Anonymer Schreibwettbewerb 2023 - Geschichte: 8

 Pink ist das neue Grün


von Beatrice Sonntag


Das Reisen und das Schreiben sind die liebsten Hobbys von Beatrice Sonntag. Wo immer es geht, verbindet sie beides miteinander. Sie schreibt schon seit 2011 Reisegeschichten und erzählt auf ihrem Blog jede Woche von mal mehr mal weniger fernen Ländern.
Beatrice Sonntag ist schon über 42 Jahre alt und hat 134 Länder besucht. Mit ihrem Mann lebt sie im Saarland und arbeitet in Luxemburg als Baukoordinatorin an richtig großen Baustellen.  
Neuerdings schreibt Beatrice Sonntag auch Romane und hin und wieder eine Kurzgeschichte. „Pink  ist das neue Grün“ ist eigens für den Kurzgeschichtenwettbewerb von „Axel schreibt“ entstanden. Es waren wohl die Bilder, die zu der Erzählung inspiriert haben.
Die Kurzgeschichte „Flucht in die Realität“ wurde im Rahmen einer Ausschreibung Anfang 2022 in die Anthologie „7 Millionen Tage in der Zukunft“ aufgenommen. Auch einer der ersten Romane von Beatrice Sonntag wird einen Hauch Science Fiction haben. Er spielt in Las Vegas und wird voraussichtlich noch 2023 erscheinen. Bleibt auf dem Laufenden und erfahrt mehr über Beatrice Sonntags Bücher: https://www.beatrice-sonntag.de/beatrice-sonntags-buecher/. Von dort aus könnt Ihr euch auch zum Blog weiterklicken und euch die tägliche Dosis Fernweh abholen.







Das ganze Dorf war in Aufruhr und es gab nur ein Thema.

»Lisbeth, hast du es schon gehört? Gestern Nacht waren Außerirdische im Ringelsbacher Wäldchen.« Der alte Erich lehnte sich verschwörerisch über den Gartenzaun. 

»Außerirdische? So ein Quatsch. Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?« Lisbeth klemmte sich die Tageszeitung unter die Achsel und schaute ihren Nachbarn mit schräg gelegtem Kopf an. 

»Der Berwanger. Der alte Berwanger war es. Der hat die Außerirdischen mit eigenen Augen gesehen. Im Ringelsbacher Wäldchen, direkt hinter seinem Hof.«

»Ammenmärchen. Alles Humbug. Der alte Berwanger ist doch blind wie ein Fisch!« 

In dem Moment kam der Briefbote vorbei. »Sprecht Ihr über die Außerirdischen?«

Lisbeth nahm den Brief entgegen, den ihr der Postbote reichte, machte auf dem Absatz kehrt und schlurfte zurück ins Haus. »Spinner«, murmelte sie. 


Auch die kleine Emmi hatte von den Außerirdischen erfahren. »Mama, hast du gehört, dass im Ringelsbacher Wäldchen ein Ufo gelandet ist?«

»Schatz, pack bitte dein Brot ein und zieh deine Stiefel an. Wir müssen los.«

»Alle reden davon. Können wir nach der Schule dahin gehen?«

»Schatz, selbst wenn da ein Ufo gelandet wäre, was ich nicht glaube, dann ist es sicher schon wieder nach Hause geflogen. Oder nach New York. Was sollten Außerirdische im Ringelsbacher Wäldchen?«

»Da ist es doch schön!«

»Emmi, Schatz, ich will dich nicht enttäuschen, aber der alte Berwanger hat leider nicht mehr alle Latten am Zaun.«

»Aber Mama!«

»Ja. Entschuldige. Versprich mir, dass du mit Lottie und Charlie nach Hause gehst. Keine Alleingänge. Kein Umweg zum Ringelsbacher Wäldchen und kein Abstecher in den Laden.«

Emmi murmelte etwas in ihre Hand hinein. 

»Versprochen?«

»Ja. Meinetwegen.«


Nach der Schule standen Emmi, Lottie und Charlie auf dem Pausenhof und unterhielten sich.

»Ich will unbedingt dahin!« Emmi zog ihren Schal fester um den Hals.

»Aber ich darf nicht«, maulte Lottie. 

»Seid nicht kindisch. Das ist es nicht wert, Hausarrest zu riskieren. Meine Mama sagt, der alte Berwanger ist ein Spinner.« Charlie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. 

»Außerdem bist du genauso ein Spinner wie der alte Berwanger, denn du hast immer noch nicht kapiert, dass Grün das neue Pink ist.« Lottie zeigte auf Emmis rosa Rucksack und verzog das Gesicht. 

Charlie pflichtete ihr bei. »Genau. Pink ist für Babys. Wir sind jetzt in der zweiten Klasse!« 

Also ging Emmi alleine in Richtung des Wäldchens. Es war nicht weit und auf ihre ach so hippen und erwachsenen Freundinnen, die plötzlich nur noch grün trugen und Emmi auslachten, konnte sie gerne verzichten. Sie musste zweimal abbiegen und dann den schmalen Feldweg in Richtung des Berwanger Hofs entlanggehen. Das Anwesen stand still und verlassen vor ihr. Emmi hörte nur ein paar Hühner gackern. Sie ging um den Hof herum auf das Waldstück zu. Hier musste es gewesen sein. Wenn der alte Berwanger das Ufo von seinem Hof aus gesehen hatte, dann war es sicher hier am Waldrand gelandet. Oder vielleicht hatte es über den Bäumen geschwebt. 

Es war schon herbstlich kühl, aber Emmis pinkfarbene Stiefel hielten ihre kleinen Füße warm. Sie ging ein paar Schritte in den Wald hinein. Dünne Äste knackten unter ihren Füßen und das bunte Laub fühlte sich weich an. Sie schaute sich um und konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Das Wäldchen lag da, wie immer. Moment. War da nicht etwas Buntes bei den Farnen da hinten? Etwas Pinkfarbenes? Emmi hüpfte weiter und stolperte über einen morschen Baumstumpf. Sie fiel ins weiche Laub und da lag es genau vor ihrer Nase. Ein… Ja, was war das eigentlich? Ein Smartphone? Ein Spielzeug? Etwas Außerirdisches? Ehrfürchtig krabbelte Emmi langsam auf den pinkfarbenen Gegenstand zu. Sie blickte sich um und griff dann ganz behutsam danach. Es war ein schwarzer, flacher Gegenstand. Auf einer Seite gab es so etwas wie einen Bildschirm. Darauf leuchteten pinkfarbene Buchstaben. Sie drehte das Ding um. Die Rückseite war schwarz. Tiefschwarz. Der Schmutz des Waldbodens schien von dem Gerät abzuprallen. Wow.  Sie drehte das Teil wieder um. Da waren die Buchstaben verschwunden. Da war ein F gewesen. Und vielleicht ein I. Jetzt war alles schwarz. Das konnte eigentlich nur das Telefon von den Außerirdischen sein. Cool. Und sie hatte es gefunden! Hammer. 

Sie drückte auf den Bildschirm, wischte mit den Fingern darüber, wie man es bei einem Smartphone tat. Nichts rührte sich. Ob die Batterie leer war? Hinter sich hörte Emmi ein Fahrzeug. Das musste der alte Berwanger mit seinem Traktor sein. Wenn er nicht alle Latten am Zaun hatte, dann war es wohl ein guter Moment, um zu verschwinden. Emmi ließ das fremde Gerät in ihre Anoraktasche gleiten und suchte hinter einem Baum Schutz. 

»Verschwinde!« Der alte Berwanger hatte sie gesehen. Er brüllte von seinem Traktor herunter, aber Emmi war schnell. Sie hüpfte den Feldweg entlang in Richtung Dorf. 


Als sie nach Hause kam, erwartete sie nur die Putzfrau. Mama und Papa waren noch auf der Arbeit. War ja klar. Sie aß den Nudelauflauf, den Frau Hemmer ihr zubereitet hatte und setzte sich an die Hausaufgaben. Schnell war alles erledigt, denn Emmi wollte sich ihrem außerirdischen Fund widmen und zwar ohne dabei an nicht erledigte Aufgaben denken zu müssen. 

Als sie schließlich das Gerät ehrfürchtig in den Händen hielt, leuchteten die Buchstaben wieder auf. Sie malte sie ab, falls sie wieder verschwanden. Lange versuchte Emmi mit der Hilfe des Internets die Zeichen auf dem Gerät zu entziffern. Zwei davon sahen ein wenig aus wie lateinische Buchstaben. Zwei andere erinnerten an Runen, wie die Kelten sie benutzt hatten. Darüber hatte Emmi in der Schule etwas gelernt. Sie suchte nach griechischen und ägyptischen Buchstaben auf Wikipedia, konnte sich aber auch nach langer Suche keinen Reim auf die pinkfarbenen Zeichen machen. Verträumt und ein wenig enttäuscht trommelte sie mit den Fingern auf der glatten Oberfläche.  Da flackerte der Bildschirm plötzlich auf. 

Emmis Hände zuckten zurück. Statt der Zeichen, die eben noch da gestanden hatten, erschien nun ein dünner Kreis, der rhythmisch pulsierte. Emmi starrte gebannt auf den Bildschirm. Als es wieder zu Flackern begann und sich ein Gesicht abzeichnete, stieß sie einen spitzen Schrei aus. 

»Alles in Ordnung, Emmi?« Die Putzfrau brüllte von unten. 

Emmi flitzte zur Tür und riss sie auf. »Alles in Ordnung. Da war bloß eine kleine Spinne!« Sie schob hastig die Tür wieder zu und drehte den Schlüssel. Sekunden später saß sie wieder auf dem Bett neben dem Apparat und schaute vorsichtig von oben darauf. 

»Hallo?« 

Aus dem Gerät kamen krächzende Laute, ein Schnalzen und ein Gurgeln. Emmi konnte deutlich sehen, dass da jemand sprach. Es war ein pinkfarbenes Gesicht mit einer runzligen Stirn und großen Augen. Der Kopf war ebenfalls pink und vollkommen unbehaart. Irgendwie wirkten die Laute wütend und genervt. Emmi kam der Gedanke, dass sich jemand einen Scherz mit ihr erlaubte. Waren das Lottie und Charlie, die sich wieder über ihre Vorliebe für Pink lustig machen wollten? Nein. Die beiden konnten bestimmt keine komplizierten Geräte bedienen und solche Internetdinge machen, wie Mama auf der Arbeit beim Marketingdesign oder wie das hieß. 

»Hallo. Wer bist du? Kannst du auch deutsch?« 

Wieder kam nur ein gurgelndes Geräusch. 

»Emmi, Kleines, mit wem sprichst du?« Die Putzfrau drückte die Klinke und Emmi erschrak. 

»Es ist alles gut. Ich schaue nur eine Serie. Ich bin mit den Hausaufgaben schon fertig.« 

»Du weißt, dass deine Mama es nicht mag, wenn du dich einsperrst.«

»Ja. Weiß ich.« Emmi schaute mit schmalen Lippen zur Tür, als ob sie mit diesem Blick die Putzfrau dahinter vertreiben konnte. 

Ein weiteres Gurgeln entstand. »Wer ist das? Vor wem versteckst du dich?« 

»Du kannst ja deutsch! Das ist ja klasse.«

»Ich kann kein Deutsch. Was immer das auch ist. Ich habe nur einen guten Übersetzer. Wer bist du?«

»Ich bin Emmi. Ich bin acht Jahre alt.« Sie nahm vorsichtig den Apparat in beide Hände und hielt ihn so, dass sie das Gesicht darauf gut sehen konnte. 

»Ich bin Dwigni. Du hast also meinen Etrink-Planer gefunden. So ein Mist. Den muss ich bei der Bruchlandung verloren haben.«

»Bruchlandung? Du bist also wirklich im Ringelsbacher Wäldchen gelandet? Bist du ein Außerirdischer?«

»Ein was?«

»Na von einem anderen Planeten.«

»Ich bin von Rulla. Das sieht man doch.« Das Wesen schlug sich mit zwei pinkfarbenen fleischigen Händen auf beiden Seiten an den Kopf. An den dünnen Armen wirkten die Hände wie Boxhandschuhe. »Hör zu. Ich habe keine Zeit. Ich bin spät dran und muss diese bescheuerten Kratzhelme nach Flippisto sieben bringen. Kann ich das Teil auf dem Rückweg bei dir abholen kommen?«

»Warum bist du denn so schlecht gelaunt?« Emmi hätte gerne noch etwas länger geplaudert. 

»Hast du schon mal einen Pinken erlebt, der gut gelaunt war?«

»Ich habe noch nie jemanden gesehen, der pink ist. Aber das finde ich total klasse. Pink ist meine Lieblingsfarbe, obwohl Lottie und Charlie immer sagen, dass Grün das neue Pink ist und dass Pink nur was für Babys ist. Aber meine Lieblingsfarbe ist Pink. Und das wird auch so bleiben.« Emmi hielt sich die Hand vor den Mund. So viel hatte sie eigentlich nicht sagen wollen. Schließlich war es ihr nicht erlaubt, mit Fremden zu sprechen. Vielleicht konnte man am Telefon aber eine Ausnahme machen. Schließlich konnte dieser Außerirdische sie ja nicht übers Telefon kidnappen. Oder etwa doch?

»Pink ist deine Lieblingsfarbe? Willst du mich verscheißern?«

»Scheiße sagt man nicht.«

»Entschuldige. Das wurde bestimmt falsch übersetzt.«

»Ja. Pink ist meine absolute Lieblingsfarbe. Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich gerne pink.«

»Auf deinem Planeten würde ich gerne leben. Auf Rulla hat man es nicht leicht, wenn man pink ist. Die Grünen haben das Sagen und die Grünen behandeln uns wie Sch… also wie Dreck.«

»Also ich finde dich wunderschön.« Emmi schenkte Dwigni ein schüchternes Lächeln. 

»Danke.« Dwignis Gesichtsfarbe wurde noch ein bisschen pinker. Er oder sie klang jetzt nicht mehr so genervt. 

»Rufst du mich bald wieder an?« 

»Ja. Ich melde mich. Ich muss ja meinen Etrink-Planer abholen kommen. Pass bloß gut darauf auf!«

Und schon war die Verbindung unterbrochen. 


Am nächsten Abend ging Emmi früh zu Bett. Sie hatte sich wieder mit Lottie und Charlie gestritten. Die beiden waren einfach nicht mehr die Freundinnen, die sie noch vor einigen Monaten, ja vor einigen Wochen für nichts in der Welt hätte eintauschen wollen. Grün ist das neue Pink. So ein Blödsinn. Charlie plapperte nur ihrer ach so coolen Mutter nach, die in Designerschuhen herumstakste und genauso wenig Zeit für Charlie hatte, wie Emmis Mutter für sie. 

Sie wälzte sich von einer auf die andere Seite und stand dann doch wieder auf. Sie schnappte sich das außerirdische Gerät, das sie im Schreibtisch unter Büchern und Spielsachen versteckt hatte. Sie drückte ein wenig auf den fremden Zeichen herum und versuchte verschiedene Kombinationen. Zunächst pulsierten die Zeichen wieder. Dann endlich erschien der Kreis und Emmi zog die Bettdecke über sich und das Gerät. 

»Was?« Dwigni klang müde und genervt. 

»Hallo Dwigni!« Emmi lächelte so breit sie konnte.

»Ich habe doch gesagt, dass ich mich melde.« Dwigni blickte nicht in die Kamera, sondern starrte verbissen auf etwas, das außerhalb von Emmis Blickfeld lag. 

»Hast du einen schlechten Tag gehabt?«

»Was?«

»Geht es dir nicht gut?« Emmi überlegte fieberhaft, was sie sagen konnte, um Dwigni ein wenig aufzuheitern.

»Doch, es ist nur, es ist halt, ach, ich weiß auch nicht. Ja. Vielleicht hatte ich einen Scheißtag.«

»Aber…«

»Ja, ich weiß. Einen blöden Tag. Entschuldige.« Dwigni schaute nun direkt in die Kamera. »Weißt du was? Es ist lange her, dass mich jemand angerufen hat, einfach nur um zu fragen, wie es mir geht.«

»Das ist ein bisschen traurig.« 

»Vielleicht. Aber das ist normal, wenn man pink ist.« 

»Auf der Erde gibt es ganz viele Leute, die Pink lieben. Wahrscheinlich hundert. Oder noch mehr. Eigentlich alle kleinen Mädchen. Und manche großen Mädchen. Und sogar manche Jungs.« Emmi dachte an Onkel Oliver, der an Kostümfesten immer ein rosa Feenkleid trug und sogar manchmal, wenn es kein Kostümfest gab. Also erzählte sie Dwigni von Onkel Oliver. »Er ist richtig cool. Er schminkt sich wie eine Prinzessin und wenn ihm jemand sagt, dass er albern aussieht, dann lacht er bloß und sagt, dass er Golfspielen albern findet und Aktienkurse. Und wenn wir bei ihm sind, dürfen wir uns immer verkleiden.«

»Das klingt lustig.« Dwigni hörte Emmi zu. Nicht wie eine Erwachsene, sondern wie jemand, der wirklich zuhörte. 


Einige Tage später war Emmi wieder spät in der Nacht am Etrink-Planer, um mit Dwigni zu reden.

»Echt? Morgen kommst du?« Emmi konnte einen kurzen Jubelschrei nicht unterdrücken. 

»Ja. Morgen komme ich. Wenn es bei euch Tag ist. Irgendwann in der Mitte vom Tag. Am besten treffen wir uns da, wo ich letztes Mal auch gelandet bin. Du weißt doch, wo das ist?«

Emmi zog die Beine an und schaltete den Etrink-Planer aus. Sie war hin und hergerissen. Sie wollte den Planer gerne behalten, denn schließlich war er ihre einzige Möglichkeit, mit Dwigni in Verbindung zu bleiben. Aber Dwigni zu treffen, war natürlich das aufregendste, was ihr jemals passiert war. 

»Schatz, schläfst du nicht?« Emmis Mama streckte den Kopf durch die Tür. 

»Doch, Mama.«

»Jetzt schlaf. Es ist schon spät.« Die Mutter zog die Tür zu, sodass nur ein schmaler Spalt offen blieb. 

Emmi hörte ihre Schritte im Flur, die sich entfernten. 

»Sie spricht schon wieder mit ihrem imaginären Freund.« 

»Das ist doch nicht normal in dem Alter. Hat deine Tochter keine Freunde?«

»Sprich leiser. Und was soll das überhaupt? Meine Tochter. Sie ist genauso deine Tochter.«

Emmi schlüpfte unter der Bettdecke hervor und zog die Tür zu. Sie wollte ihre Eltern nicht streiten hören. 


Am Morgen packte Emmi alles, was sie im Haus an Süßigkeiten finden konnte, in ihren Rucksack und stand schon fertig in Anorak und Stiefeln an der Haustür, als ihre Mutter verschlafen die Treppe hinunter kam. 

»Bist du aus dem Bett gefallen? Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.« Die Mutter gähnte herzhaft und öffnete die Kühlschranktür. »Willst du nichts essen?«

»Ich muss heute in der Schule pünktlich sein. Heute ist ein wichtiger Tag.«

»Was kann schon so wichtig sein? Willst du einen Heidelbeer-Seegras-Smoothie mitnehmen?«

»Nein.« 

»Komm schon. Der ist sehr gesund.« Emmis Mutter griff nach der kleinen Flasche mit der dunkelgrünen Flüssigkeit darin und streckte sie Emmi entgegen. 

»Nein, Mama. Das ist ekelig.« 

»Du undankbares Kind. Als ich so alt war wie du, hätte ich einen Purzelbaum geschlagen, wenn meine Mutter mir so vitaminreiche Leckereien gegeben hätte.« Sie griff nach Emmis Rucksack und zog unsanft den Reißverschluss auf. »Was zum Teufel? Was willst du denn mit den ganzen Süßigkeiten?« 

»Die sind für Dwigni.« Emmi schlug sich die Hand vor den Mund und schaute auf den Boden. »Ich meine für Lottie. Wettschulden. Du weißt schon«, schob sie schnell hinterher. 

»So ein Unsinn. Es ist eine Sache, wenn du dir Geschichten ausdenkst, aber dass du deine Albernheiten als Entschuldigung benutzt, um dich nur von Süßigkeiten zu ernähren, kommt nicht infrage. Gib her!« Sie zog Emmi den Rucksack von den Schultern und kippte den Inhalt auf den Küchentisch. Die Schokoriegel und Bonbons purzelten heraus, ebenso wie ihre Schulbücher und die Federtasche. Zuletzt landete der Etrink-Planer auf dem Haufen. 

»Und du weißt ganz genau, dass Computerspiele in der Schule nicht erlaubt sind.« Emmis Mutter griff nach dem Etrink Planer und legte ihn auf den Kühlschrank. 

»Nein. Das kannst du nicht machen! Das brauche ich!« Emmi traten die Tränen in die Augen. 

»Du kennst die Regeln.« Emmis Mutter strich ihr über den Kopf. 

Emmi entzog sich ihrer Hand und trat mit dem Fuß auf. »Bitte Mama. Es ist nicht so, wie du denkst. Das ist kein Spielzeug. Ich habe versprochen, es Charlie zu leihen. Bitte!«

»Charlie darf auch keine Computerspiele im Unterricht haben. Das wisst Ihr beide. Sie soll es am Nachmittag abholen kommen. Sie war ohnehin schon lange nicht mehr zum Spielen hier.« 

»Aber Mama, bitte. Charlie wird sauer, wenn ich es nicht mitbringe. Ehrlich.«

»Unsinn. Und jetzt los.«


Den ganzen Morgen über saß Emmi wie auf glühenden Kohlen. Sie konnte sich nicht auf die Worte der Lehrerin konzentrieren und überlegte, ob sie sich krankmelden sollte. Aber die Putzfrau würde sie nicht gehen lassen, wenn sie krank von der Schule kam. Konnte sie es riskieren, einfach abzuhauen und den Etrink-Planer zu holen? Wie gerne hätte sie mit Charlie und Lottie gesprochen und sich bei ihren Freundinnen Rat geholt, aber die beiden hatten bereits zwei dumme Witze über Emmis rosa Rucksack und ihre pinkfarbenen Stiefel gemacht, die beide noch vor zwei Monaten auch total cool gefunden hatten. Wie gerne hätte Emmi ihren besten Freundinnen von dem Außerirdischen erzählt, mit dem sie heute verabredet war. 


Nach der Schule trödelte sie so lange auf der Toilette herum, bis alle gegangen waren. Dann schlich sie hinaus auf den Pausenhof, schlüpfte durch die Hecke und war schon auf der Straße, die in Richtung Ortsrand führte, dorthin, wo das Ringelsbacher Wäldchen lag. Ihre pinkfarbenen Stiefel hielten ihre kleinen Füße angenehm warm. Sie hopste von einer Pfütze in die nächste war hin und her gerissen, zwischen der Sorge, Dwigni könne gar nicht auftauchen und der Sorge, dass sie auftauchte, dann aber sauer würde, weil Emmi den Planer nicht mitgebracht hatte. Ihre Vorfreude, den neuen Freund oder die neue Freundin vom Planeten Rulla endlich zu treffen, überwog aber alles. Einmal hatte Emmi versucht, herauszufinden, ob Dwigni männlich oder weiblich war, aber so etwas schien es auf Rulla nicht zu geben.   



Emmi vor Bergwangers Hof

Emmi lief den Feldweg zum Hof vom alten Berwanger entlang. Sie sah niemanden und machte kurz vor der Hofeinfahrt einen kleinen Bogen um die Scheune, hinter der sich das Wäldchen befand. Das Gras war feucht und an einigen Stellen war der Boden schlammig. Emmi streifte die Schlammspritzer am Gras ab, so gut es ging. Sie hörte ein Geräusch wie von einem Motor. Ein Blick zurück auf den Hof verriet ihr, dass der alte Berwanger zuhause war. Mit einem kleinen Trecker bewegte er ein Güllefass in Richtung Scheune. Emmi glaubte nicht, dass er sie gesehen hatte. Noch ein paar Schritte und sie war am Waldrand. Hier war der Boden nicht mehr schlammig, sondern weich von Moos und altem Laub. Sie achtete darauf, nicht auf Pilze, Schnecken oder andere Waldbewohner zu treten, während sie langsam in Richtung der kleinen Lichtung ging, die Dwigni beschrieben hatte. 

Vor ihr wichen die Bäume einer freien Stelle, auf der einst eine besonders große Eiche gestanden hatte. Ihr mächtiger Baumstumpf war schon von Moos und Flechten überwachsen. An einer Seite wuchsen weiße, schwammige Pilze. Auf der anderen Seite konnte sich Emmi bequem auf das alte Holz setzen. 

Sie wartete. Sie zog den Reißverschluss ihres Anoraks bis ganz nach oben und die Hände in die Jackenärmel, weil ihr kalt wurde. Sie hüpfte dreimal um den Baumstamm herum und tastete mit einem Finger vorsichtig die Pilze ab. Ein komisches Gefühl. Ob Dwigni wirklich auftauchen würde? Emmi wusste weder, wie viel Uhr es war, noch hatte sie den Etrink Planer, um mit ihrem neuen Freund Kontakt aufzunehmen. Sie musste an ihre Mutter denken, die davon überzeugt war, dass sich Emmi Dwigni nur einbildete. Konnte das stimmen? Nein. Emmi schob ihre Hände unter die Achseln und hüpfte zuerst auf einem Bein, dann auf dem anderen Bein um den dicken Baumstumpf herum, um sich aufzuwärmen. 

Als es schließlich zu dämmern begann und sie in den Bäumen um sich herum bereits unheimliche Schatten erkennen konnte, beschloss sie, sich auf den Heimweg zu machen. Ihre Mutter würde fuchsteufelswild werden und ihr wochenlang Hausarrest geben. Wahrscheinlich würde sie nie wieder alleine von der Schule nach Hause gehen dürfen. Scheiße. Sofort schalt sich Emmi. Scheiße sagt man nicht. Aber sie fühlte tief im Innern, dass es das einzige Wort war, das ihre Stimmung treffend beschreiben konnte. 

Sie schlich vorsichtig durch die Bäume. Gerade so konnte sie noch die Wurzeln und herumliegenden Äste auf dem Boden erkennen. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Da hörte sie ein Geräusch. War das Dwigni? Sie drehte sich um, als es direkt neben ihr im Unterholz knackte. Emmi schrak zusammen und stolperte rückwärts über einen Ast. Sie atmete heftig, als sie unsanft mit dem Hintern auf dem unebenen Waldboden landete. Sicher nur ein Vogel. Oder vielleicht ein anderes Tier? Emmi wollte so schnell wie möglich fort von hier. Eilig stolperte sie vorwärts. 

Als sie den Waldrand erreichte, erkannte sie, dass in den Gebäuden des Bauernhofes Licht brannte. Mit gesenktem Kopf ging sie am Hof vom alten Berwanger entlang und kam gerade vorne am Tor an, als sie aus dem Augenwinkel etwas wahrnahm. War das der alte Berwanger mit dem Traktor? Flink drehte sie sich um, konnte aber keine Fahrzeuge sehen oder hören. Da war es wieder. Ein Lichtschein. Am Waldrand? Nein, es war oberhalb der Bäume. Da. Wieder. Eindeutig ein Lichtschein. 

Emmi hielt die Luft an und kniff die Augen zusammen. In der Dämmerung war es nun kaum noch möglich, etwas zu erkennen. War da etwas? Das Wäldchen war am Abend ein gruseliger Ort. Aber was, wenn es Dwigni war? Sie packte die Gurte ihres Rucksacks so fest sie konnte und atmete tief ein. Ein Blick hinüber zum Hof. Alles war still. Sie marschierte zurück in Richtung Waldrand. 

Jetzt sah Emmi las Leuchten ganz deutlich. Etwas Helles schwebte langsam über dem Wäldchen. Das musste Dwignis Raumschiff sein. Emmi rannte die letzten Meter, schlüpfte zwischen den ersten Bäumen hindurch und stieg hastig über Äste und Zweige. Ein Farn streifte ihr Gesicht und sie stieß sich den Knöchel schmerzhaft an einem Stein an. Aua. Mist. 

»Dwigni!« Emmis Stimme war nur ein leises Krächzen. Sie räusperte sich. »Dwigni! Hier bin ich!« 

Dann endlich erkannte sie das Raumschiff auf der Lichtung stehen. Es war oval und schimmerte in einem dunklen Blau, fast Schwarz. Die Oberfläche des Raumschiffs schien glatt und samtig gleichzeitig zu sein. Emmi bleib stehen und riss die Augen auf. Es war so dunkel, dass sie nur die Umrisse erkennen konnte. Die Umrisse und dieses Schimmern. 

»Emmi?« Dwigni trat aus einer Öffnung heraus, die Emmi erst jetzt erkannte. Sie hörte die Stimme, die sie aus dem Etrink-Planer kannte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob Dwigni wirklich gesprochen hatte. Die Stimme schien eher in ihrem Kopf widerzuhallen. Irgendwo zwischen ihren Ohren. 

»Dwigni!« Sie lief der Gestalt entgegen, die zu ihrer großen Überraschung einen guten Kopf kleiner war als Emmi. Ohne Zögern umarmte sie ihren außerirdischen Freund. »Wie schön, dass du es geschafft hast.« 

Dwigni löste sich aus der Umarmung und tat einen Schritt zurück. Als ob jemand an einem Dimmer gedreht hätte, wurde das Licht aus dem Innern des Raumschiffes etwas heller. Emmi sah nun die strahlend pinkfarbene Haut ihres Gastes und blickte direkt in die großen Augen. 

»Du bist wunderschön!« Emmi schenkte Dwigni ihr strahlendstes Lächeln. »Noch viel schöner als auf dem Bildschirm.«

»Danke.« Der Außerirdische tätschelte sich nervös die Wangen. »Du siehst auch irgendwie interessant aus.« 

»Zeigst du mir dein Raumschiff?« 

Dwignis Beine waren im Vergleich zum Rest des Körpers sehr kurz. Das pinkfarbene Wesen machte kleine Trippelschritte. Mit einem Arm machte es eine einladende Bewegung, die auf Emmi so wirkte, als bewege sich Dwigni unter Wasser. 

Emmi tat ein paar Schritte vorwärts auf einer kurzen Rampe. Das warme sanfte Licht wurde etwas heller. Sie schaute ungläubig ins Innere des Raumschiffs. Alles sah flauschig und bequem aus. Auf einer Seite gab es etwas, das wie eine Spielekonsole wirkte. Emmi erkannte einige der fremden Schriftzeichen, die auf Knöpfen und an einer Art schwarzem Spiegel aufleuchteten. Sie schluckte und berührte mit einer Hand vorsichtig die Wand. 

In dem Moment vernahm Emmi ein lautes Knacken hinter sich im Wald. 

Bergwanger:"Lass das Kind in Ruhe!"

»Halt. Stehen bleiben!« Der alte Berwanger lief brüllend mit einer Mistgabel in der Hand auf die beiden zu. »Lass das Kind in Ruhe!« Er schwang die Mistgabel wie ein Florett, was ihm allerdings nicht besonders gut gelang. Dwigni wich aus, war aber viel zu langsam. Die Bewegungen des Außerirdischen waren wie in Zeitlupe und während er zurückwich, streifte ihn die Mistgabel am Bauch. Das pinkfarbene Wesen sank langsam zu Boden und legte dann ebenso langsam eine feingliedrige pinkfarbene Hand auf die Stelle, wo es getroffen worden war.

»Nein!« Emmi schrie schrill auf und lief auf den Bauern zu, der ausholte, um ein zweites Mal mit der Mistgabel nach Dwigni zu stechen. Emmi stolperte über Dwignis ausgestrecktes Bein und rutschte mit ihm ein Stück die Rampe hinunter, mitten in die Mistgabel hinein. Der Schmerz an ihrer Rippe ließ Emmi scharf die Luft einsaugen. Sofort schossen ihr Tränen in die Augen und sie klappte über Dwigni zusammen. 

Der alte Berwanger hatte sich offenbar selbst erschrocken und wich nun zurück. 

»Du blöde Göre!« rief er. 

In dem Moment erschien hinter dem Bauern eine Gestalt in einem weißen Gewand. »Hier ist der Fotoapparat!« Es war eine Frau und sie reichte dem alten Berwanger einen kleinen Apparat. 

»Schnell, Dwigni. Sie wollen dich fotografieren.« 

Dwigni stöhnte nur und deutete mit einem Finger auf einen großen blauen Knopf innen an der Raumschiffwand. Emmi stolperte vor und streckte ihren Arm danach aus. Mit letzter Kraft schaffte sie es, den Knopf zu drücken. Die Rampe klappte langsam hoch, während vor Emmis Augen Sternchen tanzten. Sie hatte noch nie solche Schmerzen gehabt. Nicht mal beim Zahnarzt. Nicht mal beim Volleyball, als Charlie ihr den Ball so fest an den Kopf geworfen hatte. 

Dwigni gab ein paar merkwürdige Laute von sich, woraufhin das Raumschiff sich zu bewegen schien. Emmi hatte für einen Moment den Eindruck, auf den Boden gedrückt zu werden. Nur ein wenig. So, wie wenn ein Fahrstuhl nach oben fährt. Dann war es ganz still. 

Emmi tastete nach ihrer Wunde. Ihr Anorak und ihr Pullover waren zerrissen. Behutsam öffnete sie den Reißverschluss und konnte erkennen, dass sie blutete. 

Sie hörte ein röchelndes Geräusch hinter sich und biss die Zähne zusammen. »Dwigni? Bist du ok?« 

Statt einer Antwort spürte Emmi eine eigenartige Kälte im Kopf. Es war so, wie wenn sie zu schnell Eiscreme aß. Sie griff sich an die Schläfen und drückte mit beiden Handballen fest an ihren Kopf. Aua. Was war das? Sie schloss die Augen. Da sah sie plötzlich ganz deutlich das Innere des Raumschiffs vor sich. Es war wie ein Bild, das man durch ein Bullauge sah. An den Rändern undeutlich und nur die Mitte war scharf. Der Schmerz ließ augenblicklich nach, als Emmi erkannte, dass Dwigni ihr etwas mitteilen wollte. Sie konzentrierte sich auf das Bild in ihrem Kopf. Es zeigte eine bläuliche Fläche gegenüber dem schwarzen Spiegel. Sie öffnete die Augen und sah genau das, was sie in ihrem Kopf zuvor gesehen hatte. Mit zwei schnellen Schritten stand sie vor der blauen Fläche. Sie schloss erneut die Augen und so führte Dwigni sie durch die einzelnen Schritte: Eine Klappe öffnen; ein blaues Kästchen herausnehmen; die beiden Hälften des Kästchens auseinander schieben; einen dicken Apparat in der Größe einer Salatgurke daraus entnehmen; ihn zu Dwigni bringen. 

»Hier«, flüsterte Emmi und reichte Dwigni das Gerät. 

Dwigni hatte den Mund weit geöffnet und ihre Augenlider flackerten. Emmi bekam plötzlich Angst. »Was ist mit dir?« Emmi begann zu weinen. »Was soll ich tun? Sag schon!«

Dwignis Augenlider zuckten nicht mehr. Sein Körper war erschlafft. Emmi begann ihn zu schütteln. Nichts rührte sich. Emmi wischte sich die Tränen aus den Augen und hielt Dwignis Kopf mit beiden Händen fest. »Was soll ich machen?« Sie dachte die Worte mehr als dass sie sie sagte. Sie schloss die Augen ganz fest. Ihren Schmerz spürte sie kaum noch. 

Nach einer endlos erscheinenden Weile zeigte sich endlich ganz verschwommen ein Bild in Emmis Kopf. Das gurkenförmige Gerät leuchtete auf und gewebte sich langsam über Dwignis Körper. So schnell es aufgetaucht war, so schnell war das Bild auch schon wieder verschwunden. Aber Emmi begriff sofort. Fieberhaft suchte sie das Gerät nach einem Schalter ab, rieb drückte und drehte daran, bis es schließlich klick machte und ein Ende des Apparates aufleuchtete. Behutsam, als halte sie ein zerbrechliches Kunstwerk in Händen, führte sie das Gerät über Dwignis Oberkörper, wo seine zerrissene Kleidung von einer milchig-grauen Flüssigkeit getränkt war. War das sein Blut? Es roch scharf, fast wie Essig. Langsam bewegte sie das Gerät über die Stelle, an der die Mistgabel einen erheblichen Schaden verursacht hatte. Sie wollte ihren Augen nicht trauen, als sich die Wunde wie von Zauberhand langsam schloss. Emmi suchte den pinkfarbenen Körper nach weiteren Verletzungen ab, konnte aber nichts finden. Dennoch rührte sich Dwigni noch immer nicht. 

Vor Erschöpfung und Verzweiflung schluchzend sank Emmi neben Dwigni auf den Boden. Sie wollte nicht darüber nachdenken, wie sie wohl wieder zurück nach Hause kommen würde. 


Als Emmi erwachte, lag sie auf ihrem Bett. Ihre Mutter steckte den Kopf zur Zimmertür hinein. »Emmi, was soll das? Zieh deinen Anorak aus und mach dich endlich fertig fürs Bett.« Schon war sie wieder verschwunden. 

Emmi tastete nach ihrer Rippe, nach der Stelle, wo die Mistgabel sie erwischt hatte. Sie konnte nichts  spüren. Sie sprang auf und schaltete das Licht an. Ihr Anorak war zerrissen. Ihr Pullover auch. Hastig zog sie beides aus und strich mit der Handfläche über die Haut. Nichts. Kein Kratzer. Sie eilte ins Bad und schob den kleinen Schemel vors Waschbecken, den sie eigentlich schon seit einem Jahr nicht mehr brauchte. Auf dem Schemel stehend konnte sie ihre Rippen im Spiegel betrachten. Sie blinzelte, tastete noch einmal mit den Fingerspitzen über die Stelle. Das ist ja verrückt, dachte sie. Kein Kratzer.  Obwohl. Sie beugte sich näher an den Spiegel heran. Da waren ganz zarte pinkfarbene Striemen zu sehen. Ganz leicht. Zwei Streifen, wie von einer Mistgabel. Und das Pink war genauso schön, wie Dwignis Hautfarbe es gewesen war. Emmi lächelte in den Spiegel. Ich habe mir das nicht eingebildet. 

In dem Moment riss Emmis Mutter die Tür zum Bad auf. »Was hampelst du vor dem Spiegel herum? Bist zu fertig zum Schlafengehen?« Emmi zog ihr Pyjamaoberteil an und nickte. 

Pink ist das neue Grün. 


18 Kommentare

  1. Sehr schöne Erzählweise: Erstkontakt zu Außerirdischen aus der Sicht eines Kindes. Eltern, Freundinnen und dann das pinkfarbene Alien, das auch einsam ist. Schöner Handlungsbogen mit einem grimmigen, mistgabelschwingenden Bauern als Hindernis und einem süßen Ende. Von mir gibt es dafür **** (4/5 Sternen).

    AntwortenLöschen
  2. Irgendwo zwischen den Ohren! Das war so süß! Ich habe mich bestens unterhalten gefühlt! Viele kleine Details machen die hervorragende Darstellung der Hauptfigur lebendig und glaubwürdig. Auch gut gelungen, wie du mich lügen gestraft hast und es eben nicht, wie ich es vorschnell erwartet hatte, "alles nur ein Traum". Stillstisch und handwerklich sicher geschrieben. Insgesamt fünf Sterne.

    AntwortenLöschen
  3. Sehr nette Geschichte, hat mir gut gefallen

    AntwortenLöschen
  4. Story ****
    Stil ****
    Originalität ***

    Gesamt 3 2⁄3

    AntwortenLöschen
  5. Was für eine wunderschöne Geschichte. Für mich ist sie perfekt. Herrlich, dieses bäuerliche Idyll am Anfang. Alles so bildhaft. Beim Lesen war ich total neugierig auf den nächsten Satz. Es sind Klischees drin "Pink" aber auch Nachdenkliches "Dwigni hört Emmi zu. Nicht wie eine Erwachsene, sondern wie jemand, der wirklich zuhört."
    Ich liebe diese Geschichte und gebe fünf Sterne *****

    AntwortenLöschen
  6. Eine schöne, einfühlsame Geschichte mit glaubwürdigen Figuren. Das Mädchen war zwar etwas weit für eine 8jährige - aber dennoch schön.

    AntwortenLöschen
  7. Lederhosenromantik trifft E.T.

    Eine echt süße Geschichte, definitiv nicht nur kindergeeignet, es wirkt so, als wäre sie speziell für Kinder geschrieben worden.
    Nicht ganz mein Geschmack, muss ich zugeben ... aber ich hab mir ehrlich mühe gegeben, irgendwelche Kritikpunkte zu finden. Es gibt keine. Einige Rechtschreibfehler, viele Kommafehler, aber das wollen wir ja aufgrund des fehlenden Korrektorats ja nicht bemerken.

    Ich mein, was soll ich noch groß sagen ... :

    Punktlandung mit 4900 und ein paar zerquetschte Wörter
    Es ist die erste Geschichte bisher, die die von Axel bereitgestellten Bilder nicht nur am Rande thematisieren, sondern wirklich als zentrales Thema hernehmen. Ein eindeutiger "Beweis", dass diese Geschichte extra für diesen Wettbewerb erfunden wurde
    Die kindliche Umgang mit Homosexualität (der Onkel im rosa Kleid. Es ist normal, es ist sogar cool), find ich super!
    Ohne irgendwie comedyhaft zu wirken, wurde mir mehrmals ein Schmunzler entlockt. Also humorvoll, aber durch die Blume. Aber auch die Dramatik zum Schluss hin hat mir sehr gut gefallen.

    Wie Anfangs beschrieben, es ist eine Kindergeschichte. Einfach geschrieben, uns definitiv nichts, was ich - nennen wir's mal ganz böse "freiwillig" - lesen würde.
    Aber ich würde Sie meinen Sohn vorlesen (was heißt würde ... ich WERDE!).

    Fazit: Eine wirklich süße Geschichte, die alles richtig macht.

    AntwortenLöschen
  8. Die Geschichte beginnt leicht und ist teils sogar richtig amüsant, bis sie dann eine ernste Richtung nimmt. Das Thema der Bilder wurde dabei gut interpretiert. Mein einziger Verbesserungsvorschlag betrifft den Vergleich "blind wie ein Fisch". Fische sind nicht blind, Maulwurf hätte hier besser gepasst. Ansonsten ist die Geschichte aber auch handwerklich gelungen.

    5 von 5 Sternen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Natürlich sind Fische nicht blind. Aber bei uns in der Region ist das so eine Redensart. Das sagen die Leute eben.

      Löschen
  9. Klasse. Ich musste ein paar mal lachen. Gut geschrieben und unterhaltsam. Da hat jemand sich wirklich eine Geschichte eigens für diesen Wettbewerb ausgedacht. 5 Sterne.

    AntwortenLöschen
  10. Einfach schön. Also einfach und schön. Ich mag die Logik der kindlichen Welt. Und der die das Alien war gut integriert. 4,5 von 5. Vielleicht weil ich keine Kindergeschichten erwartet hatte.

    AntwortenLöschen
  11. Dieser Beitrag ist offensichtlich genau für diese Ausschreibung entstanden. Dass das violette Alien in einem Provinznest landet und dort jemanden findet, dessen Lieblingsfarbe Pink ist, passt ja perfekt zum Wettbewerb. Und klar - wer liebt Pink? Kleine Mädchen. In diesem Falle ist das Klischee allerdings auf liebevolle Weise verarbeitet und wirkt nicht abgedroschen. Die Geschichte von der kleinen Emmi ist nicht nur etwas für Kinder. 5/5 Sternchen von mir.

    AntwortenLöschen
  12. Ich habe die Geschichte in der Mittagspause gehört und abends meinen Kindern vorgespielt. Die sind 6 und 9 und haben bis zum Ende stillgehalten. Das ist ein gutes Zeichen.
    Jetzt wollen sie die anderen Geschichten hören aber da zögere ich.
    Weil wir drei uns gut unterhalten haben, gebe ich 5 Punkte. Ich bin kein Literaturkritiker und kann zum Schreibstil nur sagen, dass ich ihn angenehm fand. Auf jeden Fall ist die Lesestimme ein wichtiges Element und die ist sehr angenehm.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da ich die Story eingelesen habe, freue ich mich sehr über das Lob. Ja, und bei den anderen Geschichten müsstest Du tatsächlich Deine Kinder entsprechend begleiten. Früher gab es auch gruselige Storys. Ich denke da an Max und Moritz und an den armen Strubelpeter.

      Je nach dem, wie Deine Kids drauf sind, solltest Du die Story erst selbst hören und dann selbst entscheiden.

      Ich habe übrigens mal eine kleine Geschichte für Kinder geschrieben und bei einer Onlinemesse eingelesen.

      https://www.youtube.com/playlist?list=PLVHqmprSa7b3i82l8suUFTmk1DtKI5Y5L

      Löschen
  13. Die Geschichte gefiel mir sehr gut. Ich möchte 4,5 von 5 Sternen vergeben. Kleiner Punktabzug, weil ich gerne gewusst hätte, was mit dem Etrinkt-Planer am Ende passiert. Ich fand es gut, dass die Geschichte eher lang war. Es gab ja eine Vorgabe an Wortanzahl und diese hat wahrscheinlich das Limit erreicht. Das gefällt mir. Schön gelesen. Da muss ich mich dem Vorredner anschließen. Was ich allerdings nicht teile ist, dass die Geschichte eine Kindergeschichte ist. Klar, man kann sie auch Kindern vorlesen, weil sie nicht so futuristisch/technisch und nicht brutal ist. Aber ich bin 48 und lese so etwas sehr gerne.

    AntwortenLöschen
  14. Hat mir gut gefallen. Manchmal ist es auch ohne technische Beschreibungen und komplizierte Worte ein Sci-Fi-Dings. Ich bin ein Fan von First Contact Geschichten. Mehr davon!! 5/5

    AntwortenLöschen
  15. Pink. Grün. Die Farbe ist nicht wichtig. Aber die Empathie. Das müssen einige auf Rulla und auf der Erde noch lernen.
    Ich gebe vier Sterne ****

    AntwortenLöschen

نموذج الاتصال