Galaktische Wunscheltern
Jana nimmt mit einem traurigen Blick das Smartphone vom Ohr. Bevor sie etwas sagen kann, legt Erin einen Arm um sie und zieht sie an sich heran.
„Bitte sei nicht traurig, beim nächsten Mal haben wir mehr Glück.“
„Und was, wenn nicht?“
„Die Ärzte haben gesagt du bist gesund. Es ist völlig normal, dass wir es mehrmals versuchen müssen, da die Wahrscheinlichkeiten für einen Erfolg so gering sind.“
„Das stimmt. Trotzdem werde ich die Hormontherapie machen, es dauert mir jetzt schon zu lange.“
Erin weiß um Janas Angst, mit Ende 30 keine eigenen Kinder mehr bekommen zu können. Ein Rennen gegen die Zeit, das zusätzlichen Stress in den Kinderwunsch bringt. Erin lächelt ihre Partnerin aufmunternd an.
„Wir schaffen das. Ich bin mir sicher, dass wir ein Baby bekommen.“
„Danke Erin… Das war unsere siebte künstliche Befruchtung.“
„Ich weiß…“
„Die Rechnung ist gestern gekommen. Kannst du bitte noch 900 € überweisen – deine Hälfte an der Aktion.“
„Wieviel?!“
Erin hatte gar nicht mehr auf dem Schirm wie teuer die Behandlung ist. Das Auftauen, die Entnahme der Eizellen, die Verschmelzung von Ei- und Spermazelle in einer Petrischale, das Wiedereinsetzen der befruchteten Eizelle… Das alles kostet einen Haufen Geld. Erin wurde blass, das muss sie jetzt erstmal verkraften: 1800 € für einen Versuch und da sind noch nicht mal die Kosten für den Spermakauf und die kryogene Lagerung dabei. Erins Trauer wegen dem erneuten Fehlversuch war nun überschattet von der Wut wegen des verlorenen Geldes.
„Unglaublich, dass wir alles selbst zahlen müssen, während Hetero-Paare die Kosten von der Krankenkasse erstattet bekommen. Soll dies etwa Gleichberechtigung sein?“
„Tja, welche Wahl haben wir?“
„Mist!“ Erin schlägt mit der rechten Faust ärgerlich ins Sofakissen. Atmet dann dreimal tief durch und wendet sich wieder ihrer Partnerin zu.
„Du hast Recht, Jana, es bringt nichts sich darüber aufzuregen.“
Erin küsst Jana am Hals, auf den Mund und auf die Stirn, bis Jana kichert. Sie weiß, dass sie als Paar auch ohne Kinder glücklich sind. Dennoch stellt sie es sich schön vor mit Jana ein Nest für ein Baby zu bauen, es aufzuziehen, für es da zu sein und ihre Liebe an die nächste Generation weiterzugeben.
Eng aneinander gekuschelt wachen Jana und Erin am nächsten Morgen in ihrem Doppelbett auf. Erin ist wie immer als Erste auf den Beinen, sie zieht sich an und macht ihr Morgen-Yoga. Dann geht sie zurück ins Schlafzimmer, wo Jana noch vor sich hindösend liegt.
„Was möchtest du vom Bäcker?“
„Wie immer etwas mit Hefe… warte, ist heute Samstag? Dann nehme ich ein Frühstückshörnchen!“
Erin kichert, die Aussicht auf Frühstück lässt das Herz ihrer Partnerin schon immer höherschlagen. Das heißt jedoch nicht, dass Jana sofort aufsteht. Nein - sie bleibt liegen und träumt genüsslich weiter von ihrem Frühstückshörnchen. Erin macht gerade den ersten Schritt vor die Wohnungstür, als sie neben dem Schuhregal ein Körbchen mit einer flauschigen Decke stehen sieht. Sie geht näher heran und zieht die Decke ein wenig zur Seite.
„Nanu, was machst Du denn hier?“
„Bäääh.“
„Jana! Das wirst du nicht glauben!“
„Was ist denn los, Erin?“
„Steh auf und komm schnell! Hier liegt ein Baby!“
„Was?!“
„Bäääh.“
„Das ist ja wirklich… bring es rein, wer weiß wie lange es schon im Hausflur liegt. Es hat sicher Hunger und friert.“
Wie zwei Diebe, die ihre Beute der letzten Nacht sichten, beugen sich Erin und Jana im Wohnzimmer über das Baby. Es ist höchstens ein halbes Jahr alt, hat eine rosige Haut und winzige Hände. Ein echtes Baby. Ihre Augen leuchten.
„Erin, geh bitte in die Drogerie, wir brauchen Pre-Milch.“
„Gute Idee. Windeln kaufe ich auch, ich riech schon was. Du kannst in der Zwischenzeit bei der Polizei anrufen. Vielleicht haben sie schon eine Vermisstenanzeige bekommen. Jedenfalls wissen sie sicherlich was in diesem Fall zu tun ist.“
„Mach ich.“
Nachdem Erin durch die Tür verschwunden war, greift Jana zu ihrem Smartphone. Ein Polizeibeamter meldet sich am anderen Ende mit einem mürrischen Grunzen - der hat wohl keinen guten Morgen.
„Hallo, ich heiße Jana Bach. Heute Morgen haben wir vor unserer Tür einen Korb mit einem Baby gefunden. Was sollen wir jetzt tun? Gibt es Vermisstenanzeigen?“
„Auch das noch. Ich schicke einen meiner Kollegen zu Ihnen. Wie lautet Ihre Adresse?“
Nachdem Jana das Gespräch beendet hat, hofft sie insgeheim, dass der Polizeibeamte in den Stau kommt oder aus irgendwelchen anderen Gründen nicht auftaucht. Sie schaut das Baby an, das in seine Decke gewickelt vergnügliche Laute von sich gibt. Es bewegt seine kleinen Arme, als möchte es von Jana hochgenommen werden. Dabei gehen seine Augen neugierig mal zur Decke, mal zu Jana und scheinen immer neue Dinge zu entdecken. Als Erin zurückkommt, füttern und wickeln sie es – es ist ein Junge! Für Erin und Jana fühlt sich diese Situation sofort vertraut an, wie bei einer kleinen Familie. Doch die Freude wird durch ein Klingeln an der Tür unterbrochen. Erschrocken springt Jana auf und öffnet sie.
„Förster, guten Tag. Mein Kollege sagt, hier wurde ein Kind ausgesetzt.“
„Bach, hallo. Ja, um genau zu sein ein Baby… es ist im Wohnzimmer. Folgen Sie mir.“
„Danke. Eine unglaubliche Geschichte und für Sie wahrscheinlich ein Schock… Ah! Sie haben es schon versorgt. Es scheint unverletzt und gesund.“
„Der Kleine kann von Glück reden, dass meine Partnerin heute Morgen zur Bäckerei wollte. Wir haben ihn sofort reingeholt, gewickelt und etwas Pre-Milch gegeben. Er ist nicht ängstlich und spielt mit allem, was er in die Händchen bekommt.“
„Schön, Frau Bach. Ich muss das Baby noch eine Weile in Ihrer Obhut lassen. Jemand vom zuständigen Kinderheim wird sich in Kürze bei Ihnen melden und das Baby abholen.“
„Kinderheim?! Wurde der Kleine noch nicht vermisst gemeldet?“
„Leider nein. Sicherlich melden sich seine Eltern noch. Ansonsten wird er nach einem Jahr zur Adoption freigegeben.“
„Adoption?!“
„Ja, machen Sie sich keine Sorgen. Kleine Kinder sind sehr beliebt und kommen schnell in einer neuen Familie unter.“
Nachdem der Polizist ihre Wohnung verlassen hat, hängt eine traurige Stimmung in der Luft. Erin und Jana wissen, dass sie nur noch wenige Stunden haben, bis jemand kommt und das Baby mitnimmt. Auf Nimmerwiedersehen. Es bringt nichts darüber nachzudenken. Die leiblichen Eltern des Babys würden sich bald melden und dann wäre es ohnehin wieder weg. Jana versucht sich ihre Traurigkeit nicht anmerken zu lassen, spielt mit dem Kleinen, der ihren Finger in den Mund nimmt und dabei etwas brabbelt. Erin beobachtet die beiden gerührt.
„Ihr seid so süß.“
„Schau mal Erin, er lässt mich gar nicht mehr los!“
Nach gefühlten fünf Minuten, welche in Wirklichkeit zwei Stunden sind, klingelt es wieder an der Tür. Eine Frau stellt sich höflich als Angestellte des Kinderheims vor, bedankt sich für die Mühe und nimmt das Kind in Windeseile mit sich. Jana und Erin stehen verdutzt in ihrem Wohnzimmer, das plötzlich so leer wie nie ist. Erin sieht Jana forschend an.
„Denkst du wir sollen es versuchen?“
„Warum nicht? Wir können nichts verlieren.“
„Das stimmt.“
Zu Erins Verdruss dauern die Registrierung und Überprüfung bei der Adoptionsbehörde ein halbes Jahr. Einmal nackig machen, bitte! Jana und sie legen ihr gesamtes Privatleben, ihr Vermögen und ihre Gesundheitsdaten offen. Die zuständige Angestellte vom Jugendamt, Frau Bartel, inspiziert ihre Wohnung wie eine Detektivin auf Spurensuche. Erin fragt sich während des Prozesses mehrmals, ob sie auch Auskunft über ihre Unterwäsche geben soll. Nach abgeschlossenem Bewerbungsprozess heißt es dann warten - Monate, Jahre oder auch für immer.
Etwa ein Jahr später, an einem regnerischen Freitag im Juni, klingelt Erins Smartphone:
„Bach. Hallo?“
„Guten Tag Frau Bach. Hier ist Bartel. Sie haben sich für die Adoption eines Kleinkindes beworben und es gibt derzeit eine Möglichkeit. Es handelt sich um einen Jungen, etwa 2 Jahre alt, Eltern unbekannt. Näheres kann ich Ihnen im Kinderheim Mühlhofen mitteilen, falls Sie Interesse haben.“
„Oh! Wow… das ist großartig! Wann können meine Partnerin und ich Sie am Kinderheim treffen?“
„Am Dienstag, um 16 Uhr.“
„In vier Tagen schon?! Ok, in Ordnung… vielen Dank und bis Dienstag.“
„Sehr schön. Ich freue mich Sie und ihre Frau zu sehen.“
Erins Herz rast, sie hat das Gefühl herumzuspringen und sich auspowern zu müssen, um die ganze Energie loszuwerden. Hastig wählt sie Janas Nummer:
„Jana! Die Adoptionsbehörde hat im Kinderheim einen kleinen Jungen für uns. Wir dürfen ihn schon am Dienstag sehen.“
„Oh mein Gott, Erin! Das ist wundervoll… ich …“
„Hallo? Jana… weinst du?“
„Ja… ich freue mich so.“
Auch Erin hat Tränen in den Augen, als sie auflegt. Es zerreißt ihr das Herz, wenn Jana weint. Sie möchte, dass Jana glücklich ist und mit ihr endlich eine kleine Familie gründen.
Mit klopfenden Herzen warten Erin und Jana am nächsten Dienstag vor der Tür des Kinderheimes. Als sich die Tür öffnet, werden sie von Frau Bartel hereingebeten. Die Einrichtung hat das Flair eines Kindergartens. Im Gang schallt das Lachen von Kindern, was vom Gesang einer Betreuerin überlagert wird. Als Frau Bartel an einer der offenen Türen stehen bleibt und sie anstrahlt, sehen Erin und Jana neugierig hinein. Ein kleiner Junge sitzt dort allein auf einer Spieldecke, um ihn herum verstreut sind ein umgekippter Holztraktor und bunt angemalte Klötze. Erin springt das Herz fast aus der Brust.
„Ist er das?“
„Ja, Frau Bach. Ich denke Sie kennen ihn schon ein paar Stunden länger als ich.“
„Er ist das Baby, das wir damals vor unserer Tür gefunden haben - das ist verrückt!“
„Genau das ist er! Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie möchten, können Sie ihn nach einer Probephase adoptieren. Wir haben ihn Pali genannt und sein Geburtsdatum auf den 2. Dezember 2041 festgelegt. Über die Formalitäten zur Adoption wurden Sie beim Erstgespräch schon aufgeklärt. Allerdings gibt es da noch etwas, dass Sie wissen sollten.“
„Und das wäre.“
„Naja… also... Pali schläft nicht.“
„Er schreit vor dem Schlafengehen? Ok, dass schaffen wir schon.“
„Nein, er ist ruhig und ausgeglichen. Das Problem ist tatsächlich, dass er keinen Schlaf kennt. Nach den ersten Tagen hier im Heim ist den Betreuerinnen aufgefallen, dass er immer die Augen offen hat. Er lag da, beobachtete die Decke oder spielte mit dem Mobile, während die anderen Babys schliefen. Nicht mal nach anstrengenden Tagen macht er ein Auge zu. Jetzt lassen sie Pali öfters hier sitzen, während die anderen im Bett schlafen. Er ist ein Phänomen. Die Ärzte sagen sein Gesundheitszustand sei makellos. Ihm fehlt es an nichts. Jedoch kann es sicherlich eine Belastung für Sie sein, auch nachts auf ihn aufpassen zu müssen.“
„Ich wusste nicht, dass es so etwas bei Kindern gibt. Bei Erwachsenen ist dies meist auf Stress oder Erkrankungen zurückzuführen. Pali geht es sicher gut?“
„Hundertprozentig können wir das nicht sagen. Bei Adoptivkindern ist immer ein Restrisiko vorhanden, dass sich Krankheiten oder Verhaltensstörungen später erst zeigen.“
Erin und Jana sehen sich vielsagend an. Das Funkeln in Janas Augen überzeugt Erin sofort.
„Wir möchten es sehr gerne mit Pali versuchen. Danke, dass Sie uns angerufen haben.“
„Es freut mich auch sehr, dass Sie sich so entscheiden. Sie können daheim alles für die Ankunft des Jungen vorbereiten. Nächste Woche Montagmorgen werde ich dann mit ihm zu Ihnen kommen.“
„Vielen Dank, können wir noch kurz mit Pali spielen?“
„Ja, sehr gerne. Lernen Sie sich kennen, dann ist es am Montag leichter.“
Auf dem Nachhauseweg sind Erin und Jana schon Feuer und Flamme für den Kleinen. Er ist so knuffig, zutraulich und goldig. Die nächsten Tage vergehen, wie im Flug und als der Montag angebrochen ist, haben sie für Pali schon ein fertiges Kinderzimmer eingerichtet. Frau Bartel macht große Augen, als sie es sieht.
„Alles schon fertig für den kleinen Astronauten, was?“
Erin hebt entschuldigend die Schultern und lacht verlegen.
„Naja, als Astrophysikerin möchte ich meine Begeisterung für den Weltraum gerne an die nächste Generation weitergeben.“
„Sehr schön! Pali fühlt sich hier sicher wohl. Dann hat er auch nachts genug zum Spielen und Bestaunen. Ich werde am Freitag wieder zu Ihnen kommen und mich nach dem Status erkundigen. Viel Freude euch Dreien.“
„Vielen lieben Dank! Bis Freitag.“
Nachdem Frau Bartel gegangen war, trägt Jana den kleinen Pali durch das Kinderzimmer. Er brabbelt wild bei jeder Kleinigkeit, die ihm gezeigt wird. Am Abend schmerzen Erin und Jana die Wangen nach dem stundenlangen Dauergrinsen. Pali ist so lieb, immer gut gelaunt, ein echter Sonnenschein. Nun bleibt nur noch die Frage, was nachts mit ihm zu tun ist. Die erste Nacht legen sie ihn in sein Kinderbett, machen das Licht aus, sagen Gute Nacht und gehen schlafen. Das Babyphon macht keinen Mucks. Am nächsten Morgen sieht Erin nach dem Aufstehen in Palis Zimmer und findet ihn so im Bett wieder, wie sie ihn hineingelegt hat – mit offenen Augen auf dem Rücken liegend. Während des Tages schläft Pali nicht, wie es für ein zweijähriges Kind normal wäre. Und am folgenden Abend, als Jana und Erin gähnen, ist Pali noch so energiegeladen wie am Morgen. Dennoch legen sie Pali wieder in sein Bettchen und gehen schlafen. Am Freitag, als die Heimleiterin vorbeischaut, berichten sie, es sei alles bestens. Auf die Rückfrage nach der Nachtruhe von Pali, erklären sie, dass er zwar ruhig im Dunkeln liegen bleibt, aber die Augen nicht schließt. Jana und Erin möchten gerne glauben, dass er eben anders schläft und sich trotzdem erholt. Als Pali nach einem weiteren Jahr ein Bett ohne Gitterstäbe bekommt, findet ihn Erin morgens nicht mehr liegend, sondern auf dem Boden mit seinem liebsten Raketenmodell spielen.
„Guten Morgen kleiner Astronaut!“
„Mama! Schhhhhhh…“
Pali springt auf und spielt einen wilden Raketenstart. Bis auf die Schlafanomalie zeigt Pali weiterhin das normale Verhalten eines Kleinkindes. Erin und Jana sind glücklich, dass sich Pali so gut entwickelt. Nach und nach verschwinden auch ihre Sorgen über mögliche Traumata oder Krankheiten.
Mit sechs Jahren ist es für Pali an der Zeit die Schule zu besuchen. Schon nach der ersten Unterrichtswoche bittet die Klassenlehrerin Jana und Erin um ein Gespräch. Mit gesenktem Kopf erwarten die beiden einen Vortrag der Lehrerin über die schwierige soziale Integration von Pali. Sie haben ihn nicht in den Kindergarten geschickt und wahrscheinlich tritt nun doch ein Trauma zutage. Stattdessen empfiehlt die Lehrerin Pali in die dritte Klasse zu versetzen, weil er eine überdurchschnittliche Intelligenz zeigt. Jana und Erin machen große Augen.
„Natürlich wissen wir, dass er bereits ein bisschen rechnen, lesen und schreiben kann. Aber ist das gleich ein Grund ihn zwei Klassen überspringen zu lassen?“
„Er kann es nicht nur ein bisschen, sondern seine Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen. Manchmal gibt es Kinder, die alles Wissen aufsaugen, ohne dass es die Eltern merken. Pali wird sich in der dritten Klasse wohler fühlen.“
„In Ordnung… also haben wir jetzt ein kleines Genie daheim?“
„Nein, behandeln Sie ihn nicht anders als sonst. Er ist trotzdem ein Kind von sechs Jahren und soll Dinge tun, die Kinder seines Alters eben machen.“
„Vielen Dank für das Gespräch. Sie senden uns Palis neuen Stundenplan zu?“
„Ich gebe Pali morgen den Stundenplan mit und stelle ihn in der neuen Klasse vor. Melden Sie sich gerne bei mir für weitere Fragen. Ansonsten steht Ihnen auch die neue Klassenlehrerin von Pali zur Verfügung. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“
Zu Hause testen Erin und Jana, was die Lehrerin behauptet hat. Pali kann tatsächlich problemlos Lesen, Schreiben und Grundrechenaufgaben lösen. Erin ist baff.
„Ob das mit seinen schlaflosen Nächten zusammenhängt?“
„Kann schon sein, er hat viel mehr Zeit im Wachzustand als andere. Wer weiß, worüber er die ganze Nacht nachdenkt.“
„Puh, noch vier Jahre und dann können wir ihm auch nicht mehr das Wasser reichen.“
„Haha, dann kann er meine Steuererklärung machen.“
„Hättest du gern. Vielleicht melde ich ihn auch bei der NASA als Junior-Wissenschaftler.“
Jana nimmt Palis Fortschritte gelassen hin. Erin hingegen fragt sich, ob Pali Freunde findet, wenn er nicht bei Gleichaltrigen ist und ob man ihn mobben würde, wenn er der Kleinste in der Klasse ist. All diese Sorgen stellen sich am Ende des Jahres jedoch als unbegründet heraus. Pali ist beliebt, bei jüngeren und älteren Schülern. Seine offene und hilfsbereite Art lässt ihn schnell Freunde finden und die anderen Kinder interessieren sich nicht besonders für seine hohe Intelligenz. Kurz vor Abschluss des Schuljahres überrascht Pali seine Adoptiveltern mit einer seltsamen Frage:
„Gehöre ich wirklich hierher?“
Erin zuckt zusammen. Jana sieht ihren Sohn verwundert an, nimmt ihn in den Arm und versucht zu verstehen, worauf er hinauswill.
„Darüber haben wir doch schon oft gesprochen, Pali. Du weißt, dass wir dich adoptiert haben und nicht wissen, wer deine Eltern sind. Wir lieben dich sehr und du gehörst zu uns.“
„Das weiß ich, Mutti. Trotzdem fühle ich mich manchmal seltsam, wenn ich der Einzige bin, der nachts wach ist. Ihr, meine Freunde, die Nachbarn – alle liegen im Bett und schlafen. Es fühlt sich dann an, als wäre ich ganz allein auf der Erde.“
„Bist du einsam?“
„Nein, ich spiele gerne allein, lese oder schaue den Mond an. Trotzdem habe ich nachts das Gefühl, nicht hierher zu gehören.“
„Pali, du bist etwas Besonderes. Und dennoch gehörst du zu uns.“
„Du hast ja Recht, Mutti. Ich habe euch lieb.“
„Wir haben dich auch sehr lieb. Wie wäre es, wenn wir dir einen nächtlichen Freund holen?“
Jana zwinkert Erin zu, die sofort weiß, was ihre Partnerin plant. Erin nickt, geht mit dem verdutzten Pali nach draußen und kehrt nach einer Stunde mit einem überglücklich strahlenden Pali zurück. Auf dem Arm trägt dieser nun ein kleines schwarz-weißes Kätzchen, das vergnüglich schnurrt. Nach dieser erneuten Familienerweiterung freut sich Pali auf jede Nacht, die er gemeinsam mit Minka, seinem Kätzchen, verbringen kann. Eines nachts jedoch, entflieht Minka durch die Wohnungstür, die Pali während eines Spiels offengelassen hatte. Als Pali das Verschwinden seiner Katze bemerkt, stürmt er ebenfalls nach draußen.
„Minka, wo bist du? Minkaaaa…!“
Die Katze ist nirgendwo zu sehen. Hinter ihrer Wohnung erstreckt sich ein weites Weizenfeld und Minka kann sich dort irgendwo zwischen den langen dünnen Stängeln versteckt haben. Dann blendet Pali etwas und er sieht nach oben. Ein helles Objekt scheint sich langsam zu nähern. Zunächst hält er es für die ISS, dann für eine Drohne und schließlich für ein Luftschiff. Das Objekt scheint auf dem Feld landen zu wollen. In diesem Moment kommt Minka aus dem Feld gesprungen. Schnell nimmt Pali das Kätzchen in seine Arme und schaut zu, wie das eiförmige Etwas auf dem Feld landet. Pali starrt mit offenem Mund auf das hausgroße Objekt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Wenige Sekunden später öffnet sich eine Luke und zwei Gestalten schweben aus dem übergroßen Ei heraus. Pali wird nun bewusst, dass es außerirdische Astronauten sind, die andere Planeten besuchen. Aus seinen Büchern weiß er, dass man ihnen friedlich begegnen soll, schließlich ist es ihr erster Kontakt mit einem Menschen. Pali verbeugt sich ungelenk, als die Gestalten vor ihm stehen.
„Herzlich Willkommen auf der Erde. Ich bin Pali.“
„Vielen Dank, mein Sohn. Wir sind da, um dich mitzunehmen.“
Die Stimme des außerirdischen Astronauten ist streng, erinnert Pali jedoch unterbewusst an etwas lang Vergessenes. Als Pali nach seiner Verbeugung den Kopf hebt, sieht er zwei Lichtgestalten, ohne feste Umrisse und trotzdem menschenähnlich.
„Mitnehmen? Wohin?“
„Zu unserem Heimatplaneten. Wir haben dich vor sieben Jahren auf die Erde gebracht, weil du Schwächlich warst und die Erdlinge für solche Wesen ein Herz haben. Jetzt, da du stark und selbstständig bist, laden wir dich gerne zurück auf unseren Heimatplaneten ein.“
„Ich kenne euch ja nicht mal.“
„Wir sind deine Eltern. Du weißt selbst, dass du anders bist. Vor allem jetzt, in unserer Gegenwart, solltest du es spüren. Du gehörst zu uns.“
„Meine Eltern wohnen da drüben und schlafen. Ich bin vielleicht anders, aber das ist meine Katze Minka auch. Ihr habt mich im Stich gelassen. Ich komme nicht mit.“
Mit diesem Worten dreht sich Pali um und geht zurück in Richtung der Wohnung von Jana und Erin. Dort angekommen schleicht er in das Schlafzimmer seiner Adoptiveltern, legt sich zwischen sie und schläft das erste Mal ein.
Die Geschichte ist gut geschrieben und lässt sich leicht lesen. Der Stil ist klar, die Szenen sind verständlich und wirken glaubwürdig. Trotzdem fehlt der Geschichte ein bisschen das Besondere. Sie erzählt zwar ein schönes und rührendes Thema – Kinderwunsch, Familie, Anderssein – aber sie bleibt dabei ziemlich geradlinig und vorhersehbar.
AntwortenLöschenDie Figuren sind sympathisch, wirken aber eher einfach. Man erfährt nicht besonders viel über ihre inneren Konflikte oder Veränderungen. Dadurch berührt die Geschichte zwar, überrascht aber kaum. Auch der Wechsel vom realistischen Anfang zu den Science-Fiction-Elementen am Ende kommt etwas plötzlich und fühlt sich eher wie ein Trick an, um Spannung zu erzeugen, als wie eine natürliche Entwicklung der Handlung.
Insgesamt ist es also eine nette, gut geschriebene Geschichte mit Herz, aber ohne viel Tiefe oder neue Ideen. Sie funktioniert, aber sie bleibt nicht lange im Gedächtnis.
Fängt niedlich an. Dann sind einige Ungereimtheiten drin. Unwahrscheinlich, dass sich Eltern melden, nachdem sie das Kind ausgesetzt haben. 1,5 Jahre ist das Kind in der Vermittlung. Die Mütter merken erst nach dem Hinweis der Lehrerin,mwas ihr Kind alles schon kann. Ansonsten eine nette Geschichte, gut zu lesen, bildlich. Am interessantesten für mich waren die Infos zur künstlichen Befruchtung.
AntwortenLöschenSchöne Geschichte mit sympathischen Charakteren. Und schöner Schluss.
AntwortenLöschenDie hier gewählte Perspektive ist recht interessant, entscheiden sich die lesbischen Eltern doch freiwillig für die Adoption eines Kuckuckskindes. Immerhin blieb ihr Kinderwunsch bisher unerfüllt, wobei die höheren Hürden einer künstlichen Befruchtung für Homosexuelle kritisiert werden. Etwas übertrieben wirkt dabei nur, dass Erin und Jana es insgesamt siebenmal probiert haben und das bei den hohen Kosten. Wie verdammt reich sind die beiden?
AntwortenLöschenNachdem die Handlung mehrmals ein paar Jahre nach vorne springt, was für eine Kurzgeschichte völlig okay ist, kommt die Auflösung etwas abrupt und banal daher. Palis Alien-Eltern meinen lapidar, dass er ihnen zu schwach war. Jetzt, da er gestärkt ist, wollen sie ihn gern zurückhaben. Was für miese Rabeneltern! Kein Wunder, dass Pali lieber bei seinen irdischen Adoptivmüttern bleiben will. Ein wirklicher Konflikt wird hier aber nicht aufgebaut. Die Alien-Eltern starten auch keinen Versuch, Pali aufzuhalten. Wie es scheint, haben sie immer noch kein gesteigertes Interesse an ihrem Sohn, weshalb sich fragt, warum sie überhaupt aufgetaucht sind?
Der Schreibstil ist okay, es fehlen jedoch jede Menge Kommas.