Plan B
Rumps...- ich drehte mich zur Seite und zog eine Augenbraue hoch. Pe5 lag Tentakeln und Beine von sich gestreckt neben mir auf dem Boden, er rührte sich nicht. Ein leises Röcheln entwich seiner Kehle.
„Was machst du denn da schon wieder?“, zischte ich ihn an.
„Ich...ich...dieser...verdammte...Transfer“, keucht Pe5 und setzte sich im Schneckentempo auf.
„Würdest du regelmäßig am Training teilnehmen, könntest du dich wie alle anderen Xalapas transferieren, ohne dir jedes Mal alle Tentakeln zu brechen. Aber nein, dem Herrn fallen ja immer tausend andere Dinge ein, die wichtiger sind, als an unseren Trainingseinheiten teilzunehmen“, hielt ich ihm vorwurfsvoll einen meiner geliebten Vorträge.
Ich setzte an, um mit der Gardinenpredigt fortzufahren, da fiel mir Pe5 genervt ins Wort: „Ist ja gut, ich habe es verstanden. Verschone mich mit deinem Gezeter. Nie kann man es dir recht machen. Kann dir doch egal sein, wie ich lande, solange ich neben dir lande und noch lebe.“
„Nein kann es nicht, denn schließlich haben wir eine Mission zu erfüllen und dafür brauche ich dich vollständig, intakt und ohne Blessuren. Schließlich war nicht ich es, die sich freiwillig für die Erde gemeldet hat. Was du dir dabei gedacht hast, ist mir immer noch ein Rätsel, wir hätten es so schön entspannt, zum Beispiel auf dem Mars, haben können, stattdessen müssen wir uns nun mit diesen nervtötenden Erdlingen rumschlagen. Aber nun ist es wie es ist. Komm, lass uns anfangen“, gab ich kopfschüttelnd zurück und seufzte tief.
Mittlerweile war Pe5 aufgestanden, hatte seine Tentakeln sortiert sowie eingehend untersucht und schien den Transfer unbeschadet überstanden zu haben. Wir näherten uns langsam dem Haus. Das große Einfamilienhaus lag, bis auf ein beleuchtetes Fenster, vollständig im Dunklen. Es war totenstill, fast schon zu still.
„Weißt du noch was der Plan ist?“, fragte ich Pe5.
„Naja, wir gehen rein, schnappen ihn uns und gehen wieder?“, antwortete er unschuldig. Es war nicht zu fassen. Nie hörte er zu. Was habe ich mir da nur für einen Partner zuteilen lassen. Am liebsten würde ich seinen kleinen dünnen Gurkenhals ... Nein, heute nicht und schaute Pe5 diesmal mit beiden hochgezogenen Augenbrauen an, blinzelte langsam und atmete tief ein und aus.
„War nur ein Spaß, beruhige dich. Natürlich kenne ich den Plan. Und falls Plan A nicht funktioniert, greifen wir auf Plan B zurück, aber nur im äußersten Notfall“, beruhigte er mich und hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen.
„Das ist nicht witzig. Und das wäre auch nicht das erste Mal, dass wir wegen deiner Trotteligkeit improvisieren müssten!“, gab ich hitzig zurück und wendete meinen Blick dem Haus zu. T-12. Wir hatten alles minutiös geplant. Ich bin nur noch eine erfolgreiche Mission von der Beförderung zur Xalapas Leaderin Einheit H-N-1-40 entfernt.
„Das stimmt, aber es ist auch immer alles gut gegangen. Das musst du schon zugeben. Bist du bereit?“, fragte mich Pe5. Wenn es losging, war Verlass auf ihn und ich war insgeheim froh, dass er mit zugeteilt wurde. Wir nahmen unsere Positionen ein. An der Hauswand angekommen, breitete ich meine Tentakeln aus, legte jede auf, sodass die Saugnäpfe andockten, und stütze beide Füße von der Wand ab. Tentakel für Tentakel setzte ich um und arbeitet mich so geräuschlos bis zum Fenster vor. Pe5 folgte meinem Beispiel. Glücklicherweise war es einen Spalt breit geöffnet und so gelangten wir unbemerkt ins Zimmer.
A24 saß mit dem Rücken zu uns am Schreibtisch. Ich zögerte und schaute Pe5 an. Er nickte mir zu und ich hielt die Zeit an. Die Uhren blieben stehen und alles Leben erstarrte. Wir bewegten uns in Richtung A24, kletterten an den Schreibtischbeinen hoch und positionierten uns vor ihm. A24, mittlerweile 12 Erdenjahre alt, hatte lockige braune Haare, eine niedliche kleine Stupsnase, Sommersprossen und war dabei ein Buch zu lesen. Ich bekam wieder Zweifel und starrte A24 gedankenverloren an.
„Worauf wartest du?“, flüsterte Pe5.
„Es bricht mir jedes Mal das Herz, wenn wir unsere Zöglinge wegholen. Sie haben hier ein Leben, eine Familie und sind glücklich“, antwortete ich nachdenklich.
„Seit wann bist du so sentimental? Wirst du alt? Es ist immer das gleiche und wir haben diese Mission schon sooft durchgeführt. Stell mal deine Sentimentalitäten hinten an, wir haben sowieso keine andere Wahl. Außerdem sitzt uns die Zeit im Nacken und ich habe keine Lust, mich wieder den unangenehmen Fragen der Zeitmanagern stellen zu müssen“, sprach Pe5 mahnend.
„Ich übernehme ab hier“, fügte er hinzu.
Er tippte A24 an, der daraufhin aus seiner Starre erwachte und uns entgeistert ansah.
„Hallo A24, wir sind Pe5 und Qu9 vom Planet Xalapas. Wir verteilen unsere Zöglinge nach der Geburt auf allen möglichen Planeten, um sie dann 12 Jahre später, wieder zurückzuholen. Du bist einer von uns, du weißt es nur nicht“, ratterte Pe5 kurz und schmerzlos runter. Ich hätte mich ja für die feinfühligere Variante entschieden.
A24 saß bewegungslos da, mit weit aufgerissenen Augen starrte er Pe5 an. In ihm arbeitete es.
„Hallo jemand Zuhause“, fragte ich leicht ungeduldig und schaute A24 eindringlich an.
„Ich. Was? Nein. Ich gehe nirgendwohin!“, brach es endlich aus ihm heraus. Mir entwich ein tiefer Seufzer. Immer das Gleiche. Kann es nicht einmal ohne Komplikationen vonstattengehen? Ich wusste, dass uns diese Erdlinge wieder Probleme bereiten würden. Ich suchte Pe5s Blick.
„Und wie bescheuert ist das eigentlich? Warum legt ihr eure Babys auf anderen Planeten ab, um sie dann 12 Jahre später wieder einzusammeln?“, fragte A24 aufgebracht. Eingeschüchtert ist der Kleine offensichtlich nicht. Mir schwant Übles.
„Der Sinn und die Lebensweise der Xalapas tun hier überhaupt nichts zur Sache, aber wenn es dich wirklich interessiert: Nachkommen aufzuziehen braucht Zeit und Ressourcen, beides haben wir nur im begrenzten Maße, also lagern wir das Problem aus und holen alle wieder zurück, wenn sie groß und kräftig genug sind“, antwortete Pe5 mit einem leicht genervten Unterton.
„Wenn du nun so gütig bist, zu kooperieren, wären wir dir sehr verbunden. Wir haben etwas Zeitdruck und wollen das Ganze ohne großes Theater über die Bühne bringen. Das ist nur zu deinem Besten, glaub mir. Auf der Erde hast du keine Zukunft“, fügte er nachsichtiger hinzu.
„Warum? Was ist denn mit der Erde?“, fragte A24 skeptisch.
„Wir haben die Information, dass sich die Erdlinge in P-789D selbst vernichten werden“, ergriff ich das Wort und versuchte durch Einsicht A24 dazu zu bewegen, freiwillig mitzukommen.
„Das kann ja jeder behaupten. Wie sollen sich die Menschen denn selber vernichten und woher wollt ihr das überhaupt wissen?“, entgegnete A24 ungläubig.
„Das reicht jetzt“, unterbrach ich die hitziger werdende Debatte. „Pe5, hilf A24 mal auf die Sprünge, sich zu transformieren“, forderte ich Pe5 auf.
Doch bevor Pe5 auch nur einen Tentakel rühren konnte, erhob A24 sich langsam, wurde größer und seine Augen begannen rot zu glimmen. Vor uns stand ein riesiger A24, der auf einmal nicht mehr wie Mamas kleiner Liebling aussah, sondern uns mit seinem düsteren Blick fixierte. „Genug jetzt. Ihr wagt es, einfach hier einzudringen?“ Polterte er mit blecherner Stimme los. Ach du scheiße. Pe5 und ich schauten uns schockiert an. Etwas stimmte hier nicht. Das war nicht A24.
„Du bist nicht A24“, kombinierte ich das Offensichtliche.
„Gut erkannt. Und ihr stört meine Mission“, fuhr er fort.
„Was ist denn deine Mission?“, fragte ich und versuchte Zeit zu schinden, um herauszufinden, was hier schiefgegangen war.
„Was ist hier los?“, zischte mir Pe5 zu.
„Keine Ahnung“, zischelte ich verzweifelt zurück und verabschiedete mich innerlich schon einmal von der Beförderung.
„Da ihr nun hier eingedrungen seid und eine potentielle Gefahr darstellt, muss ich euch vernichten. Ich kann nicht zulassen, dass ihr meine Spionagemission gefährdet“, drohte A24.
„Was für eine Mission denn?“, fragte ich unschuldig und bedeutet Pe5 durch einen kurzen Blick, herauszufinden, was das für ein Schlamassel war.
„Da ich euch sowieso vernichten werde, bin ich so freundlich, Licht in das Dunkle zu bringen. Wir, die Quratus vom Planeten Quara unterlaufen die Erdlinge, nehmen ihre Gestalt an, spionieren sie aus und finden heraus, wie sie sich am besten selbst vernichten, wir helfen auch gerne nach und wenn es sein muss, übernehmen wir die Vernichtung, um dann den Planeten zu besiedeln“, antwortete er mit seiner blechernen Stimme.
„Na gut, aber dafür musst du uns ja nicht unbedingt das Zeitliche segnen lassen. Ich schlage vor, wir gehen einfach wieder und du machst dort weiter, wo du aufgehört hast“, versuchte Pe5 den Deal auszuhandeln und ich bemerkte, wie er sich in Position brachte.
„Das könnt ihr vergessen und da euer Planet der nächste auf der Liste ist, kann ich euch nicht gehen lassen“, entgegnete A24 und seine Augen glommen in einem leuchtenden Dunkelrot auf, was mich zu der Annahme veranlasste, dass das irgend so ein Laser-Vernichtungs-Quatsch ist.
Pe5 schielte zu mir und nickte unmerklich. Zeit für Plan B. Ich hob die Zeitstarre auf, provozierte mit einem Blick einen Kurzschluss, sodass es plötzlich stockdunkel war, griff eine Tentakel von Pe5 und transferierte uns nach Xalapas.
Wieder zurück bereite ich mich schon einmal seelisch und moralisch auf die endlosen Anhörungen vor, die bei gescheiterten Missionen folgten. Wir setzten uns betont langsam Richtung Schaltzentrale in Gang, in der nach der Rückkehr die Protokolle zu schreiben sind.
Ich hatte Schwierigkeiten, meinen rasenden Puls zu beruhigen, und versuchte eine der Atemtechniken. Pe5 schlich schweigend neben mir her. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, brannte es mir unter den Nägeln, herauszufinden, was da schiefgegangen war.
„Das war knapp. Hast du durch den Interscan herausgefunden, was zur Hölle das war?“, fragte ich Pe5 drängend. Er zögerte.
„Nun ja“, antwortete er gedehnt langsam.
„Was nun ja, spucks aus“, forderte ich ihn ungeduldig auf.
„Du kannst dich doch noch daran erinnern, kurz vor dem Start, als wir die Zielkoordinaten durchgegangen sind“, sagte Pe5 mit einer auf einmal auffallend dünnen Stimme.
„Ja, um die du dich kümmern solltest, 87.9044°N, 12.7768°E Hausnummer 51, was war damit?“, fragte ich gespannt. Pe5 räusperte sich und fing an, an seinen Tentakeln herumzunesteln.
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich, wie wir die Hauswand hochkletterten und an der außen angebrachten Hausnummer vorbeikamen. Ich wusste, mit dem Haus stimmt etwas nicht.
Denn es war nicht die 51, sondern die 15.
Interessante Wendung mit zwei ausserirdischen Rassen, die die Erde unterwandern.
AntwortenLöschenWar schon mal etwas ganz anderes: Die Abholung des Nachwuchses aus den Augen der Alien zu erzählen. Ich fand das genial. Dann kam eine völlig überraschende Wendung, wie auch der Vorrezensent schreibt. Das Ende kam für mich zu schnell. Ich hätte gerne noch mehr erfahren. Finde alles sehr gelungen.
AntwortenLöschen