Jenseits von Menschlichkeit
von
Linda Mai
Ironischerweise begann der Anfang meines Endes mit einer Tat, die ich aus Liebe beging.
Oder zumindest wegen etwas, was ich mit Liebe verwechselte.
Ich balancierte auf der untersten Stange der Schiffsreling, meine Finger am Geländer verkrampft, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Unter mir schlugen die Wellen einen bedrohlichen Takt.
Eine Männerstimme hinter mir rief etwas und gleichzeitig schrie eine Frau auf. Ich drehte meinen Kopf vom Wasser weg zurück zum Deck. Die Zahl der Zuschauer stieg rasant an, aber noch wagte es niemand einzugreifen.
Doch Benny konnte ich nirgendwo sehen. Wut kochte in mir hoch und verdrängte beinahe die Angst vor dem Sprung. Trotz meiner Szene, in der ich ihm nur wenige Stunden zuvor gedroht hatte, mir das Leben zu nehmen, sollte er mich ernsthaft verlassen, war er mir nicht hinterhergelaufen. Lediglich fremde Menschen, einige die Hände vor das Gesicht geschlagen, andere scheinbar aufgebracht, wieder andere mit gezückter Handykamera, waren erschienen.
Immerhin wurde ich gefilmt, dachte ich, was sicherstellen sollte, dass Benny meine Drohungen zukünftig auch ernst nahm.
Mit einem letzten Atemzug sprang ich ab und hörte noch die Schreie hinter mir, bevor das Meerwasser auf mich einprügelte, erst von unten, dann von allen Seiten. Der Aufprall raubte mir die Sinne und für einen Augenblick spürte ich weder Schmerz noch Panik. Ich verlor die Orientierung, wusste nicht, wo es an die Wasseroberfläche ging und strampelte gegen die vom Schiffsgetriebe verursachten Strömungen.
Als ich es schließlich mit brennenden Lungen an die Wasseroberfläche schaffte, hielt ich sofort Ausschau nach dem Rettungsboot, konnte aber keines entdecken.
Zwischen mir und dem Kreuzfahrtschiff war bereits ein Abstand entstanden, der groß genug war, dass die Sogkraft der Turbinen kaum mehr zu spüren war. Zwar hatte ich damit gerechnet, dass das Schiff womöglich nicht anhielt, wohl aber, dass sofort ein Rettungsboot auf mich zukäme.
Entgegen all meiner Vorsätze setzte ich zu wildem Winken und Hilfeschreien an, doch das Schiff glitt weiter in die Ferne, als hätte es mich nie gekannt.
Plötzlich spürte ich eine Berührung an meinem Bein. Meine Bewegung stoppte im Schock, als sich etwas um meinen Knöchel schlang und begann, mich nach unten zu ziehen.
Mit einem Aufbäumen versuchte ich mich loszureißen, aber meine verbliebenen Kräfte schwanden schnell und meine Sicht begann zu verschwimmen, als das Wasser über mir dunkler wurde.
Meine Glieder wurden taub, die Kälte, die Angst, alles verschmolz, als hätte das Meer mich in der Dunkelheit in seine Arme geschlossen.
Wie lange ich bewusstlos dalag oder wie ich betäubt worden war, kann ich nicht sagen. Aber ich erinnere mich daran, wie ich langsam wach wurde, an die Geräusche, die zu mir durchdrangen. Summen, Blubbern.
Ich blinzelte gegen künstliches Licht, zitterte vor Kälte, die die nasse Kleidung an mir verursachte und vor Verwirrung.
Das, was ich sah, machte keinen Sinn.
Ich lag auf einem Sofa in samtigem Purpurrot, umgeben von Möbeln, die aus verschiedenen Zeiten und Orten zu stammen schienen. Barocke Tische und Kommoden, Figuren, die an Götter verschiedener Religionen erinnerten, futuristische Regalsysteme, vollgestopft mit unzähligen Büchern, ihre Einbände in unterschiedlichen Sprachen. An den Wänden hingen Gemälde, einige davon erkannte ich als Kopien weltbekannter Kunstwerke.
Zwischen all dem ragten mit verschiedenen Fischen und Pflanzen gefüllte Aquarien hervor, in allen erdenklichen Größen und Formen, teilweise mitten im Raum schwebend, teilweise aus den Wänden und dem Boden gleitend oder in der Form von Stalaktiten von der Decke hängend.
Die Decke bestand aus einem nahtlosen Glas, in dem sich alles aus dem Raum spiegelte und vervielfältigte.
Mit klopfendem Herzen richtete ich mich auf und schaute mich um. Ich war offensichtlich allein und wusste nicht, ob ich darüber Erleichterung oder noch mehr Furcht empfinden sollte.
Erst als mir wieder einfiel, wie ich unter Wasser gezogen worden war, bohrte sich langsam die Erkenntnis in mein Bewusstsein. Über der Glasdecke befand sich nicht mehr und nicht weniger als der Ozean, in den ich mich selbst gestürzt hatte.
Nach einem herkömmlichen U-Boot sah das Ganze hier dennoch überhaupt nicht aus. Alles war durch die teilweise verspiegelten Aquarien so unübersichtlich, dass ich nicht einmal die Größe des Raumes einschätzen konnte, auch die Höhe der Decke war undefinierbar. Dann dieses zusammenhanglose Sammelsurium an Dingen. Ich ließ meine Fingerspitzen an einem persischen Wandteppich entlanggleiten, während meine Augen an einer chinesischen Vase hängenblieben, neben der sich in einem Aquarium in der Form einer Rose ein Fischschwarm um eine giftig aussehende Wasserpflanze scharte.
»Wer auch immer das hier entworfen hat, hat eindeutig den Verstand verloren«, murmelte ich.
»Interessant, dass du das sagst«, erklang eine Stimme hinter mir, die mich zusammenzucken ließ. Als ich mich umdrehte, stand ich Taylor Swift gegenüber – oder zumindest jemandem, der genauso aussah, noch dazu in einem knallengen, silbrig-funkelnden Minikleid mit passenden kniehohen Stiefeln, das Haar zu einem Pony gestylt, die Lippen rot geschminkt. Doch wer wusste schon, wie jemand wirklich aussah, bei den Möglichkeiten der Schönheitsindustrie?
»Wer bist du und wo bin ich hier?«, brach die Frage aus mir heraus, in einer Mischung aus hysterischem Auflachen und einem erstickten Schrei, was mich vor meiner eigenen Stimme erschrecken ließ.
Die Frau verzog ihre Lippen zu einem Lächeln, das jedoch nicht bei ihren Augen ankam.
»Du bist in einem Raum, der alles vereint, was die Menschheit jemals an Kultur hervorgebracht hat.« Sie redete so beiläufig, als ob sie über das Wetter sprach. »Mein Name ist... nun, das spielt keine Rolle. Nenn mich einfach Taylor Swift.«
Ich runzelte die Stirn. »Taylor Swift? Willst du mich verarschen?« Ich lachte ein kurzes, hohles Lachen. »Also, was ist das hier?«
Taylor machte keinen Versuch zu verbergen, dass sie mich von oben bis unten musterte, bevor sie sprach. »Dieser Ort ist eine Hommage an die Vielfalt und die Errungenschaften der Menschheit. Alle Stile, Epochen und Kulturen, alles Wissen – zusammengetragen an einem Ort.«
»Eine Hommage?«, schnitt ich ihr das Wort ab. »Ich würde sagen, es sieht aus wie eine geschmacklose Fantasiewelt aus einem Kinderfilm.«
»Geschmack ist relativ«, sagte Taylor. »Ich habe mein Leben lang studiert, was die Menschheit als schön und bedeutend betrachtet, und versucht, all das in diesem Raum zu vereinen.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, versuchte mein Schaudern zu verbergen. »Du hast... studiert? Wer bist du wirklich?«
»Nicht wer, sondern was«, korrigierte Taylor. »Ich bin keine Menschenfrau. Ich stamme von einem Planeten, der eurer Erde sehr ähnlich war – aber Millionen von Jahren voraus. Unsere Zivilisation erreichte ein technologisches Niveau, das ihr euch nicht einmal vorstellen könnt. Trotzdem wurde unser Planet unbewohnbar, bevor wir eine Möglichkeit fanden, ihn zu retten. Meine Generation und sämtliche vor mir wuchsen im Weltraum auf, auf dem Weg zu anderen bewohnbaren Planeten.
Ich persönlich habe die Menschheit der Erde beobachtet, studiert, und nun bin ich hier, um zu lernen, was wir selbst verloren haben und was mir im Weltraum verborgen blieb – Emotionen, Kreativität, Kultur.«
Taylor machte eine kurze Pause, in der sie mich nochmals musterte und fügte dann hinzu: »Und ganz besonders Liebe. Bei allem, was ich über Menschen gelernt habe, scheint das etwas ganz Besonderes zu sein, aber ich verstehe es nicht. Ich habe dich aus dem Wasser gerettet und hierher gebracht damit du es mir beibringst, bevor wir wieder in den Weltraum zurückkehren, zu einer anderen Sonne, in einer anderen Galaxie, um dort in ähnlicher Konstellation einen Planeten wie die Erde zu schaffen, mit all dem Schönen was die Menschheit hervorgebracht hat, aber ohne all das Schlechte.«
Ich verstand, was Taylor sagte, aber ihre Worte rauschten an mir vorbei. Ich hielt mich für eine Realistin und orientierte mich immer nur an dem, was ich selbst kontrollieren konnte. Eine Aliengeschichte hatte in meinem damaligen Weltbild keinen Platz.
Mit einem Schnauben wandte ich den Blick von ihr ab und ließ ihn über den Raum schweifen, auf der Suche nach einem Ausgang, einer Erklärung, die ich nicht fand.
Ehe Taylor und ich unseren Dialog fortführen konnten, tauchte zwischen all dem Durcheinander an Gegenständen und Aquarien ein Mann auf, der sofort eine Erinnerung in mir aufflackern ließ.
Breite Schultern, dunkle tätowierte Haut, die in einem weißen Muskelshirt steckte, eine umgedrehte Baseballkappe auf dem Kopf – eine alte Schulfreundin hatte Jahre zuvor ein riesiges Poster von ihm in genau diesem Aufzug an der Wand in ihrem Kinderzimmer hängen.
Taylor stellte ihn vor, als sei es das Natürlichste der Welt.
»Das ist 50 Cent, es waren er und ich, die sich aus unserer Weltraumgemeinschaft dazu entschieden haben, zur Erde zu kommen«, sagte sie und nahm ihm einen zusammengefalteten Frottee-Schlafanzug und Unterwäsche aus der Hand.
»Er hat dir etwas Trockenes zum Anziehen mitgebracht und das Essen vorbereitet. Zieh dich um und komme mit an den Tisch, dann können wir weiterreden.«
Ich war keine Person, die gerne Befehle entgegennahm, aber die ganze Situation war so grotesk und mir war inzwischen so kalt in dem nassen Kleid, dass ich den Schlafanzug einfach nahm.
Während ich mich direkt vor ihnen umzog, sahen mir beide schamlos dabei zu, zeigten jedoch nicht das entfernteste Interesse an meinem Körper oder irgendeine Beurteilung, wie ich es normalerweise kannte und auch selbst tat.
Kaum war ich umgezogen, bedeutete Taylor mir, mit einer Handbewegung ihr und 50 Cent in eine etwas abgesetzte Ecke des Raumes zu folgen, in der sich ein üppig beladener Esstisch mit zwei Stühlen befand. Einen davon zog 50 Cent für mich zurück und stellte sich, wie ein Kellner in einem Luxusrestaurant, zu unseren Diensten in kleinem Abstand zum Tisch, mit dem Rücken zur Wand, wo er dann unbeweglich stehen blieb.
Die Speisen auf dem Tisch waren so vielfältig und unzusammenhängend wie der Raum selbst: Sushi lag neben einer Schüssel italienischer Pasta, gefolgt von arabischer Falafel, einem Stapel amerikanischer Pancakes und einer französischen Käseplatte, dahinter weitere Schüsseln und Teller, gefüllt mit diversen internationalen Spezialitäten.
Ich starrte das Essen an und spürte, wie sich mein Magen verknotete.
»Bevor ich nicht verstehe, was hier wirklich vor sich geht, nehme ich keinen Bissen zu mir!«, motzte ich Taylor an, die sich unmittelbar nach dem Hinsetzen mit mechanischen Bewegungen einen mediterranen Oktopussalat zuführte.
Taylor ließ ihr Besteck sinken und gab einen Laut von sich, der beinahe an ein Auflachen erinnerte.
»Ich weiß, ihr Menschen wisst bisher kaum etwas über das Universum, aber euch ist immerhin bekannt, dass es allein in eurer Galaxie viele Milliarden Sonnen gibt. Warum überrascht es dich, dass es bei so vielen Sonnen im Universum auch noch andere Planeten in ähnlicher Konstellation wie die Erde gibt, die ebenfalls intelligentes Leben ermöglichen? Wenn man die Menschheit in ihrem jetzigen Stadium denn intelligent nennen kann.«
Ich schluckte, tatsächlich hatte ich daran noch nie einen Gedanken verschwendet.
»Du willst mir also erzählen, dass du eine Alienfrau bist, die zufällig aussieht wie Taylor Swift?«, entgegnete ich mit wachsender Ungeduld in der Stimme.
»Nicht zufällig«, sagte Taylor. »Aussehen ist für uns eine Frage der Wahl, und ich habe das Aussehen einer in der Menschheit als schön geltenden Frau gewählt.«
Daraufhin fiel mir nichts Besseres ein, als aus einem Kühlbehälter neben dem Tisch eine Champagnerflasche zu greifen und das Glas vor mir zu füllen, das ich dann in einem Zug leerte.
»Interessant übrigens, wie wichtig euch die äußere Schönheit ist«, fuhr Taylor fort. »Du musst viel Aufwand in dein Aussehen gesteckt haben, bevor du gesprungen bist«, sagte Taylor und musterte nochmals mein Gesicht, in dem sich vermutlich eine nicht unbeachtliche Menge an zerlaufenem Make-up befand.
»Wir recherchieren jeden Tag Outfits der Berühmtheiten, deren Aussehen wir gewählt haben und kleiden uns dann entsprechend. Allerdings habe ich noch immer nicht verstanden, warum Menschen so viel Wert darauf legen und vor allem warum Frauen sich diese schmerzhaften Schuhe antun.«
Sie streckte eines ihrer in den High-Heel-Stiefeln steckenden Beine demonstrativ unter dem Tisch hervor.
Ich kippte mir Champagner nach und deutete mit dem Glas zu dem im Boden eingearbeiteten Aquarium unter dem Esstisch. »Du hast gesagt, du warst diejenige, die das alles hier gestaltet hat«, sagte ich. »Was hat es mit den ganzen Aquarien auf sich? Die gehören nicht unbedingt zu den bedeutendsten menschlichen Errungenschaften.«
Es war das erste Mal, dass sich in Taylors Gesicht etwas regte. Sie begann davon zu erzählen, wie sie als Kind in ihrem Raumschiff das erste Mal Bilder vom Meer, Fischen und Unterwasserwelten gesehen und seither begonnen hatte den Plan für das U-Boot zu entwickeln, wie es gewesen war im Raumschiff aufzuwachsen, von ihrer Technologie und dem Zusammenleben, von ihrem Planeten und dem Universum.
Während sie redete, kippte ich mir unermüdlich Champagner nach und begann mit vom Alkohol erlahmenden Verstand darüber nachzudenken, wie ich hier am besten und schnellsten wieder herauskommen könnte.
Eigentlich war der Plan gewesen, längst wieder sicher an Bord des Kreuzfahrtschiffes zu sein. Wenn ich allerdings verzögert zurückkäme – als die Totgeglaubte – wäre mein Auftritt legendär. Vorausgesetzt natürlich, dass ich hier wieder herauskam.
Ich sah wieder von meinem Champagnerglas zu Taylor auf. Sie redete noch immer, zeigte keinerlei Verunsicherung durch meine gedankliche Abwesenheit, die offensichtlich sein dürfte, ich hatte nicht einmal versucht, Interesse zu heucheln.
»Noch einmal zu den Aquarien«, unterbrach ich sie. »Du hast ganz offensichtlich eine Liebe zum Meer und dessen Bewohnern. Du hast dir die Mühe gemacht, die Aquarien zu gestalten, die Meerestiere und Pflanzen auszusuchen, alles so anzuordnen, wie du es als ästhetisch empfindest. Das ist eine Art von Liebe.«
Taylor lauschte meiner Erklärung mit nun wieder ausdruckslosem Gesicht, sah dann aber kurz zu 50 Cent herüber, der kaum merklich die Augenbrauen hob.
»Das haben wir alles schon gehört«, sagte Taylor, tupfte sich den Mund mit der Stoffserviette ab und legte ihr Besteck auf den leer geputzten Teller.
»Von dem Mädchen, das vor dir hier war. Sie war diejenige, die mich dazu gebracht hat, die Aquarien zu entwerfen, weil sie sagte, es würde Liebe und Leidenschaft in mir wecken, für etwas, wovon ich mein Leben lang geträumt habe.«
Der Knoten in meinem Magen überschlug sich und Übelkeit stieg in mir auf.
»Welches andere Mädchen?«, fragte ich. Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
»Du bist nicht der erste Mensch, der uns Liebe beibringen soll. Bisher hat es nur leider keiner geschafft und wir hatten keine Verwendung mehr für die Menschen.«
Es war unmöglich, irgendeine Emotion von ihr abzulesen. Ihre Gesichtszüge waren wie vereist, ihre Stimmlage monoton, ihr Körper bewegte sich nur für das Nötige, ohne jegliche Körpersprache. Obwohl die Angst vor der Antwort mich beinahe würgen ließ, fragte ich trotzdem.
»Was habt ihr mit den Menschen gemacht, für die ihr keine Verwendung mehr hattet?«
»Wir haben sie hier unten in der Tiefsee aus dem U-Boot gelassen.«
»Dann habt ihr sie getötet« sagte ich, nun mit einer Mischung aus Angst und Wut.
»Ja, das haben wir«, antwortete Taylor, ohne jegliche Regung.
»Scheiße!« entfuhr es mir, ich sprang auf, sodass der Stuhl nach hinten fiel und die portugiesischen Fliesen, die an dieser Stelle des Raumes den Fußboden bildeten, zerspringen ließ. Mit der Hand griff ich das Champagnerglas, aus dem ich zuvor getrunken hatte, und warf es an die Wand hinter mir, wo es zersprang.
»Ihr entführt die Menschen hierher, reißt sie aus ihrem Leben, nutzt sie für eure Zwecke und wenn ihr sie nicht mehr braucht, lasst ihr sie auf grausame Weise sterben?«
Sowohl Taylor als auch 50 Cent zeigten sich noch immer ungerührt, allerdings hatte ich bei beiden ein leichtes Zusammenzucken wahrgenommen, als das Champagnerglas nur etwa zwei Meter neben 50 Cent an der Wand zerbrochen war.
»Ja, genau«, antwortete Taylor, nun wieder vollkommen emotionslos. »Das macht ihr Menschen doch genauso.«
Ich wusste nicht recht, was ich darauf erwidern sollte, sah mich aber in meiner Vermutung bestätigt, dass ich den beiden mit einem Wutausbruch immerhin den Hauch einer menschlichen Reaktion abringen konnte.
Ohne weiter zu überlegen, griff ich ein Steakmesser vom Tisch, rannte zu 50 Cent und rammte es in seinen Hals.
Jedenfalls versuchte ich es, denn er packte meinen Arm mühelos und nahm mir das Messer ab, setzte jedoch zu keinerlei Gegenangriff an. Obwohl er sich direkt nach meiner Entwaffnung wieder in seine alte Position, mit dem Rücken zur Wand brachte, konnte ich ein leichtes Zittern, ein Entsetzen bei ihm wahrnehmen. Bei Taylor sah ich jetzt das erste Mal ein Aufflackern in ihren Augen.
Ich schrie sie an. »Wie willst du Liebe verstehen, wenn es dich noch nicht einmal stört, wenn ich einen von deinen Leuten angreife, deine einzige Gesellschaft hier unten!«
Taylor antwortete mir nicht, stattdessen sagte sie etwas zu 50 Cent in einer mir unbekannten Sprache, der daraufhin auf mich zulief. Ich wich zurück und stieß gegen den Tisch. Bevor ich weglaufen oder etwas sagen konnte, hatte ich eine seiner Hände über meinem Mund und die andere in festem Griff um meinen Arm.
»Genug für dich für heute. Wenn du hier wieder herauswillst, nutze die Zeit zum Ausruhen und überlege dir, wie du uns Liebe beibringen willst«, sagte Taylor und deutete auf den noch immer mit Essen vollbeladenen Tisch. »Andere Menschen haben es mit Essen versucht. Sie sagten, dass viele Menschen Essen lieben oder dass körperliche Nähe Liebe gibt. Oder Musik, Tanzen.« Taylor deutete auf einige Musikinstrumente in einem weiteren Winkel des Raumes. »Aber nichts hat funktioniert.«
50 Cent begann mich durch den Raum abzuführen. Ich hielt es für klüger, keinen Widerstand zu leisten, doch ich wandte meinen Kopf noch einmal Taylor zu.
»Für Liebe braucht man Empathie, die fehlt dir auf jeden Fall. Du wirst das nie lernen können. Lass mich gehen.«
»Nein«, antwortete Taylor. »Und glaube ja nicht, dass du uns töten oder abhauen kannst. Vergiss nicht, wir sind stärker und schlauer als du.«
Das werden wir sehen, dachte ich, in diesem Augenblick, mit erwachtem Kampfgeist.
50 Cent führte mich weiter durch den labyrinthischen Raum, hinter ein unter Büchern ächzendes Regal. Dahinter stand ein Wasserbett, aber keines, wie ich es aus Möbelhäusern kannte, sondern eine Art weiches Aquarium. Die Matratze war durchsichtig und von innen durchzogen von kleinen Fischschwärmen. Hinter dem Bett stand eine Holzkommode, in der von der Kunst des indischen Mogulreichs inspirierte Schnitzereien eingelassen waren. Daneben sah ich zum ersten Mal eine Tür in einer Wand. 50 Cent ließ mich los und deutete auf die Tür und die Kommode.
»Das ist das Badezimmer, das du nutzen kannst. Kleidung und Hygieneartikel findest du in der Kommode. Du kannst dich frei bewegen, aber ich sage dir, du wirst keine andere Tür und keinen Ausgang oder sonst irgendeine Fluchtmöglichkeit finden, wenn wir es nicht wollen.«
Er ließ mich allein und meine erste Nacht begann, die ebenso zäh verlief, wie die kommenden Tage, Wochen und Monate.
Am nächsten Morgen beim Frühstück weinte ich haltlos, entschuldigte mich bei Taylor und 50 Cent für meinen Wutausbruch am Tag zuvor, versprach, es würde nie wieder vorkommen. Ich sei überwältigt gewesen, weil es mir so leidtat, dass die beiden keine Emotionen kannten. Außerdem war es schrecklich, was sie mir antaten, indem sie mich hier unten festhielten. Trotz all dem wollte ich ihnen helfen.
Doch es war nicht mein letzter Wutausbruch. Für die vielen darauffolgenden nahm ich zum Anlass was ich konnte, griff beide immer wieder körperlich an. Genau wie beim ersten Mal wehrten sie sich immer, schlugen aber nie zurück.
Ich zerbrach Aquarien, zerriss Bücher, beschmierte Gemälde. Danach weinte ich wieder oder tat mir selbst weh, sagte ich könne mich selbst nicht kontrollieren und wollte ihnen doch nur Liebe beibringen, was sie mir aufgrund ihres Verhaltens, ihrer Art und Spezies jedoch unmöglich machten.
Eines Abends saßen wir wieder beim Essen, dieses Mal nur Taylor und ich. 50 Cent war zu der mir noch immer unbekannten Küche aufgebrochen, um Eiswürfel zu holen, nachdem ich über zu warmen Champagner in einen weiteren Wutausbruch verfallen war.
Die Atmosphäre zwischen mir und Taylor war angespannt, obwohl keine von uns etwas tat oder sagte. Taylor war zunehmend empfänglich geworden für meine Wutausbrüche und Bösartigkeiten. Sie schien regelrecht auf eine neue Entgleisung meinerseits zu warten.
Ich schlug meinen süßesten Tonfall an. »Taylor, warum bin ich noch hier? 50 Cent hat mir erzählt, dass ihr meine Vorgänger schon nach wenigen Tagen getötet habt, weil sie euch keine Liebe beibringen konnten. Ich bin nun schon seit vielen Monaten hier, obwohl ich nichts weiter mache, als euch das Leben zu erschweren.«
Taylor atmete hörbar aus, ihre Gesichtszüge entspannten sich, dennoch rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her.
»Wir haben verstanden, dass wir an deinen Wutausbrüchen schuld sind, weil wir dich hier festhalten und wir schätzen es, dass du trotzdem immer wieder versuchst, uns Liebe beizubringen, obwohl du uns inzwischen klargemacht hast, dass wir dazu nicht fähig sind.«
Ein Lachen ohne jede Freude brach aus meiner Kehle. »Menschen sind komplex, Taylor. Liebe entsteht manchmal aus Schmerz, manchmal aus Abhängigkeit. Ich habe dir das Gefühl gegeben, schlechter zu sein als ich, unfähig, jemals die Menschen zu verstehen. Gleichzeitig habe ich dir immer wieder zu verstehen gegeben, dass ich die Einzige bin, die dich zu etwas Besserem machen kann. Und jetzt, all diese Gefühle, dieser Schmerz... du verwechselst das mit Liebe. Manche Menschen würden das sogar Liebe nennen.«
Wenn ich heute an diesen Moment zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Taylors Gesicht, die Erkenntnis, die langsam durchdrang. Ihre eigene Irritation darüber, dass plötzlich Tränen in ihre Augen schießen, die ersten, die sie je gespürt hat.
Sie schluchzte beinahe.
Ich fuhr fort.
»Deinen perfekten Planeten, auf dem nur Gutes existiert, wird es niemals geben. Ohne Dunkelheit kann es kein Licht geben. Du wolltest eine Welt ohne Schmerz. Aber so funktioniert die Realität nicht.«
Tränen liefen stumm über Taylors Wangen.
Ein guter Einfall und eine schöne Ausführung. Die Geschichte wirkt auf mich "rund" und ist durchdacht. Ja, wie erklärt mann einen Empfingsunfähigem Wesen denn nun Liebe? Eine mögliche Variante kann man hier genießen.
AntwortenLöschenUnd für diese "Erkenntnis" brauchen Taylor und 50 Menschen? Aber okay, die können zwar durchs Weltall sausen, U-Boote bauen, aber sind nicht in der Lage Bücher und Filme zu verstehen, in denen es um die Komplexität von Liebe geht. Da braucht es dann eben entführte Menschen, die - tataaaaaaaaaa - kurz und knapp die "Liebe" erklären.
AntwortenLöschenPackender Einstieg. Nach der ersten Nacht kippt die Geschichte. Aber der Schluss hat mich wieder berührt.
AntwortenLöschenSry, wenn der Post jetzt doppelt kommt, der erste wurde nicht upgeloadet.
Taylor Swift und 50 Cent im Kosmos der Sci Fi Welt.... Alles legitim im Sinne der Kunst. Aber hach, mir ist das zu sehr Fanfiction, sorry.
AntwortenLöschenIn jedem Fall ist diese Geschichte außergewöhnlich. Die Idee fällt aus dem Rahmen und ist spannend erzählt. Die Beschreibung der Umgebung versetzt einen sofort an diesen Ort. Handwerklich ist also schon mal alles top in Ordnung.
AntwortenLöschenWas mir etwas aufstößt, ist das Verhalten der Charaktere. Die Protagonistin reagiert zunächst, wie man es vom Durchschnitt erwarten würde: Überrascht und überfordert. Nicht zuletzt auch völlig entsetzt über den Umgang der Aliens mit Menschen. Bis dahin ist alles okay. Dann aber kann sie sich nicht so recht entscheiden, ob sie auf ihre Entführer losgehen oder ihnen doch etwas beibringen möchte.
Die Aliens sind aber der größte Kritikpunkt. Wenn sie keine Liebe kennen, warum wollen sie dann, dass man sie ihnen beibringt? Das ist doch jetzt nix, was sie vermissen würden. Und ihr grausamer Umgang mit den Entführten ist mir etwas zu krass. Was ist die Motivation dafür? Der Wunsch, unentdeckt zu beleiben? Freude am Töten oder Sadismus kommen ja nicht infrage, so emotionslos, wie sie sind.
Fazit: Die Geschichte ist ohne Zweifel gut geschrieben und von der Idee her durchaus kreativ. Einzig das Verhalten der Aliens ist nicht ganz nachvollziehbar. Mich erinnert das an eine andere Geschichte über einen psychopathischen Roboter, der Menschen Liebe lehren will, indem er das Gegenteil an ihnen praktiziert. Ich habe da so einen Verdacht, wer der Autor dieser Geschichte hier sein könnte.
Interessante Geschichte: Frau stürzt sich aus Liebeskummer ins Meer, um Aufmerksamkeit von ihrem Partner zu erzwingen und landet als Versuchsperson bei den Außerirdischen. Das ist schön bizarr und verdient ein Lob für die Idee. Es kommt mir etwas unstimmig vor, dass die Außerirdischen, die für Fragen des Gefühls blind sind, sich eine Welt wünschen, in der nur das Gute existiert. Hier hat die Protagonistin mehr Durchblick als "Taylor Swift". Ich glaube, sie leidet an dem, was die Psychologen Liebessucht nennen. Vielleicht dachte sie, sich durch dramatisches Hineinsteigern in ihre negativen Emotionen Bennys Liebe sozusagen erkaufen zu können, weil sie denkt, dass Leid der Preis von Liebe sei.
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