kind mit nach Hause nehmen.“
Ich glotzte die beiden an. „Wo habt ihr es denn verloren?“, rutschte es mir raus. Der Mann lächelte. „Wir haben es nicht verloren. Wir haben es vor langer Zeit hier auf der Erde zurückgelassen und jetzt möchten wir es nach Hause holen.“ „Auf der Erde?“, fragte ich ungläubig und mit einem sarkastischen Unterton.
„Ja.“ Ich drehte mich zu Opa Helmut, der meine rhetorische Frage beantwortet hatte. „Was…ist alles in Ordnung, Opa?“ Er seufzte tief und sah erst meine Mutter und dann mich traurig an. „Hört mir zu. Egal, wie es euch erscheinen mag, was ich jetzt sage, hört bitte einfach nur zu, bis ich fertig bin, ok?“ Ein bisschen erschrocken sah ich meine Mutter an, so ernst hatte ich Opa Helmut selten erlebt. Sie nickte kaum merklich.
Opa Helmut begann die unglaublichste Geschichte zu erzählen, die ich bis dahin gehört hatte: „Wie ihr wisst, habe ich mich schon immer für den Weltraum interessiert. Als Astrophysiker habe ich an der Forschung über außerirdisches Leben mitgewirkt. Ich habe immer für meinen Beruf gebrannt, es war meine Leidenschaft, die mich auch in meinem Ruhestand begleitet hat. Ich habe mich oft mit ehemaligen Kollegen getroffen und viele Artikel gelesen, um mich auf dem Laufenden zu halten. Bevor ich in Rente gegangen bin, haben wir einen Planeten entdeckt, auf dem erdähnliche Bedingungen herrschen. Wir haben ihn KSYADK 9.0 genannt. Wir haben sehr viel geforscht, berechnet und ausgewertet und sind zu dem Schluss gekommen: Ja, da könnte Leben sein. Aber bevor wir einen Roboter hochschicken konnten, kam mein Ruhestand. Die Forschung wurde nicht weiter finanziert und mein Team aufgelöst. Mich selber hat die Sache nie losgelassen. Ich habe weiter geforscht, wenn auch mit begrenzten Mitteln. Ich wollte unbedingt das Leben außerhalb der Erde nachweisen. Eines nachts bin ich über meinen Forschungen eingeschlafen und hatte einen sehr realen Traum. In diesem Traum wollten mich zwei Leute, ein Mann und eine Frau zu sich auf ihren Heimatplaneten holen. Sie sagten, ich sei ihr Kind. Dann bin ich aufgewacht, aber der Traum war so intensiv, ich war mir nicht sicher, ob ich das nur geträumt, oder wirklich erlebt hatte. So unglaublich es mir auch erschien, ich fing an, in meinem Stammbaum etwas nachzuforschen. Ich bin die Tagebücher meiner Mutter durchgegangen, ihr wisst ja, dass ich die nicht wegwerfen konnte. Da ist es mir aufgefallen: Als sie schwanger war, hat sie immer nur von einem Kind geschrieben, auf das sie sich freut. Auch in den Einträgen kurz nach der Entbindung war immer nur von einem Kind die Rede. Und dann, auf einmal, waren es zwei Kinder. Sie hat so geschrieben, als wären es schon immer zwei Kinder gewesen. Ich war irritiert. Aber ich war auch schon so besessen von der Idee des fremden, bewohnten Planeten, dass ich nicht mehr aufhören konnte. Ich habe das Tagebuch gelesen in der Hoffnung, einen Hinweis auf meine Herkunft zu finden. Und mit einem Mal kam die Erinnerung zurück. Mein Traum von dem Paar, das mich abholen wollte, da hatte ich von etwas geträumt, das ich wirklich erlebt hatte. Vor ungefähr 27 Jahren, im gleichen Alter, in dem du heute bist, Tanja.“ Opa Helmut legte eine Pause ein, um durchzuatmen. Er sah meine Mutter lange an, bevor er fortfuhr.
„An diesem Tag kam ein Paar und behauptete, sie wären meine echten Eltern und sie würden mich auf ihren Heimatplaneten mitnehmen wollen. Irgendetwas an den beiden brachte mich dazu, ihnen zu glauben. Aber ich wollte nicht. Ich hatte eine Familie, die konnte ich nicht alleine lassen. Obwohl mein Forscherherz jubelte, lehnte ich ab. Die beiden waren sehr traurig, aber sie versuchten nicht, mich zu überreden. Am nächsten Tag konnte ich mich schon nicht mehr erinnern, ich vermute, dass ihr das Gedächtnis manipulieren könnt.“ Mein Opa sah Aldnr und Ejgr an, beide nickten stumm. „Dachte ich mir. Ich habe jedenfalls nicht mehr an diesen Tag gedacht, bis ich die Tagebücher gelesen habe. Da hatte ich den Beweis. Es gibt extraterrestrisches Leben und ich gehöre sogar dazu. Als ich neulich beim Kaffee die Gestalt hinter dem Zaun gesehen habe, wusste ich, dass ihr kommt.“ Er wandte sich an das Paar. „Ich konnte mich wieder erinnern, dass ich damals auch ein paar Tage vorher einer seltsamen Gestalt begegnet bin, die mich beobachtet hat. Ich habe angefangen, die Unterlagen der Geburt unserer Kinder und der Schwangerschaft durchzuschauen und tatsächlich! Ich bin auf Unstimmigkeiten gestoßen. Meine Frau war mit einem Kind schwanger, aber wir haben zwei Töchter.“
Stumm hatte ich zugehört. Die Worte klangen so unfassbar, und doch weigerte sich mein Verstand, sie als Lügen, oder bloße Phantasie abzustempeln. „Aber das heißt ja…“ Mir wurde langsam bewusst, was das alles zu bedeuten hatte. Und ich begriff jetzt auch, dass es das war, was meine Mutter vor ein paar Tagen mit Opa Helmut besprochen hatte. „Ihr seid gekommen, um mich mitzunehmen.“ Das sagte sie so neutral, als würde sie feststellen, dass die Milch leer war. Aldnr antwortete: „Ja. Wir haben dich vor vierzig Jahren hier auf die Erde gebracht und jetzt möchten wir dich mitnehmen. Du bist unser Kind, wir haben sehr lange auf diesen Augenblick gewartet.“
„Bitte erklärt es mir!“, platzte ich hervor. „Warum macht ihr das? Wie macht ihr das? Bin ich auch ein Alien? Ähm, Entschuldigung…darf ich Alien sagen?“ Es tobten so viele Fragen in meinem Kopf. „Natürlich, ich werde euch alles erklären.“ Ejgr blickte uns freundlich an und begann: „Wir kommen vom Planeten Nalfih, wir nennen uns Nalfen. Wir Nalfen bestehen, wie das Leben auf der Erde aus vielen Zellen. Unsere Zellen sind aber ein bisschen anders, wir nennen es intelligente Zellen. Diese intelligenten Zellen können je nach Bedingung ihre Struktur und Funktion ändern. Im Prinzip bedeutet das, dass wir unsere Form wandeln können. Aber unsere Zellen müssen das lernen. Dafür brauchen sie Kontakt mit einer anderen Spezies. Wenn man einen neugeborenen Nalfen berührt, nimmt er die Gestalt des Lebewesens an, das ihn berührt hat. Die Zellen lernen sozusagen einen neuen Bauplan kennen. Das andere Lebewesen sollte möglichst wenig den Nalfen ähneln, daher haben wir uns entschlossen, unseren Nachwuchs auf einen völlig anderen Planeten zu schicken. Jedes Neugeborene wird auf die Erde gebracht und von Menschen großgezogen. Wenn wir feststellen, dass der Nalf genug Erfahrung gesammelt hat, holen wir ihn, oder sie wieder nach Hause. Dafür haben wir unsere Späher, die unseren Nachwuchs eine Zeit lang beobachten und uns dann mitteilen, wenn wir ihn holen können.“ „Wie schafft ihr es, dass die Menschen euren Nachwuchs annehmen?“ Mein Opa, Forscher durch und durch. Aber das schien die beiden Nalfen nicht zu stören. Geduldig beantwortete Aldnr die Frage von Opa Helmut: „Wir können nicht nur das Gedächtnis, sondern auch Emotionen beeinflussen. Unsere Neugeborenen strömen ein Hormon aus, dessen Struktur der von Oxytocin ähnelt. Die Menschen fühlen sofort eine Bindung und vergessen, dass sie nur ein Kind haben. Dieselbe Fähigkeit nutzen wir auch, damit ihr uns glaubt und keine Angst vor uns habt. Riecht ihr diesen süßen Duft?“ Ich schnupperte. „Das wirkt beruhigend auf Menschen und Nalfen.“ „Wieso weiß niemand von euch? Wenn ihr das schon immer macht, dann müssten wir doch schon mal von euch gehört haben.“ „Wir beeinflussen das Gedächtnis der Pflegeeltern. Nach unserem Besuch erinnern sich die Familien daran, dass derjenige eine lange Reise machen wollte und darum weg ist. An uns erinnert sich niemand. Du…“ Aldnr blickte Opa Helmut an, „du bist die absolute Ausnahme. Wahrscheinlich weil wir besser das Gedächtnis von Menschen, als das von Nalfen löschen können.“ „Warum erst nach 40 Jahren? Warum holt ihr euren Nachwuchs nicht schon früher?“ „Auf Nalfih läuft die Zeit ein bisschen anders, als hier. Mit vierzig Jahren auf der Erde ist man gerade ausgewachsen auf Nalfih. Ein Nalf kann gut 300 Jahre alt werden.“ „Ich hab von euch geträumt! Jetzt erinnere ich mich! Ich war im Traum auf eurem Planeten!“, sprudelte es aus mir raus. „Weißt du“, begann nun Aldnr, „du bist zum Teil Nalf. Nalfen können Erinnerungen vererben. Deine Mutter konnte sich wohl noch unbewusst an Nalfih erinnern, wir Nalfen können Erinnerungen aus unserer frühesten Zeit abrufen. Und diese Erinnerungen hat sie dir wohl weitergegeben.“ „Ich…bin ein Halbnalf?“ Sehen konnte ich mich selber nicht, aber ich war mir sicher ein ziemlich dummes Gesicht zu machen. „Ja“, bestätigte Aldnr. „Wenn wir unseren Nachwuchs holen versetzen wir die Menschen in unmittelbarer Nähe in eine Art Ruhemodus, das ist sicherer für uns. Das wirkt bei Nalfen nicht. Da das bei dir nicht funktioniert hat, bist du mindestens zu einem Teil Nalf.“ Aha. Das erklärte die Schockstarre der anderen am Küchentisch. „Ihr sagt, Nalfen können Emotionen beeinflussen…“, meine Gedanken sprangen hin und her. „Ist meine Mutter darum so gut darin, andere zu trösten?“ Aldnr blickte liebevoll auf meine Mutter. „Ja. Unbewusst hat sie für positive Gefühle bei den anderen gesorgt. Bei Menschen ist das, wie schon gesagt leichter…“
„Ich will an ihrer Stelle mitkommen.“
Alle sahen Opa Helmut an. „Was?“, fragte Aldnr unsicher. „Ihr habt schon richtig gehört. Ich möchte mitkommen.“ „Opa, du kannst doch nicht gehen! Was ist mit Oma? Und mit uns?“ Meine Mutter legte ihre Hand auf meine Schulter. Ich sah zu ihr, eine Träne lief über ihre Wange. „Ist schon gut“, flüsterte sie. „Lina, ich habe mein ganzes Leben außerirdischen Lebensformen gewidmet und jetzt bekomme ich das zweite Mal die Chance, diese Lebensformen zu erleben, Teil ihrer Welt zu werden. Außerdem bin ich alt. Ich habe hier vielleicht noch zehn gute Jahre, wenn ich Glück habe. Auf dem anderen Planeten…Nalfih, da hätte ich noch so viel vor mir.“ Er sprach mit einer solchen Begeisterung, ich hätte es nicht übers Herz gebracht, ihn zum Bleiben zu überreden. „Aber Opa…“ Jetzt weinte ich auch.
„Es ist in Ordnung.“ Aldnr und Ejgr waren unbemerkt nähergetreten. Auch die beiden hatten Tränen in den Augen. „Wir wollten dich wieder nach Hause bringen“, er sah meine Mutter an. „Aber wenn du lieber auf der Erde bleiben möchtest, verstehen wir das. Du wirst dich aber nie an uns, oder deine Herkunft erinnern.“ „Ich möchte hier bei meiner Familie bleiben.“ Ejgr und Aldnr sahen sich an. Die Trauer war Aldnr deutlich anzuhören, als sie sagte: „In Ordnung. So oder so, wir werden einen Nalf nach Hause bringen und das ist gut.“ „Ihr könnt euch noch verabschieden. Danach werdet ihr euch nur noch daran erinnern, wie ihr euren Opa und Vater für eine Weltreise zum Flughafen gebracht habt.“ Auch Ejgrs Stimme klang leicht belegt.
Ich umarmte meinen Opa lange. „Mach’s gut. Und vergiss mich nicht!“, schniefte ich, als meine Mutter mich sanft aus seinen Armen zog. „Ich freue mich für dich, dass sich dein Traum erfüllt“, flüsterte sie. Opa strich ihr mit der Hand über den Kopf. „Ich werde euch vermissen.“
Der süßliche Duft wurde stärker. So muss es in Charlie’s Schokoladenfabrik riechen! dachte ich und schloss kurz die Augen.
Als ich die Augen wieder öffnete, stand ich mit meiner Mutter im Garten. „Glaubst du, Opa gefällt es in Papua-Neuguinea?“, fragte ich. Opa Helmut hatte sich in den Kopf gesetzt, auf seine alten Tage nochmal eine Weltreise zu machen, wir hatten ihn gerade zum Flughafen gebracht. „Klar. Dein Opa hat schon immer viel für fremde Kulturen übriggehabt. Dort wird er sich fühlen, wie auf einem anderen Planeten, das wird ihm gefallen.“
Sehr schöne Kuckuckskind-Variante: Die Eltern halten das fremde Kind glaubhaft für ihres (Duft/Erinnerungsmanipulation), der Aufbau von der Haustürszene bis zur Rückkehr der Nalf sitzt. Der Twist, dass am Ende der Opa mitgeht, gibt Herz und Würde – starkes Ende. Die Biologie (formwandelnde „intelligente Zellen“, olfaktorische Bindung) wirkt für SF plausibel, die Traumsequenz verleiht dem Ganzen Atmosphäre.
AntwortenLöschenKleine Punkte: Manche Erklärpassagen sind recht lang; ein bisschen mehr „zeigen“ statt „erzählen“ würde den Fluss noch verbessern. Beim Gedächtnistrick einmal klar sagen, dass auch Dokumente/Spuren „mitmanipuliert“ wurden, damit es logisch geschlossen ist. Und den Geruchsweg minimal justieren (direkt Riechsystem → Amygdala statt „BBB durchqueren“) – dann ist’s rund.
In Summe: Warm, stimmig, emotional – mit leicht gestraffter Exposition fast druckreif.
Bin ziemlich begeistert — tolle Geschichte, sehr schön erzählt! In sich logisch, mit nur sympathischen Protagonisten, egal ob Menschen oder Aliens. Und mal wirklich anders, da das „Kuckuckskind“ hier der Opa ist. Eine sehr schöne und ausgefallene Idee.
AntwortenLöschenDie Geschichte fällt für mich unter die besten.
Tolle Geschichte. Ist auch rund. Man kann alles nachvollziehen. Trotzdem voller Überraschungen. Sehr sympathische Protas. Ich dachte erst, das Mädchen soll abgeholt werden. Und dann ist es die Mutter. Am Ende geht der Opa mit. Geschickt, dass sie wie Vanille riechen. Vanille hat in der Tat eine Zauberwirkung auf Menschen, weil die Muttermilch nach Vanille schmeckt und riecht. Plausible, warmherzige Geschichte, wenige Schreibfehler, einige Kommafehler. Gut gemacht!
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