ZACSF2024_018

Guardians of the Galaxy

von 
Christiane Portele




Neel und Aana landen mit einem sanften „Plopp“ hinter einer Säule im Eingangsbereich der Düsseldorfer Messe. Sie haben sich, so weit es ihrer Spezies möglich ist, an das Aussehen der Erdbewohner angepasst. Schließlich haben sie eine wichtige Mission und wollen die Erdlinge nicht erschrecken. Sie haben sich ihr Aussehen und auch den Ort ihrer Landung selbst ausgesucht. Neel trägt einen schwarzen Anzug und weiße Handschuhe, um seine etwas schuppige Haut zu verbergen. Er ist schon zu alt, um seine Haut den Homo Sapiens gänzlich anzupassen. Außerdem trägt er eine Sonnenbrille. So können die Menschen seine rote ovale Iris nicht sehen. Sowohl er als auch Aana sind nach dem Maßstab der Aeemuiin zierlich gebaut und kommen vor allem in Zivilisationen zum Einsatz, die kleiner gebaut sind als der durchschnittliche Aeemui. Aana, als potentielle Gebärerin hat eine hellblaue Iris, die zwar auch etwas ovaler ist als bei einem Erdling, aber sich nicht so sehr unterscheidet. Sie trägt ein Kleid im Stil der 50er Jahre mit weit ausgestelltem Rock. Darunter versteckt sich ihr Stummel ohne aufzufallen. Wie die Erdbewohner ohne Stummel zurechtkommen, ist ihr ein Rätsel. Er ist so praktisch. Wenn sie hockt, dient er als drittes Bein und sichert ihre Balance. Sie hat beim Studium der Erdlinge bemerkt, dass diese auf eine Hilfskonstruktion angewiesen sind, wenn sie nicht stehen wollen, ein vierbeiniges, meist hölzernes Etwas mit einer flachen Fläche, auf die die Menschen ihren hinteren Speck absenken. Als sie den Namen dieses Konstrukts zum ersten Mal gehört hat, musste sie so lachen, dass sie Schluckauf bekam. „Stuhl“ oder „schtuul“ auf aeemuinisch heißt in ihrer Sprache „unpraktisch“. Sie hofft, dass sie während ihres Einsatzes nicht darauf Platz nehmen muss. Außerdem kann sie mit ihrem Stummel Dinge transportieren. Schließlich hat er einen starken Muskel, obwohl er nicht sehr lang ist, und ist sehr beweglich. Um das Fehlen eines Stummels zu kompensieren, verwenden die Erdenbewohner Säcke, die sie auf ihren Rücken schnallen. Mit ihrem Stummel überprüft Aana die Temperatur von Luft und Wasser und erkennt, aus welcher Richtung der Wind kommt. Alles Dinge, für die Erdlinge Instrumente benötigen, deren Herstellung wiederum Rohstoffe und Energie verbrauchen, die immer knapper werden. 

Neel, ein Samenspender, ist sehr erfahren im Außeneinsatz und hat schon einige Missionen erfolgreich abgeschlossen. Für seine junge Begleiterin ist es ihre erste Reise zu einem anderen Planeten und sie ist sehr aufgeregt, ja geradezu hibbelig. Ungeduldig schiebt sie Neel hinter der Säule hervor und folgt ihm auf den Fuß. „Aana, halte dich zurück, bleib ruhig“ telepathiert er ihr. Aana weiß, dass es ihre erste Aufgabe ist, zu überprüfen, ob sie auffallen und ob noch Nachbesserungen nötig sind, was ihr Äußeres angeht. Verstohlen blinzelt sie durch ihre langen dichten Wimpern und versucht, möglichst unauffällig einen Blick auf die Menschen in ihrer Umgebung zu erhaschen. Alle Menschen um sie herum bewegen sich in eine Richtung. Manche gehen ganz gemächlich, andere hingegen drängeln sich. Es scheint eine Choreographie zu geben, die es den Menschen erlaubt, alle durch den Engpass zu kommen, den sie Tür oder Eingang nennen, und sich dann wieder aufzufächern. Ohne, dass sie sich berühren. Ohne, dass sie schubsen. Sie ist völlig fasziniert, hebt ihre Lider und beobachtet die Bewegung der Erdbewohner ganz unverhohlen. Erst als Neel ihr sehr deutlich zu verstehen gibt, dass sie ihren Auftrag bisher nicht wahrgenommen hat, konzentriert sie sich auf das Aussehen der Erdlinge.

Sie ist überrascht als sie sieht, wer um sie herum Richtung Eingang strebt. Ein Mensch, der aussieht wie ein Waschbär mit elektronischen Schaltkreisen auf seinem Rücken. Sie muss ihn sich genauer ansehen. Er entspricht so gar nicht dem, was sie über das Aussehen der Menschen gelernt hat. Nur sein menschliches Gesicht verrät ihn. Dann gibt es Menschen mit lustigen Flügeln auf dem Rücken, solchen, die glitzern. Sie und Neel haben das Glitzern ihrer Haut extra für diese Mission unterdrückt, was sich unangenehm anfühlt, weil es normalerweise ihre Körpertemperatur regelt. Eine Gebärerin der Menschen hat ein drittes Auge mitten im Gesicht. Sie lässt alle Zurückhaltung fallen und – Neels gedankliche Warnung ignorierend – geht sie auf das Waschbärmännchen zu. Sie überlegt, was sie sagen kann. Ihr erdisch klingt seltsam, sie weiß, sie beherrscht es nur unvollkommen, aber sie weiß auch, dass es so viele verschiedene Varianten innerhalb des Erdischen gibt, dass sie wahrscheinlich einfach für eine Fremde mit anderer Variante gehalten wird. Bevor sie den Mund öffnen kann, fragt dieser Samenspender Erdling sie: “Hallooo! Süße! Was bist du denn? Eine Marylin Monroe? Scharfes Outfit!“ Wie kann ihr Outfit scharf sein? Es hat keine Ecken, Kanten oder Klingen. Sie beschließt, mit einer Gegenfrage zu antworten und fragt ihn: „Hallooo! Süßer! Und wer bist du? Ein Waschbär?“ „Kennst du Rocket nicht?“, erwidert er und lacht. Offenbar spricht ihr verständnisloses Gesicht Bände, denn er ergänzt „Guardians of the Galaxy“. Nun klappt ihr vollends die Kinnlade herunter. Neel zischt ihr in Gedankensprache zu:“ Schließ deinen Mund, du fällst auf!“.

Ihr Auftrag besteht darin, sich möglichst unauffällig unter die Erdbewohner zu mischen und herauszufinden, ob es Menschen gibt, die zu einer Zusammenarbeit mit ihnen bereit wären, um die Erde zu retten. Lange genug haben die Aeemuiin beobachtet, wie auf dem Planet Erde um die Rettung gerungen wird. Das Ökosystem wäre noch zu retten, Frieden wäre möglich, wenn das Geldstreben aus ihren Köpfen gelöscht würde. Ersetzt durch die Bereitschaft, friedlich und umweltschonend zusammenzuleben. Umprogrammierung heißt das bei ihnen. Sie haben schon vielen Planeten und ihren Bewohnern auf unterschiedlichste Art geholfen. Sie verstehen sich als Missionare, die Gesellschaften und Zivilisationen retten können.

Aana schließt ihren Mund. Dann reißt sie sich zusammen und verabschiedet sich von dem Waschbärmann, der merkt, dass sein Annäherungsversuch ganz offensichtlich seine Wirkung verfehlt hat, auch wenn er nicht versteht, warum. Aana zieht Neel in eine Ecke und fragt ihn: „Was habe ich falsch gemacht? Woran bin ich gescheitert? Was machen wir jetzt? Hat er uns wirklich erkannt?“ Neel runzelt die Stirn. Er ist ein ausgesprochen ruhiger und gelassener Aeemui, aber so viele Fragen auf einmal bringen ihn aus dem Takt. „Du solltest nicht direkt jemand ansprechen! Da steigt das Risiko, dass wir auffallen. Wir wollen erst beobachten und dann beraten wir, wie wir vorgehen.“ Aana verdreht die Augen, ihre ovale Iris steht plötzlich aufrecht wie ein Ei in ihrem Auge. „Ja, ich weiß. Es tut mir leid“, entschuldigt sie sich. „Woher er weiß, wer wir sind,“ gibt Neel zu, „weiß ich auch nicht. Ich bin davon ausgegangen, dass die Bewohner dieses Planeten nicht wissen, dass es andere Lebensformen im Universum gibt, sondern allenfalls vermuten.“ Sie schauen sich an und jeder überlegt für sich, was sie jetzt tun können. „Woher wissen sie, dass wir die Beschützer des Alls sind?“, ratlos wiederholt Neel seine Frage. „Aber er hat offensichtlich nicht vor, irgendjemand etwas zu verraten. Er ist einfach weggegangen“, gibt Aana zu bedenken. „Vielleicht sollten wir einen zweiten Versuch starten. Außerdem hat er nicht unseren Namen in unserer Sprache genannt, sondern die erdische Übersetzung von Aeemuiin. Guardians of the Galaxy!“  

In diesem Moment drängeln sich kriegerisch aussehende Menschenartige an ihnen vorbei, sie tragen ruppige Klamotten aus Fell, haben große Wülste über den Augen und dicke Runzeln auf der Stirn und unterhalten sich mit seltsamen Knurrlauten, die Aana nicht als erdisch erkennt. Außerdem fuchteln sie mit großen metallischen klingenbestückten Rundbögen herum. Sie bringt sich mit einem Sprung in Sicherheit. Die Aeemuiin sind mit der Fähigkeit ausgestattet, andere Wesen zu verstehen, aber diese Sprache kennen sie beide nicht. „Neel“, sie wechselt wieder zur Telepathie, weil sie sich zu nahe bei anderen Menschen befinden, „sind wir zu spät, haben andere Lebensformen bereits die Erde infiltriert?“ Neel und sie befinden sich inzwischen ganz nahe an dem eckigen Bogen, den die Erdlinge Eingang nennen. Um nicht noch mehr aufzufallen, haben sie sich dorthin schieben lassen. Obwohl sie beide für menschliche Verhältnisse recht groß sind, kann sie nicht in die Halle hineinschauen, in deren Richtung sie geschoben werden. Sie sieht nur, dass sich dort auch schon sehr viele Menschen aufhalten und es sehr laut ist. Nicht nur das Gerede der Erdlinge ist zu hören, sondern auch sehr lauter Lärm, der mal höher, mal tiefer, ist, mal lauter, mal leiser, und den die Menschen, so meint sich Aana zu erinnern „Musik“ nennen.  Für sie, die sie nur die sphärischen Klänge der Planeten kennt, hört sich dieses Gemisch aus Musik und Erdlingsprache an wie ein heißes Gewaber aus undefinierbaren Lauten, die ihr fast ihre Ohren sprengen. 

Sie haben sich für die Messehalle in Düsseldorf entschieden, weil sie gesehen haben, dass es dort eine große Ansammlung von Menschen gibt. Außerdem liegt die Stadt an einem Fluss und es gibt viele andere größere Städte in der Nähe. Es erschien ihnen wie ein guter Startpunkt für die Umprogrammierung der Menschen. Die anderen Teams haben sich zeitgleich auf die anderen Kontinente begeben. Allerdings ist die Kommunikation mit ihnen aufgrund der Entfernung schwierig, so lange so viele andere Menschen um sie herum sind. Sie haben jeden Tag einen Zeitpunkt vereinbart, an dem sie sich alle auf einen Hügel, weg von den Menschen begeben, um zu telepathieren. Aber der Zeitpunkt liegt mitten in der Nacht nach europäischer Zeit. Bis dahin sollten sie die Zeit gut nutzen, um eine Strategie zu entwickeln, wie sie diese Zivilisation retten können.

Als sie kurz vor dem Eingang stehen, fällt Aana das große Schild auf, das über dem eckigen Bogen hängt. Darauf steht in großen Buchstaben: „WILLKOMMEN ZUR COMIC CON IN DÜSSELDORF“. Was eine Comic Con ist, weiß sie nicht, aber Düsseldorf stimmt, das ist gut. Da wollten sie ja schließlich hin. 

Sie dreht sich zu Neel, der auffallend ruhig geblieben ist während der letzten Minuten und sagt: „Also, meinen ersten Erstkontakt habe ich mir anders vorgestellt. Und ob es hier wirklich nur Menschen gibt, müssen wir noch herausfinden. Aber der Duft von diesem weißen faserigen Wolkengebilde am Holzstab riecht köstlich. Kann ich mir so etwas holen?“ Sie unterbricht sich kurz und buchstabiert dann „Zuckerwatte“.


 

7 Kommentare

  1. Herrlich! Nur viel zu kurz — und ein echt abruptes Ende … hätte gern mehr gelesen!

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  2. Zwar auch wieder "Aliens kommen, um die Erde zu retten"-Text, aber wohltuenderweise bleibt er offen. Wir erleben nur die die ersten Eindrücke mit. Und eben an der Stelle hapert es bei mir. Da beherrschen die Aliens nicht nur die Telepathie, sie können auch die Sprache flink wie nix nutzen, kennen sich auch sonst prima aus - viele Menschen, Fluss, Städte in der Nähe -, aber sonst wissen sie nicht viel. Warum? Keine Fernaufklärung betrieben? Nicht das angeschaut und angehört, was die Menschheit seit der Erfindung des Radios und des Funks und des Fernsehens ins All hinausposaunt? Wenn es dann wenigstens zu Situationskomik gekommen wäre, hätte ich ja mit der "Nichtaufklärung" leben können, aber da kommt irgendwie leider nichts diesbezügliches.

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  3. Irgendwie erscheint mir die Geschichte wie abgeschnitten. Laut Post auf FB ist sie wohl die Lieblingsgeschichte von Beatrice Sonntag. Für mich ist sie unvollständig, aber gut geschrieben.

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  4. Nur um eins klarzustellen: Ich habe wahllos 18 unter Axels Post geschrieben, damit die Post-Serie ins Rollen kommt. Ich war in Japan und wusste nicht, welche die 18 ist. Ich verrate euch nicht vor dem 1.12., welches meine Lieblingsgeschichte ist!

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  5. Das ist eine der charmanteren Geschichten. Die Sache mit der Abschaffung der Marktwirtschaft (durch die Abschaffung des Geldes) um die Welt zu retten halte ich für problematisch. Gefallen haben mir die kulturellen Unterschiede. Fraglich ist auch, warum die Hüter der Galaxie Düsseldorf für einen für uns Menschen zentralen Ort halten. Und zu guter Letzt bricht der Text etwas plötzlich ab.

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  6. Obwohl es ein wenig unplausibel ist, warum man derart unvorbereitet auf die Menschen auf der Comic Con trifft, lebt die Story davon und gibt einem das gewisse Augenzwinkern. Rocket, Klingonen, Elfen. Was mich nicht nur bei dieser Story verwundert ist, dass die Aliens offenbar stets eine sehr mager ausgeprägte Kultur haben. Schade eigentlich. Die Beschreibung des Stummels am Anfang war wiederum sehr gut ausgefeilt.

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  7. Als Conventiongänger fand ich die diese Geschichte sehr erheiternd. Ich überlege auch jedes Mal, ob sich vielleicht Aliens unter den Besuchern befinden, weil diese dort garantiert nicht auffallen würden. Immerhin sind die Guardians wesentlich netter als die Aliens in „Abgezockt und ausgesaugt“, wobei mir hier aber die Pointe zu knapp erscheint. Da hätte man noch deutlich mehr rausholen können. Ein paar gute Ansätze sind allerdings da, wie die Beschreibung der Klingonen-Cosplayer.

    Ein kleiner Tipp am Rande: Die „Guardians of the Galaxy“ im Rahmen einer popkulturellen Veranstaltung zu erwähnen ist völlig okay, aber die eigene Geschichte danach zu benennen könnte im Zweifelsfall Ärger wegen dem Urheberrecht geben. Gerade Disney ist da knallhart. Der Titel sollte daher abgeändert werden. Bei der Comic Con war man da schon vorsichtiger und hat nicht den genauen Titel genannt, die Veranstaltung gar von Dortmund nach Düsseldorf verlegt.

    Fazit: Eine gut geschriebene, unterhaltsame Story, wenn auch etwas kurz geraten. Die Intention der Aliens ist zwar positiv, aber die Menschen „umprogrammieren“ zu wollen, ist schon irgendwie krass.

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