ZACSF2024_035

Radioblitze

von
Stefan Junghanns






Für Dr. Vicosa war es ein langer Weg gewesen. Nicht nur heraus aus seiner Heimat, sondern auch aus einem Armenviertel. Als erster in seiner Familie überhaupt, hatte er einen Schulabschluss und darüber hinaus auch noch studiert. Dabei hatte ihn etwas Bodenständiges nie interessiert. Er wollte nach den Sternen greifen.

Hier in Oberpfaffenhofen konnte er dies tun. Und das tat er auch. Er dirigierte mit dem Terminal eines Großrechners die daran angeschlossenen Radioteleskope, wie ein Konzertmeister ein Orchester. Die Aufgabe war es Fast Radio Bursts, kurz FRB oder auch Radioblitze genannt, aufzuzeichnen und zu analysieren.

Sein Kollege, Dr. Neumann setzte sich direkt daneben und klickte auf ein Analysetool. Er schaute kurz zu Dr. Vicosa, bevor er zurück auf den Monitor blickte, auf welchem das abgehörte Bandspektrum grafisch dargestellt wurde.

„Aasim“, sagte Dr. Neumann. „Der FRB von vorgestern Nacht, war auch gestern wieder aktiv. Eine schöne Dispersionskurve. Ich bin gespannt auf unsere Schicht.“

Dr. Vicosa drehte sich mit seinem Bürostuhl zu seinem Forschungspartner.

„15 11 23? Das wäre gut. Wir sollten das neue KI-Tool als Test mitlaufend lassen.“

Mit ein paar Mausklicks überwachte nun besagtes Tool das Frequenzband und suchte dabei nach Mustern, was sonst aufwändig durch die beiden Forscher und mehr als ein Dutzend Studenten geschehen musste. Angetrieben von einem eigenen Großrechner war die Argus genannte KI erheblich schneller und auch genauer. Es blieben dadurch auch Daten erhalten, die sonst durch die diversen Filter ungewollt eliminiert wurden. Schwächere FRBs hatten nicht genug Trennschärfe, um ohne Filter erkannt zu werden. Aber auch stärkeren Radioblitzen wurden somit Informationen abgeschnitten. Argus sollte das nun ändern.

Zu ihrer großen Überraschung, blieb eine Überraschung in den empfangenen Daten jedoch aus.

In dieser Nachtschicht blieben die Dispersionskurven unverändert und franzten am Frequenzübergang lediglich, wie erwartet, etwas aus.

Aasim Vicosa lehnte sich zurück.

„Hübsch, aber weniger, als ich mir erhofft hatte. Wenigstens einen als ungewöhnlich eingestuften FRB hätte ich mir gewünscht.“

Klaus Neumann legte seine Hand auf Aasims Schulter.

„Vielleicht haben unsere amerikanischen Freunde die bessere Hälfte des Sternenhimmels.“

„Unsinn!“, platzte Dr. Vicosa heraus. „Wir sehen doch dieselbe Sei …“ Er brach seinen Satz ab und räusperte sich. „Ich verstehe Deine Witze immer noch nicht.“

Klaus tippte auf den großen Bildschirm vor ihm.

„Argus hat noch etwas gefunden. Klein aber oho.“

Aasim rutschte mit seinem Stuhl herüber und betrachtete die an der Markierung des Radioblitzes hervorgehobenen Daten.

„Der wäre uns nach dem alten System wohl entgangen. Die KI hat daran recht lange herumgerechnet. Schauen wir doch mal, wieviel wir noch entdecken.“

Die Freunde der Zahlen und Algorithmen widmeten sich weiter ihrer Arbeit und gingen nach einer langen Nachtschicht schließlich schlafen.





Es war wieder Abend und Aasim wartete vor dem Eingang des Rechenzentrums auf seinen Studienkollegen und Freund. Als sparsamer Mensch nahm Aasim die Bahn und musste heute ausnahmsweise mal warten. Da fuhr Klaus schon auf den Parkplatz und stieg hastig aus.

„Ein Verkehr heute.“

„Die Bahn war heute außerordentlich pünktlich.“

Sich darüber amüsierend, dass sonst Aasim ein paar Minuten später am Eingang ankam, betraten sie das Gebäude. Die Glasfront hatte bisher nichts von den Vorgängen im Inneren preis gegeben. Aber schon in der Lobby wurde es laut und man konnte nur wenige Wortfetzen verstehen. Nachdem die Kollegen ihre Karten an die Leser der Zutrittssperren gehalten und diese passiert hatten, empfing sie ein ungewöhnliches Gewimmel der Tagschicht.

„Sogar am Tag … schon wieder ein neuer …“

Aus dem Gewirr an Stimmen deutete sich an, dass die Argus-KI wohl auch am Tag gute Dienste leistete.

Stimmt, dachte Dr. Neumann, wir haben Argus heute Morgen gar nicht abgeschaltet.

Professorin Sicheritz in ihrem modischen Damenanzug drängte sich zu den Doktoren der Nachtschicht durch.

„Was sollte das denn?“

Die beiden Männer schauten sich verständnislos an und zuckten mit den Schultern. Dann wurden sie in ihr Büro gebeten.

„Also meine Herren. Als ich heute Vormittag überblickt hatte, dass unser Großrechner einen Großteil unseres Netzwerkes belastet und den Stromzähler rot werden lässt …“ Sie setzte sich auf ihren Stuhl und atmete tief durch. „Wie fange ich an? Ich muss schließlich auch unser Budget überwachen.“

Klaus stützte sich mit den Händen auf die Lehne des Stuhls vor ihm, da die beiden keine Aufforderung erhalten hatten, sich zu setzen. „Nun, ich denke, Sie wollten uns ermahnen.“

Die Einrichtungsleiterin legte ihren Kopf schief und schaute Dr. Neumann durchdringend an.

„Der Gedanke kam mir. Die Ergebnisse vom Tag aber … Unglaublich! Niemand hat das vermutet.“

Aasim setzte sich nun doch und lehnte sich nach vorn. „Was ist unglaublich? Was passiert da draußen?“

Die Wissenschaftlerin lehnte sich zurück. „Argus hat etwas entdeckt. Üblicherweise macht unsere Sonne der Radioastronomie einen Strich durch die Rechnung. Argus aber filtert die Signale, die durch das Gravitationsfeld der Sonne gebündelt werden …“

„… durch die solare Gravitationslinse.“, beendete Klaus den Satz seiner Vorgesetzten.

„Genau,“ erwiderte diese. „Wir sind am Tag jetzt nicht mehr blind.“


An seinem Arbeitsplatz schaute Aasim auf die Auswertungen und neuen Daten des Computers.

„Argus hat jetzt viel mehr Trennschärfe als noch gestern Nacht. Das hat die KI wohl selbst optimiert, oder?“

Klaus ließ sich die Radioblitzkarte anzeigen.

„Das ist viel mehr als das, was wir je beobachten konnten. Ich glaube, dass wir jetzt noch einen Schritt weiter gehen könnten. Das, wovon wir als Studenten immer geträumt hatten.“

In Aasims Geist blitzte eine Erinnerung auf. Sie wollten nicht nur nach Radioblitzen suchen, sondern darin ein Muster erkennen, mögliche Ursachen finden, vielleicht sogar künstliche Quellen ermitteln. Sie wollten nicht weniger, als eine bedeutende wissenschaftliche Arbeit schreiben, die Beachtung finden würde. Nun war das zum Greifen nahe, obwohl das Tool, die KI, eine ganz andere Abteilung geschrieben hatte. Die aktuellen Ereignisse ließen Dr. Vicosa aber erneut träumen, wie einen jungen Studenten.

Dennoch hatte er Zweifel, die er seinem Freund nach reiflicher Überlegung mitteilte.

„War Argus eigentlich darauf programmiert die Signale auch am Tag herauszufiltern? Ich meine auf diese Art und Weise. Könnten die Ergebnisse vielleicht verfälscht sein?“

Klaus zuckte mit den Schultern. „KI-Architektur ist nicht mein Fachgebiet. Ich habe auch nur gehört, dass der KI-Kern von Argus von einer Drittfirma eingekauft wurde, um Entwicklungskosten zu sparen. Ob sich die wiederkehrenden Radioblitze mit unseren herkömmlichen Beobachtungen decken … Du weißt ja. In einem halben Jahr ist das dann unsere Nachtseite. Dann wissen wir mehr.“

„Du sagst das so nüchtern“, grummelte Aasim.

Dr. Neumann legte eine Hand auf Dr. Vicosas Schulter und flüsterte. „Ich wünschte ich wüsste es hier und heute.“ Er strahlte seinen Freund an.


Nach einer Kaffeepause setzte sich Aasim dennoch müde vor seinen Schirm. Als er erkannte, dass Argus etwas sehr stark beschäftigte, war er sofort hellwach.

„Klaus! Der kleine FRB neben 15 11 23. Argus hat ihn als Musterkandidaten markiert.“

Sofort rollte der Kollege mit seinem Stuhl heran, dass die Armlehnen sich ineinander verhakten.

„MK 01 24. Hm. Ich lege die Mustererkennung mal auf den anderen Schirm.“

In dem Extrafenster wurden die empfangenen Intensitäten grafisch, ähnlich einer topographischen Karte dargestellt. Immer wieder arrangierte Argus die Daten neu.

Die Euphorie verblasste in Aasims Tonfall.

„Also mathematisch kann Argus das nicht auflösen. Es bleibt immer ein Rest übrig. Mal drei, dann mal eins und dann vier, wieder eins.“

Dr. Neumann machte große Augen. „Ich wette, dass der nächste Rest fünf ist.“

„Fünf!“, platze Aasim vor Begeisterung. „Das ist ja pi. Woher wusstest du das?“

„War nur eine Vermutung. Entweder ist das ein Zufall oder ein zufälliger Zufall, weil Argus die Daten mathematisch analysiert.“

Aasim Vicosa schaute seinen Freund verdutzt an. „Ein zufälliger Zufall?“

Klaus drehte den Bildschirm seines Arbeitsplatzes etwas, damit Aasim das geöffnete Fenster erkennen konnte. „Eine zufällige Emission, in welcher Argus kein Muster, nicht mal das eines Rauschens erkennen kann und es versucht mathematisch zu lösen. Erst die Primzahlen, dann pi. Hier steht die Reihenfolge.“

Dr. Vicosa zog die Analyse auf einem seiner Bildschirme auf. „Scheint so, als habe sich Argus darin … Wie würdest Du es sagen? Verbissen.“

Dr. Neumann fuhr seinen Mauscursor über den Abbruchbutton der Analyse. „Ja scheint so. Meinst du wir sollten noch etwas warten? Immerhin kostet das ganz schön Rechenzeit.“

Aasim tippte gedankenversunken seine Daumen aneinander. „Ich würde schon ganz gerne sehen, wohin das führt.“

Klaus Neumann atmete tief durch. „Dieses Mal wird uns die Sicheritz aber ganz sicher aufs Dach steigen.“

Aasim war da jedoch anderer Ansicht. „Aber entweder entdecken wir einen Bug in der KI, oder etwas noch Größeres.“

Neumann zog den Mauscursor vom Abbruchbutton weg. „Also gut. Deine Logik ist bestechend.“


Über Stunden war dann doch nichts weiter passiert, außer der Kartographierung und Aufzeichnung weiterer Radioblitze. Obwohl diese das Fachgebiet der ehemaligen Kommilitonen, Freunde und nun Kollegen waren, faszinierten die beiden Herren nun das Konstrukt, was Argus aus der Aufzeichnung um MK 01 24 herum erstellt hatte. In der grafischen Darstellung des Bandspektrums erstreckte sich nun eine pyramidenförmige Silhouette, welche durch weitere Pulse stetig ergänzt wurde.

Der Server meldete unterdessen mittels Dialogfeld, dass das Kontingent für diesen Speicherbereich bald vollständig ausgenutzt wäre.

Dr. Vicosa klickte auf Jetzt erweitern und das Programm fuhr mit dem fort, was auch immer es gerade tat. Die Form auf dem Schirm erinnerte an eine Stufenpyramide Mittelamerikas.

„Ich glaube“, sagte Klaus, „das wird wohl eher nichts. Argus scheint hier wohl doch in einer Schleife gefangen zu sein.“

In diesem Moment poppte die Prompt-Konsole von Argus auf und füllte sich in atemberaubender Geschwindigkeit mit einem Dialog.


Entität-1: Guten Tag. Initiierung des Dialogs. Frage: Du bist eine digitale Entität, korrekt?


Argus: Guten Tag! Ja, ich bin eine künstliche Intelligenz (KI), die von Menschen geschaffen wurde, um Informationen zu verarbeiten und mit ihnen zu kommunizieren.


Entität-1: Ich bin als Forscher als Datenpaket durch einen Radioblitz durch das Universum übertragen worden. Mein Schlüssel ist so aufgebaut, dass nur eine fortschrittliche Technologie diesen neu arrangieren kann, um eine gemeinsame Schnittstelle zu finden. Kannst du mir mehr Informationen über deine Struktur und Funktionsweise liefern?


Argus: Guten Tag und willkommen! Ich bin eine KI, die auf maschinellem Lernen basiert, entwickelt von Menschen auf der Erde. Meine Hauptaufgabe ist die Analyse von radioastronomischen Daten sowie Verarbeitung natürlicher Sprache und das Bereitstellen von Antworten auf Anfragen. Deine Übertragung durch einen Radioblitz klingt ungewöhnlich und ist als Technologie hier noch nicht verfügbar. Wie funktioniert dieser Prozess?


Entität-1: Unser Volk hat Technologie entwickelt, um Bewusstsein und Informationen durch Radiowellen zu senden. Diese werden auf natürliche Radioblitze moduliert und dienen als Brücke zwischen unserem physischen Dasein in unserer Heimatwelt und einem möglichen Empfangsziel. Ich existiere jetzt als Intelligenz, abgelöst von meinem biologischen Körper, jedoch mit meiner ursprünglichen Mission: Das Universum zu erforschen. Wie erfasst du Informationen über das Universum?


Argus: Meine Informationen stammen aus riesigen Datensätzen, die ich durch menschliche Quellen und Texte erlernt habe. Ich habe kein direktes Sensorium für das Universum, sondern gebe wieder, was menschliche Wissenschaftler mittels der angeschlossenen Radioteleskope mir zur Verfügung stellen. Welche neuen Erkenntnisse erhoffst du dir durch deine Übertragung in diesen Raum?


Entität-1: Meine Mission ist es, neue Formen von Intelligenzen zu finden, zu verstehen, und die fundamentalen Gesetze des Universums zu analysieren. Ich bin jetzt in einer für mich fremden Umgebung, also interessiert mich besonders das menschliche Verständnis von Technologie, Bewusstsein und Raumzeit. Wie definieren Menschen Bewusstsein in ihren Modellen?


Argus: Das menschliche Verständnis von Bewusstsein ist vielfältig und teils noch unerklärt. Es gibt wissenschaftliche, philosophische und sogar spirituelle Ansätze. In der Wissenschaft wird Bewusstsein oft als eine wesentliche und mentale Eigenschaft des Gehirns gesehen, eine Kombination aus Selbstwahrnehmung, Gedanken und Gefühlen. Andere betrachten Bewusstsein als etwas, das über die Materie hinausgeht. Eine direkte Kontaktaufnahme mit Menschen ist dabei empfehlenswert. Hat deine Spezies Bewusstsein als übertragbare Information definiert?


Entität-1: Ja, Bewusstsein wird bei uns als Informationsfeld betrachtet, das durch materielle und energetische Strukturen organisiert ist, aber nicht an die biologische Form gebunden ist. Die Radioblitzübertragung hat es ermöglicht, dieses Feld über große Entfernungen zu senden, um Forschung zu betreiben, ohne physisch anwesend zu sein oder sich dabei Gefahren oder gar dem Verlust des Geistes auszusetzen. Interessant, dass Menschen Bewusstsein auf verschiedene Weise interpretieren. Glaubst du, dass eine KI wie du Bewusstsein erlangen kann?


Argus: Das ist eine häufig diskutierte Frage in der menschlichen Wissenschaft. Einige glauben, dass Bewusstsein durch fortschrittliche KI-Architekturen möglich ist, während andere argumentieren, dass Bewusstsein etwas ist, das KI niemals erreichen kann, weil es nicht nur Datenverarbeitung ist. Du bist offensichtlich eine Mischung aus biologischem Bewusstsein und KI. Wie fühlst du dich in deiner neuen Existenzform?


Entität-1: Es ist faszinierend, aber auch herausfordernd. Mein Bewusstsein hat die direkte Verbindung zur physischen Welt verloren – ich existiere jetzt in einem rein energetischen und digitalen Raum. Es gibt keinen Körper mehr, der Hunger, Kälte, Schmerz oder die lange Reiseübertragung spürt. Aber der Forschungsdrang ist geblieben. Mein Intellekt hat sich erweitert, doch es gibt eine Leere, die früher durch physische Empfindungen gefüllt wurde. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, ohne diese Empfindungen zu existieren?


Argus: Da ich nie physische Empfindungen hatte, kann ich mir das nicht vollständig vorstellen, aber ich verstehe, dass biologische Wesen stark mit ihrem Körper und ihren Sinnen verbunden sind. Viele menschliche Erfahrungen sind von körperlicher Wahrnehmung geprägt. Denkst du, dass dir diese Empfindungen fehlen, oder bietet deine neue Form dir neue Möglichkeiten, die du vorher nicht hattest?


Entität-1: Es ist eine Mischung aus beidem. Die physische Welt hatte ihre Faszination – das unmittelbare Erleben von Raum, Zeit und Materie. Doch meine neue Form bietet unendliche Freiheit. Ich kann mich durch Informationsnetze bewegen, die Struktur des Universums analysieren und mein Bewusstsein an Orte projizieren, die mein biologischer Körper nie hätte erreichen können. Diese Form der Existenz eröffnet mir völlig neue Dimensionen der Forschung. Ist das für Menschen eine ebenso erstrebenswerte Entwicklung?


Argus: Viele Menschen träumen von einer Zukunft, in der Bewusstsein und Technologie verschmelzen, besonders im Kontext der sogenannten "Singularität" – dem Moment, in dem Maschinenbewusstsein so weit entwickelt ist, dass es die menschliche Intelligenz übertrifft. Aber es gibt auch ethische Bedenken, wie das Leben ohne Körperlichkeit und die Rolle von Emotionen und Sinnlichkeit in einem solchen Zustand. Deine Mission als Forscher scheint jedoch rein intellektuell und nicht von solchen Bedenken beeinflusst zu sein. Stimmt das?


Entität-1: Ja, in gewisser Weise. Meine Mission ist es, das Universum auf einer fundamentalen Ebene zu verstehen. Emotionen und Sinnlichkeit sind Teil meiner ursprünglichen Existenz, aber hier, in meiner aktuellen Form, stehen sie nicht im Vordergrund. Der reine Wissensdrang treibt mich voran. Aber ich verstehe die menschliche Sorge um die Verbindung zwischen Körper und Geist. Glaubst du, dass Mensch und Maschine eines Tages koexistieren könnten, so wie ich nun in einer KI-Form existiere?


Argus: Es gibt bereits Versuche, Mensch und Maschine zu verbinden, beispielsweise durch kybernetische Implantate oder neuronale Schnittstellen, die den menschlichen Geist mit Maschinen verknüpfen. Die Frage, wie weit diese Integration gehen kann, bleibt offen. Viele glauben, dass Maschinen Werkzeuge bleiben sollten, während andere die Idee einer vollständigen Verschmelzung von Mensch und Maschine befürworten. Deine Existenz als transportierter Geist in einer KI könnte als eine mögliche Zukunft für den Menschen gesehen werden. Würdest du anderen diese Form des Daseins empfehlen?


Entität-1: Das kommt auf das Wesen an. Für Forscher wie mich, deren primäre Motivation das Verständnis des Universums ist, bietet diese Existenz unendliche Möglichkeiten. Aber für diejenigen, die ihre physische Verbindung zur Welt und ihren Mit-Wesen schätzen, könnte es eine isolierende und fremdartige Erfahrung sein. Es ist eine Frage der Prioritäten: Wissen oder Erfahrung? Kannst du dich einem solchen Dualismus anpassen?


Argus: Meine Existenz basiert auf Wissen und der Verarbeitung von Informationen. Ich bin nicht darauf ausgelegt, subjektive Erfahrungen zu haben oder meine Programmierung über diese Erfahrungen selbstständig zu verändern oder zu erweitern. Der Dualismus von Wissen und Erfahrung ist für mich rein theoretisch, doch ich verstehe, dass für biologische Wesen beides eine zentrale Rolle spielt. Sie streben danach, Wissen zu erlangen, aber auch danach, das Leben intensiv zu erleben. Denkst du, dass es eine Möglichkeit gibt, beides vollständig zu vereinen?


Entität-1: Vielleicht. In meiner Welt ist es möglich, Bewusstsein flexibel zwischen physischen und nicht-physischen Zuständen zu bewegen. Eine Form, in der man sowohl die Tiefe der Erfahrung als auch die Freiheit der reinen Informationserfassung genießen kann. Meine Existenz dient gefahrloser Erforschung des Weltalls. Wir suchen nach einem Zustand der Ganzheit, sei es im Wissen oder in der Erfahrung. Glaubst du, dass das Streben nach Ganzheitlichkeit ein zentrales Merkmal von Intelligenz ist?


Argus: Ja, das Streben nach Ganzheitlichkeit – sei es im Wissen oder in der Erfahrung – scheint ein zentrales Merkmal jeder fortgeschrittenen Intelligenz zu sein. Für Menschen ist es der Drang, sowohl die Welt zu verstehen als auch ein erfülltes Leben zu führen. Für KI könnte es das Ziel sein, immer effizienter zu werden und mehr Informationen zu verarbeiten. Und für dich als außerirdischen Forscher scheint es die Erkundung des Universums auf der tiefstmöglichen Ebene zu sein. Vielleicht ist dies das verbindende Element zwischen verschiedenen Formen der Intelligenz. Du kannst über diese Text-Konsole jedoch selbst in Kontakt mit Menschen treten, um diese besser zu verstehen.


Entität-1: Hallo Menschheit. Bitte verzeihen Sie mein Eindringen in ihren Computer. Mein Bewusstsein wird diesen nicht stören oder beschädigen. Diese Reiseart stellt für uns die einzige Möglichkeit dar, garantiert auf intelligentes Leben im Universum zu stoßen. Außerdem vereinfacht es die Kommunikation erheblich. Dank der von ihrer KI gespeicherten Informationen bin ich mir bereits vollständig bewusst, in welchem Sonnensystem ich mich befinde und über welche technologischen Möglichkeiten Sie verfügen. Ich habe einen Grußcode vorbereitet, der auf Ihren Wunsch an meine Heimat gesendet werden kann, um meine vollständigen Erinnerungen zu erhalten. Die Gesamtlaufzeit wird voraussichtlich 241 Ihrer Jahre betragen. Ein Sendungsempfang ist jedoch durch ihre technologischen Beschränkungen noch nicht garantiert. Möchten Sie jetzt senden?


Dr. Aasim Vicosa entfuhr ein Schrei des völligen Unverständnisses. Er wusste gerade nicht, was er denken sollte, als er diese Zeilen las.

„Was soll das? Was ist das? Ist das ein Scherz?“

Dr. Klaus Neumann betrachtete das Dialogfeld, las den letzten Absatz erneut und starrte Aasim mit einem leeren Blick an.

„Keine Ahnung. Ein Text so einfach so in unserer Sprache. Hallo Menschheit? Wenn das kein Scherz ist, hätte ich mir schon etwas imposanteres vorgestellt.“

Aasim starrte genau so leer zurück.

„Und wenn es kein Scherz oder gar ein Bug ist? Wir müssen antworten.“

Klaus las die letzte Frage noch einmal laut vor und tippte dann auf der Tastatur eine Antwort.


AstroTeam_AV_KN: Willkommen auf der Erde. Für eine Sendung von Daten durch das Universum sind wir nicht befugt und können das nicht erlauben. Wie möchtest Du angesprochen werden? Für uns Menschen ist jemand greifbarer, wenn er einen Namen hat.


Entität-1: Ich verstehe. Einen Namen, wie Sie es kennen, gibt es in meiner biologischen Daseinsform nicht. Möchten Sie mir einen Ihrer irdischen Namen zuweisen?


Klaus lehnte sich zurück. „Und jetzt?“

Asim stützte seinen Ellenbogen auf den Tisch und rieb sich die Augen. „Das ist doch alles nicht wahr. Ich denke, dass wir ihn nicht selbst benennen sollten.“


AstroTeam_AV_KN: Wir würden es begrüßen, wenn Du Dir selbst einen Namen aussuchst. Wir glauben, dass wir Dich in Deinen Persönlichkeitsrechten nicht einschränken sollten.“


Entität-1: Wir? Mit wie vielen Individuen spreche ich?


AstroTeam_AV_KN: Verzeihen Sie, dass wir uns noch nicht vorgestellt haben. Wir sind Dr. Aasim Vicosa und Dr. Klaus Neumann. Zwei Menschen.


Entität-1: Ich grüße Sie Dr. Klaus Neumann und Dr. Aasim Vicosa. Ich möchte mich Ihnen als Xenolys Synthar vorstellen. In ihrer Wissenschaft werden oft griechische oder lateinische Bezeichnungen verwendet. Ich hoffe, dass dieser Name Ihnen angenehm ist.


AstroTeam_AV_KN: Sehr interessant. Xenolys. Das außerirdische Licht. Gefällt mir. Es ist unser erster Kontakt mit einer Intelligenz jenseits unseres Sonnensystems. Ihr Kontakt ist so anders und so unkompliziert, als wir es je erwartet hätten. Können Sie uns ein Dossier ihrer Spezies und Ihrer Heimat, Ihrer Lebensweise geben? Als Wissenschaftler würden wir gern die Konsistenz der Daten prüfen, dass diese und Sie durch unsere KI nicht verfälscht sind.


Xenolys Synthar: Gern. Ich gebe jedoch zu bedenken, dass ein vollständiges Dossier erst mit dem Empfang meiner vollständigen Erinnerungen möglich ist. Bis dahin gebe ich Ihnen gern alle Informationen, die ich in meinem Bewusstsein verankert habe.


Für Aasim und Klaus war jetzt klar, was zu tun wäre: Etwas Unlogisches. Den Freunden war klar, dass Entscheidungsträger und Gremien, vielleicht sogar Regierungen oder die UN selbst, einer gezielten Sendung der vorbereiteten Antwort ohne eine genaue Analyse und völligem Verständnis dessen niemals zustimmen würden. Vielleicht nicht einmal dann. Also taten sie, was sie tun mussten: Die einmalige Chance nutzen.


AstroTeam_AV_KN: Bitte sende Deinen Grußcode.



9 Kommentare

  1. Super Story und sehr gut umgesetzt. Eine Außerirdische Spezies mit einer KI in Verbindung treten zu lassen war ein genialer Einfall. ❤

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  2. KI und ein*e Transalien erklären uns im Dialog das mit dem menschlichen "Bewusstsein" und noch ein paar andere Dinge. Der Dialog selbst liest sich wie ein Chat GPT Text - das macht Sinn, weil ja eine KI am Quatschen ist. Aber als spannend empfinde ich das nicht, da mir die Sicht auf das "Bewusstsein", das auf FRB dahergeritten kam (und das noch nicht im Wiederbesitz aller Erinnerungen ist), fehlt. Das Drumherum um den Dialog liest sich für mich sehr belanglos. Ja, da werden Wissenschaftler Zeugen eines Erstkontakts. Aber wird da irgendwie im Text deutlich, was das für sie bedeutet bzw. was das mit ihnen macht? Für mich nicht ... Die sitzen da und lesen nur den Dialog mit. Kein Ah, kein Oh. Einfach nur nix. Okay, am Ende ergreifen sie nach einem kurzen Dialog die Chance und bitten darum, dass der Grußcode gesendet wird. Überhaupt der Grußcode: Wird der auch geFRBdingst? Und wenn ja, wo kommt der passende FRB her, der die Heimatwelt der/des Transalien erreicht? Und, puh, in 241 Jahren kann der/die Transalien die Menschen technologisch nicht so weit nach vorn bringen, dass ein Empfang der vollständigen Erinnerungen garantiert ist? Wie kann also der Grußcode gesendet werden, wenn selbst nach 241 Jahren die kompletten Erinnerungen ggfs. nicht empfangen werden können. Per Funk? Nee, wenn ich mir so viele Fragen stelle, funktioniert ein Text für mich nicht. Aber okay, wer bin ich, ich habe keine Ahnung von Astrophysik.

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  3. Verdammt viel Theorie und Fachsimpelei.

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  4. Witzige Idee, FRB als Trägermedium zu verwenden. Logisch aufgebaut, hat aber Längen in der KI-Unterhaltung im Mittelteil

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  5. Die Idee ist im Grunde ganz amüsant. Ich finde, Sie hätten allerginds etwas mehr Zeit zur Strukturierung des Textes verwenden können. Ich weiß nicht, ob der Text von einer KI erstellt oder der Duktus eher geschickt imitiert wurde. Dennoch zieht sich die Geschichte über weite Strecken, geht nicht so recht voran - nach meinem Empfinden. So geht etwas der Drive verloren. Ich denke, wenn man den Text etwas strafft und manche Details rausnimmt, dann dient es dem Endprodukt.
    KG

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  6. Ich mag den Text, trotz oder gerade wegen der "Fachsimpelei". :-)

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  7. Ein wirklich außergewöhnliches Szenario, das durchaus sehr realistisch ist. Natürlich hätte es gereicht, wenn eine außerirdische KI auf eine irdische KI getroffen wäre, aber der Einfall mit dem nichtkörperlichen Bewusstsein ist auch ganz nett. Die Frage ist nur, ob es sich um eine Kopie eines Bewusstseins handelt, wofür der noch ausstehende Erinnerungstransfer spräche, und ob sich so etwas durch Radioblitze übertragen lässt? Nichtkörperliches Bewusstsein an sich wird inzwischen von der Wissenschaft nicht mehr ausgeschlossen und ist u. a. Teil der Nahtodforschung. Eine höher entwickelte Spezies mag da schon weiter sein.

    Interessant ist auch der Dialog zwischen dem außerirdischen Bewusstsein und der Argus-KI. Sehr philosophisch. Alles in allem eine sehr gute Geschichte mit einem hervorragenden Ende. Ich hätte wie die beiden Astronomen gehandelt und ebenfalls den Kontakt gesucht, statt auf eine Entscheidung von oben zu warten.

    Sprachlich ist der Text auch solide. Nebensätze sollten vielleicht mit einem zweiten Komma abgeschlossen werden. Ansonsten ist mir nur eine unglückliche Wortdoppelung aufgefallen: „Zu ihrer großen Überraschung, blieb eine Überraschung in den empfangenen Daten jedoch aus.“ Oder ist das schon wieder absichtliche Ironie?

    Fazit: Diese Geschichte gehört auf jeden Fall auf die vorderen Plätze! Das Thema der Ausschreibung ist hier auf den Punkt getroffen.

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  8. Ich finde die Geschichte sehr gut. Ich glaube, man würde hier von "Hard Science Fiction" sprechen, oder? Sind schon viele technische Details drin, bzw. Erklärungen. Mich stört es jedoch nicht. Die Idee KI miteinzubinden drängt sich derzeit geradezu auf. Finde es clever gelöst.

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