„Beweisen Sie es!“
Hr. Manona blickt stur in ein aufgequollenes Gesicht. Vor ihm steht ein ihm vollkommen fremder Mann, der vor einigen
Minuten mit einem rosafarbenen Sportfahrzeug der Marke Sadic auf dem Parkplatz vor seinem Haus – und dem seiner
Frau – parkte. Diese ahnt nichts von dem Tumult, der soeben ausgebrochen war, denn sie badet fünf Stockwerke weiter
oben, im Spa-Bereich, im hinteren Teil des Gebäudes, in einem Hyaloron-Kristall-Elixir. Um ihren natürlichen Verfall zu
verlangsamen und wohl auch, um die an den Nerven zehrenden vergangenen Wochen zu verarbeiten.
Keiner, der einen Sadic fährt, hat jemals die Wahrheit gesagt. Hr. Manonas Augen weiten sich bedenklich im Licht der
zwei hellen Planeten am Himmel.
Im Duftkerzenlicht lässt Fr. Manona ihre Seele baumeln. Die Hochzeitsvorbereitungen für ihren Sohn sind abgeschlossen.
Die Checkliste dient ihr nun nur noch als Meditationsmantra: Abendgarderobe. Aperitif. Band. Blumenarrangement.
Buffet. Brautkleid.
Fassungslos steht Hr. Manona im Hauseingang, als ein weiteres Fahrzeug eintrifft – die Hochzeitsband beginnt, ihre
Instrumente auszuladen.
„Hören Sie, ich kann nachvollziehen, dass dies ein emotionaler Moment ist und die Nachricht vermutlich unerwartet.
Aber diese Hochzeit ist doch ein festlicher Anlass, um die frohe Botschaft zu verkünden. Man könnte sogar sagen: Ihr
Sohn war von Anfang an für etwas Höheres bestimmt. Verstehen Sie?“
Die Person, die vor Hr. Manona steht, versucht krampfhaft, die Mundwinkel zu einem Lächeln in die Höhe zu ziehen und
mit der Hand mehrmals auf den rechten Schenkel zu klopfen. Der nicht an die Schwerkraft des fremden Planeten
gewöhnte Körper tut sich dabei jedoch ersichtlich schwer. Der linke Mundwinkel schlägt zwar im Ansatz die gewünschte
Richtung ein, der rechte jedoch sinkt teilnahmslos nach unten. Dort, wo der Mann sich auf den Schenkel klopft, gibt die
Haut nach, und eine schleimige Masse bleibt an der Hand kleben.
„Nur leider kann er die Hochzeitsreise anschließend nicht antreten, da wir zurück nach Hause müssen. Es stehen einige
wichtige wirtschaftliche Entscheidungen an, bei denen er uns unterstützen muss. Aber ich bin mir sicher, Sie verstehen
das mehr als jeder andere.“
„Liiiebling!“, Hr. Manona versteht nicht.
Ein Lautsprecher kracht zu Boden. Entschuldigend hebt der Bassist der Band seine langen Arme in die Höhe.
„Sorry. So hohe Töne bin ich nicht gewöhnt.“ Er nickt in Richtung Manona.
Champagner. DJ. Eisskulptur. Eltern der Braut!
Der Hilferuf ihres Gatten geht im Sprudeln des indigofarbenen Badewassers unter. Frau Manona angelt mit ihren langen
Armen nach einem Badetuch und erhebt sich gemächlich aus der großzügigen Wanne. Eingewickelt in Frottee lässt sie
der Blick in den Spiegel zufrieden nicken. Ihre Jugendlichkeit wird die Haut der Mutter der Braut vor Neid grün färben.
Und Grün steht ihr gar nicht. Fotograf. Fotobox. Gartenparty.
„Mein Sohn soll in Wirklichkeit ihr Sohn sein. Sie stammen von einem fremden Planeten und sind heute – am
Hochzeitstag meines Sohnes – angereist, um ihn abzuholen“, Hr. Manonas Körper beginnt leicht zu beben. Lautlos,
schleichend verschwinden die Bandmitglieder hinter dem Haus im Garten.
„Ich wusste ja nicht, dass es sein Hochzeitstag ist“, der Körper des Mannes vor Hr. Manona bewegt sich immer mehr
Richtung Boden. Es wirkt, als würde er langsam zerfließen, wie zäher Schleim.
Schleimende Verwandte. Und wie weit? Wie weit entfernt liegt dieser Planet, erreichbar mit normalen Mitteln?
Schleimende, Geld kostende Verwandte? Oder kommen sie zu uns, kommen sie alle zu uns? Manona ist verwundert über
diese neuartigen Gedanken.
Der fremde Mann schiebt sich eine Pille in den Mund, in der selben Farbe wie sein Fahrzeug. Im selben Moment festigt
sich das zerfließende Gewebe. Vor Hr. Manona steht wieder ein großgewachsener Mann, dessen Aussehen an das seines
Sohnes erinnert. Ein weiteres Gefährt nähert sich dem Anwesen, und Hr. Manonas Miene wird noch dunkler.
Triumphierend steigt die Mutter der Braut aus der fliegenden Limousine.
„Wir sind etwas früh, das wissen wir. Aber wir dachten, ihr könntet unsere Hilfe gebrauchen.“ Süßes, schweres Parfum
weht zu Hr. Manona und dem ungebetenen Gast. Beide unterdrücken ein Würgen.
„Wo ist deine Frau? Ich sehe gleich mal nach, damit ich ihr noch unter die Arme greifen kann.“
Die Mutter der Braut stolziert die Treppen ins Haus. Ihre sehr langen Beine scheinen identisch mit den hohen Säulen, die
den Eingang des Hauses zieren, während ihr Mann die gleichen Grimassen wie die sich darauf befindlichen Stuckfiguren
zieht. Dutzende Taschen und Geschenkschachteln stapeln sich in seinen Armen, während er seiner Frau hinterhertrottet.Aus dem Garten hallt der Soundcheck der Band zu ihnen. Your Love is out of this world… Hr. Manonas Puls steigert sich
im Takt der musikalischen Probe. Our Love is universal. Our Love… uuuh…
„Ich muss mit meiner Frau sprechen!“, herrscht Hr. Manona den Mann an.
„Umstände möchte ich Ihnen keine…“, der Mann schafft es nicht auszusprechen und folgt Manona hinter das Haus.
Geschenketisch. Gelübde. Hochzeitstorte. Inselreise. Ja-Sager. Kalligraphie. Lichterketten.
Fr. Manona gleitet leichtfüßig durch den Garten und begutachtet die geschaffene Szenerie. Sie erfreut sich an der
Symmetrie der Tischanordnung. An den edlen Lichtinstallationen, die in der Nacht den Garten in schummriges Licht
hüllen werden. Am reichhaltigen Buffet. An der Band, die mittlerweile leichte Hintergrundmusik für den Empfang spielt.
Hinter der Bühne fließt Wasser aus der Luft in einen Brunnen. Das Catering füllt Gläser mit perlender goldfarbener
Flüssigkeit, deren Perlen hoch in die Luft steigen und eine leicht herbe Note verströmen. Die Dekoration wirkt fabelhaft.
Zarte Verspieltheit trifft klare Eleganz. Edle leuchtende Vasen säumen den Weg zum Hochzeitsportal. Unter diesem
werden ihr Sohn und seine Verlobte in ein paar Stunden das Ja-Wort geben. Und sie hatte sich mit der Planung der
Hochzeit selbst übertroffen. Ihre Gedanken werden unterbrochen, als sie ihren Mann sieht. Begleitet wird er von einer ihr
fremden Person und – in ihrer Wahrnehmung – von einer düsteren, über seinem Kopf schwebenden Gedankenwolke. Die
beiden eilen auf sie zu.
„Liebling, dieser Mann meint, ihr hattet eine Affäre!“, Manonas Atem stockt.
„Das ist nicht, was ich gesagt…“, der Überraschungsgast runzelt seine derzeit agile Stirn.
„Er meint außerdem, unser Sohn sei in Wirklichkeit seiner, und er möchte ihn zurück. Nach so vielen Jahren! Ihn auf einen
anderen Planeten entführen. Er behauptet, dass er von einem anderen Planeten stammt!“
Während die Hausbesitzer und der unbekannte Gast im Garten aufeinandertreffen, treffen nach und nach die geladenen
Gäste ein. Der Großteil viel zu früh. Die Schwester von Fr. Manona und ihr Nachwuchs. Hr. Manonas Bruder mit Haustier
und dessen Haustier. Die Konditorei liefert die mehrstöckige Hochzeitstorte – zu spät – und versucht, diese ohne Unfälle
mit einem ferngesteuerten Tablett über die Köpfe der Besucher hinweg zu ihrem Platz zu steuern. Freundesgruppen der
Braut und des Bräutigams. Bekannte von Verwandten. Eine Person mit fast unnatürlich guter Laune – der DJ.
Arbeitskolleginnen. Neue Partner. Zukünftige Freunde. Personen, die sich eigentlich nicht treffen möchten. Ein Tier, das
die Ringe zum Alter bringen soll. Ein Nachwuchs, der Buntes auf den Boden streut – und später die Blütenblätter bei der
Zeremonie. Vor dem Haus findet man nun eine Ansammlung an schwebenden Limousinen, fliegenden Boards; ein
Cousin ist mit einer in der Luft rotierenden Kugel angereist.
Make-Up. Miniaturhochzeitspaar. Namenskärtchen.
„Namenskärtchen! Wir haben aber kein Namenskärtchen für noch einen Gast! Wenn du verspätet einen Freund einladen
möchtest, könntest du einfach rechtzeitig Bescheid geben, anstatt Scherze mit mir zu treiben. Und sieh zu, dass du
wieder bessere Laune bekommst – am Hochzeitstag deines Sohnes!“, Frau Manona gestikuliert verschwörerisch über
dem Kopf von Hr. Manona, als würde sie etwas vertreiben wollen. Schwungvoll dreht sie sich um und geht in eine
Entspannungsatmung über, als sie sich wieder ihrem Kontrollgang widmet.
Ooooommm. Partyzelt. Paartanz. Qualität. Ringe. Schleppe. Traumkleid.
Der Garten füllt sich langsam. Die Gäste werden mit Getränken und kleinen Köstlichkeiten beschäftigt. Frau Manona
dreht ihre Runden und holt sich Komplimente für die gelungene Gestaltung ein. Die Gäste lachen, stoßen klirrend die
Gläser aneinander, suchen ihre Plätze, und manche versuchen, sich einen Platztausch zu erhandeln. Die Mutter der Braut
stolziert aus dem Haus und gesellt sich zu Frau Manona. Der Vater der Braut stapelt die Päckchen am Geschenketisch.
Das Ring-Tier läuft zwischen den langen Beinen der Gäste herum, in der Hoffnung, einen Happen zu ergattern. Hr.
Manona schnappt sich ein Glas mit dem perlenden Getränk und leert es in einem Zug hinunter. Sofort fühlt er eine
wohlige Wärme in sich aufsteigen. Ein Schleier legt sich über seine Augen, und in der Luft nimmt er vage, glänzende
Schatten wahr, denen er zu folgen versucht.
Wie kann es sein? All die Jahre an Zeit und Energie. An Investition.
Sein Sohn tritt aus dem Haus hervor. Im modischen Anzug mischt er sich unter die Gäste, bereit für eine neue Zukunft.
Frau Minonas Blick gleitet über die lebhafte Versammlung in ihrem Garten. Ihr Blick fällt auf ihren Sohn, welcher auf den
Freund ihres Mannes zugeht. Als sie sich gegenüber stehen, meint sie eine flüchtige Ähnlichkeit erkennen zu können.
Universum? Witzige Rede. X-Faktor. Zeremonienmeister.
Herr Manona stolpert durch die Menge auf seine Sohn zu. Er sieht wie das Gesicht seines Sohnes langsam in Richtung
Boden fließt. Aber vielleicht liegt es nur an der Menge des goldfarbenen Getränks, die er zu sich genommen hat.
In diesem Moment findet ein Feuerwerkskörper seinen Weg in die Luft - viel zu früh. Violette Lichter erhellen die
Szenerie, als er explodiert.
Zukunft.
Wirkte auf mich etwas zusammenhangslos
AntwortenLöschenTolle Idee: Du drehst den üblichen „Kuckuckskind-Sci-Fi“ komplett ins Absurde und kombinierst Alien-Abholung mit Hochzeitswahnsinn und gesellschaftlicher Etikette. Das Setting ist stark – dieser groteske Kontrast aus Luxus-Spa, Deko-Checkliste und schleimigem Außerirdischen im Sadic-Sportwagen hat was von schwarzer Satire oder von Douglas Adams / Stanislaw Lem.
AntwortenLöschenDer Stil schwankt jedoch stark zwischen poetisch (Aufzählungs-Mantra „Abendgarderobe. Aperitif.“) und erklärend/unnötig ausgeschmückt („Hyaloron-Kristall-Elixir“ etc.). Dadurch verliert der Text etwas Tempo – manchmal wirkt’s wie Werbeprospekt trifft Alien-Drama. Die Geschichte funktioniert am besten dort, wo du einfach die Absurdität stehen lässt, ohne sie erklären zu wollen.
Bezüglich der Wettbewerbs-Vorgabe („Eltern denken, es ist ihr Kind“): Das Thema ist nur implizit vorhanden, denn hier geht es eher um späte Abholung statt Kindheit und Integration. Wenn du das einreichst, würde ich vorher einen klareren Hinweis einbauen, dass der Sohn sein Leben lang wirklich für ihren eigenen Sohn gehalten wurde – sonst könnte man sagen, die Vorgabe wurde nur lose gestreift.
Aber insgesamt: originell, surreal, mutig, mit starker Bildkraft – wenn du die Tonalität etwas straffst (weniger Erklärgelaber, mehr trockene Beobachtung), kann das richtig stark wirken.
Ich fand den Rahmen (Hochzeitsparty) ganz originell. Aber alles blieb sehr an der Oberfläche. Dass ausgerechnet jetzt die Aliens den Bräutigam abholen, dass der Menschenvater sich kein Gehör verschafft... es wirkt auf mich wie ein Plot von einer Geschichte, die erst noch ausgearbeitet werden muss. Witziger Schreibfehler: "Ein Tier, das die Ringe zum Alter bringen soll", brachte unbeabsichtigt Humor hinein.
AntwortenLöschenAn sich witzig, aber mir fehlt etwas ein Spannungsaufbau oder eine Entwicklung. Und vor allem das Ende.
AntwortenLöschenIch persönlich bin ein bisschen irritiert davon, wie schnell zwischen verschiedenen Charakteren hin und her gesprungen wird. Ich schätze es wäre leichter zu folgen, wenn die Absätze besser gesetzt wären, aber irgendetwas ist hierbei wohl schiefgelaufen. Die einzelnen Schlagwörter wirken auch etwas willkürlich eingestreut, zumindest am Ende der Geschichte. Aber das ist wohl eine persönliche Abneigung meinerseits, da ich diese in keiner Geschichte mag und gekünstelt finde. Davon abgesehen ist es eine gute Story. Das Hochzeitsthema ist originell, die Charaktere sind klischeehaft aber überaus klar und amüsant gezeichnet und ich finde die Beschreibung der Szenerie sehr gelungen. Die Geschichte braucht noch Feinschliff, aber es ist ein gutes Fundament vorhanden, auf dem man aufbauen kann. Durch das Hochzeitsthema hebt sie sich bisher auf jeden Fall ab.
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