Aliens auf der Alb
vonWolf-Ulrich Schnurr
Anmerkung von Axel Aldenhoven: ich möche diese Geschichte etwas hervorheben, was ich in der aufregenden Live-Show vergessen habe bei all dem Troubel. Die Geschichte hat spannende gesellschaftskritische Elemente, die an die Arbeit der Strugazky-Brüder erinnern, besonders durch die Art, wie sie menschliches Verhalten und bürokratische Absurdität darstellen. Die Reaktionen der Menschen auf die Außerirdischen, von Angst über Bürokratie bis hin zu Misstrauen, sind treffend beschrieben und regen zum Nachdenken an.
0.
Mit hoher Geschwindigkeit trudelte das Raumfahrzeug auf den Planeten zu. Seine Insassen bemerkten große Trümmer in der Umlaufbahn im Voraus rechtzeitig, und das Steuerwesen konnte diesen ausweichen. Doch als die dichteren Schichten der Hohlkugel aus Schrottteilen durchflogen, waren Treffer zahlloser kleiner Bruchstücke nicht mehr zu vermeiden. Die Schäden an der Außenhülle waren beträchtlich. Die Furcht der Insassen, die Hitzeabschirmung würde nicht ausreichen, verflog erst, als das Fahrzeug endlich so weit abgebremst war, dass sie nach einem Landepunkt suchen konnten.
Ihre Reise hatte mehrere ihrer Heimatjahre gedauert. Anderen Lebewesen zu begegnen war ihre Aufgabe, Neugierde ihr Antrieb. Und zu entdecken gab es auf diesem Planeten vieles, das hatten die Beobachtungen aus der Ferne gezeigt. Vielleicht waren die Eingeborenen weit genug entwickelt, um sich mit ihnen zu verständigen. Zwar hatten sie es noch nicht geschafft, ihre Heimatsonne hinter sich zu lassen, doch den Raumflug beherrschten sie bereits.
Allerdings, überlegte der Kommandant des Raumschiffs; vielleicht war es besser, dass die Eingeborenen auf die unmittelbare Umgebung ihres Planeten beschränkt waren: Die Schadensmeldungen an seinem Raumfahrzeug und die Atmosphärenmessung bewiesen, dass sie nicht nur große Bereiche ihrer Heimatwelt mit Gift und Müll bedeckt hatten, sondern bereits die Umlaufbahn derart mit Unrat blockiert, dass sie kaum noch in den Raum starten konnten. Falls sie das nicht absichtlich machten – und dem Kommandanten war außer Selbsthass einer ganzen Lebensform kein Grund dafür eingefallen – mussten sie viel weniger intelligent sein als ihr technischer Entwicklungsstand erwarten ließ.
Er ärgerte sich über die Schäden an seinem Raumfahrzeug. Aber es half nichts, er musste eine Entscheidung treffen: Abbruch oder Landung? Sie waren so weit gekommen, und die Ortungsstrahlen der Eingeborenen hatten sie bereits erfasst.
Er gab der Besatzung Anweisungen: Wir suchen einen Platz zur Landung, etwas abseits dichter Besiedlungen, in einer gemäßigten Klimaregion des Planeten. Wir warten darauf, dass die Eingeborenen Kontakt zu uns suchen. Wir verlangen nichts. Wir geben nichts, außer grundlegenden Auskünften über uns. Wir sammeln Wissen über die fremden Lebewesen.
1.
Der Abteilungskommandant Florian Bleyer stand wie festgewachsen am Rand des Tals. „Brandeinsatz, Alarmstufe 1: unklare Rauchentwicklung auf Freifläche im Biosphärengebiet“, hatte die Leitstelle gemeldet. Er und seine Kameraden im Löschfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr waren als erste vor Ort.
Die Sonne ging gerade auf. Ihr Licht reichte noch nicht hinab ins Tal. Doch überall dort unten schwelten kleine Brände – Gras, Büsche, Baumstümpfe. Die Flammen spiegelten sich auf einem silberfarbenen, eiförmigen Gebilde, das auf die Seite gekippt im Tal lag, groß wie die Sporthalle im Kernort.
An seiner Vorderseite klaffte ein meterbreiter Riss, vermutlich verursacht durch den Aufprall, den Bleyer als leichtes Beben gespürt hatte, kurz bevor der Alarm ihn zum Einsatz gerufen hatte. Und das Ding musste aus dem Weltall gekommen sein, daran zweifelte er keinen Moment.
Keiner der sechs Feuerwehrleute sagte etwas. Ihr Staunen verhinderte, dass sie die vielfach geübte Einsatzroutine abspulten.
Dann zwängte sich etwas Lebendiges durch den Riss. Eine braunrote, zylindrische Kreatur, groß wie eine Kuh, auf Dutzenden plumper Stempelfüße. Am vorderen, erhobenen Ende saß eine dunkel orangefarbene Halbkugel mit einem Büschel von Fühlern und Greifwerkzeugen um ein zahnloses, rundes Maul unter einem großen Facettenauge.
„Leck mich am Arsch, sind diese Außerirdischen hässlich!“, entfuhr es dem Kommandanten.
2.
Breaking news:
Horror-Aliens bei Münsingen auf der Alb gelandet!
Anwohner flüchten in Scharen.
Bundesregierung schickt Soldaten.
Biosphärengebiet gegen Ufo-Gläubige abgeriegelt.
3.
Niemand war ernsthaft darauf vorbereitet gewesen. Es gab keinen Notfallplan. War es überhaupt ein Notfall, eine „Lage“ im Behördenjargon?
Das außerirdische Raumfahrzeug war in dem unbewohnten Gebiet gelandet, besser: kontrolliert abgestürzt. Die Insassen, scheußlich anzusehende Wesen, bewegten sich gemächlich herum und schienen ihre unmittelbare Umgebung zu erkunden. Dutzende Satelliten, Drohnen, Kameras, Feldstecher und Zielfernrohre waren dabei auf sie gerichtet. Sie zeigten keine Anzeichen von Aufregung oder Aggressivität.
Die Messgeräte des Bundeswehr-ABC-Spürpanzers hatten keine Gefahren angezeigt. Trotzdem steckten die eilig eingeflogenen „Experten“, Naturwissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, in Schutzanzügen. Ratlos standen sie am Rand des Tals.
Nach Stunden kam eines der fremden Wesen auf sie zu. Eine ganze Jägerkompanie, eilig aus der Kaserne in Stetten am kalten Markt angerückt, hatte es im Visier. 50 Meter vor den zitternden Zivilisten hielt es an und ließ seine Fühler in ihre Richtung winken. Dann entstand vor ihm ein leuchtendes Oval in der Luft, flimmernd und farbig.
4.
Moderator: „Wie konnten sich die Außerirdischen verständlich machen?“
Linguistin: „Mit Bildern. Sie zeigten uns einfache Darstellungen als Projektionen. Wir antworteten mit Bildern. Die Kommunikation ist rudimentär, aber sie funktioniert. Wir wissen jetzt…“
„Politiker: „Wir wissen gar nichts. Das sind doch alles nur Interpretationsversuche von Behauptungen dieser Fremden. Klar ist, dass sie hier bleiben wollen. Aber das geht nicht, das haben wir von Anfang an gesagt.“
Ufo-Experte: „Sie sagen, ihr Schiff ist defekt. Sie rechnen nicht mit Hilfe von ihresgleichen.“
Politiker: „144 Überlebende dieser angeblichen Notlandung! Wir wissen nicht, wie schnell sie sich vermehren! Wenn sie hier bleiben dürfen, werden mehr von ihnen kommen. Unser Planet ist übervölkert genug. Wir müssen herausfinden, woher sie kommen, und sie zurückschicken.“
Moderator: „Eine Anwältin vertritt sie bereits.“
Die Talkshow-Runde redet durcheinander.
5.
Dass ihre Klienten kompliziert waren, konnte die Rechtsanwältin Larissa Schäfer nicht behaupten. Sie hatten nur einen Wunsch, den sie mit verschiedenen Bildern wieder und wieder zeigten: hier bleiben zu dürfen. Sie konnten ja auch nirgendwo anders hin, weder auf der Erde noch – wegen ihres technischen Problems – im All.
Schäfer arbeitete als Syndikusanwältin für die Antispeziesistische Allianz. Diese Nicht-Regierungsorganisation setzte sich eigentlich für Tierrechte ein. Doch die Presseabteilung hatte blitzschnell erkannt, welche Chance für den eigenen Bekanntheitsgrad die Außerirdischen boten. Schäfer sollte vor Gericht deren Bleiberecht erstreiten.
Das erwies sich als schwierig. Allein schon, weil die Internationale Gemeinschaft völlig darüber zerstritten war, welchen Status man den Neuankömmlingen überhaupt zugestehen sollte. Staatenlose, sagten manche Regierungen. Andere widersprachen: Sie mussten ja irgendeinem Staat angehören, wenn auch einem, der auf einem Planeten 92 Parsec von der Erde entfernt existierte, im Sonnensystem Kepler-1649. Diese Herkunft hielten jedenfalls die Astronomen der Universität Tübingen für wahrscheinlich, die die Angaben der Außerirdischen zu ihrer Herkunft ausgewertet hatten.
Die Bundesregierung vertrat den Standpunkt, bei den „Keplerianern“ handle es sich um Asylsuchende aus einem sicheren Herkunftsland, man müsse sie aber vorerst dulden. Die Opposition verlangte eine sofortige Abschiebung in eines jener Länder, die angeboten hatten, die Außerirdischen aufzunehmen. Die baden-württembergische Landesregierung verlangte eine Klärung, wer die Kosten der Versorgung übernähme, falls die Besucher länger blieben. Und der Reutlinger Landrat verlangte, dass die 144 entsprechend dem Königsteiner Schlüssel auf alle Bundesländer verteilt werden müssten.
Niemand fragte die Außerirdischen, ob sie vielleicht zusammenbleiben wollten. Nachdem der erste Schock ihrer Ankunft abgeklungen war, ging es den Behörden nur noch um Zuständigkeiten und Kosten.
6.
9.23: Ein Bekannter von mir fährt Lkw für die Bundeswehr. Der weiß, was die fressen!
9.25: Was?
9.26: Alles! Jeden Tag zwei Laster voll, einer morgens und abends.
9.29: Was, alles?
9.30: Die habens ausprobiert: Warmes Essen, kaltes Essen, rohe Nudeln, Mehl, Reis, Hefe, Gemüse, Heu… egal. Bloß Würste und Fleisch und Eier und Milch wollen sie nicht!
9.33: Verdammte Veganer!!!
7.
Martin Flaschner war Referatsleiter im Landwirtschaftsministerium. Er hielt sich für einen weltoffenen Menschen und hatte durchgesetzt, die Verpflegung der Gäste in Augenschein nehmen zu können.
Ein Hubschrauber setzte ihn ab, begleitet von nervösen Personenschützern. Darin unterschieden sie sich von den Soldaten, die ihn auch begleiteten. Für diese waren die Außerirdischen inzwischen Alltag. Bedrohliche Zwischenfälle hatte es seit dem Maimorgen der Landung nicht gegeben.
Flaschner und seine Begleiter standen am Rand der Abladestelle, die üblichen 50 Meter entfernt von den sechs braunroten Wesen, die geduldig in zwei ordentlichen Reihen warteten. Ihr fauliger, fremdartiger Geruch stach Flaschner selbst in dieser Entfernung unangenehm in die Nase. Auf Atemfilter verzichtete man seit einiger Zeit: Analysen hatten keine Gefahr festgestellt, die über die Luft von den Fremden hätte ausgehen können.
Der tarnfarbene Bundeswehrlaster kam schwankend auf dem befestigten Fahrweg heran und hielt an. Soldaten sprangen von der Ladefläche und begannen, die Lebensmittelkisten abzuladen. „Heute gibt’s Pizza, Jungs!“, rief einer den Außerirdischen zu. Diese schienen das Wort inzwischen zu kennen: Einer von ihnen, ein kleineres Exemplar, ließ das Bild einer fröhlichen Menschengruppe um einen gedeckten Tisch erscheinen.
„Höflich sind sie ja“, kommentierte der Referatsleiter. Als alles abgeladen war, nahmen die Soldaten neben dem Fahrzeug Aufstellung und warteten darauf, ob etwas zum Rücktransport stehen bleiben würde. Der kleinere Außerirdische stampfte auf seinen vielen, kurzen Beinen an eine der Kisten. Mit seinen Kopfgreifern öffnete er geschickt den Deckel und schien den Inhalt zu betrachten. Dann wölbte er sein Maul über die Kiste und erbrach mit einigen Zuckungen seines zylindrischen Leibs einen grün-braunen Schleim in die Öffnung.
Flaschner würgte angeekelt. Der Verbindungsoffizier neben ihm lachte hämisch: „Aber ihre Tischmanieren sind… speziell. Das ist ihr Verdauungssaft.“
Der Außerirdische saugte innerhalb von Sekunden den Schleim und den aufgelösten Inhalt aus der Kiste. „Guten Appetit!“, johlten die Logistiksoldaten im Chor.
Der Außerirdische gab einige gluckernde Geräusche von sich und der Rest seiner Gruppe kam heran. Mit ihren Kopfwerkzeugen packten sie ungeöffnete Kisten und trugen diese hinab ins Tal. Als sie fertig waren, zeigte der kleine Anführer das Bild eines lächelnden Menschen, der sich verbeugte. Dann spuckte er einen schwarzbraunen Klumpen von der Größe einer Honigmelone auf den Boden und folgte seinen Artgenossen zum Schiff.
„Was ist das?“, wollte Flaschner wissen.
„Die unverdaulichen Reste der Mahlzeit“, sagte der Offizier. „Vielleicht eine Geste der Höflichkeit. Wer soll schon deren Sitten verstehen?“
Der Beamte hatte genug gesehen.
8.
Den Sitzungssaal des Ortschaftsrats hatte der Ortsvorsteher Walter Kepplinger noch nie so voll gesehen. Selbst draußen auf dem Gang im alten Rathaus drängten sich Bürger und Auswärtige. Die Bürgerinitiative „Nicht bei uns!“ und die Antispeziesistische Allianz hatten ihre Unterstützer mobilisiert.
Die Pressebank – zwei nebeneinander gestellte Tische mit sechs Stühlen - hatte nicht gereicht. Kamerateams der ARD und eines Privatsenders rangen daneben um den besten Blickwinkel, und auch der regionale Rundfunk war da.
Die Interessen standen sich unversöhnlich gegenüber: Ein Teil der Bürger wollte, dass die Außerirdischen weg kamen, egal wohin. Ein Teil setzte sich dafür ein, dass man sie willkommen hieß und half, sich rasch im Dorf zu integrieren, wenn sie schon hier bleiben wollten.
Streit war vorprogrammiert – und er, Walter Kepplinger, saß mittendrin.
Der feine Herr Bürgermeister drückte sich natürlich: Nächstes Jahr war Wahl und er äußerte sich zu der „schwierigen Angelegenheit“ nahe der Gemeindegrenze nur bei von ihm selbst geplanten, medienwirksamen Gelegenheiten.
Der Ortsvorsteher wusste im Vorhinein, wie laut und letztlich doch ergebnislos die Debatte werden würde. Denn weder sie hier in dem kleinen Dorf auf der Schwäbischen Ab noch die Gemeinde als Ganzes hatten irgendetwas zu bestimmen. Und, fiel ihm beiläufig auf, bevor er zur Glocke griff, um die Sitzung zu eröffnen: alle redeten über die „Keplerianer“, aber keiner redete mit ihnen. Von den Medien waren sie weitgehend abgeschottet und die Stimme der Wissenschaft war nur im Spätprogramm des Fernsehens zu hören.
9.
„Der Inhalt dieses Gesprächs muss in diesem Raum bleiben“, betonte der General. „Vorerst geheim.“ Seine Zuhörer, überwiegend ebenfalls in Uniform, nickten wissend oder blickten unbewegt.
„Das Verteidigungsministerium und die Geheimdienste denken in beide Richtungen“, fuhr er fort. „Fall E bedeutet, dass Bewaffnete versuchen, in die Sperrzone einzudringen. Fall A macht uns mehr Sorgen. Das wäre der Versuch der... hm... Gäste..., aus der Zone auszubrechen. Es gibt zwar keine Hinweise darauf, dass sie Offensivpotential besitzen, aber wir können es auch nicht ausschließen.“
Ein Stabsoffizier der Luftwaffe bat ums Wort: „Genauso wenig, ob sich sie anders als zu Fuß fortbewegen können. Falls sie ein Erkundungsfluggerät hätten, müssten wir sie mit Eurofightern verfolgen.“
„Und wenn wir Flugabwehr näher in Stellung brächten?“, wollte eine Heeresoffizierin wissen.
„Das wäre aufgrund des medialen Interesses und der Scharen von Zivilisten, die noch immer bis zur Sperrzone kommen, kaum geheimzuhalten“, sagte der General. „Aber das ist angesichts der Reichweite unserer Systeme auch nicht der Punkt – viel mehr die Entscheidung, die Gäste am Verlassen der Sperrzone zu hindern und die Luftabwehr einzusetzen. Eine solche Maßnahme müsste politisch getroffen werden.“
Die Runde schwieg betreten. Welcher Gewählte hielte dafür den Kopf hin, bevor die öffentliche Meinung in diese Richtung schwang? Falls die Außerirdischen bewaffnet waren, konnte es dann schon zu spät sein, den Einsatzbefehl zu geben.
„Ein weiterer Punkt ist uns außerdem noch unklar“, sagte der General, „die ungewöhnlichen Materialwünsche, die unsere Gäste in jüngster Zeit vermittelt haben“.
Davon hörten die meisten in der Runde zum ersten Mal. „Wovon reden wir hier? Material, aus dem man Waffen bauen könnte?“, wollte der Luftwaffenoffizier wissen.
„Das nicht gerade…“, zögerte der General und schaute verlegen drein. „Wir wissen nicht, was sie mit Dingen wie…“, er blickte in seine Notizen, „dunklen Müllsäcken, Natriumhydrogenkarbonat und Artemia-Eiern wollen.“ Die Runde blickte ratlos, bis bei der Heeresoffizierin der Groschen fiel: „Sie verlangen Backpulver und Urzeitkrebse?“
10.
„Außerirdische raus!“, stand in weißer Frakturschrift auf Pauls schwarzem Kapuzenshirt. Alfreds Hoodie zeigte ein rotes Verbotsschild mit einem spitzen Aliengesicht.
Die beiden Männer bahnten sich ihren Weg von einem Wanderparkplatz durchs Gebüsch auf die Sperrzone zu. Sie hatten einen Tipp aus der Szene bekommen, wonach die Überwachung an dieser Stelle nachts nachlässig sei.
Als sie endlich durch das Unterholz den Rand der Heide erreicht hatten und hockend die Lage sondierten, stellten sie zweierlei fest: Zum einen waren sie offensichtlich nicht die einzigen, die diesen Tipp bekommen hatten. Zum anderen war er falsch.
Im Mondschein beobachteten sie drei Zivilisten, umstellt von sechs Soldaten in Tarnuniformen. „Verdammte Hippies“, flüsterte Paul. Er kannte diese Ufo-Gläubigen: Batikhemden, Dreadlocks, rosa Sternchenbrillen und Pappschilder mit Botschaften an die Eindringlinge. Diese drei hatten wohl versucht, in die Zone zu gelangen und waren von den Soldaten entdeckt worden.
Es dauerte nicht mehr lange, dann wäre der Rest der Wachgruppe vor Ort, um die Festgesetzten abzuholen. Und bald danach würde hier alles von Soldaten wimmeln, die die ganze Umgebung durchkämmten.
Pauls Zähne knirschten, als er vor Anspannung die Kiefern zusammenbiss. Er beschloss, aus der ungünstigen Situation das Beste zu machen. Entschlossen stellte er den Sicherungshebel seines Sturmgewehrs von S auf 3 um und raunte seinem Begleiter zu: „Unsere Chance. Wir legen alle um. Erbeuten mehr Waffen und Muni. Und dann geht’s den Außerirdischen an den Kragen. Jetzt oder nie!“
Er legte auf den Soldaten ganz links an und zielte. „Feuer auf drei. Eins, zwei...“
11.
6 Uhr. Die Meldungen.
Ohne Ergebnis geblieben ist die mehrstündige Beratung des Weltsicherheitsrats. Gegen einen Antrag der USA legte Frankreich sein Veto ein. Darin war gefordert worden, dass Deutschland allen interessierten Staaten Zugang zu dem Raumschiff im Münsinger Hardt geben müsse, um dessen Technologie zu erforschen. Andernfalls, so die weiter im Raum stehende Forderung, müsse dieses zerstört werden – sowohl um auszuschließen, dass von ihm eine Gefahr ausgeht, als auch um zu verhindern, dass ein einziges Land von der außerirdischen Technik profitiert.
12.
Der Alarm gellte durch das Lager am Rand der Sperrzone. Die aus ihrem Schlaf gerissenen Soldaten zogen sich schnell an und bewaffneten sich, 1000fach geübt. Doch als die ersten von ihnen aus den Zelten auf den Sammelplatz rannten, wurde ihnen klar, dass kein Gefecht bevorstand.
Hinter der Hügelkuppe erstrahlte ein blendendes, weiß-blaues Licht. Ihm folgte ein Vibrieren und Dröhnen, das die wartenden Truppentransporter scheppern und die Körper der Bewaffneten zittern ließ.
Dann schob sich das silberne Ei des Raumschiffs in das Blickfeld der Beobachter. Auf blendend hellen Flammen stieg es gemächlich in den Nachthimmel auf. Keiner sagte ein Wort, bis es außer Sicht war.
Dann brach ein Oberfeldwebel das Schweigen: „Auf Wiedersehen?“
13.
Der Kommandant war zufrieden: Das reparierte Schiff funktionierte, so gut es mit den provisorischen Lösungen ging. Mit den biochemischen Grundsubstanzen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, war es gelungen, den Antrieb wieder in Gang zu bringen, der gänzlich anders funktionierte, als die Menschen mutmaßten.
Und dank der Informationen, die sie in den Kommunikationswegen des Planeten gesammelt hatten, kannten sie nun auch einen halbwegs sicheren Weg durch den Weltraumschrott. Bald würden sie auf ihrem mehrjährigen Heimweg sein.
Mit den Erkenntnissen ihres Aufenthalts konnten die Forscher daheim entscheiden, ob eine weitere Reise zu „Erde“ sinnvoll war. Wenn es nach ihm ging, dachte der Kommandant, würde eine getarnte Sonde in der Umlaufbahn genügen. Solange die Erdbewohner so sehr mit sich selbst beschäftigt waren wie bei ihrem Besuch, würden sie ihren Heimatstern niemals hinter sich lassen können.
Schöne Story! In Teilen auch total realistisch, was das Verhalten der Menschen betrifft. Gut, dass sich die Außerirdischen rechtzeitig vom Acker machen konnten ;-).
AntwortenLöschenDas unterschreiben ich so.
LöschenGelungen!
AntwortenLöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenEigentlich wollte ich mich einem ziemlich frustdurchsetzten Lesen aus dem Wettbewerb und auch dem Kommentieren rausziehen, Axel hat daher den hier zuvor geschriebenen Kommentar gelöscht. Ich habe dann aber doch mal über meine Entscheidung nachgedacht und beschlossen zu bleiben. Blöderweise habe ich vergessen, was ich zu obigem Text geschriebenen habe. Daher jetzt mal aus jetziger Sicht: Könnte ein Satire sein, wenn der Text mehr Biss hätte. Und mit "mehr Biss" meine ich eine weniger behäbige Erzählweise. Und, bitte, ich hätte gerne Überraschungen. Dass sich die unterschiedlichen Interessengruppen ach so typisch interessengruppentypisch verhalten, nimmt m.E. dem Text jeglichen Witz. Wie man das angesichts des Endes anders/besser hätte lösen können, weiß ich übrigens nicht. Da steht einfach zu stark "Solange die Erdbewohner so sehr mit sich selbst beschäftigt waren wie bei ihrem Besuch, würden sie ihren Heimatstern niemals hinter sich lassen können." im Raum.
LöschenHat mich leider nicht überzeugt, obwohl viel Potenzial vorhanden gewesen wäre. Als Parabel zum Thema Flüchtlinge taugt es kaum, worum es dem Autor möglicherweise gar nicht ging. Trotzdem komme ich nicht umhin, den Text neben die reale Situation von geflüchteten bzw. gestrandeten Menschen zu stellen. Sehr viele aus dem Personenkreis sind kaum in der Lage, sich aus dem Staub zu machen. Ein eigentlich interessanter Punkt. Das aber nur nebenbei und doch dominiert er meine Lesart. Dafür kann der Verfasser zugegebenermaßen natürlich nichts. Die Notgelandeten fand ich interessant und ich hätte gern mehr über sie erfahren; z.B. in Gesprächen, die jede Menge Raum für Ironie, Missverständnisse und widerlegte Vorurteile geboten hätten.
AntwortenLöschenMor hat die Geschichte prima gefallen. Natürlich ist sie eine Parabel auf die Flüchtlinge bei uns.
AntwortenLöschenDas war wirklich mal eine ganz andere Erstkontakt-Geschichte. Chapeau. Und ja, die Parallele zu geflüchteten Menschen war sehr deutlich.
AntwortenLöschenDie Reaktionen der Menschen auf die Aliens sind sehr realistisch dargestellt. Außerdem sind die hier angesprochenen Themen allesamt aktuell und brisant. Leider werden sie nur angerissen und nicht konsequent weiterverfolgt. So wird erst über eine Verteilung der vermeintlichen Alien-Flüchtlinge debattiert, aber dann werden sie in der Sperrzone isoliert, was von Anfang an die logischste Option war. Eine Gruppe Rassisten setzt zu einem Anschlag auf die Aliens an, was eine gute Parabel auf die brennenden Flüchtlingsheime gewesen wäre, doch dann verläuft dieser Plot im Sande. Offenbar sind sie nicht weit gekommen, denn den Außerirdischen ist ja nix passiert. Schlussendlich wollen die Amerikaner Zugriff auf die Alientechnologie, ganz so, als ob sie sich die nicht ungefragt aneignen würden, zumal Deutschland immer noch Besatzungszone ist. Aber dieser Handlungsstrang wird ohnehin nicht weiter verfolgt.
AntwortenLöschenEs wäre besser gewesen, ein geschlossenes Konzept durchzuziehen und sich auf eine Handvoll Charaktere zu beschränken. Stattdessen wechselt auch noch der Stil mit jedem Abschnitt. Mal wird nur geschildert, mal wird ein Interviewstil wie in einem Artikel gewählt, und dann kommen einige Charaktere endlich in einem Fließtext zu Wort. Am verwirrendsten ist der Abschnitt 6 mit den Uhrzeiten. Wer spricht da eigentlich mit wem und warum ist so abrupt Schluss? Die ständigen Stilwechsel sind auf Dauer anstrengend. Immerhin die astronomischen Daten sind hier aber gut recherchiert.
Fazit: Die Idee ist super und die gesellschaftskritischen Aussagen teile ich zu 100%. Leider verzettelt sich der Autor in zu vielen Handlungssträngen, die nicht aufgelöst werden, und das auch noch in zu vielen Schreibstilen. Nach dem Wettbewerb sollte diese Kurzgeschichte dringend überarbeitet werden, denn ich sehe hier mega viel Potential.
Der Titel hat mich neugierig gemacht. Ein interessanter Kontrast. Leider nimmt der Titel aber doch etwas den Lesespaß finde ich, weil er dann doch zu viel verrät und nicht genug Neues bzw. Überraschendes in der Geschichte passiert. Aber das ist jetzt natürlich meine Perspektive. Andere mögen das anders sehen, so wie hier bereits mit der Community geteilt. Ich bin nicht so Fans von Happy Ends, vielleicht ist das auch ein Grund. Ich erkenne da aber Potential und freue mich, wenn du weiterschreibst. :-)
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