Vater unser
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.“
Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945)
„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“
Herr Hofmann überlegte, ob er um einen Kaffee bitten sollte, entschied sich jedoch dagegen. Bei einem Hausbesuch, der weder angekündigt noch geplant war, hielt er es in seiner Funktion als Klassenlehrer für wichtig, sein Verhalten professionell und sachlich zu halten. Er korrigierte seine Haltung, wobei das rot-grau-karierte Hemd an seinem Bauch ein wenig spannte, schlug die Beine übereinander und legte seine rechte Hand auf sein rechtes Knie, wie er es für gewöhnlich tat, wenn er ein Elterngespräch führte. Der lederne Sessel, in dem er saß, knarzte leicht unter seinem Gewicht.
„Nein, danke“, sagte er mit einem leichten Bedauern. „Bin wunschlos glücklich.“
Er lächelte. Frau Kern erwiderte sein Lächeln, etwas gezwungen, wie er fand. Ihr geblümtes Sommerkleid hatte etwas Altbackenes an sich, das sie ihn an eine Tapete aus den 60er Jahren erinnerte, doch es passte zu ihren vollen dunkelbraunen Locken, die auf ihren Schultern lagen und ihre großen hellblauen Augen betonte.
„Wenn es Ihnen recht ist“, sagte sie mit leiser Stimme, „dann mache ich mir einen Tee. Das ist meine Zeit des Tages, also …“
„Nur zu. Ich bin nicht in Eile.“
Sie nickte und verschwand in der Küche. Herr Hofmann sah sich im Wohnzimmer um. Der Raum machte einen penibel aufgeräumten Eindruck. Fast kam es ihm so vor, als habe sie gewusst, dass er sie aufsuchen würde. Bei ihm zuhause war es nie so ordentlich.
Frau Kern kam zurück, stellte eine Tasse auf die Glasplatte des Beistelltisches zwischen ihnen und setzte sich auf die Couch.
„Also, was kann ich für Sie tun, Herr Hofmann. Hat Tobias etwas ausgefressen?“
Er lachte auf. „Oh nein, um Gottes Willen. Ich bin nur hier, weil … also, ich möchte mich mit Ihnen unterhalten, weil … ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“
„Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht folgen.“
„Wissen Sie“, begann Herr Hofmann. „Tobias ist ein außergewöhnlich wissbegieriges, kreatives und neugieriges Kind.“
„Ich weiß. Er ist wirklich schlau. Und er hat eine Energie, das ich kaum mit ihm mithalten kann. Das war schon immer so. Keine Ahnung, von wem er das hat. Er ist wirklich was Besonderes.“
„Das ist richtig, aber … was ich meine, geht weit über das Normalmaß hinaus. Sehen Sie, es gibt Hinweise darauf, dass Tobias auf eine Weise hochbegabt ist, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Für einen Drittklässler, der das zehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hat, verfügt er über ein überaus bemerkenswert detailliertes Allgemeinwissen und darüber hinaus ist seine Vorstellungskraft so ausgeprägt, dass es mitunter unmöglich für ihn sein muss, zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Und besonders dieser Aspekt macht uns … also mir und meinen Kolleginnen, etwas Sorgen.“
Frau Kerns Blick bekam einen beinahe verängstigten Ausdruck, als erwarte sie, dieses Gespräch könnte der Beginn einer neuen Realität für sie und ihren Sohn werden. Und sie schien nicht sicher zu sein, ob ihr gefallen würde, was auf sie zukam.
„Wie meinen Sie das?“
Herr Hofmann schnalzte mit der Zunge und blinzelte. Scheinbar suchte er nach der richtigen Formulierung, um in Worte fassen, was er ausdrücken wollte. Er nahm eine bequemere Sitzhaltung ein, lehnte sich vor, nahm seine Aktentasche, legte sie sich auf den Schoß und öffnete sie. Dann entnahm er ihr einige Blätter, schloss die Tasche wieder und stellte sie neben sich auf den Boden.
„Ich denke, es ist das Beste, wenn ich es Ihnen zeige.“
Herr Hofmann zog ein Blatt aus dem Stapel, der auf seinem Schoß lag, und betrachtete es eingehend. Dann hob er den Kopf und blickte Frau Kern eindringlich an.
„In Sozialkunde sollten die Kinder ein Bild ihrer Familie malen. Die meisten Kinder haben sich gemalt, Hand in Hand mit ihrer Mutter und ihrem Vater, vielleicht noch ein Häuschen dabei, eine Sonne, eine Wiese, auf der sie stehen. Sowas eben. Bei Tobias war das anders.“
Er legte das Blatt so auf die Tischplatte, dass Frau Kern es sich ansehen konnte. Es zeigte das Bild eines Kindes, offenkundig mit Buntstiften gemalt. Strichmännchen eine kleineren Figur an der Hand einer größeren. Ihre Augen waren Punkte, die Haare der kleinen Figur waren Striche, die Sonnenstrahlen glichen. Die größere hatte Kreise auf dem Kopf. Unter ihnen befand sich eine rote Linie, auf der sie zu stehen schienen. Die Sonne in der rechten oberen Ecke war das Viertel eines Kreises. Eine gebogene Linie verlieh ihr ein Lächeln, die Augen waren Kreuze.
„Hier sieht man nur ihn selbst und eine weitere Figur, bei der es sich wohl um Sie handelt, den Locken nach zu urteilen“, sagte Herr Hofmann. „Keine weitere Figur.“
„Ich bin alleinerziehend“, warf Frau Kern ein. „Mein Mann ist … Tobias musste ohne Vater aufwachsen.“
„Ich verstehe“, sagte Herr Hofmann beschwichtigend. „Das tut mir leid.“
„Mir nicht“, entgegnete Frau Kern scharf. „Mein Mann war … kein guter Mensch. Kurz nach Tobias´ Geburt setzte er sich ans Steuer seines Autos, fuhr weg und kam nie wieder. Ich habe keine Ahnung, was aus ihm geworden ist und hege nicht das geringste Verlangen, es zu erfahren oder darüber zu sprechen.“
„Das verstehe ich“, sagte Herr Hofmann.
„Sehen Sie, ich habe mir dieses Bild sehr genau angeschaut. Und da gibt es etwas, das mich stutzig macht.“
„Und das wäre? Dass es keinen Vater gibt?“
„Nein, das meine ich nicht. Sehen Sie den Untergrund?“
Frau Kern beugte sich vor. „Was ist damit?“
„Er ist rot.“
„Und?“
„Nun, das ist schon erstaunlich. Die meisten Kinder malen eine Wiese, auf der sie stehen, aber Tobias hat sich dafür entschieden, einen roten Stift zu benutzen. Außerdem ist da etwas an der Sonne, das mir merkwürdig vorkommt.“
„Was genau?“, fragte Frau Kern, ohne sich das Bild näher anzusehen, als wüsste sie genau, was er meinte.
„Sie hat eine Art … Gesicht, das sich deutlich von den Gesichtern der beiden Figuren unterscheidet. Zum einen sind ihre Augen keine Punkte, sondern ähneln dem Buchstaben X. Und zum anderen sind ihre Strahlen an beiden Seiten so lang, dass sie eher wie Arme wirken, als …“
„Das ist nur eine Sonne, wie ein Kind sie malen würde. Und deshalb sind Sie hier?“
„Mitnichten. Aber das“, fuhr Herr Hofmann fort, „ist nur die Spitze des Eisbergs.“
Er zog ein anderes Blatt hervor, bei dem es sich um die Fotokopie einer Fotographie handelte, die einen Klassenraum zeigte. Ein paar Hinterköpfe waren im Vordergrund zu sehen. Über ihnen schwebte die Tafel. Tobias stand davor, mit einem Stück Kreide in der Hand. Er lächelte.
Frau Kern nahm den Teelöffel, wickelte den Teebeutel darum, drückte ihn über der Tasse aus und legte beides auf den Unterteller. Die Flüssigkeit in der Tasse dampfte und erfüllte den Raum mit einem Geruch nach Jasmin und Hagebutte.
„Was sehe ich hier?“, fragte Frau Kern mit einem gereizten Unterton.
„Mathematik. Addieren und Subtrahieren im Zahlenraum bis 100 ohne Zehnerübergang. Die Aufgabe war 98 – 69. Die Lösung wäre 29. Tobias wurde aufgerufen, um die Aufgabe zu lösen und das Ergebnis an die Tafel zu schreiben. Was er tat, war ganz erstaunlich.“
Frau Kern blickte kurz auf das Bild, hob den Kopf und sah Herr Hofmann in die Augen. „Inwiefern?“
„Tobias hat erst einen Moment lang überlegt und dann eine 2 und dann eine 9 an die Tafel geschrieben. Doch anstatt sich wieder hinzusetzen, nachdem Frau Jürgens ihn für die korrekte Lösung der Rechenaufgabe gelobt hat, schrieb er weiter. Am Ende stand an der Tafel nicht einfach 29, sondern eine andere Zahl, zwei Buchstaben und eine geometrische Form.“
„Welche?“
„299.792.458 m/s △.“
„Sagt mir gar nichts.“
„Das ist Lichtgeschwindigkeit.“
„Wie bitte?
„299.792.458 Meter pro Sekunde ist der exakte Wert der Geschwindigkeit, mit der sich Licht in einem Vakuum ausbreitet. Außerdem, und das ist besonders hervorzuheben, in Bezug auf die geometrische Form des Dreiecks, ist es die geografische Breite der Großen Pyramide von Gizeh, die numerisch 29,9792458° N lautet. Und das wiederum ist der Breitengrad, auf dem die Cheops-Pyramide liegt.“
Frau Kern blinzelte perplex und schüttelte den Kopf. „Komischer Zufall“, sagte sie, nahm einen Schluck Tee und balancierte die Tasse auf ihrer linken Handfläche, während sie den Henkel mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand hielt. Sie nahm noch einen Schluck und schüttelte erneut den Kopf.
„Ein überaus erstaunlicher und bemerkenswerter Zufall, der jedoch nur ein Teil des Gesamtbildes ergibt.“
„Aha. Was für ein Gesamtbild?“
„Dazu komme ich noch. Erst einmal stellt sich mir die Frage, woher ein Junge in seinem Alter ein solches Wissen erlangen konnte.“
„Ach, das wird er irgendwo im Internet aufgeschnappt haben.“
„Im Internet.“
„Na klar. Oder im Fernsehen. Galileo oder Willi will´s wissen. Irgend sowas eben. Kinder saugen alles auf, wie Schwämme.“
„Das mag sein“, sagte Herr Hofmann, wobei er nicht wirklich überzeugt klang. „Zumindest würde dies für eine enorme Erinnerungsfähigkeit sprechen, sollte er sich eine solche Zahl merken und an passender Stelle replizieren können.“
„Er konnte sich schon immer Sachen gut merken“, sagte Frau Kern nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme. Sie leerte die Tasse und stellte sie auf den Unterteller.
„Manchmal verlege ich meine Lesebrille. Dann muss ich ihn nur fragen, wo ich sie zuletzt hatte und er weiß, wo sie ist. Er sieht alles und merkt sich mehr, als die meisten Menschen. Aber das ist kein Grund, sich Sorgen zu machen, finde ich.“
Herr Hofmann nickte. „Ich habe damit gerechnet, dass sie so oder ähnlich reagieren würden. Und das kann ich Ihnen nicht verübeln. Sie wollen Ihr Kind beschützen, das verstehe ich.“
Frau Kern ließ seine Worte unkommentiert, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich leicht zurück. Nonverbal war ihre defensive Haltung deutlich zu erkennen, auch wenn ihr dieser Umstand nicht bewusst war.
„Was mich wirklich stutzig gemacht, ja, ich will sagen, mich regelrecht erschüttert hat, war ein Bild, das Tobias im Geschichtsunterricht gemalt hat. Dabei ging es um die Evolution und das Leben auf der Erde, das Alter des Planeten, seit wann es den Menschen gibt, sowas eben.“
„Aha. Dinosaurier und so.“
„Ja … also zum Teil. Sie werden gleich verstehen, worauf ich hinauswill.“
Frau Kern erwiderte nichts, sondern blickte Herr Hofmann an und wartete darauf, dass er fortfuhr.
„Wie gesagt ging es um die Evolution, wie sie sich ein Kind in seinem Alter vorzustellen in der Lage ist.“
„Aha. Und weiter?“
„Nun“, sagte Herr Hofmann und hantierte mit einem zusammengefalteten Bild, das dem Anschein nach aus mehreren Blättern zusammengesetzt war. „Die meisten Kinder … eigentlich alle anderen … haben eine Art Zeitleiste gemalt, an deren Anfang der Urknall steht, dann kommen irgendwann Dinosaurier und dann irgendwann der Mensch. Dabei stimmen die Proportionen nie so richtig, sodass sich die einzelnen Bereich oft überlappen, was jetzt nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass es gar nicht mal so wenige Menschen gibt, die der festen Überzeugung sind, Menschen und Dinosaurier hätten zu einer bestimmten Zeit koexistiert. Ich glaube, Amerika ist Spitzenreiter in dieser fragwürdigen Disziplin. Dort sind es über 41 Prozent, die daran glauben. Und das sind erwachsene Menschen, die mitten im Leben stehen, eine Schulbildung genossen haben und wählen dürfen. Was dabei herausgekommen ist, sehen wir ja, aber …“
„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.“
„Sicher“, sagte er und räusperte sich. „Ich versuche, zum Punkt zu kommen.“ Er legte das zusammengefaltete Blatt Papier auf den Tisch und rieb die Handflächen aneinander. Frau Kern beugte sich vor und betrachtete das Bild. Die Detailtreue erstaunte sie, doch sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.
„Also“, begann Herr Hofmann. „Auffallend ist auf den ersten Blick, wie exakt Tobias die Kreaturen gezeichnet hat, die sich auf der Zeitleiste befinden, und die wissenschaftlich belegte Genauigkeit ihrer Reihenfolge. Da haben wir ganz links die Algen und Würmer des Proterozoikums, des zweiten Abschnitts des Präkambriums, das vor annähernd 2,5 Milliarden Jahren existierte. Dem folgen in folgerichtig unterteilten Abschnitten marine Pflanzen, erste Fische, Stachelhäuter, Insekten, Lurche, Reptilien, Farne, Säugetiere, Bäume, Vögel, Saurier und das Aussterben der Ammoniten, Flugechsen, Dinosaurier und Fischsaurier vor ungefähr 66 Millionen Jahren. Diese Bereiche hat Tobias allesamt korrekt voneinander abgegrenzt in Kambrium, Ordovizium, Silur, Devon, Karbon, Perm, Trias, Jura und Kreidezeit. Darauf folgt das Tertiär, also das Zeitalter, in dem sich vor 50 Millionen Jahren die Blütenpflanzen, Säugetiere und Vögel entfalteten und den Weg ebneten für den Menschen, dessen Erscheinen im Zeitalter Quartär verortet wird. Tobias hat dies nicht nur grafisch richtig dargestellt, sondern auch korrekt beschriftet, indem er notierte, dass vor 2 Millionen Jahren der Homo rudolfensis und Homo habilis als erste Menschen die Erde bevölkerten, aus denen der Homo erectus entstand, der wiederum der Vorfahre der Neandertaler, des Denisova-Menschen und unseres direkten Vorfahren war, des Homo sapiens, der vor ungefähr 300.000 Jahren existiert haben soll. Soweit, so gut.“
„In Ordnung. Das ist … also … ganz erstaunlich, aber ich verstehe immer noch nicht, warum …“
„… uns all dies Sorgen bereitet, ja, das dachte ich mir. Lassen Sie mich meine Ausführungen beenden.“
„Na gut.“
Herr Hofmann beugte sich vor und klappte einen Teil des Bildes aus, sodass sich die Fläche verdoppelte. Eine weitere Zeitleiste auf der linken Seite erschien.
„Sehen Sie, ganz links, am Rand des Bildes, hat Tobias den Urknall aufgemalt, der nach einhelliger Meinung vor etwa 15 Milliarden Jahren stattfand. Gleich daneben, ungefähr 10 Milliarden Jahre später, entstand seiner Meinung nach die Erde, was sich ebenfalls mit der heutigen wissenschaftlichen Erkenntnis deckt. Doch zwischen dem Archaikum und dem Proterozoikum, also in der Zeit, in der sich die Erde formte und nach gegenwärtiger Meinung unbewohnbar war, verortet Tobias die Entstehung einer Rasse, die er als Silurianer bezeichnet und die, ähnlich wie Haifische, die sich seit Millionen von Jahren evolutionär nicht weiterentwickeln mussten, unverändert durch die Zeitalter bestehen und deren Spuren seiner Zeichnung nach bis ins späte Mesozoikum reichen. Ihren Höhepunkt erlebte diese Spezies Tobias´ Zeitleiste nach im frühen Silur, daher wohl ihr Name. Optisch hat er sie mit einer Ansammlung von Tentakeln, Klauen, Flügeln und einer Vielzahl von Augenpaaren dargestellt, die man in ähnlicher Anordnung oftmals bei Spinnen und Tiefseefischen vorfindet. Interessanterweise ähneln seine Zeichnungen stark Kreaturen aus der Literatur, die Howard Philipps Lovecraft als Die Alte Rasse bezeichnete. Auffällig dabei ist auch, wie er die Entstehung dieser Spezies auf seiner alternativen Zeitleiste etablierte, oder besser gesagt, wie sie seiner Abbildung nach auf die Erde kamen.“ Herr Hofmann markierte eine bestimmte Stelle auf dem Papier mit dem Zeigefinger, hob den Kopf und blickte Frau Kern erwartungsvoll an. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“
Frau Kern sah auf das Bild und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Es … es sieht ein bisschen so aus, wie die Sonne, die er auf dem ersten Bild gemalt hat.“
„Es sieht nicht nur ein bisschen so aus, sondern haargenau so. Exakt die gleichen Proportionen, die gleichen X-förmigen Augen, das gleiche schiefe Grinsen und die Arme, die aus Sonnenstrahlen gemacht zu sein scheinen.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
Herr Hofmann schnaufte auf und schüttelte den Kopf. „Wenn ich das wüsste. Sehen Sie“, begann er unbeholfen, „es ist mehr ein Gefühl, als etwas, das ich konkret ausdrücken könnte. Ich … ich habe den Verdacht, dass Tobias sich für einen Außerirdischen halten könnte.“
„Das ist doch lächerlich!“
„Das wäre auch meine Reaktion an ihrer Stelle, aber sehen Sie … seine Abweichungen in der Schule und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, die er bislang nur in wenigen Bereichen zur Schau gestellt hat, lassen mich an allem zweifeln, was ich bisher für gesichert hielt. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?“
„Nicht so ganz. Und ich verstehe immer noch nicht, warum Sie eigentlich hier sind oder was Sie wollen.“
„Reden Sie es mir aus.“
„Wie bitte?“
„Meine Überzeugung, meine Furcht, meine Zweifel. Reden Sie mir aus, dass Ihr Sohn nicht von dieser Welt ist. Denn wenn er mit allem Recht hat, was er von sich gibt oder niederschreibt, und bisher deutet alles darauf hin, dass dem so ist, dann hat er Kenntnis von Dingen, die er nur haben kann, wenn er Zugang hat zum Wissen einer höheren Macht.“
Frau Kern entfuhr ein Lachen. „Sprechen Sie von Gott?“
„Gott, dem Schöpfer, dem Ursprung des Lebens. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich meine, man bedenke nur die Bedeutung seines Namens.“
„Wie meinen Sie das?“
„Sagen Sie, wie kam er zu seinem Namen?“
„Also …“
„Sie haben davon geträumt, oder?“
„Wenn ich ehrlich bin … ja, aber woher …“
„Das ist eine theoretische Möglichkeit für übernatürlich begabte Wesen, Nachrichten zu übermitteln.“
„Übernatürliche Wesen? Was meinen Sie damit?“
„Der Name Tobias“, fuhr Herr Hofmann fort, „stammt aus dem Hebräischen und ist die griechische Variante von Tuvijah beziehungsweise Tobijah und bedeutet Der Herr ist mein Gott. Das kann kein Zufall sein. Nichts an Ihrem Sohn erscheint mir wie ein Zufall, er …“
„Sind Sie krank?“, fragte Frau Kern mit lauter Stimme. „Haben Sie den Verstand verloren?“
„… er weiß Dinge“, fuhr Herr Hofmann ungehindert fort. „Dinge, die er nicht wissen dürfte. Die niemand wissen können sollte. Er … warten Sie, ich zeige es Ihnen.“
Herr Hofmann klappte das letzte Stück des Bildes auf. Auf der rechten Seite erschien ein Papier, das das Bild vervollständigte. Die darauf aufgezeichnete Zeitleiste war sehr kurz.
„Was soll ich da sehen?“
„Hier hat Tobias den bekannten Zeitstrahl der menschlichen Evolution in extrem kleinen Etappen fortgeführt bis zu einem Bereich, der etwa 23 Jahre in der Zukunft liegt.“
„Und dann? Was geschieht dann?“
„Dann hat er wieder diese Sonne mit den langen Armen gemalt, die den Planeten umfasst. Und dann …“
„Was? Was dann?“
„Nichts. Da endet seiner Zeitleiste nach das Leben auf der Erde. Unwiederbringlich. Ohne eine Spur davon, dass wir jemals existiert haben. Aber, auf der rechten Seite, sind wieder zwei Strichmännchen. Diesmal hat er beide Augenpaare mit einem X gezeichnet und beide Figuren leuchten, wie zuvor die Sonne.“
„Aber das können Sie doch nicht ernst nehmen! Sie haben doch selbst gesagt, dass er Fantasie und Realität nicht auseinanderhalten kann.“
„Das ist richtig, aber …“
„Erst gestern hat Tobias mir gesagt, dass die Erde eigentlich gar keine Kugel ist, sondern eine Ellipse. Als ich ihn fragte, wie er darauf komme, sagte er, dass es nun einmal so sei. Und er schien verwundert darüber zu sein, dass ich das nicht wusste. Er lebt in seiner eigenen Welt.“
Herr Hofmann beugte sich vor. Sein Gesichtsausdruck war ernst. „Hat er … hat er gesagt, seit wann das so ist?“
„Was?“
„Seit wann die Erde eine Ellipse ist. Seit wann genau?“
„Ja, er sagte etwas Komisches.“
„Was genau?“
„Er sagte, dass im letzten Zeitalter etwas geschehen sei. Irgendwas mit dem Erdkern oder so. Ich hab nicht so genau zugehört.“
„Was … was genau ist passiert?“
„Ist das wichtig?“
„Ich fürchte, ja.“
„Nun, dann fragen Sie ihn doch selbst. Ich kann ihn holen, wenn es sein muss. Er ist in seinem Zimmer.“
„Wenn es keine Umstände macht.“
Frau Kern stand auf. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Überraschung und Furcht, als könne sie nicht glauben, was gerade vor sich ging.
Herr Hofmann hörte, wie sie die Treppe in den ersten Stock hochging, an einer Tür klopfte und den Namen ihres Sohnes rief, bevor sie die Tür öffnete. Jemand kam aus dem Zimmer und ging mit ihr die Treppe hinunter. Tobias kam ins Wohnzimmer und blieb stehen, als er Herr Hofmann sah.
„Hallo Tobias. Wie geht es dir?“
„Gut?“ Der Junge war augenscheinlich überrascht, seinen Lehrer zu sehen, sodass seine Antwort eher wie eine Frage klang.
„Schön. Setz dich doch bitte, ich hätte da ein paar Fragen an dich, wenn es dir nichts ausmacht.“
Tobias setzte sich auf die Couch, seine Mutter blieb mit vor der Brust verschränkten Armen stehen. Die Augen des Jungen waren von einem dunklen, goldenen Braun, der dem Farbton einer Kastanie glich.
Herr Hofmann legte das Bild mit den zwei Figuren auf den Tisch. Er versuchte, Augenkontakt mit dem Jungen herzustellen, doch dieser wich ihm aus.
„Hast du dieses Bild gemalt, Tobias?“
„Das wissen Sie doch.“
„Ich möchte es aber von dir hören“, entgegnete Herr Hofmann mit ruhiger Stimme.
„Ja, das ist von mir.“
„Was zeigt dieses Bild?“
„Das bin ich und Mutter.“
„Wo seid ihr da?“
„Keine Ahnung. Irgendwo.“
„Warum ist der Boden rot und nicht grün oder blau?“
„Keine Ahnung. Is halt so. Hab mir nichts dabei gedacht.“
„Und was ist das hier?“, fragte Herr Hofmann und zeigte auf das Gesicht, das in der rechten oberen Ecke schwebte.
„Eine Sonne“, sagte Tobias. „Was denn sonst?“
„Ich weiß nicht. Sag du es mir. Warum hat sie ein Gesicht?“
„Warum nicht? So malt man eben Sonnen.“
„Und warum unterscheiden sich die Augen der Sonne von den Augen der Strichmännchen?“
„Keine Ahnung. Is halt so.“
Herr Hofmann blinzelte, legte den Kopf schief, sog die Luft ein und ließ sie geräuschvoll wieder entweichen. Er warf Frau Kern einen raschen Blick zu und sah dann wieder den Jungen an.
„Okay. Was ist mit diesem Bild?“
Er legte die Fotokopie der Fotographie auf die Tischplatte und lehnte sich zurück.
„Was kannst du mir dazu sagen?“
„Das bin ich. In Mathe bei Frau Jürgens.“
„Und?“
Tobias zuckte die Schultern und sah kurz zu seiner Mutter hinüber.
„Nichts und. Da stehe ich in der Klasse und schreibe was an die Tafel.“
„Aber nicht irgendwas, sondern die Zahl 299.792.458, die Buchstaben m und s und ein Dreieck, das eine Pyramide darstellen könnte. Und das sind Angaben, die sowohl der Geschwindigkeit von Licht als auch den Koordinaten des Breitengrades entsprechen, auf dem die Cheops-Pyramide steht.“
„Wenn Sie es sagen.“
Herr Hofmann schnaufte auf. „Wie kann das sein, Tobias? Du hast die exakte Zahl aufgeschrieben? Wie hast du das gemacht?“
„Keine Ahnung“, wiederholte der Junge. „Hab ich wohl irgendwo aufgeschnappt.“
Frau Kern klatschte in die Hände und nickte. „Sag ich doch. Aufgeschnappt. Im Internet oder …“
„Aber was ist damit?“ Herr Hofmann breitete die Zeichnung der Zeitleiste auf der Tischplatte aus und strich sie mit beiden Händen glatt. „Hast du das auch irgendwo … aufgeschnappt? Im Internet? Oder im Fernsehen?“
Tobias warf einen Blick auf die Zeichnungen, die vor ihm auf dem Tisch lagen, hob den Kopf und sah Herr Hofmann an.
„So isses. Ich steh total auf Dinos. Ich glaube das habe ich im Fernseh gesehen. Galileo oder so.“
„Galileo!“, rief Frau Kern mit triumphierender Stimme. „Hab ich doch …“
„Aber was ist mit den anderen Sachen? Mit dem, was zwischen dem Urknall und der bekannten Evolution passiert ist? Und was ist mit dem Ende? Was … was ist damit?“
„Keine Ahnung. Hab ich mir ausgedacht“, sagte der Junge beinahe gelangweilt.
Herr Hofmann schloss die Augen, zählte innerlich bis Fünf und öffnete die Augen wieder.
„Tobias“, sagte mit betont ruhiger Stimme. „Wärst du so nett, mir eine Frage zu beantworten?“
Der Junge blickte fragend zu seiner Mutter. Sie nickte und er wandte sich wieder seinem Klassenlehrer zu. „Klar. Welche?“
„In welchem Zeitalter befinden wir uns gerade?“
„Im Anthropozän, das Zeitalter der Menschen.“
„Und welches kam davor?“
„Das Holozän, das Zeitalter nach der Eiszeit.
„Und welches wird das nächste sein?“
„Das Cephalopodozän, das Zeitalter der Oktopoden, aber …“
„Und wie zum Teufel kannst du derartige Dinge wissen?“
„Ich …“ Tobias verstummte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde bewegungslos, doch dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht, das so gar nicht zu dem Kind passen wollte, das da auf der Couch saß. „Sie sind ein Fuchs, wissen Sie das?“
„Du hast etwas zu deiner Mutter gesagt, das sie nicht ganz verstanden hat. Etwas über den Erdkern und …“
„Er ist stehengeblieben“, sagte Tobias ruhig, als spräche er über das Wetter. „Deshalb wird das Magnetfeld zusammenbrechen. Alles, was auf der Erde lebt, wird sterben. Außer ich und die, die so sind, wie ich.“
Der Junge zeigte auf das Ende der Zeitleiste, bewegte den Finger nach rechts und verharrte auf den beiden Gestalten, die Sonnen ähnelten.
„Aber das Magnetfeld“, stotterte Herr Hofmann schwitzend, „also … das dauert doch Jahrhunderte, bis …“
„Nein“, sagte Tobias knapp. „Das ist ein Irrtum. Vor genau 189.437 Jahren, am Ende des vergangenen Zeitalters, haben die Pole sich umgekehrt. Während der Umpolung wurde die Erde vermehrt kosmischer Strahlung ausgesetzt, was zu einer Zunahme von , einer Verdünnung der Ozonschicht, einer erhöhten Krebsrate und Störungen bei Satelliten sowie Kommunikationsnetzen geführt hat. Das hat nur ein paar Jahre gedauert. Die letzte Phase wird ebenfalls sehr kurz sein, gerade mal …“
„23 Jahre“, flüsterte Herr Hofmann.
„Genau“, bestätigte der Junge. „23 Jahre.“
„Was … wird dann geschehen?“, fragte Frau Kern atemlos.
„Das Leben wird enden, Mutter. Und Vater wird mich holen und nach Hause bringen. Ich weiß nicht, warum ich das weiß, aber ich glaube, er hat es mich wissen lassen, als ich geschlafen habe.“
„Aber … Papa …“, begann Frau Kern. „Er ist … verschwunden und …“
„Das war nicht mein Vater. Mein Vater ist ein Wesen, das älter ist, als die Sonne. Er ist unser aller Vater und lebt zurzeit auf dem roten Planeten, den ihr Mars nennt. Und er hat es gemacht, wie es der Kuckuck macht, hat sich Wirtseltern ausgesucht, die mich großziehen, als wäre ich ihr eigenes Kind. Und er hat mir gezeigt, wie ich meine Stimme einsetzen kann, um die Menschen zu lenken, mir untertan zu machen.“
„Wie … meinst du das, Schatz?“, fragte Frau Kern.
„Bevor dein Mann weggefahren ist, Mutter, habe ich ihm gesagt, dass er gehen und uns vergessen soll. Vater nannte das Mentalmanipulation. Er hat mir gezeigt, wie das geht, bevor er die Erde wieder verlassen hat, und hat mich dann vergessen lassen, was ich bis dahin wusste. Erst vorletztes Jahr habe ich mich wieder erinnert, dass ich kein Mensch bin.“
Herr Hofmann schnappte nach Luft.
„Tobias!“, rief Frau Kern. „Wie kannst du so etwas sagen? Wer hat …“
„Schweig, Mutter“, sagte der Junge mit einer tiefen, ruhigen Stimme, die keinen Widerspruch zu dulden schien. Frau Kern schloss den Mund.
„Vergiss, was heute passiert ist.“
Ihr Blick war erstarrt.
„Geh in die Küche und mach dir einen Tee.“
Mit langsamen, mechanischen Bewegungen verließ sie das Wohnzimmer und ging in die Küche.
„Warum … warum das alles?“, stammelte Herr Hofmann.
„Vater wollte, dass ich lerne und lebe, in einer Umgebung die meiner Rasse zuträglicher ist, als die tristen Marsebenen es sind, bis wir wieder zurückkehren in unsere Welt hinter den Sternen. Dieser Planet war mein Kinderzimmer, nicht mehr.“
„Aber …“
„Schweig, Mensch“, sagte Tobias ruhig.
Herr Hofmann verstummte.
„Vergiss, dass du hier warst. Vergiss, was ich gesagt habe. Begib dich in dein Heim. Leg dich schlafen. Und wenn du erwachst erscheint dir alles, was dir im Gedächtnis geblieben ist, wie der Traum eines anderen.“
Herr Hofmann erhob sich mit einem Ruck. Ohne seine Aktentasche neben dem Sessel eines Blickes zu würdigen, durchquerte er mit roboterartigen Schritten den Raum, ging durch den Flur, verließ das Haus und ging zu seinem Autor, das vor dem Haus auf der Straße parkte.
Als der Motor des Wagens röhrend zum Leben erwachte und Herr Hofmann wie mithilfe eines Autopilots gesteuert nach Hause fuhr, ohne irgendetwas von der Welt um sich herum wahrzunehmen, ging Tobias in sein Zimmer, schloss die Tür und setzte sich im Schneidersitz auf sein Bett.
Er faltete die Hände, schloss die Augen, senkte den Kopf und begann zu beten.
„Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.“
Die Geschichte überzeugt handwerklich durch saubere Sprache, stimmige Atmosphäre und einen klaren Spannungsbogen, bleibt aber erzählerisch unoriginell. Sie nutzt bekannte Muster des Mystery- und Horrorgenres, ohne sie neu zu interpretieren oder zu brechen. Dadurch wirkt sie routiniert, aber vorhersehbar. Die Figuren sind archetypisch angelegt und entwickeln keine emotionale Tiefe, was die Geschichte distanziert und intellektuell erscheinen lässt, statt wirklich zu berühren. Stilistisch neigt der Text zu Übererklärungen, wodurch das Tempo zeitweise leidet und die Spannung abschwächt. Auch die thematische Ebene bleibt unausgereift: Es werden große Motive wie Wissen, Religion oder das Übernatürliche angedeutet, aber nicht konsequent oder eigenständig weitergedacht. Insgesamt entsteht der Eindruck einer handwerklich soliden, aber ideenarmen Erzählung, die mehr zitiert als etwas Eigenes erschafft.
AntwortenLöschenHallo Chris, Deine Kommentare kommen so gut an, dass mich gerade jemand angeschrieben hat, von dem Geschichte 40 stammt. Die Person ist schon ganz heiß auf Deine Meinung.
LöschenLasst uns die Anonymität wahren, aber auch auf solche (herrlichen) Wünsche eingehen.
An alle da draußen: Bitte solche Anfragen nur an wettbewerb@axelschreibt.de schicken, um auch weiterhin die Anonymität zu wahren.
Ich fand den Aufbau interessant. Es war über den meisten Text hinweg gut zu lesen. Dass es auch heutzutage Aufgaben gibt, dass Kinder ihre Familie malen sollen, könnte sogar sein, obwohl ich hoffe, dass solche Aufsatzthemen wie "Das ist mein Vater von Beruf" oder "Unser letzter Urlaub", wie ich es noch erlebte, mittlerweile ausgestorben sind. Ich fand die Geschichte solide, eine Rechtschreib- und Satzzeichenprüfung hätte ihr mehr Schliff verpasst.
AntwortenLöschenNicht wirklich Neues bei der Geschichte, aber gut geschrieben, angenehm lesbar — und das Ende ist dann nochmal etwas überraschend mit dem Bezug zum Christentum.
AntwortenLöschenSo vorhersehbar fand ich die Geschichte gar nicht. Zwischendurch fragte ich mich sogar, ob der Lehrer vielleicht irgendetwas überinterpretiert. Hochbegabte Kinder können schon ein wenig gruselig sein. :-)
AntwortenLöschenDie Geschichte ist fachlich sehr gut geschrieben. Die Charaktere sind zwar ziemlich flach, aber ich glaube das liegt an der Szenerie an sich. Die ganze Geschichte ist im Grunde genommen nur ein riesiger Dialog und die Hälfte davon dreht sich nur um etwas, dass man auch hätte in ein paar Sätzen ausdrücken können. Für einen Roman wäre das ein interessanter Textauszug aber für eine in sich geschlossene Kurzgeschichte passiert mir leider zu wenig. Dadurch das nur gesprochen und nichts interessantes getan wird, habe ich mich trotz des eigentlich spannenden Themas ziemlich gelangweilt.
AntwortenLöschenHandwerklich sehr sauber und das Setting gefällt mir; die Sprache sitzt, der Ton ist konsequent und die beklemmende, gruselige Stimmung wird überzeugend aufrechterhalten.
AntwortenLöschenAllerdings stört hier noch stärker als bei anderen Geschichten, dass uns als Lesenden die Pointe bereits bekannt ist: Weil klar ist, worauf der Dialog hinausläuft, verliert die Szene an Überraschungsmoment und damit an Spannung.
Die Figuren bleiben an einigen Stellen noch skizzenhaft; eine leichte Ausdifferenzierung würde ihre Motivation und die emotionale Schärfe der Szene stärker tragen.
Kurz: Starker Stil und Atmosphäre — mit gezielten Mitteln ließe sich trotz vorgegebener Pointe aber noch mehr Wirkung erzielen.
Die Geschichte aus der Perspektive eines Lehrers zu erzählen, erscheint auf den ersten Blick originell, doch ist sie wenig durchdacht. Was der Lehrer der Mutter auftischt, spricht lediglich für ein Kind mit Hochbegabung und viel Fantasie. Kein Lehrer würde wegen derartigem die Eltern aufsuchen und den Sohn als Außerirdischen darstellen. Obendrein stimmen viele Daten nicht. Der Urknall ereignete sich vor rund 13,8 Milliarden Jahren. Der letzte Polsprung ist etwas 780.000 Jahre her und so etwas löst auch keine Massensterben aus, sondern wäre nur für unsere heutige Technologie gefährlich. Wir befinden uns gerade in den ersten Ausläufern einer Polumkehr, werden aber deswegen gewiss nicht in 23 Jahren aussterben.
AntwortenLöschenDas mit den Silurianern ist aus „Doctor Who“, allerdings hätte ich bei dem Namen eine reptiloide Spezies erwartet. Stattdessen wird das Aussehen bei Lovecraft geklaut und das auch noch zugegeben. Wenn Lovecraft als Kontaktler eine Rolle für die Geschichte spielen würde, wäre das okay, aber so… Und sind das nun überhaupt Außerirdische oder irdische Silurianer? Das wird nicht ganz klar.
Das Verhalten von Tobias ist derweil noch unlogischer als das seines Lehrers. Warum gibt er erst ausweichende Antworten, um dann die ganze Wahrheit auf den Tisch zu packen, nur um seiner Mutter und dem Lehrer anschließend die Erinnerungen daran wieder zu nehmen? Warum liefert er einer Schule überhaupt Belege für seine Außergewöhnlichkeit, wenn er diese geheim halten will? Ferner wirken Bilder von Strichmännchen nicht gerade wie das Werk eines hochbegabten Kindes. In der dritten Klasse malen die meisten Kinder schon deutlich detaillierter, was dann bei der Zeittafel wieder Fall zu sein scheint. Ein Kind, zwei völlig unterschiedliche Zeichenstile. Und warum soll sein biblischer Name ein Hinweis sein? Viele Jungs heißen Tobias.
Handwerklich gibt es schlussendlich nur kleinere Fauxpas. Allen voran: „Fotographie“. Es gibt zwei Schreibweisen, die man nicht miteinander kombinieren sollte. Also entweder „Fotografie“ oder die alte Schreibweise „Photographie“. Und am Ende: „verließ das Haus und ging zu seinem Autor, das vor dem Haus auf der Straße parkte.“ Der Autor meinte hier wohl das „Auto“. Aber für die Bewertung sind solche Tippfehler unerheblich.