DACSF2025_19

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Enten

i.

Ganz und gar überraschend verstand Thomas eines schönen Tages die Sprache der Enten. Er bemerkte es, als er montagnachmittags im Park am kleinen Neustädter See an den Gänsevögeln vorbeijoggte, die sich am Ufer unterhielten.

Er blieb verwundert stehen und lauschte einige Augenblicke. Es hörte sich zwar noch entisch an, was sie schnatterten, allerdings glaubte er, einzelne Wörter zu verstehen, darunter viele Hauptwörter, unter anderen: Wasser, Brut, Hefezopf und Radiowellen. Nur ergab das Wortgemisch keine sinnvollen Sätze; vielleicht, weil die Enten durcheinander redeten.

Thomas überlegte, ob er sich die Begriffe einprägen sollte. Später könnte er sie aus dem Gedächtnis aufschreiben und analysieren.

Denn: Das war ja schon etwas Besonderes! Vielleicht bestand die Möglichkeit, sich mit den Enten zu unterhalten. Was hatten sie zu sagen? War es möglich, dass sie etwas Interessantes redeten? Allzu viel konnten sie doch nicht über die Welt wissen, oder? Bestimmt wussten sie nicht, dass sie auf einem Gesteinsbrocken lebten, der im unendlichen Nichts um einen großen Feuerball kreiste. Sie sahen die Sonne am Himmel, natürlich, aber konnten sie sich erklären, was die Sonne war? Besaßen sie eine Theorie? Hatten sie eine Idee zu dem Ort, an dem sie sich befanden? Eine Idee, wozu sie sich da befanden, wo sie sich befanden?

Thomas überlegte, ob er sie einfach fragen sollte. Er blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete, und ging dann einen Schritt auf die Tiere zu. Sie schnatterten nicht mehr und hatten ihre Köpfe zu ihm gedreht. – Nein. Besser nicht, dachte Thomas dann. Er hob die Hand schnell zum Abschied und warf den Enten noch ein «Also tschüss» zu, bevor er weiterjoggte. Zwei von ihnen winkten mit den Flügeln zurück, und er glaubte, ein leises «Ja, auch tschüss» hinter sich hergequakt zu vernehmen.

Das musste er sofort seiner Schwester erzählen! Er lebte mit ihr zusammen in deren Vierzimmerwohnung, nicht weit vom Park entfernt. Der See war vom Balkon aus gut zu erkennen, und als Thomas hochblickte, entdeckte er, wie Verona ihn von dort beobachtete.

ii.

Als Verona abends in die Kneipe kam, saßen Gerd und Sawyer bereits am Tisch. Gerd erhob sich kurz und umarmte sie. Sawyer verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

«Wo ist er jetzt?», fragte Gerd, mit Seitenblick auf den anderen.

«Er protokolliert die Gespräche mit den Enten», antwortete Verona und setzte sich. Sie hatte den Freundeskreis telefonisch über ihren Bruder informiert und zum Beratschlagen einberufen. «Er sagt, in existenzieller Hinsicht unterscheiden sie sich nicht von Menschen», fuhr sie fort.

«Seit wann redet er schon mit denen?», fragte Sawyer. Sein Interesse galt gemeinhin Objekten, die nicht am Leben waren, weshalb er Betriebswirtschaftslehre studierte. Für Enten begeisterte er sich lediglich, wenn sie gewürzt und gebraten auf seinem Teller lagen – und bei Menschen war das nicht viel anders.

«Seit Katja ihn verlassen hat, dreht er wieder durch», sagte Verona.

Sawyer erwiderte lakonisch: «Komisch, dass er mit denen redet, wo ihn Katja doch verlassen hat, weil er ihr erstens nie zuhört, und zweitens, noch schlimmer, nicht mal versteht, was sie erzählt.»

«Ihr müsst mir helfen, dass er zu seinem Arzt geht. Ihr haltet das doch auch nicht für normal.»

«Glauben die Enten an einen Gott, wie wir?», fragte Gerd. «Hat er da irgendwelche Informationen bekommen?»

«Du bist ein Schwachkopf», sagte Sawyer. «An was für einen Gott könnten die denn glauben, häh? An einen mit einem großen weißhaarigen Entenkopf, der ihnen aus dem heiteren Entenhimmel heraus ein ewiges Entenleben verspricht, wo sie von den Wolken herunter ein 'Hosianna' gackern?»

Gerd erhob sich, er bebte. «An einen Gott, der alle Lebewesen liebt – die aus freien Stücken an ihn glauben! Er hat allen den freien Willen gegeben, sich für ihn zu entscheiden; wer aber nicht an den Allmächtigen glaubt, nur der wird durch seine Liebe vernichtet werden!»

Auch Sawyer hatte sich erhoben und gab Gerd mit dem Zeigefinger einen leichten Schubs gegen die Brust.

«Meinst du damit mich, du Schwachkopf? Bist du kein Aldiregal-Einräumer mehr, sondern neuerdings Religionslehrer? Oder sogar Theologieprofessor? Kann ich mir nicht vorstellen, weil: Nicht mal in einer Rotte Warzenschweine wärst du mit Sicherheit der Klügste!»

Gerd näherte seinen Kopf dem des anderen: «Du miserabliger, gottloser, fleischfressender … !» Aber weiter kam er nicht. Verona drängte sich zwischen sie. Sie kannte das. Sawyer und Gerd verhielten sich oft wie zwei Brüder … die einander hassten. Kain und Abel wirkten daneben wie Winnetou und Old Shatterhand. «Leute!», sagte sie und schaute sich im Lokal um. «Bitte! Wir fliegen gleich wieder raus hier! Es geht doch um was anderes!»

Die Männer hielten inne; nach einem kurzen unschlüssigen Moment setzten sie sich wieder. Sawyer griff nach seinem Bier.

«Das meine ich aber auch», sagte Gerd. Und nach einer mittleren Pause: «Und außerdem gackern Enten nicht!»

iii.

Als Frank spätnachmittags nach Hause kam, suchte er gleich seine Frau in der Küche auf. «Ich brauche noch mehr von deinen Hefezöpfen», sagte er ohne vorherige Begrüßung.

«Noch mehr? So viel Hefezopf ist ungesund», sagte Gislind.

«Weiß ich doch», sagte Frank und warf seine Kappe auf den Küchentisch; die Sonnenbrille behielt er noch auf. «Deshalb brauche ich die ja. Ich bring die Enten damit um.»

«Oh nein, Frank, nicht das schon wieder.»

«Die Kohlmeisen, die die Amseln tyrannisierten, letztes Jahr, weißt du noch? Die sind drauf abgefahren, konnten nicht genug davon kriegen, aber dann sind sie nach und nach in Möbiusschleifen geflogen, gegen die Bäume geknallt und haben sich von selbst im See ertränkt.»

«Können wir nicht mal was Schönes machen?», fragte sie. «Was wirklich Schönes, meine ich. Nicht immer was, wo man hinterher blutige Brocken aufsammeln muss. Wir sind noch kein einziges Mal zusammen in ein nettes Café gegangen, seit du in Rente bist.»

«Ich bin ja erst seit … noch nicht mal vierzehn Jahre in Rente. Das machen wir schon noch. – Aber die Enten müssen weg. Die haben einen Plan, das sieht man.»

«Und vorletztes Jahr die armen Hühner auf dem Schliffkowitz-Hof! Und am Ende hatten sie die Stabhandgranaten gar nicht.»

Frank war bereits im Wohnzimmer und startete den Rechner.

«Da … da habe ich mich eben mal geirrt», hörte sie ihn rufen.

Gislind folgte ihm. «Die Enten sind harmlos, Frank.»

«Du gackerst Müll! Aber genau das ist das Problem! Dass alle davon ausgehen, die wären harmlos, nur weil sie nie was tun

«Wie kommst du denn da nur immer darauf … ich weiß gar nicht, ob du mich noch liebst.»

«Bist du etwa schon fertig in der Küche?», fragte er.

Kurz blickte er ihrem Hintern nach, als sie hinauswackelte. Aber nur sehr kurz. Es gab Wichtiges zu bedenken. Er befürchtete, dass Gislinds Hefezöpfe, so tödlich sie auch waren, nicht ausreichen würden, um die heraufziehende Gefahr abzuwenden. Er musste sie alle auf einen Schlag erwischen – daher schwebte ihm etwas Grundsätzliches vor; jammerschade, dass es nötig war, den Park in die Luft zu jagen, um ihn zu retten. Und überhaupt alle, die in Gefahr waren.

Seit Wochen observierte er diese vorgeblichen Enten am See. In seinem Beruf als Mitarbeiter des Versorgungsamts hatte er gelernt, wie man stundenlang regungslos dasaß – scheinbar bewusstlos in seinem Büro – aber in Wirklichkeit alles registrierte, was außen herum vor sich ging; wie die Fliege über die Tastatur kroch und wie die kleine Pfütze verschütteten Kaffees vom Morgen langsam eintrocknete. Ihm war aufgegangen, was mit dem Geflügel los war. Es strebte die Macht über Neustadt an – und die Macht über den Park war der erste Schritt auf diesem Weg; erst der Park, dann die Stadt, dann die Weltherrschaft.

iv.

«Verona sagt, ihr möchtet mir ein paar Fragen stellen?» Thomas saß am Wohnzimmertisch, legte seine Aufzeichnungen beiseite.

«Naja», sagte Sawyer und ließ sich auf den großen Sessel fallen. Seine Oberlippe war aufgeplatzt. Er warf einen Blick auf sein Mobiltelefon. Eigentlich liefen gerade die Börsennachrichten im Fernsehen.

Gerd machte an der Tür Platz für Verona, die an ihm vorbei zum Fenster ging.

Er begann nach einigem Zögern: «Wir hätten gern gewusst, Thomas, was die Enten dir sagen. Vielleicht sagen sie ja was … Bestimmtes …»

Thomas holte Luft, seufzte. «Naja. Gestern sagten sie: ‹Quak-quak, quaak-qua-qua, qui-quo qua-quaak-quwok›.»

«Und was heißt das, ich meine – übersetzt?», fragte Gerd.

«Das ist entisch», erwiderte Thomas. «Und es heißt ...» Er machte eine Pause von drei Sekunden. «Quak-quak, quaak-qua-qua, qui-quo qua-quaak- …»

«Na klar», unterbrach Sawyer.

«Hört auf!» Verona hob die Arme. «Er kann die Enten nicht verstehen – niemand versteht die Enten.»

«Klar», sagte Sawyer. «Aber gestern hat er doch noch Wörter verstanden. Was auch nicht verboten ist. – Und wenn dieser Schwachkopf nicht dabei wäre …» Er deutete auf seinen Blutsbruder.

Verona durchbohrte Sawyer mit einem ärgerlichen Blick. Mit ihm zu diskutieren, war mitunter kompliziert. Da war es einfacher, mit den Füßen eine Orange zu schälen.

«Haben sie nichts … Bestimmtes gesagt? Über irgend was?», fragte Gerd und ballte die Fäuste. Dann leuchteten seine Augen; was selten vorkam – eigentlich nur, wenn er eine Idee hatte (oder fast eine). «Warum gehen wir nicht alle zum See? Vielleicht wissen die Entenvögel was Interessantes?»

«Wer will schon was Interessantes wissen?», hob Sawyer an und stocherte mit seinem Blick in Gerds Gesicht. Immerhin zierte jetzt ein sattes Veilchen dessen linkes Auge, dort, wo der rechte Haken der Realität ihn getroffen hatte. Er setzte die Analyse fort: «Außerdem wissen die gar nichts, was sollen die wissen? Wahrscheinlich meinen die sogar, dass das ihr Park ist, blöd wie sie sind. Gar nichts wissen die, und auch nichts Bestimmtes, Schwachkopf! Die wissen noch nicht mal, dass sie deutsche Enten sind und in Deutschland an einem deutschen See leben.»

«Wieso deutsche Enten? Vielleicht sind das auch Enten mit Migrationshintergrund», sagte Verona mutlos.

Gerd schaute fragend zu Thomas, doch der schüttelte den Kopf.

Verona dachte über Gerds Vorschlag nach. Womöglich gab es eine Chance, Thomas in die Normalität zurückzuführen; wenn sie alle mitmachten, sich darauf einließen und aufrichtiges Interesse für Thomas Enten vorgaukelten. In die Normalität zurückzuführen, als ob er da jemals gewesen wäre.

«Wisst ihr was?», sagte sie zu Thomas. «Wenn du morgen bei ihnen bist, besuchen wir dich dort – und dann unterhalten wir uns alle vier … zusammen mit den Enten, wie wir es sonst auch immer machen! Was hältst du da davon?»

v.

Smykalla betrat die Polizeiwache und grüßte seinen Kollegen. «Unser Job wird immer sinnloser. Warum zum Teufel bin ich nicht einfach Obstverkäufer geworden? Das hätte wenigstens meiner Mutter gefallen.»

«Geht es wieder um die Alte mit dem Fernglas? Die sich über die fast Nackten aufregt?», fragte Hartinger und wandte den Blick vom Bildschirm des Computers zum Kollegen. «Im Freibad?»

«Nein», sagte Smykalla. «Dieses Mal war es der Kinderspielplatz. Eine Mutter hat angerufen; sie und ihre kleine Tochter werden von einem Asylanten belästigt, der im Gebüsch sitzt und obszöne Handlungen durchführt.»

«Und? Hast du ihn ordentlich in die Mangel genommen?»

«Ne, Fehlalarm. Das war überhaupt kein Asylant, sondern nur der Religionslehrer der Schule nebenan. Hab ihn verwarnt und weggeschickt. – Wie ich das hasse, wenn ich wegen nichts und wieder nichts durch die Gegend muss.»

«Es kam ein Anruf rein, als du weg warst», sagte Hartinger. «Du weißt schon, von deinem Freund. Dem aus dem Park.»

«Mein Freund Frank? Meint er wieder, die Kohlmeisen haben ein höheres Bewusstsein?»

«Nein. Diesmal nicht, diesmal betrifft es … Enten. Er sagt, er wird da jetzt was unternehmen – was Militärisches

«So ein Bullshit! Nichts und niemand in dieser Stadt hat ein Bewusstsein, kein niedriges, kein hohes, ob es das Verkehrsschild an der Straße, der Penner an der Ecke oder der Bürgermeister in seiner Burg ist», sagte Smykalla. «Aber wir müssen leider hin, und du kommst mit!»

«Aber ich …»

«Gleich!»

vi.

Frank schrieb die E-Mail (mit der Begründung der Notwendigkeit der durchgeführten strategischen Maßnahmen) an den Bundesnachrichtendienst noch fertig und sendete sie, wies danach die Spargelcremesuppe zurück, die Gislind ihm brachte (er bekam ohnehin Nasenbluten von ihr), erhob sich und schulterte den Rucksack mit der taktischen Fusionsrakete samt Abschussvorrichtung, die er im Internet erstanden hatte. Den Stahlhelm hatte er schon auf dem Kopf.

«Und was ist mit dem Abendessen?», fragte Gislind.

«Es geht nicht um das Abendessen, sondern um die Sicherheit in unserem Land», erwiderte Frank. Er war schon an der Tür und dann draußen, bevor Gislind ihm hätte antworten können.

vii.

Gerd, Sawyer und Verona fanden Thomas am See, inmitten der Entenschar. Als er sie erblickte, winkte er ihnen zu und rief: «Kommt her!»

Die Enten wandten ihre Köpfe zu den Neuankömmlingen. Der Hauptsprecher der Enten schenkte Thomas einen fragenden Blick, sagte aber nichts. Thomas hatte ihn 'Willi' getauft.

«So, da sind wir jetzt», sagte Verona nervös. «Bei dir und deinen … Bekannten …»

Sie setzte sich ins Gras. Gerd, der anlässlich des freundschaftlichen Gesprächs am Vortag einen Kopfverband trug, half Sawyer behutsam beim Hinsetzen und legte dessen Krücken sanftmütig neben ihn. Dann ließ auch er sich nieder. Die Enten machten ein wenig Platz. Die Sonne stand schon tief.

«Und, was gibt’s Neues von den Viechern?», fragte Sawyer, nachdem er allen zugenickt hatte.

«Nun ja», antwortete Thomas. «Willi hier hat mir erzählt ...», er zeigte auf eins der Vogeltiere, «dass dort hübendrüben greift Wolken in den verschiedenen Paarungen oder drei oder sieben bis Gelbe Rüben von Menschen, die unabhängig voneinander zwischen den Köpfen, wobei wie alles in und durch-einander-zueinander auch mit deusig geklont und mit einander immer wieder quön-qua mit in quokelige Qui-qui-qui-qua-Quoquak durch quakige Quokelungen itik gequongelt.»

Nach kurzem Überlegen sagte Verona spontan: «Ja sicher! Logisch, oder? Sie sagen ja damit, dass … was … praktisch … wir alle … von uns ... sich jeder auch manchmal so dahin denkt, stimmt's?»

«Klar!» Sawyer nickte.

Doch Thomas schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht. Das alles ist bestimmt in übertragenem Sinn gemeint. So wie in der Bibel.»

Die Enten nickten. Gerds Augen leuchteten auf wie zwei Sternschnuppen am Himmel (eins mehr, eins weniger), und er wollte auch zusätzlich zu sprechen anheben, aber dann

plötzlichst

purzeln die Ereignisse übereinander, und er kommt nicht mehr dazu.

Es beginnt damit, dass Verona mittendrein ruft: «Was ist das denn? Schaut da!» Alle menschlichen und entischen Köpfe drehen sich in die Richtung, in die sie zeigt. Noch etwa zweihundert Meter entfernt, trabt eine Gestalt auf sie zu, die einem imperialen Sturmtruppensoldaten aus 'Star Wars' gleicht: weißer Helm, weiß gepanzerte Rüstung. Sie trägt einen riesigen Rucksack auf dem Rücken. In noch etwa hundert Metern Entfernung hält der Sternenkrieger an, wuchtet den Rucksack auf den Boden und öffnet ihn.

Die Enten schnattern plötzlich aufgeregt durcheinander.

Thomas schnappt auf, dass von einem Birnenkuchen die Rede ist.

Frank kniet inzwischen auf dem Boden und schraubt an einem sperrigen Gerät herum, in dessen Abschussrohr er schließlich eine Rakete platziert – mit dem Sprengkopf in ihre Richtung. Dann hebt er ein Megafon an den Mund.

«Invasoren!», ruft er. «Ihr seid enttarnt! Es gibt kein Entkommen! Keiner von euch kommt hier lebend raus!»

«Meint er uns?», sagt Gerd. Und dann: «Wir haben doch nichts Böses getan!»

«Schnell weg von hier!», ruft Verona und will sich erheben. Gleich darauf hört sie die Polizeisirene, sieht, wie ein Streifenwagen mit Getöse den Fußweg heranbraust und, etwa einen Ballwurf weit vom Krieger entfernt, mit einem Ruck stehen bleibt. Dann, wie zwei Polizisten herausspringen und in Deckung gehen, als der Weißgepanzerte mit seiner Maschinenpistole eine Warnsalve in die Luft ballert.

«Haltet ihr euch raus!», schreit Frank. «Ich erledige das allein! Ich vernichte sie alle! Der Nachrichtendienst ist informiert!»

Die Parkbesucher, die sich auf den Wiesen sonnen, packen hastig ihre Sachen zusammen. Am besten gehen sie schnell nach Hause, wo es ruhiger ist – und von wo aus die Welt höchstens draußen untergeht.

Sawyer hat sich flach auf den Boden gelegt und beobachtet das Geschehen. Längst hat er seine Meinung über den Park geändert und hält ihn nicht länger für langweilig. Zwei der Enten haben unterdessen, aus einem Loch hinter einem Gebüsch, eine Kiste gezerrt, die sie flugs öffnen. Anschließend verteilen sie die Uniformen, die sie ihr entnehmen. Die Willi-Ente hat außerdem ein Funkgerät herausgenommen, hantiert damit herum, stellt offenbar eine Verbindung her und quakt danach im Stakkato in das Mikrofon.

«Was sagt die Ente da?», fragt Gerd. Doch Thomas schüttelt den Kopf. Sie hören die Stimme des Polizeibeamten Smykalla, ebenfalls durch ein Megafon gebrüllt:

«Die Waffe zu Boden und weg vom Raketenwerfer! Sofort, oder wir schießen eventuell!» Zu Hartinger raunt er: «Funk nach Verstärkung, das sieht nicht gut aus!» Hartinger nickt und kriecht zum Wagen zurück.

«Seht ihr das auch?», fragt Thomas und blinzelt.

Die Enten tragen jetzt Raumschiffuniformen, schwarze Hosen, rote Trikots mit silbernen Abzeichen.

Die anderen sehen das auch.

«Und seht ihr das auch?», fügt Sawyer hinzu und zeigt zum Firmament, wo sich aus großer Entfernung ein Flugkörper nähert. Die anderen sehen das auch, sie nicken mit offen stehenden Mündern. Das heranfliegende Ding hat die ungewöhnliche Form einer Schnabeltasse und wird langsam größer und größer. Nachdem er sich von dem Anblick losgerissen hat, erfasst Sawyers schweifender Blick außerdem eine ältere, dicke Frau mit Picknickkorb; diese eilt watschelnden Schritts zu dem Mann mit dem mobilen Raketenwerfer und hat ihn fast erreicht.

«Was willst du denn jetzt hier?», schreit Frank, als er seine Gattin gewahrt. «Ich habe keinen Hunger!» Aus den Augenwinkeln bemerkt er, wie Smykalla durchs Gras auf ihn zurobbt, und schickt mehrere Feuerstöße in dessen Richtung. Dann greift er nach dem Raketenwerfer und zielt auf die Enten- und Menschengruppe am Seeufer. Smykalla entschließt sich aus Sicherheitsgründen, das Feuer taktisch nicht zu erwidern, sondern lieber auf die Verstärkung zu warten, die in drei oder vier Stunden eintreffen sollte. Gleich darauf erspäht auch er das Flugobjekt; und er bemerkt, dass Hartinger das Polizeifahrzeug erreicht hat, eingestiegen ist und damit flüchtet. Mit einem Seufzen denkt er an Äpfel und Birnen, überlegt kurz, auf Hartinger zu schießen, legt dann aber die Pistole weg und beginnt mit geschlossenen Augen zu beten.

Frank klappt die Abdeckung der Auslösevorrichtung auf.

«Aber du musst doch was essen, Frank!», sagt Gislind. «Es ist ungesund, wenn man nicht zu Abend isst!»

«Was ist hier los?», fragt Thomas die Anführer-Ente, doch diese, mittlerweile mit Kopfhörer ausgestattet, ignoriert ihn, ist weiter auf das Funkgerät fokussiert.

Gerd ist ohnmächtig geworden vor Glück; weil er «verdeutlicht vor Augen geführt bekommen hat, dass die Enten einen Gott haben»; Verona versucht, ihn wach zu bekommen und schüttelt ihn. Ihrer Meinung nach ist es wichtig, so schnell wie möglich so weit wie möglich von jenem Gott wegzukommen. Das V-W-I-O (very well identified object) wirft seinen gewaltigen Schatten über sie alle; es steht dreißig Meter über ihren Köpfen in der Luft und brummt wie aus der Tiefe eines Bergwerks. Die Unterseite leuchtet schwarz, vereinzelt blitzen dunkle Stellen auf (schon klar, das klingt unwahrscheinlich). Die Entenschar am Boden hat sich in Flugformation aufgestellt, die Köpfe nach oben gereckt.

Frank justiert den Werfer auf das neue Ziel; endlich ergibt das alles einen Sinn. Aus den Augenwinkeln sieht er, wie Gislind entgegen seinem Willen die Picknickdecke ausbreitet, ihm den Pfirsichtee eingießt und den Apfelstrudel schneidet.

Thomas hat Willi nicht aus den Augen gelassen.

«Wir sind erwacht», erklärt ihm die Ente. «Und wir kommen in Frieden. Und wir gehen auch wieder in Frieden. Wir haben nicht die geringste Lust, hier zu bleiben.»

«Du sprichst ja wundervoll Deutsch! Das ist ja unglaublich!», antwortet Thomas, mit Tränen der Freude in den Augen. Er versteht sie! Endlich versteht er die Enten!

Nur bekommt er auf seinen Satz nichts mehr erwidert. Sowohl Willi als auch der Rest des Federviehs werden durchsichtig und lösen sich innerhalb von drei Sekunden in Luft auf. (Anmerkung für alle, die noch nie was von Scotty gehört haben: Ein Molekularstrahl hat den Entenschwarm erfasst und beamt ihn nach oben ins Entenschnabel-Raumschiff.) Kurz darauf sieht Thomas, was mit Verona, Sawyer und Gerd passiert. Dann löst auch er sich auf, in 10 hoch 27 Einzelteile seines Körpers, die in die Höhe verschwinden.

Das Schiff gibt einen heulenden, markerschütternden Ton von sich und startet mit einem Höllentempo Richtung Stratosphäre; es entkommt nur knapp, denn …

Frank hatte die Fusionsrakete eine Sekunde zuvor auf den Weg geschickt. Und das ist lange noch nicht alles! Es werden noch weitere, noch schlimmere Befürchtungen wahr!

viii.

Der Entenkommandant des Raumschiffs, Quack Wuckler, begrüßte die Klongruppe an Bord. Im Hintergrund, auf einem Bildschirm, zeigte ein heller Fleck an, wo Neustadt auf der Planetenoberfläche gelegen hatte.

«Zum Glück waren wir schon im Orbit», sagte der Kommandant.

«Die Menschen haben uns enttarnt», berichtete Willi. «Jedenfalls zwei von ihnen. Wir haben das erst spät begriffen. – Habt ihr sie erwischt?»

«Ja. Alle. Sie sind in den anderen Transporterräumen.»

«Wundervoll! Sind Sie wohlauf?»

«Ja. Wir setzen sie alle zusammen irgendwo auf der Erde ab, wo noch Platz ist; damit sie ihre Stadt wieder aufbauen … und dann wieder zerstören können – so oft, wie erforderlich.»

«Jeder verdient eine zweite Chance.»

«Kaum zu glauben, aber wir haben vorderhand doch noch das Happy End erreicht.»

«Vermutlich ist das immer so, wenn Enten mitspielen.» 'Willi' lachte; die anderen stimmten quakvoll ein. Dann watschelten sie gemeinsam durch die Tür hinaus, die sich mit einem Zischen hinter ihnen schloss.

12 Kommentare

  1. Ich fand die Geschichte sehr entzückend. Allerdings fehlt hier komplett das Kuckuckskind.

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  2. Sehr süß! Kosmische Enten in verdeckter Mission.
    Muss mich aber anschließen: der Kuckuckskind-Aspekt fehlt!

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  3. Warum fehlen die Kuckuckkinder denn??? Meint ihr – wenn ich richtig verstehe tarnen die Alien die Kinder nicht als Mensch sondern als Erde-Enten. Bisher am besten geschrieben aber ich habe auch erst ungefahr 10 bis 12 gelesen sind viele!

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    1. Es dauert verdammt lange, die Geschichten zu lesen. Zusammen ergeben sie ja ein Buch mit ca. 1.500 Seiten. Und man muss sich immer wieder neu hineindenken. Mehr als vier am Tag schaffe ich nicht. Habe jetzt ca. 40. Keine Ahnung, wie Axel und Beatrice es geschafft haben, das alles zu vertonen.

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    2. Es sind leider auch nicht alle kurzweilig, spannend, amüsant, sondern manche unverständlich, verwirrend, ohne Absätze. Die muss man mehrmals lesen. Ein paar leider auch dröge. Ich sehe es als meine Pflicht, alle zu lesen, wenn ich schon die Chance auf diesen Wettbewerb habe, aber Spass macht es mir bei dieser Masse keinen mehr. Das ist schon Arbeit. War letztes Mal noch ganz anders.

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    3. Stresst euch mit den Geschichten nicht Leute! Der Wettbewerb läuft noch eine Weile. Wenn man völlig genervt vor dem Bildschirm hockt und die Geschichten nur aus zwang liest, dann tut ihr weder euch, noch den Autoren oder den Geschichten einen gefallen. Meine Tipps:
      1. Macht zwischen den Geschichten immer eine kurze Pause (5 - 10 Minuten)
      2. Wenn ihr merkt das eure Konzentration nachlässt oder ihr Genervt seit, macht morgen weiter.
      3. Wenn eine Geschichte anstrengend zu lesen ist, dann hört euch die Hörspielvariante an. Das ist weniger anstrengend und ihr könnt die Geschichte trotzdem fair bewerten.
      4. Macht die "Bewertungszeit" zu etwas angenehmen. Macht euch ein Heißgetränk eurer Wahl (oder sogar ein Gläschen Wein oder ähnliches wenn Ort und Zeit es hergeben), kuschelt euch ein, knabbert nebenbei etwas, schöne Musik, vielleicht sogar eine Kerze ... macht das ganze gleich viel Angenehmer, meiner Meinung nach.
      5. Vergesst nicht, dass wir alle zum Spaß hier sind. Wir sind alle begeisterte Leser oder sogar selbst Autoren. Lasst uns unsere Kunst gemeinsam feiern und diese kleine Gemeinschaft genießen.

      Das wars, glaube ich ... habt noch einen schönen Tag Leute! Und viel Kreativität an alljene, die gerade schon wieder an ihrer nächsten Geschichte schreiben.

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  4. Lustiger Klamauk. Aber in der Kategorie Reflektion konnte ich nicht viele Punkte geben!

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  5. Abgefahren! Und endlich eine Geschichte mit Spannung, was vielleicht dran liegt, dass man nicht so schnell erkennt, wo der Hase langläuft. Auch bin ich anderer Meinung, was 'Reflektion' betrifft. In dem Text gibt es mehrere Ebenen, die unsinnig-klaumaukige an der Oberfläche, aber weiter unten stecken einige schöne satirische und politische Ideen, die viel Aktualität haben; außerdem hat die Geschichte einigen Subtext, da könnt man viel dran analysieren. Unter anderem Umgang mit der Realität, Schubladendenken. Schön, dass hier die vermeintlich 'Irren' richtig beobachten, was nicht heißt, dass sie auch richtig interpretieren. Herrlich.
    Allerdings sind die Figuren zum Teil nicht anschaulich charakterisiert und die Szenen wirken ein wenig nach 'Sitcom'. Die Schwester und der zweite Polizist bleiben dünn, aber in satirisch zu verstehenden Geschichten dienen Figuren oft als Träger von Ideen.
    Geschrieben ist das gekonnt und damit auch unterhaltsam, hie und da musste ich sogar lachen. Keine Comedyshow, aber im Vergleich hier doch auffällig witzig (allerdings habe ich viele noch nicht gelesen). Da verkrafte ich auch die Logikschwachstellen (Wie können Enten eine Kiste öffnen?), es soll ja absurd sein.
    Originell finde, dass die Aliens ihren Nachwuchs nicht in ein menschliches Nest legen, sondern in ein tierisches (als Enten getarnt!), und somit Menschen, wie auch immer die agieren, ganz uninteressant für sie sind. Dafür einen Extrapunkt.

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  6. Eine sehr absurde Geschichte. Hat Spaß gemacht zu lesen! Der Schreibstil ist angenehm und passt gut zu einer humoristischen Geschichte wie dieser, allerdings würde ich empfehlen das nächste Mal die Bemerkungen in den Klammern wegzulassen, da diese einen etwas aus dem "Flow" der Geschichte raus reißen. Ich hätte gerne mehr über die Aliens erfahren, dass dieses Thema so oberflächlich bleibt obwohl diese Eltern-Kind Thematik ziemlich elementar für diese Ausschreibung ist, ist etwas schade. Dafür sind die verschiedenen Charaktere äußerst unterhaltsam und die gesamte Idee ist einfach nur originell!

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  7. Eine Aneinanderreihung von Surrealitäten. Irgendwann gab ich es auf, eine fortlaufende Story darin zu sehen und ließ mich auf die witzig geschriebenen Kleinigkeiten ein. Das Thema ist nicht getroffen. Nichtsdestotrotz musste ich des öfteren laut auflachen und genoss das Chaos.

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  8. Erst dachte ich, dass Thomas der nächste Dr. Doolittle ist, aber die Auflösung kommt tatsächlich überraschend. An einigen Stellen musste ich aufgrund der Absurditäten auch schmunzeln. Allerdings sehe ich hier das Thema verfehlt. Es sollte um Kuckuckskinder gehen, nicht um Entenküken.

    Einige der Charaktere sind zudem äußerst fragwürdig. Über Sawyer heißt es: „Für Enten begeisterte er sich lediglich, wenn sie gewürzt und gebraten auf seinem Teller lagen – und bei Menschen war das nicht viel anders.“ Der Zusatz impliziert, dass er Kannibale ist! Und Gerd scheint ein religiöser Fanatiker zu sein: „wer aber nicht an den Allmächtigen glaubt, nur der wird durch seine Liebe vernichtet werden!“ Ah ja, durch Liebe vernichtet.

    Den Vogel schießt aber im wahrsten Sinne des Wortes Frank ab. Warum der mit seiner krankhaften Paranoia nicht längst in einer Geschlossenen sitzt, ist nicht zu begreifen. Er hat die Hühner eines Hofes komplett ausradiert und wurde dafür nicht mal vom Bauern angezeigt? Und wo hat der Rentner einen Raketenwerfer mit Fusionsraketen her? Ich kann mir das Ganze nur als Cartoon vorstellen, sonst funktioniert das nicht!

    Immerhin der Schreibstil ist okay. Nur das Wort „plötzlichst“ gibt es nicht!

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  9. bin ratlos bei solch Kommentar. Satire ist eine aussterbende Kunstform. Weil Leute, die sie lesen können, das werden immer weniger. Alle Handlungen und Personen in der Geschichte kann man doch eigentlich unmöglich als was anderes sehen als satirische Spitzen. Da kann man doch nicht fragen, wo der Raketenwerfer her ist, das ist ja der Witz dran. Und dass der Gotte der Liebe so einiges vernichtet hat in der Bibel, zwar eigentlich trotz seiner eigentlichen Liebe, das Irre ist ja das Normale und genau darum gehts meiner Meinung nach in der gesamten GEshcichte. was ist halten wir für normal. Muss bei solchen KOmmentaren immer schlucken. Ist ja nicht der einzige hier mit solchem Bierernst.

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