
Zwischen den Grenzen
Malik wachte eines Tages auf und sah, dass ihm in seinem Schlaf aus der linken Bauchseite heraus ein Tentakel gewachsen war. Schlimmer noch, er fand das lediglich interessant. Interessanter als seine weiß-graue Einzimmerwohnung, Tapete oder Bemalung vom Vermieter unerwünscht, mit hellbraunem Spannholzmöbeln. Nicht einmal, dass er sich nicht sonderlich an dem Ding störte, störte ihn. Über einer Schale Basismüsli rief er seine Eltern an, einfach nur, um nachzufragen, ob das normal war. „Schatz, das ist wunderbar.“ Meinte seine Mutter, wie als hätte er angekündigt, es doch nochmal mit dem Medizinstudium zu probieren. „Mom, du hast richtig gehört, oder? Ich habe einen Tentakel, der aus meinem Bauch wächst.“ „Körperliche Veränderungen sind normal beim Erwachsenwerden.“ „Ich bin bald 25.“ „Mach dir keine Sorgen, dass geht bald wieder weg. Einfach etwas Salbe drauf.“ Sein Vater war nicht viel besser und warf ihm vor, ein Weichei zu sein, dass wegen einer Kleinigkeit gleich durchdreht. Malik seufzte. Ihm war der Appetit vergangen. Er nahm das Handy in den neuerworbene Greifapparat und ließ sich von der Moralpredigt berieseln als er sich für die Arbeit fertig machte. Nach zehn Minuten Anklagen und Spott bedankte er sich und legte auf. Widerwillig wählte er die einzig Nummer, die er unter Favoriten gespeichert hatte, während er sich für die Arbeit fertig machte. „Schneckchen, kann es warten? Nach der Physikum heute? Ist auch die Letzte.“ „Layla... sorry... kann es leider nicht. Ich habe ein Problem und meine Eltern können es nicht raffen. Ist etwas gruselig. Kann ich es dir zeigen?“ „Okay, aber bitte keine Scheiße...“ Malik schaltete auf Video und zeigte ihr wortlos den Tentakel. Sie unterdrückte einen Schrei und stieß auf. Malik aber lächelte. Wenigstens sie nahm ihn ernst. „Verrückt nicht? Ich finde es gar nicht mal schlimm und das fuchst mich irgendwie mehr als das Ding an mir. Aber meine Eltern wollen nicht mal schnallen, dass da was nicht stimmt. Hast du 'ne Idee, was ich tun soll?“ „Kannst du dich krank melden?“ „Lieber nicht. Ich... ich glaub' ich will damit nicht zum Arzt. Oder ins Krankenhaus.“ Sie zögerte einen Moment. Dann schlug sie den Webbrowser ihres Laptops auf, tippte etwas, runzelte die Stirn und lächelte dann ihm zu. „Mach ich. Halt durch bis heute Abend, dann komm ich zu dir. Wir finden was. Aber wenn ich nichts finde, dann gehen wir gemeinsam ins Krankenhaus, ja? Hab dich lieb.“ „Ebensooo..“ Er nickte, legte auf, vergrub den Tentakel unter der Berufskleidung und rannte zum Bus. Allem Anschein nach waren nur seine Eltern verrückt. Und er, ein wenig. Das größte Problem für ihn schien, dass er nicht wusste, wie andere reagieren. Klar, ein zusätzlicher Arm hat Coolness Faktor. Aber wenn nur ein Typ so reagiert, wie seine Freunde in ihren Shootern auf Aliens reagieren, dann würde zu dem sozialen Coolness Faktor der physische Coolness Faktor eines Leichenhauses hinzukommen. Darum lieber Tauchstation. Die Arbeit hatte zum Glück "Verständnis". An der Kasse war er schnell und freundlich. Niemand nahm Anstoß und darum störte niemanden sein gewachsener Bauch. Er brachte die 6 Stunden professionell zu Ende, fand jemanden, der die nächste Schicht übernahm und rannte in den Bus zurück. In seiner Wohnung angekommen, hämmerte er auf der Tastatur und stöberte in diversen Suchmaschinen herum. Layla hatte was gefunden, soviel war klar. Und nun musste er es auch wissen. Hinter einer Contentwüste aus KI-generierten Schrottvideos und halb-lustigen Memes fand er Antworten. Er war nicht allein, aber angesichts den Fälle, über die er las, war das nicht unbedingt beruhigend. In Indien hatten sie einen Jungen in der Quarantäne, als Schleim aus seinen Poren triefte und ihm spitze Zähne wuchsen. In Großbritannien hatte ein Unbekannter eine 23-Jährige erstochen, als ihr ein weiteres Paar Stielaugen aus der Stirn schoss. Reflexiv fasste Malik sich an die Stirn und fand zwei kleine Hügel, die sich weich und empfindlich anfühlten. Er wünschte, all dies wäre ein wahr gewordener Albtraum. Fehlanzeige. Alle diese Veränderungen nahm er mit mildem Interesse wahr, nicht viel mehr. Er fragte sich, ob er mit trinken muss, ob er mehr oder weniger sehen wird und was für Nahrung er vertragen wird. Sein Verstand sagte ihm abstrakt, dass er sich vor all dem ekeln sollten. Nichts dergleichen. Es fühlte sich richtig an. Schlimmer noch, es fühlte sich gut an. Allein, dass man ihn deswegen umbringen oder einsperren könnte, das machte ihm Sorgen. Er kramte in seinem Schrank voller grauer Pullis, Jeans und Herren Ponchos. Wenigstens das Verstecken, darauf hatte er sich vorbereitet. Er war nie glücklich damit gewesen, wie er aussah und vergrub alles hinter loser, weiter Kleidung. Die braunen Haare hatte er schon immer kurz gehabt. Die Pubertät, die Haare überall, das war eine mittlere Katastrophe gewesen. Gerade sein kräftiger Haarwuchs hatte die Rasuren zu einer täglichen und blutigen Sache gemacht. Jetzt, wo sein Körper schon wieder gegen seinen Willen mutierte, sollte er eigentlich durchdrehen. Aber nein. Alles bestens. Wurde er gehirngewaschen? Machte man etwas mit seinem Kopf? Er öffnete den Kühlschrank, sah sich an, was es gab und ließ den Tentakel entscheiden. Dieser schnappte sich reflexiv eine Gurke. Sicherheitshalber schaute Malik nochmal nach der Hähnchenbrust. Nein, keinerlei Gelüste nach rohem Fleisch. Er stellte sich sicherheitshalber einen Menschen vor, etwas runder. Das klappte gut, eigentlich besser als sonst. Aber zum Glück kein Appetit dabei. Also, kein Grund zur Unruhe, richtig? Er starrte weiter auf das abgepackte Stück Tier. Was dachte er sich auch dabei, so was essen zu wollen? Gemüse und Obst klangen besser. Schnell schloss er den Kühlschrank und fasste sich an die Augen. Tränen? Hatte ihn das so mitgenommen? Er sah sich in einem Raum um, der ihm zunehmend fremd vorkam, karg und leblos. Weiß, grau, braunes Laminat und Sperrholz mit einem Schrank voller Tassen, die meisten geschenkt und alle befreit von diversen dummen Sprüchen. Perfekt befreit von Persönlichkeit. Wer wollte in so etwas leben? Niemand. Vermutlich war das der Punkt. Er ließ das Wasser über seine Hände und die Gurke laufen. Sie schmeckte gut. Das Wasser auf seiner Hand auch. Von einem plötzlichen Heißhunger gepackt, nahm er sich die letzte Karotte, Zucchini, Obst, alles pflanzliche überhaupt, bis nichts mehr davon im Kühlschrank war. In diesem Zustand, die letzte Tomate im Mund, klingelte Layla an der Tür und hievte ein Röntgengerät auf Rädern hinein. „Wenigstens wird sich deine Spur der Verwüstung auf die Gemüsetheke beschränken.“ meinte sie lakonisch. „Naja, viel Größenzuwachs hat sich bei meiner Mutation noch nicht gezeigt...“ „Ist aber keine Mutation. Zumindest vermutlich nicht.“ Schlaumeierte seine Freundin. „Mutation bezieht sich auf die Veränderung deines Genoms. Nahezu alle Menschen haben leichte Mutationen und die sind in der Regel irrelevant oder nicht so drastisch. Du aber untergehst eine Metamorphose. Solange ich deine DNA nicht analysiere, kann ich darüber nichts sagen. Nun zeig mal den Patienten.“ Ohne viel zu fragen, zog sie ihm das Hemd aus und hielt den Tentakel auf dem Tisch fest. Sie tastete ihn ab, wie als würde sie nach einem Bruch suchen. „Keine Knochen... interessante Muskulatur... gleichmäßig... keine auffälligen Verformungen...“ „Nun ja...“ „Abgesehen natürlich von der Verformung selbst...“ ergänzte sie mit einem Lächeln. Malik mochte dieses Lächeln nicht. So lächelte sie immer, wenn sie nicht weiter wusste. „...geradezu natürliche Verbindung mit der Rest deines Körpers.“ Sie zückte eine Art medizinische Lampe und leuchte das Gewebe ab. „Auch keine tumorösen Zellen...“ Sie ließ das Gerät genervt los und begann, die Röntgenmaschine aufwändig zu installieren. „Woher-“ „Berufsgeheimnis. Einfach nichts kaputt machen. Los nun, du kennst den Drill. Metall weg, Handy aus, Tentakel durch die Platte, unters Gerät, Bleiplatte halten, nicht wackeln. Augen zu, Mund zu. Ich lasse doch meinen Freund nicht ohne Weiteres mutieren-“ „Metamorph... isieren?“ „Beinahe und ja. Gleich wieder da.“ Nach dem Scan stürmte sie wieder hinein und betrachtete das Bild. Sie seufzte. „Und? Wie lautet die Diagnose?“ „Dein außerirdisches Gliedmaß ist kerngesund.“ Antwortete Layla genervt. „Außerirdisch?“ „Hast du nach draußen gesehen? Da ist eine Flugscheibe über deiner Wohnung, wie sie überall auf der Welt seit einer Viertelstunde auftauchen.“ Malik riss die Rolladen hoch. Tatsächlich. Er hatte gedacht, das wäre eine Wolke gewesen; in seinem Zustand hatte er die Augen der Außenwelt vermieden. Ganz so, wie es die Filme zeigten, war die Scheibe aber nicht. Anstelle eines klar segmentierten, konzentrischen Aufbaus hatte die Unterseite ein spiralförmiges Muster. Er drehte sich um zu Layla, die inzwischen bleich war. Ein goldenes Licht kam von oben herab, aus dem Mittelpunkt des Schiffes. Leyla umarmte Malik. „Nicht ohne dich.“ Sie beide schlossen die Augen, auf das Schlimmste vorbereitet. Nichts passierte. Das Licht verschwand. Leyla zählte runter von zehn, Malik ebenso. Sie machten die Augen auf. Sie waren immer noch in seiner Wohnung. Die Tür klingelte. Vor dem Haus standen zwei adrett fluoreszierende Gentleman. Etwas, aber nicht ganz wie die seltsam-bunten Nacktschnecken im Meer; Sie hielten ihren Torso aufrecht und der Kopf war fast reptilienartig; zwei paar Augen zu den Stielaugen. Malik schüttelte Tentakel mit ihnen und lächelte. „Hallo... geehrte...“ Für einen Moment zögerte Malik. Sie kamen ihm wie Gentlemen vor. Aber waren das nun wirklich Herren, Damen, keins von Beiden? Sprachen sie überhaupt deutsch? Kümmerten sie sich um so was? „...zusammen. Freut mich, Sie begrüßen zu können." Einen Versuch war es wert. „Die Freude ist ganz unsererseits. Hallo, Malik. Bis du feinere Organe hast, kannst du mich Derek nennen.“ „Woher? Wie? Wie sprichst du unsere Sprache?“ Malik und Leyla stammelten fast zeitgleich. Sie drehten sich zu ihnen, je 6 Augen auf sie gerichtet. „Wir leben lange. Unsere Reise zu euch brauchte ebenfalls lange genug. Wir hatten eine Vorhut geschickt, die euch heimlich erforschte, bevor wir eure Spezies als Zieheltern würdig empfanden. Du hast dich, nach lokaler Zeitmessung, vor mehr als 24 Jahren von mir abgeknospt. Nun, da du nach dem Maßstab der örtlichen Spezies vollkommen ausgewachsen bist, beginnt sich deine eigentliche Biologie zu manifestieren. Dem Brauch meines Schiffes zufolge heißt das, dass ich dir das Angebot machen muss, dich mit uns zu nehmen. Aber vorher wirst du vermutlich Fragen haben. Du kannst auch deine Eltern anrufen oder schreiend davonrennen, wenn du dich danach fühlst.“ Malik nickte. Soweit so gut. Sie sprachen und dachten eigenartig und verstockt, aber angenehm verständlich. Kein Kauderwelsch, keine Einsprengsel einer Weltraumsprache, die er nicht verstand. Leyla jedoch starrte, aus irgendeinem, für ihn unerklärlichen Grund. „Was genau habt ihr mit seinen Eltern gemacht, ihr intergalaktischen Nacktschnecken? Warum sind sie so ruhig, während er sich in einen von euch verwandelt? Streicht das, warum ist ER so ruhig?“ Zischte sie. Malik lächelte zu den Gästen, leicht gequält. Aber aus ihren seltsamen Gesichtern blitzte keine Emotion heraus, mit der er was anfangen konnte. „Nichts, wozu sie nicht zugestimmt haben, auch wenn sie sich gerade nicht daran erinnern können.“ antwortete Derek. „Kann jeder behaupten. Ihr könntet ihnen die Erinnerung sicher einflößen, wenn ihr sie schon nehmen könnt.“ „Dann im Vornherein: Ob Malik mit uns kommt, das ist seine Sache. Aber ihn in einem Körper zu lassen, in dem er unglücklich ist, das ist barbarisch. Die Verwandlung muss sich beenden.“ Leyla blickt zu ihm zurück, direkt in die Augen. „Dass du unglücklich mit dir bist, das hast du nie gesagt.“ Der Vorwurf traf ihn. Aber nein, sie hatte recht. Ihm war, wie als hätte er lange durch eine Schneewüste wandern müssen, ohne Rast und Nahrung, bis er umfiel, weiter kroch und weder Kälte noch Schlafmangel bemerkte. Die letzten Stunden waren wie eine Nacht Schlaf und warme Suppe gewesen. Alles schien klarer. Vielleicht nicht einfacher, aber weniger verworren. Er war immer noch hungrig, kalt und müde, aber der Eisnebel hob sich. „Wie hätte ich es tun sollen?“ Entgegnete er ihr. „Hättest du einen verrückten Jammersack gewollt? 'Schatz, ich bin so unglücklich, ich sähe gerne anders aus. Am besten wie eine Mischung aus Tintenfisch, Komodowaran und Meeresschnecke.' Ich kann verstehen, dass es vielleicht besser gewesen wäre es zu sagen, aber ich... äh... wusste nicht ob wir soweit waren...“ Aber sie lachte. „Malik! Ich wollte nur sichergehen, dass die dich nicht hirnwaschen! Und so eine ulkige Antwort kannst nur du geben!“ Sie drückte ihn. Er atmete erleichtert auf. Der andere Außerirdische, nicht Derek, zuckte mit seinem Gesicht. „Bitte. Wir haben die Möglichkeiten. Wir müssen nicht krude sein. Räuberei würde unsere Operation unnötig schwer machen und Feindseligkeiten einladen. Nichts, was wir tun, läuft mit Zwang oder Täuschung ab. Wir haben deine Zieheltern vorher gefragt, sie informiert, sie mit Ressourcen entlohnt und dann die Erinnerung genommen, mit ihrer Zustimmung, um dir ein normales Larvenstadium zu ermöglichen.“ „Abgesehen von dem Teil, wo es für euch klar ging, dass ich erstmal unglücklich bin?“ „Notwendig. Wir brauchen Perspektiven und Bodenständigkeit. Die Erwartung, dass man arbeiten muss und sich nicht einfach gehen lassen kann. Und du siehst, wie manche Menschen mit deinen Geschwistern jetzt umgehen. Nicht jede Wiedervereinigung hier unten verläuft so geregelt wie diese hier. Tarnung war nötig. Aber dein Körper weiß mehr als du. Dein wahres Ich musste in dir vergraben sein.“ „Und wenn ich hier bleibe, dann bleibe ich...“ Er brach den Gedanken ab. Was ließ sich tun? Er hatte wenig Lust alles, was ihn anders machte, abzuschneiden oder weg zu operieren. Mit derselben Klarheit, mit der er sein Unglück spürte, widerte er den Hass in der Luft, auch Leyla's Sorge und Ekel. Die Worte seiner Eltern. Was, wenn er mitging? „Ich gehe nicht ohne Leyla.“ Stellte er fest. „Verständlich. Aber sie muss wie wir werden. Da gibt es keine Ausnahme für niemanden. Wir haben lange genug experimentiert und seit langem Konsens darüber geschlossen.“ Leyla schüttelte energisch den Kopf. „Klar, Mensch bleiben, das ist barbarisch. Aber jeden zum mitmachen zwingen, das ist okay? Prächtige Maßstäbe. Weder will ich von der Erde weg, noch meinen Körper ändern.“ Die Kreaturen nickten. Für sie war die Frage klar. Sie wanden sich Malik zu, noch bevor dieser antwortete. „Hast du noch Fragen? Wir würden dir dann gerne unser Schiff zeigen.“ „Leyla kann nicht mit?“ „Sie hat ihre Entscheidung getroffen.“ Er dreht sich zu ihr um. „Darf ich?“ Sie nickte. „Aber lass dir nichts einreden.“ „Ich komme. Die Erinnerung meiner Eltern kommt bald zurück, oder? Ich rufe sie dann an.“ „Warte nicht. Die Rückkehr unserer Raumschiffe sollte die Gedächtnissperre lösen.“ Malik nickte und, ohne groß auf Leyla zu warten, eilte er in seine Wohnung zurück und wählte die Nummer seiner Eltern. Seine Mutter nahm ab. „Malik... wir haben die UFOs gesehen. Es kommt zurück. Die Erinnerung... unsere Zustimmung... du an unserer Türschwelle.“ „Wieso?“ „Wir hatten alles probiert, um ein Kind zu haben. Aber nichts klappte. Wir haben Schulden gemacht... Wir hatten fast alle Hoffnung aufgegeben. Dann kamen sie. Nachts, leise, freundlich. Sie sagten, sie hätten unseren Planeten schon seit vielen hundert Jahren im Augen, würden versteckt und dezent unter uns wandeln. Sie... sie versprachen, sie würden eines ihrer Kinder an unser Aussehen anpassen und es bei uns lassen. Unsere Erinnerungen wurden gelöscht, zu dem Schutz aller. Sie gaben uns Geld; woher wussten wir nicht. Es war gut und es langte, um dich durch zu kriegen. Du weißt, dir hat niemals etwas gefehlt.“ Malik nickte widerwillig. „Größtenteils, ja. Aber...“ „Sie sagten, dass du eventuell mit deinem Körper nicht zufrieden sein wirst. Allerdings auch, dass...“ „Ja... es wird besser.“ „Und ohne die Wanderer würdest du nicht existieren.“ Malik starrte auf den Tentakel. Wog eins das Andere auf? Er konnte es nicht sagen. Vielleicht wollte er es auch nicht. Seine Mutter fuhr fort. „Sie sagten auch, dass sie kommen würden, dich zu holen. Das war für uns in Ordnung. Du musst die Entscheidung treffen. So oder so, wir müssen eines Tages Abschied voneinander nehmen, Malik. Das ist mit Eltern nun mal so. Bleib nicht wegen uns. Hier gibt es keine Zukunft, auf diesem Planeten. Das wissen wir, das wissen sie. Das weißt du. Das sind keine bösen Leuten dort oben. Sie sind kalt, aber nicht herzlos.“ Ihm jedoch schnürte es die Kehle zu. Er bemühte sich um eine klare Stimme, als er antwortete. „Verstanden. Danke, Mutter. Für alles. Ich... rufe an, wenn ich mehr weiß. Hab' euch lieb.“ „Wir dich auch.“ Er legte auf. Er eilte wieder hinunter. Auf der Treppe des Mietshauses hörte er bereits Leyla. „...Ihr seid dann geschlechtslos?“ „In der Tat. Wir haben einige kryogenischen Datenbanken mit unserem alten Genom und einigen Freiwilligen als Sicherheitsmaßnahme, aber mit unserem technischen Fortschritt ist Sexualität und Geschlechtlichkeit sozusagen aus der Mode gekommen.“ „Wie bin ich dann exakt, wenn ich euch anspreche? Das muss auch für euch schwierig sein, besonders weil ja nicht jede Lebensform die gleichen Geschlechter besitzt.“ „Auf der Erde sind wir beide Männer. Oben ist das komplexer. Wir sind flexibel da. Vielleicht auch etwas pragmatisch. Da unsere Identitäten, im Gegensatz zu hierzuerden, nicht ständig hinterfragt werden, können wir uns eine gewisse Laxheit mit ihnen leisten.“ Malik glaubte, Leylas Augenrollen vom Treppenhaus aus zu hören. „Ja, dass wir, die Einen, so rückständig sind und die Anderen so fortschrittlich, dass müssen wir uns häufig anhören...“ Er entschied sich, einen Zahn zuzulegen. Es fand ihr Verhalten zwar mehr als verständlich. Ihr Freund mutierte gerade zum Weltraummonster und machte einige Anstalten, mit seinesgleichen zu entfleuchen. Er wäre vermutlich auch nicht in der besten Laune. „Warum ändert ihr euch dann nicht?“ „Weil wir uns keine Laxheit leisten können.“ Meinte sie genervt. Sie kam nicht weiter. Unten angekommen, machte er sich bemerkt und küsste sie. „Lief alles ok?“ fragte er sie „So gut wie es laufen kann.“ „Also besser wie bei meinen Eltern.“ Beide lachten. Derek wurde unruhig, schob ihn vorwärts, direkt unter das Zentrum der Scheibe. „Bereit für das Raumschiff? Einfach stillhalten und du wirst nach oben gezogen.“ Malik nickte und machte sich bereit. Leyla schaute zu ihm, voller Angst und Zweifel. „Ich werde schon nicht abhauen. Aber solange sie da sind, will ich wissen, woher ich komme und wer ich bin.“ Er hoffte, dass dies keine Lüge war. „Aber... das weißt du doch.“ Er blinzelte und schüttelte langsam und sanft den Kopf. Er schloss die Augen, als das Licht von unten herabfiel. Er spürte einen sanften Zug, dann war er im Inneren, zusammen mit den beiden Anderen. Es war spartanisch eingerichtet, aber nicht ohne Rücksicht auf seine Bewohner. Glatte Polster bedeckten die Wände und ein dünner Film zog sich über den Boden, auf dem seine Gastgeber nun schneller krochen als er ging. „Wir haben nur ein kleines Schiff, verglichen mit dem Rest unserer Art. Aber die Größeren können nicht auf euren Planeten landen.“ Erklärten sie, fast entschuldigend. „Mit zunehmenden Alter verbringt man lieber die Zeit auf einem größeren. Mehr Komfort, aber weniger flexibel.“ Sie machten sich nun daran, Malik all die Vorteile des Schiffes zu demonstrieren, von Kunstwerken, die sein beschränktes Menschenauge nur mit bestimmten Brillen sehen konnte, Computersimulationen, die alle elektronische Unterhaltung der Erde übertraf, Büchereien und Lehrkursen wie er sie nie von innen gesehen hätte. Arbeit gab es genug; vom Maschinenraum bis zu der Hydroponik, Forscher in bewohnten Planeten oder Szenarioschreiber für die Simulation. Aber sein Vater versicherte ihn, dass er keine machen müsse. Alles, was er brauche, werde ihm zugestellt. „Und wir kriegt ihr dann die Leute zum Arbeiten? Ihr...wir scheinen ja länger zu leben als die Wirtsspezies.“ Fragte er verwundert, als die Tour zu Ende war und sie in einer der Büchereien zu Ruhe kamen. Malik entschied sich, nichts zu essen, während die anderen zwei genüsslich eine knallpinke Frucht in ihre Mäuler schoben und auf niedrigen Liegen ruhten. „Weil das, was du brauchst, nicht das ist, was du auch alles willst. Und nur mit Gefallen oder Anerkennung kriegst du wen hier zu mehr rum. Ein Tentakel wäscht den anderen, um ein Erdensprichwort zu missbrauchen. Die großen Aufgaben verwalten einige von Konsens geleitete Spezialisten mit der Hilfe von Maschinenintelligenz. Aber ich glaube, dich plagen andere Fragen.“ Malik war sich nicht mehr sicher. Er war mit der festen Absicht nach oben gegangen, nein zu sagen und die kranke Gesellschaft, die er halb erwartete hatte, abzulehnen. Aber diese Wesen... seine Artgenossen... waren alles andere als hinterhältig und er konnte bei bestem Willen nicht erkennen, dass eines der Wesen dort oben unglücklich war, auch bei der anstrengendsten Arbeit, die es gab.. Also warum die ganze Aufregung? Wäre Layla nicht glücklicher mit einem normalen Kerl, der kein Weltraummonster war und alles voll glibberte? Würde er nicht sich und allen einen Gefallen tun, wenn er wegginge? Er versuchte einen letzten Anlauf. „Warum das alles? Warum reist ihr hierhin, von welchem fernen Planeten ihr auch seid, und habt mich glauben lassen, ich sei ein Mensch? Warum diese fünfundzwanzig Jahre Qual?“ „Zuerst ist da ein kultureller Faktor. Jeder von uns bringt seine eigenen Erfahrungen und Gewohnheiten mit hier an Bord. Diese Vielfalt bereichert uns und hindert unsere Kultur an dem Verfall.“ „Aber könntet ihr das nicht auch durch Kontakt und Austauschprogramme mit Anderen? Warum diese Geheimniskrämerei? Warum nicht normal? Seßhaft. Keine Odysee durchs All?“ "Wir hatten es "normal" probiert. Aber dann kamen die Ängstlichen. Oder vielmehr ihr Meteor, nur wenig langsamer als das Licht, der unseren Planeten vernichtete." Malik starrte. „Wart ihr im Krieg?“ „Wir nicht. Aber sie. Auf unseren Reisen durch das All hatten wir Kontakt mit anderen Spezies, die einen solchen Meteoriten abfangen konnten und die Ängstlichen erforschten. Ihre Zivilisation fürchtet alle anderen intelligenten Lebensformen und denken, dass keine verlässliche Kommunikation im Weltall stattfinden kann. Mit den destruktiven Waffen einer Weltraumzivilisation kann man, nach ihnen, kein Risiko eingehen. Nur ein Tentakel auf dem falschen Knopf, nur ein falscher Gedanke würden reichen… Und da nun mal die Ressourcen begrenzt sind, wollen sie diejenigen sein, die diese haben. Nach dem Motto: Besser wir als die anderen. Für sie ist das All ein blutiges Nullsummenspiel, ein Hobbescher Naturzustand. Sie selbst kauern sich in eine dunkele Ecke des Alls, rüsten ständig auf und sobald sie intelligentes Leben finden, löschen sie es aus.“ Malik setzte sich unvermittelt. Sein Herz zuckte mit Angst, kalter Schweiß trief von der Stirn. Ein gewöhnlicher Meteor hatte die Dinosaurier ausgelöscht. Und nun wusste er von Wesen, die alle seine Freunde, alle Menschen aus Raffgier umbringen werden, sobald sie die Erde finden. Die Drachenschnecke, die sich Derek nannte, streckte einen ihrer Tentakel aus. Er wehrte sich nicht, als sie ihn auf seine Schulter setzte und ihn näher drückte. „Darum ist es so wichtig, dass wir dich von hier fortbringen. Zu uns, in Sicherheit.“ Sie richtete die Augen,alle sechs Augen, auf ihn. „Wir haben ausreichend Daten gesammelt, um zu wissen, dass deine Wirte ihren Planeten zerstören. Fossile Brennstoffe, Mikroplastik und selbst Nuklearwaffen scheinen bei ihnen wieder in Mode zu sein. Optimistische Prognosen reden von zwanzig bis fünfzig Jahre, die ihnen bleiben, sollten sie sich nicht ändern.“ Mit einem Wisch öffnete Derek verschiedene Hologlyphen, die alle auf Malik hereinrieselten und die ein bereits verwandelter Teil seiner selbst las und verstand. Eigentlich unnötig. Malik konnte eins und eins zusammenzählen. Er las die Nachrichten und stimmte dem großen Teil der Wissenschaftler zu, die nicht hoffnungslos der Schwurbelei verfallen waren. Wenn er den Mut hatte, sich das alles anzutun. Er schluckte und starrte dann dennoch auf die Tabellen und Berichte, mit derselben warmen Klarheit, mit der er sein Unglück bemerkt hatte. „Ja, die Daten sind nicht abzustreiten.“ „Also, entscheide dich! Wir müssen hier weg, früher als später. Nicht auszumalen, was diese Kreaturen mit dir und den anderen-“ „Diese Menschen.“ Malik wünschte, er hätte schneller reagiert. Derek räusperte sich genervt. „Ja, diese Menschen. Für die bist du seit unserer Ankunft keiner mehr. Sobald dir das Haar ausfällt und die restlichen Augen nachwachsen, spätestens.“ Malik fasste sich an den Kopf, strich sich durch das Haar. „Ich könnte 'ne Perücke und Sonnenbrillen tragen.“ „Willst du das aber?“ „Wenn ich nicht wie ihr, sondern wie ein Mensch aussehen will, dann schon.“ „Sieh mich an. Das kannst du nicht im Alltag verstecken.“ „Ne. Nicht diese Nummer. Ich bin, was ich sein will. Ich schau was kommt. Und was ich ändern will, ändere ich mit den Mitteln, die es gibt. Und dann schau ich wieder, was daraus wird.“ „Und werden dich die anderen akzeptieren?“ „Bis sie anfangen, mich anzugreifen oder anzufeinden, ist das ihre Sache. Ich kümmere mich nicht um die Gefühle von Wildfremden über meine Existenz.“ „Und was ist mit Layla? Mit deinen Eltern? Deinen Freunden?“ Malik stockte. „Die werden mich akzeptieren.“ „Unsere Erfahrung war fast immer das Gegenteil. Komm mit uns. Es tut weniger weh.“ Malik starrte auf den perfekt glatten und sauberen Boden des Schiffs. Der Tentakel drückte ihn fester. „Wir sind keine Schurken. Wir sind Überlebende. Komm, nimm Vernunft an.“ „Zur Hölle mit euch.“ Zischte Malik und schüttelte den Kopf. Er merkte, wie ihm schleimige Tentakel um den Mund wuchsen. Klein noch, aber spürbar. Unumkehrbar. „Ich bleibe.“ „Malik, du bist der, der gerade in die Hölle geht. Oben mit uns, in den Sternen, da hättest du alles. Da wärst du sicher. Hier unten wirst du gegen deinen Willen sterben. Sie kennen unseren Körper nicht, ihre Medizin ist primitiv und alles, was sie tun, ist von Hass durchtränkt. Dort unten wirst du brennen.“ „Und wenn schon.“ „Menschlicher Trotz. Das gehört sich nicht für uns.“ Ja, der Affekt war da, der Trotz und Widerwille. Aber er war leiser, ferner. Keine dunkele Brandung, die es zu verstecken galt. Es brannte nicht mehr so sehr. Er könnte noch immer ja sagen. „Mitleid, das gehört sich wohl auch nicht? Ihr könntet doch hier alle unsere Probleme mit einem Fingerschnips lösen, nicht? Hunger, Armut, Klimawandel. Wenn ihr Druck macht, dann müsste es nach euch auch keinen Krieg geben!“ „Wir kennen den Begriff, Mitleid. Ein tragisch verkürzter Gedanke, der in vielen Kulturen besser gefasst und praktiziert wurde. Aber das tut nicht zur Sache. Viel größer ist die Gefahr, dass die Ängstlichen-“ „Die Ängstlichen. Das ist das Problem, ne? Ihr habt alles. Schläue, Schönheit, Vielfalt. Aber den Mut habt ihr verloren und immer noch nicht gefunden, egal wie viele Kuckuckskinder ihr aussetzt. Ihr wollt ein Gewinngeschäft. Ich kann mir’s denken. Ihr kommt immer erst in den globalen Krisen, wenn es viele Intelligente gibt, die ihr zu Ziehelterntum überreden könnt und es den Bach herunter geht, damit die meisten sich in eure Arme stürzen. Aber, die, die was wert sind, die bleiben und kämpfen, damit ihre Welt erhalten bleibt.“ Es breitete sich eine eisige Stille aus. „Ihr hättet die Ängstlichen schon lange besiegen können. Wer weiß, vielleicht sind sie inzwischen schon lange kollabiert, weil ihre Gesellschaft halb verrückt wurde, angesichts der Sterne voll mit imaginären Feinden? Ihr nicht. Ihr rennt und rennt. Macht immer wieder dieselben Fehler und lernt nichts daraus.“ „Das ist nicht wahr! Wir haben uns an die Bedingungen angepasst und einen Kurs eingeschlagen, der unser Überleben garantiert!“ „Aber nicht euer Leben. Eure Kultur starb als die Ängstlichen ihre Waffe zündeten und ihr euch entschieden habt, lieber zu rennen als sicherzustellen, dass so etwas nicht nochmal passiert.“ Malik stand auf. Er spürte die Schwäche in den Beinen, wie als würden seine Kochen dünner mit jeder Stunde. „Ich bleibe.“ „Aber du wirst sterben.“ „Werden wir alle. Aber ich kann mich damit arrangieren.“ Er drehte sich um. Die Tür schnappte hinter ihm zu. Er hörte Schluchzen, Anklagen, Trostsprüche, viel klarer, als er sie jemals vorher gehört hatte. Aber dieselbe Klarheit sagte ihm auch, dass er weitergehen musste; zurück zur Luke, zurück zur Erde, zurück nach Hause.
Zurück zu einem Schicksal, dass nur er selbst wählen konnte.
Ich fand die Geschichte langatmig und zäh. Wahrscheinlich auch, weil es keine Absätze gab, wo man sich als Leser erholen konnte. Alle reagierten uiemlich krude und für mich nicht nachvollziehbar. Trotzdem istces natürlich eine grosse Leistung, sich so etwas auszudenken,
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