DACSF2025_07

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Langemanns Leid

„Ich stehe hier, ich kann nicht anders“.

Ha, Luther hätte schon anders gekonnt, als er den Satz aussprach. Aber ich nicht. Seit unendlich vielen Tagen und Jahren stehe ich hier. Zum Glück hat mir niemand einen Schubkarren oder eine Angel in die Hände gedrückt, wie den anderen wortlosen Banausen rings um mich herum. Ich kann freistehen und meine Umgebung beobachten. Warum ich hier verdorre? Keine Ahnung.

So sehr ich mir mein Gehirn zermartere – ich habe keine Erinnerung an die Zeit vorher. Meine Erinnerung setzt erst ein, als ich plötzlich auf diesem Stückchen stinkender Erde stand und das Letzte, was ich hörte, war: »Du bist ab jetzt Langemann sechs«.

Wobei das mit dem „sechs“ nicht so eindeutig definiert war. „6“? oder „Sex“?

Ich kann an meinem Körper nicht hinuntersehen. Mein Hals ist starr. Gefühlt ist es nicht „Sex“, aber das macht es nicht einfacher. Abseits von meinem Hals fühlt sich alles nach nichts an. Nur mein Kopf lebt, also mein Gehirn. Wenn ich mich vorstelle, starren alle auf meinen unteren Körperteil. Der mit dem „Sex“, denken sie. Nur ich spüre nichts davon, wenn mich die Regenwürmer anstarren, Maulwürfe, Grillen, Bienen, Schmetterlinge und Spitzmäuse. Die einzigen, die mich nicht beachten sind die mit den Schubkarren und Angeln neben mir.

Ich habe eine Art Freundschaft mit den Tierchen geschlossen. Nicht nur aus Langeweile und Verzweiflung. Ich mag sie tatsächlich gern. Denn ich kann ihnen zuhören. Der einzige Zeitvertreib, den ich habe. Könnte ich etwas auf der Welt beeinflussen, würde ich mich für sie einsetzen. Humus aufschütten, Moore renaturieren, keine Ahnung, was man noch machen kann. Ich bin ja festgezurrt. Seit Jahren. Meine einzige Infoquelle sind die Lebewesen um mich herum.

Und die sind seit drei Tagen aufgeregt. Ein Wissenschaftler arbeitet daran, mit KI die

Sprache der Tiere zu übersetzen. Eine Akademie in den „Vereinten Staaten von Amerika“ hat bereits die Sprache von Fledermäusen und Pottwalen ausgelotet. Wer alle Tiersprachen entschlüsseln kann, erhält 10 Millionen Dollar.

»Ein Witz« monieren die Fliegen. »Lächerliche 10 Millionen für das unschätzbare Wissen unserer Genialität!«

»Sauerei« sagen die Würmer. »Niemand geht es etwas an, wenn wir Beziehungsdifferenzen haben«

Unter uns: Würmer sind Zwitter. Aber Zoff haben sie ständig untereinander, wie ich mitbekomme und wollen den lieber peinlich »hinter dem Zaun« halten.

»Unverschämtheit«, empören sich die Wühlmäuse. »Da proklamieren die immer etwas von ›Datenschutz‹ und halten sich selbst kein bisschen daran!«

Dass ich sie verstehen kann, stört sich nicht. Schließlich stehe ich seit Jahren – vielleicht schon Jahrzehnten – hier. Als lächerlicher Langemann sechs.

Manchmal laufen Menschen an mit vorbei und lachen sich krumm und Schepps, wenn sie auf mich deuten. Ich hasse sie. Sollte ich jemals irgendetwas zu sagen haben, werde ich die Menschheit ausrotten und die Tierwelt werde ich fördern. Versprochen. Aber das sind meine Tagträumereien. Ich bin ja festgepinnt.

Das sind so Gedanken, wenn man einfach nur rumsteht. Wie ich mein Dasein hasse. Ich kann nicht mal einen Arm heben, um mich am Kopf zu kratzen. Wer hat mir das nur angetan?

Meine Gedanken fließen wieder zu meinen tierischen Freunden. Neulich kam ein Waschbär in der Nacht vorbei. Baute sich vor mir auf.

»Wer bist du«, frage ich.

Er putzte sich verwundert seine Augen.

»Ein Waschbär«, was sonst?

»Ich meine, wie du heißt?«

»Namen sind bei uns nebensächlich. Wie heißt du denn?«

»Langemann sechs«

Der Blick vom Waschbär glitt an meiner Figur langsam und genüsslich zweifelhaft hinunter.

»Sex?«

Der Waschbär ließ keinen Zweifel an meiner für ihn offensichtlichen Unmännlichkeit. und leckte sich vergnüglich die Schnauze. Dann verließ er das Terrain. Seufz. Schon wieder eine Demütigung mehr. Warum verdammt, wurde ich hier auf diesem Komposthaufen abgestellt. Und mit diesem Scheißnamen!

Ich würde ja nichts sagen, wenn ich Langemann sieben, acht oder neun wäre. Alles besser zu ertragen als sechs. Oft grüble ich, wer meine Eltern sind. Die beiden neben mir mit der Angel und der Schubkarre auf jeden Fall nicht.

Ab und an kommt ein alter Mann heraus. Er gießt den kleinen Vorgarten und spült auch über mich und die anderen neben mir Wasser, um uns sauber zu machen. Sagt kein Wort zu uns. Wenn ich mir vorstelle, dass ich den bewachen soll, würde ich mich schütteln, wenn ich es denn könnte.

Die Tiere sind noch immer hellauf in Rage darüber, dass ihre Sprache entschlüsselt werden soll. Ich versuche sie zu beruhigen.

»Vielleicht werden eure Anliegen dann ernster genommen? Ihr bekommt mehr

Schutz und Beachtung«, ist meine Beschwichtigung. Die Biene glaubt mir kein Wort.

»Ha! Die hören uns ja nur ab, um uns noch mehr auszubeuten. Weißt du eigentlich, dass wir immer Wildbienen waren, bis sie uns gezwungen haben, in Stöcken zu leben und unseren Honig abzugeben?«

»Nein, das wusste ich nicht. Seit wann ist das denn so?«

»Seit ungefähr siebentausend Jahren müssen wir für die Menschen malochen.«

Das tut mir sehr leid und ich verspreche sofort: »Wenn ich jemals auf irgendeine Art Macht bekommen werde, dann rotte ich die Menschen aus und helfe euch.«

Hinterher schäme ich mich für meine Großspurigkeit. Wie um alles in der Welt soll ein Langemann sechs (sex?) ›ich zweifle langsam selbst an meinem Namen‹ irgendwann und irgendwie Macht ausüben?

Zum Glück gibt es noch Familie Maulwurf. Die sind immer so innig. Eine schöne Abwechslung in meinem starren Einerlei. Aber heute haben sie Zoff untereinander.

Es geht wieder um das neue Projekt, die Tiersprachen per KI zu übersetzten. Frau Maulwurf schreit empört »Ich will nicht abgehört werden. Die hören dann alles. Auch was zwischen uns intim passiert!«

»Ach, wen interessiert das schon, was wir uns zuflüstern?«

»Mich würde das schon interessieren.«

»Du Ekel!«

So geht es den lieben langen Tag dahin, bis etwas Außergewöhnliches passiert. Ich quatsche gerade noch mit einer Libelle, als ich ein ungewöhnlich lauten Geräusch über mir vernehme.

Ich versuche verzweifelt, den Kopf zu heben. Vergeblich wie immer. Dann spüre ich kalte Greifarme, die mich packen und von meinem erdigen Standort hochziehen. Plötzlich habe ich das dringende Verlangen, bei den anderen neben mir mit der Angel und der Schubkarre zurückzubleiben. Doch die kalte Zange hat kein Erbarmen und krallt sich in meinen starren Körper. Irgendjemand bindet mir ein Tuch über meine Augen. Jetzt bin ich völlig hilflos.

Die Augenbinde wird erst wieder abgenommen, als ich zusammen mit fünf anderen Kandidaten auf einer Bühne stehe.

Blinzelnd sehe ich in eine Menge von wabernden Wesen, die voller Begeisterung klatschen.

Dann höre ich hinter mir mit Megaphonlautstärke eine Stimme: »Und unser neuer

Regent über das Universum wird entweder Langemann eins, Langemann zwei, Langemann drei, Langemann vier, Langemann fünf oder Langemann sechs.«

Ich kann meinen Kopf drehen, bin beweglich. Auch meine Geschwister sind Gartenzwerge. In unseren Augen steht Liebe füreinander.

Dann tritt ein Typ, der einen Wesir ähnelt auf die Bühne. Er hat einen Würfel in der Hand, der circa 30 mal 30 Centimeter misst. Trommelsalut. Erst jetzt begreife ich die Bedeutung.

Er wirft den Würfel hoch in die Luft. Er landet mit einer Sechs obenauf.

Applaus. Großer Applaus.

Jetzt muss ich alle meine Versprechen einhalten.

3 Kommentare

  1. Eine gute Geschichte, aber leider wurde das Thema verfehlt.

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    1. Warum meinst du das? Der Gartenzwerg ist ein auf der Erde aufgesetzter Alien, der bis zu seiner Abholung nichts davon wusste. Das war doch die Aufgabe in der Storyausschreibung.

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  2. In Zukunft werde ich freundlich zu allen Gartenzwergen sein. Man weiß ja nie ... Sehr schöne Geschichte.

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