Universalraubtiere
von Elea Jourdan
Platz 1 beim ZACSF2024
„Was ist DAS denn?“ Erschrocken blieb 0x017 stehen. So abrupt, dass 0x016 ihn ein bisschen anrempelte, bevor sie mit quietschenden Rädern zum Stand kam.
Ratlos beäugten beide das große Geschöpf, das soeben aus dem feuchten, undurchdringlichen Dunst aufgetaucht war und ihnen jetzt im Weg stand. Das Geschöpf äugte ebenso ratlos zurück, wickelte dann eine lange rosa Zunge um ein Pflanzenbüschel, zog dieses in sein samtiges, leicht behaartes Maul und kaute genüßlich, den breiten Kiefer von einer Seite zur anderen schiebend.
„Ähem“, machte 0x016, „wir sollten problemlos daran vorbeikommen.“ Sie fuhr probeweise einige Zentimeter seitwärts auf dem holprigen grünen Untergrund. Gras, hatte sie recherchiert. Oder auch Wiese genannt.
„Und wenn es angreift?“ Skeptisch betrachtete 0x017 die gebogenen Auswüchse mit den spitzen Enden auf dem breiten, schwarz-weiß befellten Schädel.
„Och, das sieht doch ganz harmlos aus. Schau — es hat große, sogenannte >Kulleraugen<, mit ganz langen Wimpern. Das ist Teil dieses Kindchen-Schemas, das bei der zweibeinigen Spezies Sympathie und Beschützerinstinkte auslöst, stand in Kapitel 198 007630-0453792 der Abhandlung über die Psyche der Planetenbewohner. Die Kindchen-Schema-Optik besitzen daher nur hilflose, schutzbedürftige Wesen. Also ist dieses — na, was auch immer es ist — völlig ungefährlich.“
„Hm.“ 0x017 fuhr ebenfalls ein Stück nach vorne. „Das Dumme ist, dass man nichts sieht. Dieses Wetterphänomen, es wird Nebel genannt, glaube ich … davon wurde nichts vorhergesagt.“ 0x017 saß der fälschlichen Erwartung auf, dass Wettervorhersagen auf diesem Planeten richtig zutrafen.
Die Kommandozentrale hatte extra keine dicht besiedelte Gegend ausgewählt. Keine Großstadt, keine Kleinstadt, ja, eigentlich überhaupt keine Stadt. An den zweibeinigen Eingeborenen waren sie zum jetzigen Zeitpunkt nur mäßig interessiert, und je weniger sie begegneten, desto besser.
Und die Mission von 0x016 und 0x017 bestand jetzt darin, Bodenproben zu entnehmen, Rohstoffe zu bestimmen, die Atmosphäre zu analysieren und diverses andere Aussagekräftige, um die Chancen einer zukünftigen Nutzung dieses Planeten einschätzen zu können. Alles natürlich erst einmal ganz unauffällig. Konflikte mit den wie auch immer gearteten Bewohnern galt es zu vermeiden, die kamen dann noch früh genug.
Was Flora und Fauna anging, wären sie gut genug trainiert, hatte 0x017 gedacht. In der ihnen zugewiesenen Gegend sollte es eigentlich überhaupt keine gefährliche Spezies geben, hieß es aus der Kommandozentrale, die mit dem Mutterschiff hoch oben im Orbit kreiste, in Sicherheit und bequemen Sesseln.
„Na los!“ 0x016 trat in die Pedale und fuhr an. „Wir können ja nicht ewig hier stehen bleiben.“
0x017 schnaubte, setzte das Lastenrad aber ebenfalls in Bewegung. Schwerfällig holperte das Gefährt über die Wiese. Im Anhänger klapperten laut die unzerstörbaren Kisten mit ihrer Ausrüstung und schon etlichem gesammelten Probenmaterial.
Der bis eben gemütlich wiederkäuende Vierbeiner erschrak, als die Räder an ihm vorbeihoppelten, riss erbost den Kopf hoch und brüllte laut: „Muuuuuuuh!“
0x016 und 0x017 brüllten daraufhin ebenfalls vor Schreck und strampelten so schnell sie konnten, um aus der Gefahrenzone zu entkommen. Leider fuhren sie aber mitten hinein in die im Nebel verborgene Herde eben noch friedlich grasender Tiere … die stoben jetzt erschrocken muhend auseinander und galoppierten panisch kreuz und quer über die Weide.
0x016 und 0x017 erreichten, mindestens ebenso panisch, mit Mühe und Not einen Waldrand und keuchten mit ihren Rädern die Böschung hoch.
„Kühe! Das sind Kühe!“, japste 0x016, während sie auf dem Display des kleinen Gerätes herumtippte, das unauffällig am Hosengürtel hing.
„Raubtiere!“, schnaufte 0x017. „Hochgefährliche Raubsäuger!“ Er hatte vor Schreck im Reflex mehrere Gliedmaße aus den Pulloverärmeln und Hosenbeinen gerissen und musste jetzt seine Kleidung neu richten.
Es war wahrhaftig eine Tortour, diese Mission! Unsägliche Fortbewegungsmittel und absolut unpraktische, unzureichende und einengende Kleidung. Nur weil sie der dominanten Spezies des Planeten begegnen könnten und dabei unauffällig agieren sollten!
0x016 schüttelte den Kopf. Langsam nahm ihre Gesichtsfarbe wieder den normalen, attraktiven hellen Grünton an. „Nö, es sind Pflanzenfresser, die selbst verspeist werden, und ihre Milch wird exzessiv als Nahrungsmittel weiterverarbeitet und verwendet in weiten Teilen des Planeten.“
0x017 schüttelte sich. „Igitt. Und ich bleibe dabei: Sie sind gefährlich. Aber egal wie, das hier sieht wenigstens wie ein gangbarer Weg aus, das nutzen wir!“ Er deutete auf einen schmalen Waldweg, der am Rande der Weide entlangführte. Und kurz darauf strampelten die beiden hochkonzentriert weiter, bemüht, ihre mehrere Paar Beine nicht mit den Pedalen zu verheddern.
Nachdem die Sonne höher stand, verschwand auch der Bodennebel und gab den Blick frei über Wiesen und einzelne Baumgruppen. Ganz in der Ferne entdeckte 0x016 ein weitläufiges Gebäude. Misstrauisch runzelte sie die Stirn. „Das sieht nach einer Behausung von Zweibeinern aus … hier sollte doch niemand leben von den Eingeborenen, hieß es.“
„Hier sollte auch kein gefährliches Großwild existieren wie diese — diese Muh-Tiere! Die Vorhut hat geschlampt bei der Recherche, wie üblich, da sind sicher wieder Daten verloren gegangen!“, empörte sich 0x017.
0x016 verdrehte alle 6 Augen. „Ja-haaa, aber was machen wir jetzt? Der näxte Punkt für die Bodenprobe-Entnahme liegt ziemlich exakt dort … und zwar für eine wichtige Tiefenbohrung.“
„Na, dann müssen wir wohl weiter!“ Grimmig trat 0x017 in die Pedale.
Bald näherten sie sich, bislang ohne weitere Zwischenfälle, einem morschen Holzzaun.
Beide stiegen ab und parkten die Räder am Wegesrand. Unschlüssig standen sie eine Weile herum. Als sich nichts rührte und weiterhin niemand zu sehen war, nahm 0x017 die Messgeräte aus den Kisten im Anhänger und drückte die Hälfte davon 0x016 in die vier oberen Gliedmaße.
„Wir entnehmen jetzt einfach die Bodenproben und erledigen schnell die Bohrung; das Gebäude wird unbewohnt sein, denke ich.“
„Auf deine Verantwortung!“ Widerwillig kletterte 0x016 ihm hinterher über den wackeligen Zaun.
Sie kämpften sich einige Meter weit durch Gestrüpp, dann öffnete sich das Gelände zu einem Areal, in dem in schnurgeraden Reihen verschiedene Pflanzen standen.
„Also … das scheint mir aber kein natürlicher Bewuchs zu sein!“, sorgte sich 0x016. „In dem Regelbuch Artikel jjKl0765-8r526-09dht-8fhzeo Absatz 000087ßjhz steht, dass jede geometrische Ordnung in der Flora auf kultivierende Eingriffe der Eingeborenen hindeutet. Also könnte doch jemand hier leben von diesen Einheimischen …“
Ein bedrohliches, knurrendes Grollen hinter ihnen bestätigte ihre Annahme zumindest teilweise …
Entsetzt fuhren sie und 0x017 herum und sahen sich einem wilden Geschöpf mit gesträubtem Nackenfell und vor Geifer tropfenden Reißzähnen gegenüber, das angriffslustig die Pfoten in die Erde stemmte und sein Grollen noch steigerte.
„Ahhhh!“, quietschte 0x016 auf und riss sämtliche oberen Gliedmaße aus den Pulloverärmeln. 0x017 sprang erschrocken zurück und stolperte dabei über einen Stock und die hinderlichen Hosenbeine. Er plumpste auf die Erde und zappelte vierbeinig in der Luft herum.
Das wilde Geschöpf unterbrach verdutzt sein Knurren und beäugte verwirrt die beiden ungebetenen Eindringlinge. Für sein Empfinden war bei den Fremden etwas zu viel oder zu wenig vorhanden an Körperteilen — je nachdem, wie man es betrachtete. Außerdem rochen diese Personen nicht nach Personen, sondern … grüblerisch runzelte er die befellte Stirn und legte den Kopf schief.
„Hund!“, bestimmte 0x016 jetzt. „Kategorie Haustier. Freund des Menschen. Familientauglicher Mitbewohner.“ Sie scrollte weiter auf dem Display ihres Gürtelanhängers. „Hört auf Kommandos. Ist harmlos. Will nur spielen.“
„Welche Kommandos?“, wollte 0x017 wissen, der sich wieder aufgerappelt hatte und je zwei Gliedmaßen in je einem Hosenbein verstaute. Ärgerlich warf er den Stock weg, über den er gestolpert war.
„Keine Ahnung … woher soll ich —“ Weiter kam 0x016 nicht, denn sie wurde vom Freund des Menschen über den Haufen gerannt, der dem Stock hinterherraste. Kurz darauf raste der Hund wieder zurück und spuckte das Holzstück 0x017 erwartungsvoll vor die vier Füße.
0x016 hockte noch immer verdattert auf dem Hosenboden und bekam vom jetzt eifrig wedelnden Hundeschwanz Frischluft zugefächelt.
0x017 kratze sich am vorletzten Ohr, bückte sich dann, hob den Stock auf und warf ihn. Diesmal gezielt und mit vollem Einsatz, was bedeutete, dass der Hund zum apportieren die Strecke von etwas mehr als einem Kilometer zurücklegen musste und eine Weile unterwegs sein würde.
0x016 war aufgestanden, klopfte sich den Sand von den Kleidern und griff kopfschüttelnd nach den Geräten für die Bodenproben. „Das ist — speziell“, sagte sie. „Völlig sinnbefreites Verhalten. Aber gut, gehen wir weiter. Ich hoffe wirklich, wir begegnen nicht noch mehr dieser komischen Fauna des Planeten.“
0x017 zuckte nur die Schultern und lief vorwärts. Das Areal mit den kultivierten Pflanzen stieß an eine hohe, hölzerne Halle (Scheune, recherchierte 0x016), in der aber nichts Verfängliches zu finden war. Nur Strohballen, Heu und Geräte, deren Sinn und Verwendungszweck sich weder 0x016 noch 0x017 erschloß.
Ihre Ortungsanzeige führte sie wieder aus der Scheune heraus in einen Hof, der U-förmig von Gebäuden begrenzt war. Außer relativ großen, weißen Geschöpfen, die auf zwei Beinen watschelnd umhermarschierten, war niemand zu sehen.
0x017 hielt 0x016 abrupt zurück. „Zweibeiner!“, zischelte er. „Eingeborene!“
„Ich weiß nicht …“ Zweifelnd beobachte 0x016 die weißen Geschöpfe, die stets dicht im Pulk zusammenblieben bei ihrem Spaziergang durchs Gelände. „Ich dachte, die Eingeborenen hätten paarige biologische Greifwerkzeuge — Arme, Hände, wenn natürlich auch zu wenige. Sonst wäre es doch völlig unsinnig, dass wir diese spezielle Kleidung tragen …“ Sie trat einen Schritt zurück und mit dem dritten Fuß auf etwas Pelziges, nachgiebig Weiches. Sofort ertönte ein schrilles Aufkreischen, zischendes Fauchen, und etwas Nadelspitzes krallte sich in ihr viertes Bein, während etwas Messerscharfes in ihren ersten Fuß biss.
0x016 erschrak fast zu Tode, kreischte noch lauter als ihr Angreifer und stürzte vorwärts, dicht gefolgt von einem vor Schreck panisch schnaufenden 0x017. Beide rannten in den Hof, inmitten die Schar weißer zweibeiniger Gestalten, die jetzt ebenso laut loslärmten, mit fedrigen, seitlichen Körperteilen schlugen, schnatterten und mit langgezogenen, orangefarbenen, zweiteiligen Auswüchsen am Vorderkopf zischend nach den Fremden schnappten.
Zittrig tippte 0x017 auf dem Analysegerät herum, während sie kehrt machten und zurück in die Scheune flüchteten. „Gänse! Eierlegende Wasservögel, die den Einheimischen als Speise dienen, vorwiegend an Festtagen. Was immer das auch für Tage sind …“
„Wasservögel? Siehst du hier irgendwo Wasser?“, fragte 0x016 verwirrt.
0x017 reckte den Hals auf mehrfache Länge. „Das ist vielleicht diese Vertiefung mit flüssigem Inhalt da hinten vor dem Zaun.“
„Ist mir jetzt auch egal. Ich bin völlig zerkratzt und habe Bisswunden! Löcher von Zähnen in mir! LÖCHER!!“ Hektisch tupfte 0x016 ein medizinisches Extrakt auf ihre Blessuren. „Was war das nur? Es war bei weitem nicht so groß wie dieses Hundeding, und ich habe es nicht ganz deutlich gesehen vor Schrecken. Aber es hatte Fell, vier Beine, grünglühende Sehorgane. Und einen schlangenartigen Schwanz. Hat ja auch gefaucht und gezischt wie diese — diese Reptilien … die habe ich in dem Seminar „Lebensformen des zu besiedelnden Planeten“ gesehen.“
0x017 schüttelte den Kopf. „Reptilien haben kein Fell. Da bin ich mir sicher. Das muss etwas anderes gewesen sein.“
„Es hieß, es gibt hier nur harmlose Lebensformen in diesem Gebiet! Diese verschiedenen Pflanzen, die sich nicht von Fleck bewegen können, und einige kleine, eher amüsante, bewegliche Geschöpfe, hieß es. Nichts, was unseren Auftrag erschweren würde. Und der dominierenden Spezies, diesen zweibeinigen Eingeborenen würden wir mit ziemlicher Sicherheit garnicht begegnen“, schimpfte 0x016.
„Nun, letzteres stimmt ja auch!“, meinte 0x017 beschwichtigend. „Wir haben keine Eingeborenen getroffen, oder?“
Bevor 0x016 zustimmen konnte, relativierte sich diese Aussage …
„RIAS anh mulme Scheomiii!“ schrie es hinter ihnen und eine lange Stange mit drei bedrohlichen Zacken am oberen Ende fuchtelte vor ihrer Nase herum, als sie erschrocken herumfuhren. „Hoit un!“
0x017 und 0x016 machten auf dem nicht vorhandenen Absatz kehrt, flüchteten panisch im Zickzack durch die große Scheune und sprangen hinter einen Heuballen, wo sie sich angstvoll duckten.
„Schnell! Schalte den Translator ein!“, zischte 0x016. „Das muss ein Eingeborener sein!“
0x017 starrte kopfschüttelnd auf sein Analysegerät und verglich das Bild eines hochgewachsenen, glatthäutigen, ordentlich behosten Zweibeiners mit kurzem Kopffell mit der Erscheinung, die immer noch schwerbewaffnet dastand und deutlich aggressive Schwingungen aussendete. Wortlos hielt er 0x016 das Bild hin.
„Da! Bifss boom!“, schrie das Geschöpf schrill und wummerte das Ende seiner Waffe wütend auf den staubigen Boden. „Inz Glingkrz!“
0x016 warf ungeduldig selbst ihren Translator an. „Raus aus meiner Scheune!“ — „Haut ab!“ — „Na wird’s bald!“ — „Ihr Gesindel!“ übersetzte dieser nachträglich.
„Verhaltensregel 8976-AAAAAAA65429afg-08765kmi!“, murmelte 0x016. „Ich hoffe, das reicht aus!“
0x017 nickte stumm und beide traten vorsichtig hinter dem Heuballen hervor. Mit langsamen Schritten näherten sie sich bis auf einige Meter der Gestalt, die jetzt eine Hand in die Hüfte stütze und in schnellem Rhythmus mit einer Fußspitze auf den Scheunenboden pochte. „Naaaa, geht doch!“, übersetzte der Tanslator.
0x017 schüttelte fassungslos den Kopf. „Unglaublich!“, murmelte er. Das zweibeinige Geschöpf musste wohl tatsächlich ein Eingeborener sein. Trotz geringerer Größe, grauem wilden Wirrwarr (vermutlich doch eine Art Haar) auf dem Kopf, unzähliger Falten im Gesicht und ziemlich kugelförmiger Gestalt mit paarigen Ausbuchtungen im oberen Bereich. Bedeckt von etwas, was wohl Kleidung sein musste, obwohl es keine Hose war und sehr floral aussah — das überaus farbreiche Imitat irdischer Flora sozusagen. An der Vorderfront des Kopfes ließ sich ein Metallgestell erkennen, das durchsichtige kleine Scheiben einrahmte, die vor den beiden Sehorganen saßen.
„Was habt ihr hier zu suchen? Hier gibt’s nichts zu klauen, verstanden! Macht euch vom Acker, aber flott!“, forderte der Eingeborene. „Sonst mach ich euch Beine!“
Die beiden schalteten ihre Translatoren schnell auf >Gesprächsmodus<
„Ähem … wo ist dieser Acker bitte?“, fragte 0x016 höflich.
„Sind Sie Wissenschaftler?“, erkundigte sich 0x017 verblüfft. „Dürfte ich sehen, wie Sie die Beine machen? Also den Herstellungsprozess?“
Ihr Gegenüber betrachtete sie aus hinter dicken Brillengläsern zusammengekniffenen Augen. „Ihr wollt mich wohl verarschen?“
Der Translator war außerstande, das sinnvoll zu übersetzen. Unsicher sahen 0x016 und 0x017 sich an. Der Kontakt zu den Einheimischen schien sich noch schwieriger zu gestalten als befürchtet. Nicht umsonst sollte er vermieden werden.
„Wir haben, äääh, einen Forschungsauftrag auszuführen“, startete 0x016 einen weiteren Versuch. Nahe bei den Tatsachen zu bleiben, war meist am günstigsten.
0x017 nickte eifrig. „So ist es. Wir sind beauftragt, in dieser Gegend Bodenproben zu entnehmen.“
„Bodenproben? BODENPROBEN? Aber garantiert nicht auf meinem Grund und Boden!“, kreischte der Eingeborene. „Ihr seid so Grundstücksspekulanten, gebt‘s zu! Aber hier werden keine Industrieparks gebaut auf unserem Land, und auch keine Wellnesshotels oder Golfplätze! Hier wird Obst, Gemüse und Getreide angebaut und sonst nix, verstanden!“
0x016 und 0x017 schauten ratlos und mittlerweile ziemlich besorgt. Sie hatten weder eine Vorstellung von Golfplätzen noch von sonstigem, was der Translator übersetzte.
„Die Bodenproben dienen der wissenschaftlichen Forschung, es geht rein um die Qualitätssicherung für den Anbau und die Ernte organischer Lebewesen, äh, Pflanzen“, versuchte es 0x016 noch einmal.
„Aha. Ökologischer Landbau, alles Bio-Qualität, oder was?“, knurrte der Eingeborene. „Den betreiben wir schon immer. Auch ohne die sauteuren Label, die an X Vorschriften gebunden sind, wenn man sie beantragt. Da braucht ihr mir garnicht mit zu kommen.“
„In Ordnung“, sagte 0x017 schnell. „Dürften wir trotzdem noch kurz eine kleine Tiefenbohrung vornehmen, etwa dort, wo vorhin diese äh, Wasservögel, äh, Gänse sich aufhielten. Nur ein paar tausend Meter, keine große Sache.“
Der Eingeborene lief deutlich rot an. „NEIN!“, kreischte er. „Dürft ihr nicht! Zum letzten Mal, verpisst euch!“
„Aber Hildchen! Was ist denn hier los?“, erklang eine neue Stimme, und ein zweiter Einheimischer schlurfte über den Hof auf die Scheune zu. „Was schreist du denn so?“
0x016 und 0x017 zuckten synchron zusammen und starrten dem zweiten Geschöpf entgegen. Es unterschied sich optisch in gewissem Rahmen doch von Exemplar Nummer Eins. Es war etwas größer, weniger rund, schlabberig behost und besaß kurzes weißes Kopffell mit teilweise kahlen Stellen. Das Metallgestell vor den Sehorganen fehlte, ebenso die auffallenden paarigen, halbkugelförmigen Ausbuchtungen am Oberkörper. Die Stimmlage war auch wesentlich tiefer als die von Exemplar Eins.
„Ich glaube, das da ist ein männliches Exemplar. Und das erste ein Weibchen“, zischelte 0x017.
„O weh …“, murmelte 0x016. „Vielleicht haben sie Junge, oder sind gerade am brüten. Dann muss irgendwo in der Nähe das Nest sein. Wahrscheinlich ist das Weibchen deshalb so aggressiv.“
„Unfug. Das sind doch Säuger und Lebendgebärende, diese dominierende Spezies. Die brüten nicht.“ 0x017 schüttelte ungeduldig den Kopf.
Die beiden Einheimischen hatten sich derweil in leiser, aber unverkennbar hitziger Debatte auf etwas geeinigt. Das männliche Exemplar winkte jetzt in ihre Richtung.
„He, ihr zwei da! Kommt mal mit, ihr könnt bei einer Tasse Kaffee erklären, was ihr genau hier wollt, wer euer Auftraggeber ist und woher ihr überhaupt kommt. Mein Hildchen meint, euer Dialekt graust einer Sau, aber es wär grad noch verständlich.“ Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und schlurfte Richtung Hof.
Das weibliche Exemplar, bei dem es sich um ein Hildchen handeln musste, was immer das auch war, warf böse Blicke über die Schulter zurück, folgte dem Männchen aber zur Scheune hinaus.
0x016 und 0x017 verharrten noch an Ort und Stelle. „Das können wir nicht doch gar nicht riskieren!“, stöhnte 0x017. „So direkter Kontakt ist absolut nicht vorgesehen. Dem hält unsere Tarnung nicht stand. Die funktioniert nur auf Abstand, nicht bei so nahem Sichtkontakt.“
0x016 hatte schon vor lauter Stress ihre vier oberen Gliedmaße verknäuelt und versuchte nun, die Pulloverärmel zu entwirren. „Wir haben keine andere Wahl. Wenn wir an die Bodenproben kommen wollen, müssen wir erstmal auf den Vorschlag eingehen und die Lage weiter sondieren. Oder wir müssen die Eingeborenen gleich ausschalten, aber wenn ich an den ganzen folgenden Schriftkram denke … da mischt sich doch wieder das Ethik-Komitee ein und fordert tausend Belege und Erklärungen zur Notwendigkeit der Aktion.“
„Ich plädiere dafür, dass wir uns an die Kommandozentrale wenden. Sollen die das entscheiden!“ Entschlossen aktivierte 0x017 den Kontakt zum Mutterschiff und erstattete im Zeitraffer Bericht. Keine zwei Sekunden später kam die Antwort und er verkündete erleichtert: „Abbruch und Rückzug! Also nichts wie weg!“
„Aber wie denn jetzt?“, fragte 0x016 nervös. „Da! Das Männchen guckt schon, wo wir bleiben! Das kommt gleich zurück!“
„Hinten raus!“ 0x017 setzte sich schon in Bewegung und eilte auf die rückwärtige, kleinere Scheunentür zu. Kurz darauf zog 0x016 die Holztür fest hinter sich zu und sie beide tauchten eilig im Garten zwischen Bäumen mit großen roten Kugeln und piksigen Hecken mit kleinen roten Kugeln unter. Ein paar Meter weiter stießen sie auf ein hölzernes Gerüst, komplett überrankt von grünen Schlingpflanzen mit langen, knubbeligen Schoten daran. Das Ganze glich einem grünen Tunnel mit spitzem Dach und führte fast bis an den morschen Zaun heran. Während sie schnell diesen günstigen Fluchtweg nutzten, hörten 0x016 und 0x017 das eingeborene Männchen nach ihnen rufen, vermischt mit der schrilleren hohen Stimme des Weibchens, das noch immer sehr aufgebracht klang.
„Schnell, schnell!“, drängte 0x016. „Ich sehe schon die Räder hinter dem Zaun. Dort, nach links müssen wir!“
Beide kletterten hastig über die Absperrung und rannten auf ihre Lastenräder zu, die noch wie zuvor am Wegrand parkten. 0x017 drückte schon im Laufen die Taste des automatischen Deckelschließmechanismuses und warf die Messgeräte gerade noch in ein paar offenstehende Kisten im Anhänger. Dann schwang er geschwind seine vier Beine und sprang in den Sattel. 0x016 tat das gleiche, und trat in die Pedale. So schnell sie konnten, wendeten sie die sperrigen Räder und fuhren den Waldweg zurück, der sie hergeführt hatte.
Erst nach etlichen Kilometern blieben sie stehen und gönnten sich eine Pause.
„Das war mehr als knapp! Ich werde mich beschweren, wenn wir wieder an Bord sind! Ich weigere mich, zukünftig solche Außeneinsätze zu machen, wenn sie so schlecht vorbereitet sind!“, machte 0x017 jetzt seiner Empörung Luft.
„Ja! Unzählige Annahmen über diesen Planeten, respektive seiner Lebensformen, sind falsch. Die Gefährlichkeit der einzelnen Spezies ist völlig anders als eingeschätzt. Wenn ich an den Angriff dieses Raubwesens in der Scheune denke …“ 0x016 schüttelte den Kopf und machte sich an den Kisten im Anhänger zu schaffen. Durch ihren schnellen Aufbruch waren etliche verrutscht. Auch wenn sie unzerstörbar waren, war es nervig, dass sie bei der Fahrt dauernd herumklapperten.
0x016 ordnete die Ladung neu und klappte dabei den irgendwie klemmenden Deckel einer Kiste hoch. Dann sprang sie mit einem Aufschrei zurück und starrte entsetzt auf den Inhalt.
Dieser erhob sich soeben auf vier Beinen, machte einen Buckel, sträubte das getigerte Fell, verwandelte den langen Schwanz in eine Flaschenbürste und funkelte 0x016 aus grünen Augen erbost an.
Bei diesem Anblick sprang 0x017 ebenfalls zurück und sah fassungslos auf die ziemlich lebendige Fracht. „Wie — wie kommt das hierher?“, stotterte er verwirrt.
„Das ist das Ding, das mich attackiert hat! Da bin ich mir sicher!“, flüsterte 0x016 angsterfüllt und wagte nicht, sich weiter zu rühren. „Es hat uns verfolgt! Es hat sich eingeschmuggelt. Vielleicht ist es eine biologische Waffe der Eingeborenen …“
0x017 hatte seine Fassung wiedererlangt und scrollte schon durch sein Analysegerät. „Katze! Teil-domestiziertes Universalraubtier. Nachtaktiv. Beliebtes Haustier, läuft in vielen Ländern Hund den Rang ab. Eigenwillig. Hört nicht auf Kommandos …“
Das Universalraubtier saß mittlerweile in der gepolsterten Kiste auf seinen Hinterpfoten und putzte sich das Fell. Dann hob es den Kopf, fixierte 0x017 und 0x016 und sagte: „Miau-Mau-Mau!“
„Schalte den Translator an“, flüsterte 0x016.
0x017 schüttelte den Kopf. „Das macht doch keinen Sinn. Das ist nur ein Lebewesen der hiesigen Fauna. Und wenn es nicht auf Kommandos hört, ist es als Waffe doch garnicht zu gebrauchen …“
„Und was macht es dann hier?“ Misstrauisch wich 0x016 noch weiter zurück, als sich die Katze in der Kiste streckte und dabei nadelspitzige Krallen ins angeblich unzerstörbare Polster bohrte.
„Vielleicht ist es einfach in die Kiste gesprungen, zum Schlafen eventuell. Ich habe die Deckel bei unserer Flucht sehr schnell geschlossen, da konnte es nicht mehr entkommen, vermute ich“, überlegte 0x017.
0x016 ließ das Geschöpf nicht aus den sechs Augen. „Das darf ja wohl nicht wahr sein! Und was machen wir jetzt?“
„Lass mich nachdenken …“, grübelte 0x017.
Das Katzenwesen hatte sich nach seiner Krallenpflege wieder auf dem dicken Kistenpolster zusammengerollt, aus dem jetzt einige lose Fäden hingen, gähnte, kniff die grünen Glühaugen zu Schlitzen und gab ein schnurrendes Geräusch von sich, eine Mischung aus Brummen und Surren.
„Es geht wieder in den Ruhezustand, ist aber immer noch in Betrieb. Ich höre das Antriebssystem laufen. Wahrscheinlich eine Art Cyborg“, mutmaßte 0x016.
0x017 rollte die Augen. „Wenn ich es dir doch sage — das Katzendings ist ein natürlicher, vollständig biologisch abbaubarer Bestandteil der hiesigen Fauna! Die Analyse zeigt nur organische Komponenten. Schau selbst nach!“ Er schwang das Messgerät herum und hielt es 0x016 unter die Nase.
Bevor die Diskussion über das Katzendings zum Ende kommen konnte, ertönte ein Warnton synchron aus allen Geräten, und das Abholsignal zum Mutterschiff blinkte auf.
>Vorgezogener Schichtwechsel für planetarischen Außeneinsatz. Bereit halten für die Rückholaktion in Drei-Zwei-Eins-Null Zeiteinheiten!<, blendete sich auf allen Displays ein.
Keinen Augenblick später wurden 0x016, 0x017, die Lastenräder mit Anhänger, sämtlichen Kisten und der Katze hochgebeamt in den Orbit.
Alles landete umstandslos und wohlbehalten auf dem Mutterschiff. 0x016 und 0x017 wie immer gleich in den Wohnräumen der Mannschaftsabteilung, der Rest der Fracht im Labor, wo alles gesichtet, sortiert und analysiert wurde.
Zu ihrer großen Verwunderung erhielten 0x016 und 0x017 nach einigen wenigen Zeiteinheiten eine Belobigung und die Benachrichtigung über ihre Beförderung in den näxthöheren Dienstgrad.
„Für besondere und kluge Weitsicht bei der Probenentnahme und dem Beschaffen einzigartiger, sich reproduzierender biologischer Exponate!“, zitierte 0x016 verdutzt aus ihrer Benachrichtigung.
„Steht bei mir auch. Ich habe keine Ahnung, was damit gemeint ist“, meinte 0x017 kopfschüttelnd. „Ich werde aber bestimmt nicht nachfragen!“
Beide waren vor allem froh, keinen Ärger wegen dieses gefährlichen Katzendings bekommen zu haben. Sie hatten mit zumindest einer Abmahnung gerechnet.
Derweil kraulte die Kapitänin auf der Kommandobrücke mit allen vier Händen die zufrieden schnurrende Katze auf ihrem Schoß und blickte verzückt auf das weich gepolsterte Behältnis zu ihren zahlreichen Füßen, in dem acht winzige Reproduktionen des Muttertieres umherwuselten.
Sie waren nicht ganz identisch, die Fellfarben variierten und die Geschlechteraufteilung war dual. Aber damit war der Grundstein gelegt für weitere Reproduktionen dieses überaus perfekten Geschöpfes, das die Kapitänin niemals auf so einem durchschnittlichen Planeten mit unterdurchschnittlichen zweibeinigen Bewohnern vermutet hätte, auf dem es auch sonst nichts gab, was die Besiedlung oder Nutzung gelohnt hätte.
So also begann stattdessen rein zufällig (oder auch nicht) die Eroberung des Universums durch das Universalraubtier Katze, das sich seitdem auf Samtpfoten durch die Sonnensysteme pirscht, sich spielerisch Planet um Planet krallt und sich längst seinen Platz unter den Göttern gesichert hat. Wo das alles hinführt — das steht in den Sternen …
Ich habe selten eine solch skurrile, aber liebenswerte und detailreiche Beschreibung unserer Spezies und unserer tierischen Mitbewohner durch die je sechs Augen zweier Außerirdischen gelesen. Und das überraschende Ende - chapeau und danke an den Autor*in für diese wunderbare Fantasie!
AntwortenLöschenGanz nett ... leider nicht durcheditiert, viele Sprachsachen drin, die man anschauen sollte...
AntwortenLöschen"... auf diesem Planeten richtig zutrafen" ... was wäre denn 'falsch zutreffen'?? usw.
Natürlich ist die Story hanebüchen und unlogisch. Die Aliens sind ja nicht nur naiv sondern teils dämlich (Dick und Doof im Weltraum). Aber ich erwartete einen bösen satirischen Blick, darum las ich gern weiter.
Blieb aber (für meinen Geschmack) enttäuschend harmlos und unspannend, wenngleich 'nett'; die Pointe hat mir dann wieder gefallen, dass die Katzen das Beste an unserem Planeten sind ;) , wenigstens ein kleiner Hieb noch.
Gruß von Flac
Mhm, mal wieder "unvorbereitete" Aliens auf Kollisionskurs mit den irdischen Gegebenheiten. Da beherrschen die Aliens das Beamen, haben auch (schlechte) Simultanübersetzer, aber wissen bis auf ein paar Tiere und Kleidungsstücken und Landwirtschaft sonst nix von der Erde. Okay, angesichts des Plots (Katzen sind irgendwie wie Tribbel) ist das mit der Banalität der aus der Nichtvorbereitung der Expedition erwachsenden Probleme natürlich erklärt. Es geht eben nicht im Kommunikationsprobleme oder das Erkennen/Verstehen des Fremden, der Höhepunkt des Textes sind Katzen ... Der Text überzeugt mich in keiner Weise. Und dann sind da auch noch die sprachlichen Schwächen ...
AntwortenLöschenHar richtig Spass gemacht, das zu lesen ich musste mehrmals laut lachen. Chapeau!
AntwortenLöschenObwohl es mir immer seltsam erscheint, dass Außerirdische keinen Nebel, Pfützen oder sonstige Naturereignisse kennen würden, hatte mir dies Geschichte viel Freude beim Lesen bereitet. Katzen, die Universalraubtiere. Wirklich süß und gefährlich. Tribbels Deluxe von der Erde. Schön geschrieben.
AntwortenLöschenDie Geschichte ist fesselnd, humorvoll, kurzweilig und mit einem überraschenden Ende. Sie ist in einem sehr guten Schreibstil verfasst und zur Abwechslung mal mit ungewöhnlichen Hauptfiguren.
AntwortenLöschenHier wird erneut ein durchaus realistisches Szenario entworfen, bei welchem sich die Komik aus den Missverständnissen ergibt. Ich musste an einigen Stellen lachen, vor allem über die missverstandene Redewendung des „Beinemachens“. Herrlich! Die Handlung bleibt auch nah an den beiden Hauptcharakteren und ergießt sich nicht in endlosen Schilderungen, wie manch andere Geschichte. Der Schreibstil ist zudem sehr ausgereift und angenehm zu lesen.
AntwortenLöschenFazit: Definitiv eine der besten Geschichten des Wettbewerbs.
Die Geschichte beginnt hübsch und ist gut geschrieben. Die beiden Forscher 0x016 und 0x017 sind für meinen Geschmack doch etwas schusselig und naiv. Sehr schön fand ich das Ende mit der Ausbreitung der Katzen im Weltraum!
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