Die Tafel
von JENS LINDENBLATT
Drukhain Hochsicherheisgefängnis
Jupitermond IO
Verhörzelle 2F
»Ich sage Ihnen nichts mehr und es ist egal, wie oft sie mich schlagen, bis Sie mir erzählen, was mit meiner Frau und meinem Sohn passiert ist!«
»Es ist weder meine Aufgabe, noch liegt es in meiner Autorität, Ihnen diese Information zukommen zu lassen. Ich will herausfinden, wie und warum Sie diesen Anschlag überleben konnten.«
»Anschlag? Sie glauben, das war ein Anschlag? Sind Sie irre, man? Sie müssen doch auch gesehen haben, was dort passiert ist. Schauen Sie sich die ganzen Leichen an! Ich sage Ihnen nichts, bis ich mehr weiß. Verdammt, sie haben mir die Nase gebrochen!«
»Glauben Sie, ich tue das hier gerne? Glauben Sie, dass Sie Ihre Familie wiedersehen, wenn sie nicht mit mir kooperieren? Dann verrotten sie hier in einer Mine oder reinigen die Abwasserfilter, bis die scheiß Kadaverwühler sie fressen. Verstehen wir uns?«
»Ja, aber bitte sagen sie mir, ob sie gefunden wurden.«
»Gut. Ich schaue, was sich einrichten lässt. Sie haben ganz schön Mumm für nen Zivilisten. Haben Sie gedient? In meinen Akten taucht zumindest nichts auf.«
»Bal-Marduk. Ich war an der Front. Drohnenkoordinator. War da, als die Fanatiker vom Ursprung die Genesis-Station angriffen.«
Ein echter Veteran |
»Ein echter Veteran also. Was haben Sie mit Ihrer Familie im Museum des schwarzen Planeten gemacht?«
»Wieso nennen Sie ihn nicht bei seinem richtigen Namen?«
»Weil die Erde Vergangenheit ist. Und schon lange keine Heimat mehr für Menschen.«
»Ich wollte meinem Sohn einen Hauch unserer Historie mitgeben, bevor er auf der Akademie seine Herkunft völlig vergisst. Auf dem Mars findet man so etwas nicht und hinter dem Gürtel haben sie die Erde sowieso vergessen. Ich war früher als Kind oft mit meinen Eltern dort, aber etwas hatte sich verändert.«
Chissian rannte voraus. Mit leuchtenden Kinderaugen erkundete er die gewaltigen Hallen. »Das hier ist alles von der Erde?« Ich nickte und zeigte auf die hohen Bäume, die hinter Glasscheiben eingeschlossen waren. Wie Inseln in der weiß- geschwundenen Architektur aus Kunststoff, waren sie über das ganze Museum verteilt, spiegelten sie unterschiedlichste Geländearten wieder.
Die Habitatkuppel, die einst das Leben und Sterben von Tausenden von Menschen bestimmt hatte, war irgendwann zu einem Museum umfunktioniert worden. Die herrenlose Mine stammte noch aus der Zeit der ersten Expansion der Menschen. Nachdem die Konzerne sie nach hunderten von Jahren wiederfanden, wussten sie nichts mit den verlassenen Schächten und archaischer Technologie anzufangen.
»Und irgendwann verkauften sie sie an die AlteErdeFöderation, ich weiß. Kommen Sie zur Sache, mein Interesse an Geschichte ist nicht so groß wie Ihres.«
Wir hielten uns in den oberen Etagen auf. Ich wollte meinem Sohn die alte Erde zeigen, vor den Mutationskriegen. Vor dem Kult des Ursprungs und seinen Verbrechen.
Der Junge hatte tausend Fragen, die geduldig von der blau-schimmernden Projektion einer Frau beantwortet wurden, die an jedem Ausstellungsstück wartete.
Meine Frau versuchte, mit ihm mitzuhalten und wurde an der Hand von einem Stück zum anderen geschleift. Er bewunderte die Computer der alten Zeit und ließ sich die schwerfälligen Anfänge der Raumfahrt erklären.
Ich hingegen ließ es langsam angehen.
Gemächlich schlenderte ich durch die Räume. Es war alles so wie in meinen Erinnerungen, doch irgendetwas hatte sich verändert. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht sagen, was es war, aber es verfolgte mich. Wohin ich auch sah, etwas war falsch.
»In ihren Berichten erwähnen Sie immer wieder eine Tafel.«
»Ja, dazu komme ich gleich noch. Kann ich einen Schluck Wasser haben? Danke.«
Zuerst fiel es mir an den Bäumen auf. Ihre Blätter waren ungewöhnlich groß. Einige der Exemplare stießen mit ihren Ästen bereits an die Decken der Habitate und die gelbliche Atmosphäre in ihnen hatten einen kränklichen Schimmer. Ich wusste um die Probleme bei der Nachzucht durch das mutierte Genmaterial, aber damit stimmte etwas nicht.
Ich stellte eine Anfrage an den Kern, ob es Anomalien oder Warnungen über defekte Filter oder Ähnliches gab – mein Sohn hat eine schwere Immunerkrankung – aber alles schien im grünen Bereich. Dann kam ich zu den Exponaten der alten Erde, wo Chrissian sich mit seiner Mutter immer noch aufhielt. Selbst in den Stasekapseln, wo die Artefakte nach dem Kollaps aufbewahrt wurden, war dieses – etwas. Aber nach der Anfrage war ich beruhigt. Ich dachte einfach, dass Karen recht hatte und ich Urlaub bräuchte. Und dann kam die Tafel. »Diese Tafel taucht in keinem der Verzeichnisse auf. Klar, in so ein Museum mit einer ausgemusterten KI und recyceltem Kern passieren schon mal Fehler. Aber von dieser Tafel, von der sie da sprechen, gibt es nicht einen Anhaltspunkt. Frachtprotokolle, Lagernummer, Archivfotos – nichts.«
»Ich weiß doch was ich gesehen habe! Und all die Menschen dort auch! Dann sind ihre Unterlagen fehlerhaft verdammt!«
Sie stand in der Mitte der Halle. Eine steinerne Tafel, etwa mannshoch, auf der krude Symbole eingemeißelt waren, wie Keilschrift einer längst vergangenen Zivilisation.
Der Stein wirkte wie nasser Beton, mit einem öligen Film darauf.
Chrissian stürmte voraus. Er wurde von so etwas magisch angezogen. Er quengelte, dass er es nicht anfassen könne, dass es hinter Panzerglas war, aber auf der Scheibe zog er die eingezeichneten Symbole fasziniert nach. Und dann passierte es.
Das Glühen.
»Wollen Sie damit sagen, das ihr Sohn es ausgelöst hat?«
»Nein, ich denke, es war Zufall. Täglich kommen tausende begeisterte Menschen daher, bestaunen sie und sind von der vergangenen Kunst gebannt. Ich glaube, mein Sohn hatte einfach Pech.«
Es fing zuerst auf den Symbolen an. Ein lila Strahlen, das sich auf alles ausbreitete. Ich dachte, ich verliere den Verstand, dass der Krieg mich doch noch einholt und mein Gehirn den Notaus drückte. Doch dann fiel der Strom aus. Kritisches Versagen des Kerns. Sicherheitsdroiden, Lüftung, alles Dunkel. Außer die Tafel.
Und da wusste ich, was ich die ganze Zeit gesehen hatte. Es war dieses Glühen, das unterschwellig von allem hier emittiert wurde. Aber nicht nur die Gegenstände, die Vasen und Artefakte. Die Bäume mit ihren unnatürlich riesigen Blättern leuchteten hell wie Fackeln in dem fremden Licht. Und auch die Menschen. Sie schienen von diesem Zustand so erschrocken wie ich und die Panik in ihren Augen sagte mir, dass ich nicht halluzinierte.
Das Leuchten schien, um sich zu greifen. Zuerst griff es nur die, die Nahe am Artefakt standen. Es war, als würden die Zeichen unbeschreibliche Formen und Symbole abstrahlen, die wie blitze auf die Menschen zuschossen.
Panik brach aus.
Ich rief nach Chrissian und meiner Frau. Ich versuchte, meine Augen vor dem Leuchten zu schützen, dessen Glühen ich nicht entkommen konnte, und stolperte von der Tafel weg. Neben mir ging ein Mann zu Boden, der vor Kurzem noch da gestanden hatte, wo vor wenigen Augenblicken noch mein Sohn stand. Sein Todeskampf verfolgt mich bis heute.
»Kann ich noch einen Schluck Wasser haben? Oder haben Sie auch etwas Stärkeres?«
»Alkoholika sind auf der Station streng verboten. Aber, da Sie sowieso bis zum Hals in der Scheiße stecken: Hier. Aber langsam. Und verraten Sie es keinem.«
Das Leuchten umhüllte ihn wie eine Korona die Sonne. Zuerst wurde das Lila heller, durchmischt von wabernden, hellen strahlen, wie Öl in Wasser.
Doch dann schien das Leuchten zu Tanzen, wurde zu einem Feuer.
Der Mann schrie. Seine Blicke flehten nach Hilfe. Er streckte sich nach mir aus, aber ich war wie gelähmt. Rauchlose Flammen verzehrten den ihn vor meinen Augen, bis nur noch mumifizierte Haut und Knochen übrig waren, die bis zuletzt noch ihre Finger vor Schmerzen in den Boden grub.
»Und Sie wurden nicht angegriffen?«
»Doch. Aber dank meiner Implantate konnte ich dem Griff – oder was auch immer es war- ausweichen.«
Ich hastete zur Seite, als die Flammen nach mir greifen wollten, rief wie wild meinen Sohn und Anna, meiner Frau, aber das Getöse und die Schreie übertönten mich wie ein Sturm. Nachdem ich mich durch die Menge gekämpft hatte, aber immer noch keine Spur von ihnen zu finden war, dachte ich, dass sie auch geflohen sein mussten oder vielleicht mitgerissen worden sind.
Wir hatten einen Treffpunkt vereinbart, falls wir uns im Museum verlieren.
Also rannte ich zu dem Bahnsystem. Um mich herum starben die Menschen.
Einer ging in den fremden Flammen auf, fiel zu Boden und klammerte sich verzweifelt an die Beine eines anderen, der ihm seiner Angst fast die. Ich habe viel Leid und Schrecken auf den Schlachtfeldern gesehen. Mars, Triton. Auch Trümmergürtel um Ganymed. Aber das. So habe ich noch niemanden brüllen hören.
»Kriege ich noch einen Schluck? Danke.«
»Sie sagten, Sie waren bei dem Angriff der Genesis-Station. Sind Sie damals Amon Sphyx begegnet?«
»Ich hielt damals die Sauerstoffwandler mit meinen Drohnen, als er mit seinen Truppen angriff. Ich hörte die Schüsse und die Schreie der Zivilisten durch die Korridore hallen. Wir standen uns beim Kriegsgericht gegenüber. Aber ich war nur einer von vielen und er wird sich nicht an mich erinnern. Er ist jetzt hier der Gefängnisdirektor, nicht wahr?«
»Ja. Nach den Vorfällen während des Angriffs wurde er hier her versetzt, um den öffentlichen Frieden zu wahren. Sie wissen ja, wie die Medien sind. Es wird immer alles aufgebauscht. Niemand von denen war dabei oder weiß, wie es ist, wirklich an der Front zu sein. Man einigte sich später auf eine Entlassung aus dem Militärdienst und eine Stelle für den Ruhestand an diesem beschaulichen Ort. Daher meine Neugier. Ich hätte gerne gewusst, wie er früher so war.«
»Ist er hier?«
»Wer, Sphyx? Nein, er ist noch geschäftlich unterwegs. Also erzählen Sie weiter.«
Ich rannte durch den Hauptgang, der zu dem Museum führte. Die Station war in die Jahre gekommen. Über den wenigen Überlebenden leuchtete der Saturn durch die Glasgänge. Von Mimas aus sah er gewaltig aus. In mir regte sich die Furcht, sogar der Planet könnte einen Funken dieses Leuchtens verbergen, das uns hier auf seinem Mond tötete. Die Aquarien, die an den Seiten aufgestellt waren und den Besucher begrüßten, huschten an mir vorbei. Chrissian hatte sich vor den Fischen, Quallen und Mollusken immer gefürchtet. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass einige davon von der Erde stammen und ein paar sogar extra vom Menschen geschaffen wurden, um die Meere vor dem grünen Tod zu retten.
»Ohne Erfolg, offensichtlich.«
Die wenigen Überlebenden flohen Richtung Ausgang.
Dann erhellten erste Ausläufer des Glühens den Gang und schien sogar die Dunkelheit auf der eisigen Mondoberfläche zu vertreiben.
Ich sah nach hinten. Geometrische Formen, Kugeln und Oktaeder tanzen wie Seifenblasen am Rande meiner Wahrnehmung in dem blendenden Leuchten. Ich versuchte die Menschen um mich zu warnen, doch der Schrecken der vergangenen Stunden ließ Panik wie Stromschläge durch die Überlebenden fahren.
Das rettete mir das Leben. Durch den Stoß einer Frau, die sich vor mich drängen wollte, geriet ich ins Straucheln, stolperte und stürzte zu einem der Aquarien. Im Augenwinkel sah ich noch, wie das Leuchten sich näherte. Zuerst langsam, dann schneller krochen die Lichtstrahlen wie Tentakeln durch die Luft, mischten sich mit den Spiegelungen des Wassers zu einem kränklichen Kaleidoskop.
Dann ging alles ganz schnell.
Instinktiv hastete ich hinter eines der Becken, quetschte mich zwischen die Glasscheiben der äußeren Wand und des Aquariums als das Licht wie eine Welle über die Menschen fuhr. Sie verbrannten in den fremden Flammen und als sie aufgezehrt waren, stieg das lodernde Feuer wie Rauch zum Licht auf.
»Und Sie wollen mir erzählen, Sie haben sich vor einer Energiewaffe versteckt?«
»Haben sie mir überhaupt zugehört? Das ist keine Waffe. Zumindest keine, die ich in den Jahren beim Konzernmilitär jemals gesehen habe. Ich denke viel eher, das es lebendig ist.«
»Ach kommen Sie schon. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich -«
»Hören sie mir weiter zu!«
Als sich alles gelegt hatte und ich über die verkohlten Leiber stieg, penibel darauf bedacht keinen davon zu berühren, sah ich noch etwas anderes am Boden. Es waren Fußspuren, vielleicht wie von einem Vogel, aber deutlich größer.
Hinter mir hallten Schritte durch den Flur. Ich war unbewaffnet, überlegte sofort los zu sprinten. Vielleicht konnte ich diesem Schrecken ja noch einmal entkommen, obwohl wahrscheinlich niemand so viel Glück haben konnte. Dann hörte ich eine Frauenstimme. Sie befahl mir, mich hinzuknien und die Arme hinter dem Rücken zu verschränken. Ihre Stimme bebte. Eine Waffe wurde durchgeladen.
»Haben Sie mich nicht verstanden? Los, hinknien und Arme verschränken!«
»Ich suche nur nach meiner Familie. Bitte, nicht schießen.«
Ich drehte mich langsam um. Der Blick der Frau zitterte wie ihre Stimme. Sie hatte Angst, was ich ihr nicht verübeln konnte.
»Das war diese Frau, die Sie erwähnt haben, wie war ihr Name noch gleich? Ah, hier: Elisa.«
»Sagte sie zumindest. Ob ich ihr getraut habe? Nein, auf keinen Fall. Wer bringt denn eine Schusswaffe mit ins Museum? Und zum Sicherheitsdienst gehörte sie auch nicht, das verriet ihre Haltung. Sie war es nicht gewohnt Leute einzuschüchtern, geschweige denn eine Waffe zu tragen.«
Elisa sagte, sie suche nach ihrer Frau, was ich ihr genau so wenig glaubte wie, das sie keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Ich ließ es dabei bewenden und versprach, ihr zu helfen. Wir spurteten zur Transportstation. Eine Transportkapsel war noch angedockt. Überall waren Leichen. Ein paar waren offenbar von der Menge totgetrampelt worden, die verzweifelt versucht hatten, zu fliehen, als das Leuchten sie überraschte.
Ich las die ID’s der Neuralimplantate aus. Bei denen, die durch die Strahlung oder was auch immer es war, zerstört waren, drehte ich die Leiber und versuchte, etwas aus den verdorrten Gesichtern zu erkennen. Erleichtert stellte ich fest, das weder meine Familie noch Elisas unter den Toten war.
Das Leuchten sucht sich seinen Weg |
»Wieso haben Sie sich nicht in Sicherheit gebracht oder Hilfe geholt? Ich meine, es sah nicht so aus, als könnten sie dort viel ausrichten.«
»Ich konnte nicht. Zum einen hätte ich niemals mit der Schuld leben können, die beiden dort zurückzulassen, und wenn es nur ihre Leichen waren. Zum anderen war die Kapsel blockiert, das Sicherheitssystem hatte sie ausgeschaltet.«
Elisa schlug vor, zum Wachraum zu gehen, um von da aus zumindest Hilfe rufen zu können. Von dort hätte ich auch die besten Chancen, meine Familie über das Überwachungssystem zu finden. Sie kannte sich scheinbar bestens hier aus und führte mich durch die verlassen Gänge.
Riesige Antiquariate säumten den Weg. Steinstatuen und Obelisken warfen lange Schatten. Der Geruch von staubigen Antiquitäten mischte sich mit dem verbrannten Fleisches. Elisa sah sie besorgt an. Ihre Waffe wanderte nervös umher.
»Was ist los mit Ihnen? Denken sie, eine Kugel würde es aufhalten?«
Ich versuchte, so ernst wie möglich zu bleiben, obwohl ich bei der Absurdität des Vorhabens fast lachen musste. »Nein, nicht das Leuchten. Aber die Tafel.« Ihr steinerner Gesichtsausdruck verriet ihre Ernsthaftigkeit.
Sie sagte, dass das hier nicht das erste Mal sei. Immer wieder komme es zu solchen Vorfällen, in denen ganze Station verlassen vorgefunden werden, die Menschen verdorrt wie trockenes Laub. Natürlich schieben es die Behörden auf Piraten, tragische Fehler in der Sauerstoffversorgung oder ein Seuchenausbruch. Aber das stimmt nicht. Nicht immer.
Es gibt Berichte bis in die Frühzeit der Erde, wo damals ein ganzes Tal von diesem Leuchten, oder der Farbe, wie es von manchen genannt wird, ausgelöscht wurde. Es kommt, infiziert jedes Lebewesen und lässt es wachsen. Bäume, Sträucher, alles. Tiere, wenn es dort welche gibt. Und wenn es Zeit ist zu ernten - »Ganz ruhig. Atmen Sie. Alles in Ordnung? Ich kann einen Sanitäter mit etwas Beruhigungsmittel kommen lassen.«
»Nein nein, geht schon. Ich musste nur kurz durchatmen. Wo waren wir?«
»Es lässt alles Wachsen haben Sie gesagt.«
»Ja. Um den Ertrag zu erhöhen. Je mehr Energie es konsumieren kann, desto besser.
Vermutlich hatte es hier das Warten Leid. Die Menschen haben es auf diesen kalten Felsen gesperrt und jetzt war es Zeit, von dort zu verschwinden. Laut Elisa gab es sogar Kulte, die diese Wesen Anbeteten. Ihnen Nahrung zukommen ließen.
»Haben Sie, diese Wesen gesagt? Also gibt es davon mehrere.«
»Da hat sich Elisa nicht klar ausgedrückt. Sie sprach wirr. Hatte Angst. Vermutlich waren sie und ihre Gesellschaft von Wissenden sich auch nicht sicher.«
Der Wachraum war von außen verriegelt. Elisa öffnete die Konsole an der Wand und überbrückte die Sicherung. Zum Glück für uns waren die Sicherungen alt und der Kern immer noch inaktiv.
Im Licht der spärlichen Notbeleuchtung und dem Flackern der Bildschirme fanden wir die ausgezehrten Reste des Wachpersonals. Elisas Finger huschten über die Kristallmatritzen der Bildschirme, als wüsste sie bereits, wo sie die letzten Aufnahmen in den gesondert gesicherten Archiven finden konnte. Doch nirgendwo eine Spur von meiner Familie.
»Und was suchte Elisa dort?«
»Ich vermute, sie suchte nach einem Auslöser. Etwas, das dieses Wesen befreit hatte. Aber die Aufnahmen des Ausstellungsraums waren kaum zu gebrauchen.
Weder der Auslöser, noch eine Spur meiner Familie. Ich war wie betäubt. Man sah nur, wie alles in gleißendem Licht aufging und das Leuchten der Runen, das sich sogar in die Matrizen der Bildschirme eingebrannt hatte. Aber Elisa fand etwas anderes, woran ihr Verstand zerbrach.«
Die Schreie der Menschen kamen auf den brüchigen Aufzeichnungen verzerrt rüber, die Bilder waren abgehackt. Doch auf den wenigen brauchbaren Dateien fing sie plötzlich an, eine Sequenz minutenlang anzustarren. Als hätte sie etwas gesehen, das sofort wieder verschwand, wie ein Huschen im Augenwinkel.
»Hier, sehen Sie! Da, da ist es!«
Es gelang ihr, den Bildschirm im genau richtigen Moment einzufrieren. Dort war er.
Oder- es.
»Eine Person sagen Sie? Ein weiterer Überlebender?«
»Nein, ich denke nicht, dass es ein Mensch war.«
Eine Gestalt mit schwarzen Augen und lilafarbener Haut, wie die Runen auf der Tafel, schritt durch das Leuchten. Oder besser, schien sich davon zu umgeben. Es war immer nur ein Schemen, wie ein heller Schatten in dem öligen Schein des zehrenden Lichtes, aber dort, in dieser Sekunde, hatte eine Überwachungsdrohne es eingefangen.
»Das ist er«, flüsterte Elisa, wohl mehr zu sich selbst als zu mir, »der Bote des fressenden Gottes, Avatar des kriechenden Chaos. Die Tafel ist der Schlüssel, der Schlüssel und das Tor, gebaut auf dem schwarzen Planeten nach dem Vorbild des Yog.«
Sie starrte auf den Bildschirm. Meine Augen brannten. Ich blinzelte heftig, wie nach einem langen Tag im Büro. Auch Elisa sah müde aus. Die Falten ihres sonst jugendlichen Gesichtes schienen im Schatten tiefer geworden zu sein. Vielleicht lag es an der Aufnahme, oder der Aussicht, dass wir hier nie wieder runterkommen würden. Ich fühlte mich leer. Keine Spur meiner Familie, gefangen auf diesem Felsen. Vermutlich waren sie bereits tot.
»Elisa, gehen wir weiter. Vielleicht finden wir einen Notschacht oder einen Transporter zurück zur Kolonie.« Doch sie reagierte nicht. Wie festgenagelt starrte sie auf den Bildschirm. Auf den Wangen und unter den Augen hatten sich tiefe Furchen gebildet, als wäre sie in Sekunden um Jahrzehnte gealtert. Ihre Hände, die sich noch an den Schreibtisch krallten, waren die einer alten Frau. Der Bildschirm wurde heller. Dampfendes, kränkliches Licht stieg von Elisas Haut auf und wurde hineingesogen.
Ich folgte der kondensierten Lebenskraft und starrte in die Augen der Kreatur, die aus der Aufnahme uns anstarrte.
»Also haben Sie doch ein Live-Feed verfolgt?«
»Nein, es war sicher eine Aufnahme. Aber ich denke, wir hatten es da mit etwas zu tun, für das die Regeln und Mauern unserer Realität nicht gelten.«
Ich stolperte zurück, wollte Elisa mit mir reißen, doch es war zu spät.
Das Leuchten kettete sie an, schlang sich um sie, während es sie vollständig verzehrte. Dann griff es um sich, stieß aus dem neuen Tor, das früher mal Elisa war, heraus und zehrte an allem, was es fand.
Instinktiv griff ich ihre Waffe und schoss auf den Bildschirm. Die Kristallmatritze zerplatze, Elisa sackte in sich zusammen. Ihre Knochen brachen bei dem Aufprall.
Ob sie dadurch starb oder das Leuchten sie tötete, kann ich nicht sagen, aber in jedem Fall war es eine Gnade.
Und ich war dankbar, dass ich es nicht tun musste.
Um mich herum zerfielen die Zimmerpflanzen zu Staub und der Belag bröckelte wie Rost von den Wänden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es mich bekommen würde. Ich war alleine in einer gewaltigen Kuppel, kein Notsignal, keine Kommunikation. Nichts. Ich habe mich vor Elisas Leiche gekauert und sie angestarrt. Sah dem Leuchten – oder der Farbe, wie sie es nannte – dabei zu, aus den Resten der Frau und dem Bildschirm zu sickern, als wäre ich in einem Wassertank und schaue dem Pegel beim Steigen zu.
»Und was haben Sie dann getan? Wie sind Sie entkommen?«
»Wissen Sie, was damals auf Genesis passiert ist?«
»Wie kommen Sie jetzt darauf? Aber um ehrlich zu sein, nein. Ich hab ihn nie gefragt und er redet auch nicht darüber. Beantworten Sie meine Frage.«
»Er hat die Sauerstoffversorgung von dem, was er für eine Waffenkammer mit bewaffneten Truppen hielt, abgedreht und die Co2-Wäscher umgeleitet. Die Menschen darin sind erstickt. Es wurde später als Unfall dargestellt, aber das stimmt nicht. In Militärkreisen spricht man von einem Sphyx-Manöver.«
»Das ist tragisch aber-«
»Ich hab mit einer Drohne versucht, die Tür aufzubrechen. Ohne Erfolg.«
»Wie sind Sie entkommen verdammt! Und warum hat es sonst niemand geschafft?«
»Ich habe die Tafel zerstört!«
Elisa sagte es. Die Tafel war das Tor. Ich fand weder die Sender noch die Leichen meiner Familie. Ich musste daran glauben, dass sie noch irgendwo waren. Vielleicht versteckten sie sich ein paar ebenen Tiefer.
Und wenn es einen Weg gab, dann musste ich es tun. Mit letzter Kraft raffte ich mich auf und ging zurück zur großen Halle, vorbei an den konservierten Relikten vergangener Religionen, die in geisterhaftem Licht lange Schatten warfen. Das Leuchten, das sich durch seine Opfer in die Realität gefressen hatte, strömte durch die Risse in Mauerwerk und den Ausstellungsstücken.
Die Tafel war im Zentrum der Realitätsbrüche, die allesamt von ihr ausgingen. Ich blinzelte, spürte wie das Licht an meiner Essenz sog. Die blendenden Strahlen und öligen Flammen nahmen mir die Sicht. Sie pulsierten wie ein Herzschlag, der ihre Energie durch die Kammern des Museums leitete.
Schritt für Schritt kämpfte ich mich vorwärts. Die Schatten tanzen wie wild in der verlassenen Halle. Vor der Tafel sah ich es. Das Wesen von der Aufnahme. Die faltige Lila Haut, die vogelartigen Beine. Die schwarzen Augen, in denen ich die fremdartigen Symbole der Tafel tanzen sehen konnte. Meine Eingeweide wurden auseinandergerissen, meine Sicht verschwamm. Mein Haar ergraute im Zeitraffer. Ich betete, das die Kugeln ausreichen würden. Ich hob die Waffe. Schoss.
Nichts passierte.
Das Licht brannte in meinen Augen wie Säure. Ich sah nur noch dieses fremde Leuchten. Diese Farbe. Und die Kreatur vor mir.
Das Wesen grinste. Glaskabinen zerplatzen, der Boden bebte wie ein Herzschlag.
Meine Knie sackten ein. Sogar das Atmen fiel mir schwer, als würde ich die schwefelverseuchte Luft der Venus atmen. Das war mein Ende. Elisa hatte sich geirrt. Also tat ich das einzige, was ich konnte. Ich schwenkte die Waffe herum, schrie und entlud den Rest des Magazins in die Kreatur. Die Kugel durchschnitt sie, ihre Hülle platze wie ein Ballon. Sie entkam.
Stille senkte sich über die Anlage. Das Pulsieren der Risse wurde langsamer, das pochen aus der ferne leiser.
Ich stand in der Dunkelheit. Alleine und gebrochen. Zuerst kam ich kaum auf die Beine, da mir die Gelenke den Dienst versagten. Bis ich begriff, dass ich erblindet war, war schon ein Rettungsteam vor Ort.
»Sie meinen, das Wesen ist entkommen? Ich glaube nicht, dass jemand so etwas überlebt, außer mit ausufernden Augmentationen.«
»Ich denke nicht, dass sich so eine Kreatur mit bloßer Gewalt aufhalten ließe. Aber wenn man in eine Realität eindringt, müssen sich vielleicht sogar Götter ein Stück weit den neuen Regeln beugen. Ich -«
»Eine Sekunde, ich bekomme eine Nachricht auf den Comlink. Mein Vorgesetzter möchte persönlich mit Ihnen sprechen.«
»Er ist hier? Der Leere sei dank.«
»Wie meinen Sie das? Ja, er wird in wenigen Minuten hier sein. Ich dachte, Sie kennen sich nicht.«
»Nein, er kennt mich nicht. Auch nicht meine Familie, die er auf Genesis erstickt hat wie ein paar Ratten.«
»Was, ich dachte Sie-«
»Ich kann es nicht mehr lange halten. Es – frisst sich durch. Wissen Sie, wie schwer es ist, diesen Mann zu finden? Und wie unmöglich, hier, in dieses Hochsicherheitsgefängnis eine Waffe hereinzuschmuggeln, um zu tun, was ein Kriegsgericht vor 10 Jahren hätte tun sollen? Aber jetzt ist er hier und erhält seine gerechte Strafe.«
»Verdammt! Wachen, Wachen! Wo kommen die Zeichen auf ihrer Haut her?«
»Es ist zu spät. Setzten Sie sich. Es tut nicht weh. Er kommt. Ich band ihn mit einem Ritual an mich, das mich beinahe alles gekostet hat. Zuerst musste ich es befreien, was riskant war, das gebe ich zu. Um ein Haar hätte es mich auch in dem Museum erwischt. Aber ich konnte das Ritual vollführen und zu dem Portal werden. Selbst für einen Mann wie Sphyx gibt es jetzt kein Entkommen mehr. Für niemanden hier.«
»Das Leuchten – es brennt. Oh Gott, der Gefangene zerreißt die Realität! Lassen Sie mich hier raus, lassen Sie mich - «
Spannend, mit ein paar Längen. Der Welten-Entwurf gefällt mir gut und der Twist am Ende war sowohl überraschend als auch überzeugend. ❄️❄️❄️❄️
AntwortenLöschenStory ****
AntwortenLöschenStil ****
Originalität ****
Gesamt 4 von 5 Sternen
Ein paar Längen, ein paar unvollständige Sätze und Kleinkram, den man mit einem abschließenden Korrekturlesen beseitigen hätte können, ansonsten aber ansprechend geschrieben. Den Wechsel zwischen Erinnerung und wörtlicher Rede fand ich ziemlich gut umgesetz. Den Twist fand ich eher mäßig, ein bisschen vorhersehbar auch, aber die Grundidee macht das wett. Drei Punkt fünf Sterne.
AntwortenLöschenGrausam. Grausamkeit lese ich nicht gerne. Und schon die vierte Geschichte, in der Runen vorkommen und die zweite mit violetten Wesen. Ein paar Rechtschreibfehler, die nicht ins Gewicht fallen. Ein überraschendes Ende. Ich gebe 3 Sterne. ***
AntwortenLöschenEigentlich sollten die Runentafeln und violette Wesen in allen Geschichten vorkommen. Die zwei Bilder waren ja die Ausgangsbasis für den Wettbewerb.
LöschenDie von meinen Vorrednern erwähnten Längen sind mir auch aufgefallen.
AntwortenLöschenDennoch eine solide Geschichte. 3 von5 Sterne.
Das ist SF genau nach meinem Geschmack. Super. Toll geschrieben, die Spannung baut sich richtig schön auf. Die von einigen Kommentatoren beschriebenen "Längen" sind auch mir aufgefallen, jedoch empfand ich selbige eher als entspannend. Gab meinen Fingernägeln wieder ein bisschen Zeit nachzuwachsen ;)
AntwortenLöschenDer Plot-Twist am Schluss kam an wie mit einem voll durchgezogenem Vorschlaghammer daher ... und das zu einem Zeitpunkt, an dem ich nicht mehr damit gerechnet habe. Klasse!
Eine der ersten Dinge, die mir aufgefallen sind ist, dass "Verhör" und "Rückblende" so nahtlos ineinander übergehen, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich reinzufinden. Wollte deswegen eigentlich Punkte abziehen, aber mit fortlaufender Geschichte stellte sich raus, dass mir dieses Stilmittel so richtig gut gefällt, eben auch, weil es gut und vor allem konsequent umgesetzt wurde.
Die eine oder andere Lücke gab es jedoch schon. Ganz krass aufgefallen ist, dass die Geschichte auf dem JUPITER-Mond IO startet, aber in der Mitte der Geschichte der SATURN beim Feinster reinscheint. Es spricht zwar jetzt nichts dagegen, dass das Verhör auf IO stattfindet, das Museum sich aber auf einem Saturnmond befindet, jedoch fehlt diese Info, und wenn man da darüberstolpert, dann ist das störend
Aber nichtsdestotrotz: Eine von vorne bis hinten tolle SF-Kurzgeschichte, die auch die vorgegebenen Bilder sehr gut integriert
4,5 von 5 Sternen
LöschenSpannend! Hat Spaß gemacht durch zu lesen, Plot am Ende sehr gelungen gelungen. Leider ein paar Rechtschreibfehler… 4/5 Sterne
AntwortenLöschen3/5 Sternen. Ich fand die Stimmung beklemmend. Klar. Das war gewollt,, aber so hoffnungslose Geschichten ziehen mich etwas runter. Der Stil gefällt mir.
AntwortenLöschenDarüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber ja. In der aktuellen Zeit ist das schon nah an dem, was in der Welt gerade abgeht. Vielleicht war es auch Absicht?
LöschenDie Längen sind mir ebenfalls etwas unangenehm aufgefallen und irgendwie fehlt mir die Motivation der Aliens. Die Motivation des Hauptcharakters wird da schon klarer und am Ende mit einem Plot-Twist offenbart.
AntwortenLöschenAnsonsten ist mir noch aufgefallen, dass einige Wörter fehlen, weshalb manche Sätze unverständlich bleiben. Oder es werden falsche Wörter benutzt, z.B. bei "Sie waren bei dem Angriff der Genesis-Station." Hat die Genesis-Station den Angriff durchgeführt oder sollte das "Angriff auf die Genesis-Station" heißen?
Weiterhin gibt es ein paar Recherchefehler. Der Jupitermond Io ist z.B. ein denkbar schlechter Ort für ein Gefängnis bzw. überhaupt Siedlungen jeder Art. Dieser Mond hat die größte vulkanische Aktivität im Sonnensystem. Er besteht praktisch ausschließlich aus Vulkanen und es gibt permanent Beben. Nichts kann dort länger überdauern.
Insgesamt kann ich aber immer noch 3 Sterne vergeben.
3/5 Sterne. Cooles Setting. Die Atmosphäre mag ich total. Beklemmend und beängstitend, sodass man wirklich mitfiebert. Punktabzug, wiel dauernd Anführungszeichen fehlen, so dass man Sätze mehrfach lesen muss, um zu erkennen, wo die wörtliche Rede aufhört. Manches ist für meinen Geschmack sehr technisch und kompliziert.
AntwortenLöschen3 von 5 Punkten für eine gelungene Geschichte mit ein paar Abschnitten, die man vielleicht herauskürzen könnte, um das Tempo zu erhöhen. Welcher MOnd von welchem Planeten es ist, fällt mir nicht auf, aber es wäre natürlich schön, wenn es "realistisch" ist. Im Rahmen des Möglichen.
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