ZACSF2024_029



Tanz im Korallenriff

von Wolfgang Weinberger

Platz 2 im ZACSF2024




1 Frau Kluge


Frau Kluge hasste den Park. 

Wusel zog an der Leine, als wolle er sie quer über die Wiesen schleifen. Zum Glück war Wusel recht klein. Wenn er sich umdrehte und an ihren Beinen hochsprang, um sie anzutreiben, hüpften seine langen Ohren auf und ab. Flapp, flapp, flapp. 

Erinnerungen holten sie ein an Verpflichtungen, die eingehalten werden wollten. Der Antrag für das Projekt – in seinem jetzigen Zustand einfach Mist. Folien für morgen, Mails. Müller hatte sich noch nicht gemeldet.

Jetzt bin ich hier mit meinem Hund und sonst nichts.

Als sie das Haus verlassen hatte, war das Licht aus ihrem Arbeitszimmer das einzige gewesen, das noch gebrannt hatte, oben im vierten Stock. Sie hatte Luft gebraucht, Wusel war mehr als bereit gewesen.

Der Nieselregen legte einen verschwommen Film heimtückischer Kälte über die Wege, über die Straßenlaternen, die Pappeln. Und über ihre Brillengläser. Sie zog ihren Schal enger, setzte sich auf eine Bank – es war ihr schnuppe, wie durchnässt diese war – und löste die Leine vom Halsband ihres Hundes. Erlebe Abenteuer, mein Herzi.

Ihr Herzi hopste außer sich im Kreis herum, schnüffelte wie besessen am nächsten Baum und drehte sich noch einmal um, um sie anzuspornen, mit ihm gemeinsam an Blättern, an Baumstämmen, an anderer Hunde Pipi zu schnüffeln. Als sie zwar nachsichtig nickte, aber keine Anstalten machte, aufzustehen, ließ er von ihr ab, pflügte allein durch das Herbstlaub und prustete dabei furchteinflößend.

Frau Kluge schloss kurz die Augen.

Als sie sie wieder öffnete, hatte der Park sich verändert. Der Mond spähte wie vorhin unaufdringlich von oben herab, aber jetzt waren seine Strahlen in Schwingung geraten und machten die Wiesen am Boden gespenstisch flimmern, Wie am Meeresgrund kam sie sich vor, wenn die Nacht einen unaufdringlichen Gruß ins kalte Nass sendet. Der Park war zu einem Korallenriff geworden, sie selbst darunter verborgen. Lass mich ein kleiner Fisch am Grunde des Sees sein.

Weit oben, an der Oberfläche des Meeres, glitt ein Schwarm Makrelen vorbei. Jetzt erst bemerkte sie die steinernen Säulen, die das Riff säumten. Vorher waren sie nicht da gewesen. Eine untergegangene Stadt, in der Ferne eine Art Tempel. Oder es war eine altrömische Currywurstbude. Vorsichtiges Blubbern rechts von ihr. 

Hat da ein Seestern gefurzt? Sie kicherte.

Weiter hinten gewahrte sie einen großen Schatten, der sich von Ferne her langsam auf ihre Position zubewegte. Noch verborgen hinter den Bäumen, den Korallen. Etwas. Es sucht mich.

Sie kam sich gleichzeitig dusselig vor angesichts ihrer Fantasie, aber man konnte nachts im Park nicht vorsichtig genug sein ... Kalter Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn, oder war es der Regen? Ihre linke Hand zitterte.

„Wusel“, flüsterte sie. „Wusel, komm, heim jetzt.“ 

Von ihrem kleinen aber mutigen Herzi keine Spur. Angesichts all dieser archäologischen Pracht der Steinsäulen grub er wahrscheinlich gerade die Knochen eines römischen Legionärspferdes aus.

„Wusel, daheim gibt es Leckerli.“ Kein Wusel, und der Schatten näherte sich stetig. Bald würde er die Korallen umrundet haben. Wie enorm er ist.

Als die Melodie einsetzte, setzte ihr Herz einen Augenblick aus. Harmonisch zog sich die Stimme in die Höhe – und dann wieder nach unten. Es war ... Es war Walgesang. Frau Kluge wagte nicht, sich zu bewegen. Unter solchen Umständen steht ein vernünftiger Mensch normalerweise auf und läuft und schreit hysterisch oder etwas in der Art, aber da war noch irgendwo ihr Hund. Und das überraschende Verlangen, ein Rätsel zu ergründen.



2 Sang

Sang gefällt das Schweben im Wasser. Wie groß und schwer sie dahingleitet. Wie ein behäbiges Raumschiff. Das Licht des (Mondes) tanzt mit der (Strömung), veralbert sie. Freilich weiß Sang nicht, was Mond und Strömung sind. Das sind Ideen ihres internen Lexikons.

(Die Bilder werden den Kontakt erleichtern), flüstert das Lexikon geschäftig.

Sang weiß noch nicht, welchen Eindruck ihr Expeditionsteam machen wird. Das Lexikon hat ihr erklärt, die Crew stelle in ihrer jetzigen Erscheinungsform etwas Vertrautes für die Bewohner dieser Welt dar. Erst einmal begreift sie nur, dass sie schwerfällig und groß ist.

Wesentlich größer zumindest als Peng dicht neben ihr. Der wendige Soldat mit den scharfen (Zähnen) und der verdrossen Miene. Er gleitet dahin, möglichst ohne hastige Bewegungen. Dort wo sie herkommen, gelten hastige Bewegungen als feindseliger Akt, als Drohgebärde. Herumhampeln führt zum Kampf. Im Augenblick hält Peng sich aber zurück. Mein erhitzter Krieger. Loyalität ist sein Metier. Sang leitet die Expedition, er beschützt sie. Manchmal muss man ihn im Zaum halten. Und er ist wehleidig.

Mehr Sorgen macht sie sich um den anderen Teilnehmer der Fahrt, obwohl der ihr rettungslos ans Herz gewachsen ist. Schling, dessen Spezialgebiet ein anderes ist. Er fürchtet Peng, vielleicht auch sie, obwohl dies alles nur ein Traum ist. Weit entfernt von der Umgebung, in der sie sich bewegen, irgendwo in einem verborgenen (Cluster) ruhen ihre wahren Körper. Sie versteht nicht, was ein Cluster ist. Wie egal ihr das ist.

Schling ist ihr Wissenschaftler, verspielt, kreativ. Und ungeschickt. Seine Glupschaugen sind derart angeschwollen, dass man Angst hat, er werde jederzeit zerplatzen. Er ringt mit seinen acht langen Fangarmen, die sich ständig verheddern, wenn er versucht, im Wasser voranzukommen. Arme recken, Arme falten, recken, falten, recken, falten. Zizupp, zizupp. 

Vielleicht macht er absichtlich so ein Tamtam daraus, seine Art von Ironie. Er sorgt sich nicht um Widrigkeiten, wird ständig abgelenkt, nimmt wahrscheinlich nicht einmal die Expedition ernst. Auf ihn muss man immer ein Auge haben. Aber nicht, weil er für andere gefährlich werden kann, so wie Peng. Er vergisst vielmehr ständig seine Pflichten. Und schon ist er zwischen den steinernen Säulen verschwunden, um Verstecken zu spielen oder neue Farben aufzuspüren. Auf seine Hilfe kann sie diesmal wohl nicht bauen. Womöglich wird er sich verlaufen und hierbleiben müssen, bis die Sonne aufgeht.

Schling ist der Witzbold mit den seltsamen Einfällen, während Peng den stummen Tod mit den traurigen Augen gibt. Es sind die Besten, sonst wären sie ihr nicht zur Seite gestellt worden. Und sie? Was genau ist sie? Diplomatin? Lehrerin? (Mama)? Spannend, das Konzept Mama. Sie versteht es noch nicht ganz.

Was wird ihnen wohl gleich begegnen?

 Dank Peng kann ihnen kein Leid geschehen. Falls er sich weiterhin unter Kontrolle hat.

(Bereite dich vor, sei du selbst. Erfülle deine Rolle), drängt das Lexikon.

Und das tut sie nun, indem sie summt. Was für eine schöne, volltönende Stimme ihre derzeitige Form hat. (Konzentriere dich)

Sie singt, der hiesige Kontakt wird es hören. Dort in den Korallen hat er sich versteckt. Wie aufregend.

„Hab keine Angst“, singt sie. „Ich will dich kennen lernen. Ich bringe Wissen.“ Die ganze Litanei, die sie auswendig gelernt hat.

Heilige Nutella, da ist jemand. Und so winzig und aufrecht sitzt er auf einer (Bank), wie drollig. Er hat vier Gliedmaßen, zwei davon sind mit dem Boden verbunden, zwei hängen an den Seiten des Körpers herab. Ein (Mensch). Oben ein kleiner Kopf und darauf ein (Gesicht). Über das Gesicht drückt man auf diesem Planeten Gefühle aus, ohne sie direkt zu senden. Sie glauben nicht, was sie träumen.

„Ein Fräulein“, sendet Peng neben ihr.

Da sieh an, denkt sie, zwei Mädels treffen aufeinander. „Jetzt wird alles gut“, summt sie, hält inne und verharrt majestätisch vor dem Fräulein, das sie von unten mit offenem Mund anglotzt. Die (Hornbrille) wird gleich herabrutschen, so sehr ist der Kopf der Menschenfrau nach oben gebeugt.

„Ist es gefährlich? Soll ich eingreifen?“ Peng, verborgen im Seegras neben ihr.

„Nein, es ist nicht gefährlich“, sendet Sang. Er versucht, seine Enttäuschung zu verbergen.

(Weiter, weiter). Sang erlaubt dem Wasserstrom, ihr den riesigen Bauch zu kraulen, betrachtet die Eingeborene vor sich aufmerksam. Diese reißt den Mund auf, atmet schnell. Ihr gehen verrückte Gedanken durch den Kopf. 

Das Lexikon übersetzt die Eindrücke: (Dort drüben. Fledermäuse. Oder Fische? Und vor mir – ein Wal. Über den Büschen. Friedlich, freundlich. Ich hätte Biologin werden sollen.)

Sang versteht keinen dieser Gedanken, doch das Aroma fühlt sich vertraut an. Es läuft ansehnlich. Sie lässt ihre Gelassenheit wie einen Schirm über das Fräulein sich herabsenken. Den Mond betrachten, ein (Zackenbarsch) links eilt geschäftig nach Hause. Wankender Algenwald, die Steine ringsum erzählen stumm von vergangenen Tagen dieser Welt. Eine junge Zivilisation, und doch so alt.

Sie nimmt den Meeresboden in ihren Geist auf, wird selbst zum Meeresboden und singt: „Ich bin der Ozean.“ 

Die Einheimische versteht das Lied nicht, neigt das Köpfchen, als erwarte sie, dass noch etwas folgt. So kommen sie nicht weiter. Doch müssen sie sich sputen. Die Sonne wird bald aufgehen. Die Sonne wäre der Tod für die Expedition.

Da ruckelt und zuckelt es im Unterholz zu ihrer Linken – zizupp, zizupp – aus den Augenwinkeln heraus erkennt Sang, dass Schwing zu ihnen zurückgefunden und sich dann umgehend in heimtückischen Schlingpflanzen verheddert hat. Bald entwickelt er jedoch eine Methode, dem Gefängnis zu entkommen. Nach hektischem Gezappel findet er in einen Rhythmus hinein. Vor, Zurück, Aufwärts, Abwärts. Sein nicht ernst gemeinter quengeliger Blick verleiht dem Bild einen Schuss von Wahnsinn. Bald ist er in einer endlosen Bewegung versunken. Hoffentlich versteht mein Soldat diese Hampelei nicht falsch. Und was, wenn die Menschenfrau darin einen aggressiven Akt sieht?

Diese wendet erstaunt den Kopf, nimmt Notiz von dem sich abmühenden Wissenschaftler, deutet seine Bemühungen jedoch als Kommunikationsversuch. Sie ahmt seinem Rhythmus sogar nach. Ihr Körper biegt sich nach links und rechts. Bald hüpft sie, geht in die Hocke, murmelt Melodisches. (Vielleicht ist das in hiesigen Gefilden ein Paarungsritual).

Der forsche Peng fühlt sich hingegen provoziert und verliert die Fassung, stürzt aus seiner Deckung hervor wie ein Wirbelsturm und will seine Expeditionsleiterin verteidigen. Er fängt seinerseits an, rhythmische Drohkreise zu ziehen, was die Frau nur noch mehr anzuspornen scheint, und sie holt jetzt ordentlich aus in ihrer Bewegung, Sang fängt einen Splitter ihrer Gefühle ein. (Cha, Cha, Cha) Und linkes Bein. Und rechtes Bein.

Das ist zu viel für den armen Soldaten. Bevor Sang ihn zur Ordnung rufen kann, reißt er das Maul auf und stürzt auf die Menschenfrau zu, baut sich vor ihr auf. Sie lässt sich mit einem Schrei zu Boden fallen, liegt nun flach und in Demutsgeste auf der Erde. Ihr (Mantel) ist ganz schmutzig geworden.

„PENG!“ Nie zuvor hat Sang ein derartiges Machtwort gesprochen. Elektrische Energie fährt durch ihren Körper, auch Peng, den Adressaten des Wortes, trifft es. Sie krümmen sich beide vor Schmerzen. Der Krieger klappt zusammen, schleicht zu ihr zurück und schmiegt sich wimmernd an ihren Bauch. Verzeih, verzeih, verzeih! Sie überspielt mit Mühe ihre eigene Verwundung und tröstet ihn. Ansonsten würde er sich an Ort und Stelle selbst verletzen, aus Scham.

„Ist ja gut“, gurrt sie. „Ist ja gut.“

Was hätte sie denn tun sollen? Er hat das Fräulein angegriffen. Wegen eines Missverständnisses.

Sie hebt den Blick, schon springt das menschliche Weib auf, dreht sich um und läuft. Dabei macht sie ein seltsames Geräusch, fast wie Worte. „Wusel! Wusel! Komm, Leckerli!“ Und sie läuft, schon ist sie zwischen den Korallen verschwunden.

Was zum Lindt sind Leckerli?

Peng hängt immer noch an ihrem Bauch und schluchzt. Der unerschütterliche Schwing hingegen hat sich endgültig aus der Umarmung der Schlingpflanzen befreit und setzt der Flüchtenden nach. Seine Begeisterung lässt seine Eleganz dabei alt aussehen. Und jetzt rammt er mit dem Kopf auch noch versehentlich den Sandboden – oh nein! – kämpft sich wieder frei, hetzt weiter.

Für ein erneutes Machtwort reicht ihre Energie nicht aus. Und Schwing würde sie ohnehin nicht hören. Er hat vor, mit der Einheimischen zu spielen und zu tanzen, wenn er sie zu fassen kriegt. Sonst zählt nichts mehr für ihn. Und so prescht die tollpatschige Seele der verängstigten nach, mit stotterigen Bewegungen. Zizupp, zizupp.

Sang hingegen ist nicht nach Heiterkeit zumute. Sie hat keine Kraft mehr, sinkt auf den Meeresboden, zieht ihren Krieger mit sich hinab. Ich habe versagt.

Der Forscher ist verschwunden, nur Pengs Wimmern bleibt. Er klammert sich weiterhin an sie, und das kitzelt furchtbar. So ist sie gezwungen, an Ort und Stelle zu verharren.

Die Meeresoberfläche flackert jetzt unangenehm, der warme Wasserstrom geht ihr auf die Nerven. Vorbeihuschende Fischschwärme verspotten die Gescheiterten. Kraft des Zickzack-Musters ihrer Fortbewegung. Der Mond hoch droben lässt die steinernen Säulen hochnäsig hinter sich zurück und strebt gen Horizont. Die Zeit wird knapp.

Hoffentlich stellt Schwing nichts Unüberlegtes an. Als habe der Tunichtgut jemals etwas Überlegtes angestellt. Aber alle Hoffnungen liegen nun ausgerechnet bei ihm.

Wenn er nur bald wiederkäme, sie müssen doch los. Hat er die Flüchtige schon gestellt? Cha, Cha, Cha. Lange können sie nicht auf ihn warten. Es dämmert schon.

„Peng, wir müssen Schwing suchen gehen.“

Der Krieger klebt weiterhin an ihr. Das Machtwort wird für immer Spuren bei ihm hinterlassen. Es benötigt eine Aufgabe, ihn zu retten.

„Auf auf!“, spornt sie ihn an.

„Ja.“ Peng schreckt hoch. „Ich hole ihn. Ich hole ihn.“

„Wir werden das Fräulein aber in Ruhe lassen. Nur Schwing holen, verstehst du?“

„Ja, ja, ja!“ Peng ist bereit für die Suche, löst sich von ihr, zieht rastlose Kreise.

Sang überlegt sich schon, ob es wirklich eine gute Idee ist, mit ihm auf die Suche zu gehen. 

Da gellen mehrere kurze Laute von dort drüben herüber, nähern sich rasch. Sie fährt zusammen, doch das Geräusch trägt ausgelassene Wellen von Freude vor sich her. Schwing saust um die Ecke. Ihm folgt ein winzigkleines flinkes Wesen auf vier Beinen, die zum Laufen eigentlich zu kurz geraten sind. Und es verbreitet schrillen Lärm. Seine langen Ohren flattern ihm wild um den Kopf mit der spitzen Nase, als er auf und ab springt wie eine verrückt gewordene Reinigungsdrohne.

„Hab ihn gefunden“, kräht Schwing. „Hab ihn gefunden, will mit uns spielen.“

Ein Kind.

Sang besieht sich das Kind. Es hechelt, die Zunge hängt ihm schief aus dem Maul. Speichel träufelt daran herab. Neugier, Intelligenz. (Ein neuer Forscher)

Der verrückte Schwing hat die Mission gerettet. Peng hält immer noch den Kopf gesenkt. 

„Und? Und?“, japst der Wissenschaftler und krault den kleinen Wirbelwind mit einem Tentakel unbeholfen hinterm Ohr. Er hat ihn so gut wie adoptiert.

„Vielleicht ...“

„Bitte, bitte, bitte.“

„... ok, wir nehmen ihn mit. Lasst uns sofort aufbrechen, die Sonne kommt bald.“

Und Schwing vollführt mit seinem neuen Mündel einen wilden Tanz, der – was anderes hätte Sang nicht erwartet – jegliche Grazie vermissen lässt. Sie springen umeinander herum, spielen Fangen. Anscheinend sind schnelle Bewegungen auf diesem Planeten wahrlich kein Anzeichen für einen Angriff. Das werden wir lernen.

Sie wird das Kind Wung nennen.

Das Team gleitet dorthin zurück, woher es gekommen ist, der neue Wissenschaftler hinterher. Ein kühler Nebel nimmt sie auf, und er legt sich auch auf einen Hund namens Wusel, der jetzt Wung heißt und in naher Zukunft allerlei lernen wird. Dann verkrümeln sie sich mit einem Geräusch wie feines Schwirren von dieser Erde. Mit ihnen verschwinden die Unterwasserwelt und die alten Steinsäulen. Es zieht das falsche Meer von dannen, zurück bleibt ein profaner Park kurz vor Morgengrauen. Nieselregen macht das Gras und die Bäume leise flüstern, als wäre aber auch gar nichts passiert.


3 Frau Kluge

„Wusel, wo bist du?“ Frau Kluge war hinter einen Baum gehechtet, als dieser Tintenfisch sie verfolgt hatte. Da war ihr treuer Hund mit lautem Gebell aus dem Unterholz herausgebrochen, hatte ihren Häscher mit Leichtigkeit verscheucht und war ihm hinterhergejagt. 

Eigentlich fühlte sie sich überschwänglich, weil sie diesen verwunschenen Gestalten begegnet war. Dem Wal, der hinreißend gesungen, dem Hai, der ihr andererseits einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Und nicht zuletzt dem ungelenken Tintenfisch, der ihr stetig gefolgt war und gegurrt hatte. Etwas wie „Miez, Miez“.

„Wusel!“, rief sie laut. Die Sonne würde bald aufgehen, der Himmel verriet es ungeniert. Der Regen hatte sich gelegt, dicke Tropfen fielen von Bäumen, leises Patschen im Unterholz. Sie versuchte, sich einzureden, mutig und neugierig zu sein – für die Wissenschaft! - und schlich zurück zu der Bank, bei der die ganze Magie stattgefunden hatte. Nichts.

Doch, da vorne!

Da lag ihr Hund, das Maul in Verzücken aufgerissen. Weiß wie Schnee, als habe jemand alle Farbe aus seinem Körper gesogen. Mitsamt der Seele. Seine eisigen Augen waren begeistert aufgerissen, als habe er im letzten Moment den Himmel erblickt. Mindestens.

Ihre Brille beschlug. Sie hob ihn auf, ein Brennen in den Fingern verriet ihr, dass der leblose Körper ganz aus Eis war. Das Eis zerlief langsam in ihrer Hand. Sie brachte es jedoch nicht übers Herz, ihn loszulassen. Während er so dahinschmolz, stellte sie sich den Himmel vor, der sie aus seinen Augen anblickte. Dann war Wusel verschwunden. Mein einziger Freund.

Nachdem der blöde Sonnenaufgang sie zur Genüge verhöhnt hatte, drehte sich um und verschwand zurück in ihr geschäftiges, kleines Leben.




9 Kommentare

  1. Faszinierend und ein bisschen traurig. Eigenartige, berührende Story. Sie gefällt mir gut!

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    1. Falls du willst, erklär mal, was die Story ist und wo sie dich berührt hat (ernst gemeint).

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    2. Antwort für Flac:
      Berührt hat mich die Unmöglichkeit, die Welt mit denselben Augen zu sehen wie jemand anders, egal ob als Mensch oder als Alien. Einander fremd bleiben trotz Gefühlen, Träumen, Bedürfnissen. Dinge falsch verstehen ohne böse Absicht.
      Und natürlich, dass der Hund „weg“ ist, hoffentlich glücklich als Was-auch-immer im All, aber verloren für sein Frauchen. Das Frauchen, das alles so wenig verstehen kann, dass ihr nur die Rückkehr ins alte Alltagsleben bleibt, weil das Wunder einfach zu groß für sie war. Das ist doch tragisch!
      Vor allem aber auch der Stil hat mir sehr gut gefallen — außergewöhnlich, emotional, sehr bildhaft. Beim zweiten Durchlesen hat mir die Story noch besser gefallen.

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  2. Das Expeditionsteam geht also in den Kontaktversuch mit "Was wird ihnen wohl gleich begegnen?" Da passt es natürlich schon, dass sie Erscheinungsformen wählen, die arg weit außerhalb der Kommunikationsfähigkeiten des "Fräuleins" liegen. Sie haben sich offenbar nicht sonderlich gut vorbereitet. So dass es nicht sonderlich verwundert, dass die Expeditionsteilnehmer den Hund für ein "Kind" halten ... Der Text beschreibt also auf eindrückliche Weise, was alles schief gehen kann, wenn man unvorbereitet Kontakt zu einer fremden Spezies aufnehmen möchte. Tanz wird missverstanden, ein Hund wird zum Kind und ist am Ende seiner Seele beraubt nur ein Stück Eis. Aber was sollen mir Ausrufe wie "Heilige Nutella" und "Was zum Lindt ..." sagen? Ob "Sie glauben nicht, was sie träumen." der Schlüssel zum Text ist? Denn die Unterwasserwelt ist ja letztlich ein Traum, in den die fremden Besucher die Frau geholt haben ... Und den glaubt sie nicht, denn obwohl Wusel tot ist, geht Frau Kluge einfach nur zurück in ihre geschäftige kleine Welt. Hä?

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  3. Flapp, flapp, flapp? Also da hätte ich beinahe aufgehört mit Lesen, Das hörte sich an, als ob der Text für 4-jährige wär. Und dann macht er 'wau wau'. 'Ihr Herzi hopste'? Nach der 'altrömischen Currywurstbude' änderte ich endlich meine Erwartung, das ist ein Quarktext, eine Persiflage.
    Insgesamt läuft die Story weiter an mir vorbei. die Protagonistin Fr Kluge soll eine real wirkende Person sein? Ist sie nicht? Soll sie nicht? --- Ich bin prinzipiell immer bereit, zu glauben, dass ich was nicht verstanden habe. wenn mich eine Geschichte ratlos zurücklässt, daher schaue ich mal, ob mir das jemand erklärt.

    Gruß von Flac

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    1. Sorry für meine Ehrlichkeit, aber darf ich Sie fragen, ist Ihr Name Flac ein echter Name, oder Spitzname, oder....? Nur einfach so....als ich es gelesen habe, sollte gleich an Flip-Flops denken 🤷

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  4. Lost in Translation. Es ist leider etwas schwer verständlich geschrieben. Das liegt aber wahrscheinlich daran, dass es eher so geschrieben ist, was wir Erwachsenen verloren haben: Wie wenn zwei kleinere Kinder aus unterschiedlichen Sprach- und Kulturkreisen trotzdem miteinander spielen. Es wäre eigentlich was für die Deutschprüfung: Erörtere oder Interpretiere den Text.

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  5. Der erste Teil hat mich fasziniert. Doch beim zweiten war es ziemlich krude, allein wie die Charaktere der Expeditionsteilnehmer beschrieben waren. Obwohl es schon witzig ist, wie unterschiedlich etwas fehlinterpretiert wird, wenn man keinerlei Kenntnisse von den anderen Wesen hat. Armer Wusel.

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  6. Verstehe ich das richtig, dass der Kontakt auf einer Art Traumebene stattfindet? Die Aliens sind also auf einer Astralreise zur Erde und können in dieser Gedankenwelt jede beliebige Form annehmen? Wenn das so gemeint ist, wäre es ein durchaus faszinierender Ansatz. Allerdings würde man auf der Astralebene doch merken, ob man ein intelligentes Wesen oder nur einen Hund vor sich hat.

    Irgendwie ist die Geschichte etwas zu abstrakt und das Ende ist schließlich reine Fantasy. Weil die Seele des Hundes nun mit auf Astralreise gegangen ist, besteht der Körper nur noch aus Eis und schmilzt? Also spätestens da bin ich raus.

    Fazit: Aus dem Konzept hätte wirklich was Außergewöhnliches gemacht werden können. Stattdessen verheddert sich die Geschichte wie der Astralkörper des Krakenwesens.

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