ZACSF2024_013

Willi Gerdes – Der König der Welt

von
Axel Aldenhoven




»Ahhhh, was für ein Strahl«, sage ich mehr zu mir selbst als zu irgendjemandem in der Nähe. Ist ja auch kein Wunder. Hier draußen bin ich fast immer allein. Ich sehe in den wolkenfreien Himmel und kann so viele Sterne sehen. Einfach unbezahlbar mein kleines Landleben als Bauer. In die Stadt? Ich? Nie im Leben. »Nicht wahr, Willi?«, frage ich an meine Körpermitte gerichtet und bewundere den strammen Strahl, der sich über meinen Misthaufen verteilt. »Da hat Doktor Jansen ganze Arbeit geleistet.« Doktor Jansen ist mein Urologe. Der hat mir vor Kurzem gesagt, dass meine Probleme beim Pinkeln von der Prostata kommen. Ich solle die Tabletten jeden Tag nehmen, dann würde das schon.

»Ich bin der König der Welt!«, brülle ich in die Weite, wie ich es immer mache, wenn mir danach ist. Ein bisschen Spaß muss ja sein. Die Kühe auf der Weide hinterm Wall reagieren gar nicht. Was soll’s? Die ollen Spaßbremsen werden eh bald geschlachtet.

Ich grinse vor mich hin. Der König der Welt. Ach, wenn die wüssten, wenn überhaupt jemand zuhören würde. Wahrscheinlich hält mich das ganze Dorf schon für verrückt, aber das ist mir egal. Es gibt ja auch niemanden, der das ernst nehmen könnte. Ich gehe wieder runter vom Misthaufen, nehme meine Mistgabel über die Schulter und mache mich auf den Weg zurück zum Stall. Morgen ist auch noch ein Tag.


Plötzlich blitzt etwas auf. Ich bleibe stehen, blinzle und schaue hoch. Ein riesiger, glänzender Fleck schwebt über dem Maisfeld. Was zum Teufel ist das? Ein Zeppelin? Nee, so was gibt’s doch heute gar nicht mehr. Das Ding ist groß, riesig sogar. Und es schwebt direkt auf meinen Hof zu.

»Was ist das denn für ein neumodischer Kram?«, murmele ich vor mich hin und reibe mir die Augen. Vielleicht hab ich doch zu viel Kornbrand erwischt heute Abend, aber ich schwöre, das da oben ist echt.

Das Ding, was auch immer es ist, schwebt über meinen Stall und setzt langsam zur Landung an. Es sieht aus wie eine riesige glitzernde Muschel oder so was. Die Kühe fangen an, nervös zu muhen, und ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich meine, wer erwartet schon ein riesiges, glänzendes Flugobjekt mitten auf dem Hof? Ich jedenfalls nicht.

Ich will gerade loslaufen und denke, dass ich besser den Bürgermeister rufen sollte, der wohnt ja gleich nebenan, als sich eine Luke an dem Ding öffnet. Und dann steigen sie aus. Vier … oder fünf? Ne, es sind sechs – Wesen. Sehen aus wie Menschen, aber auch wieder nicht. Zu groß, zu glänzend, und sie haben verdammt viele Arme. Angst? Willi Gerdes kennt keine Angst!

Die erste Kreatur kommt auf mich zu, verbeugt sich tief, und dann – ich kann es kaum glauben – kniet sie vor mir nieder. Was zum …?

»Oh großer König der Welt«, sagt sie mit einer Stimme, die fast wie das Quietschen meiner alten, rostigen Scheunentür klingt, „wir sind gekommen, um deinem Ruf zu folgen.“

Mir fällt die Mistgabel aus der Hand.

Ich starre die Kreatur an, den Mund halb offen. Habe ich das richtig gehört? »König der Welt?« Ich? Ich kichere und fange laut an zu lachen, aber das Wesen kniet da vor mir, ernst wie ein Richter.

»Äh, was?«, ist alles, was ich herausbringe.

»Großer König«, wiederholt die Kreatur, »wir haben deine Worte vernommen: ›Ich bin der König der Welt‹. Wir sind aus den tiefsten Winkeln des Universums zu dir gereist, um dich zu treffen.«

Ich blinzele. Irgendwo in meinem Hirn rattert es. Die meinen das ernst. Die haben mich gehört. Aber … aber das war doch nur Spaß. Ich schaue mich um, als würde ich irgendwo eine versteckte Kamera erwarten. Aber nein, nichts. Nur die Kühe, die inzwischen völlig durchdrehen, und die Nachbarskatze, die sich neugierig von der Scheune aus das Spektakel ansieht.

»Äh, okay …«, murmele ich unsicher, während ich versuche, nicht gleich wieder einen Lachflash zu kriegen. »Und, äh, was genau wollt ihr jetzt?«

Dieses Ding – ich weiß immer noch nicht, ob es ein er oder eine sie ist, vielleicht beides? – hebt den Kopf und sieht mich mit glühenden, purpurroten Augen an. »Du hast die Herrschaft über diesen Planeten beansprucht. Es ist unsere Pflicht, deinem Befehl zu folgen und dir zu dienen.«

Meine Gedanken stolpern wie ein junges Kalb über ein Hindernis. Ich kann das nicht fassen. »Ihr wollt … mir dienen?« 

Die Kreatur nickt so eifrig, dass ich fast Angst habe, ihr Kopf könnte abfallen. »Ja, großer König! Was ist dein erster Befehl?«

Mein erster Befehl? Ich? Befehl? Das letzte Mal, dass ich jemanden herumkommandiert habe, war, als ich meinem Neffen gesagt habe, er soll die Kartoffeln ernten. Und das ging ziemlich schief.

Ich überlege fieberhaft. Was sage ich jetzt? Soll ich sie bitten, die Kühe zu melken? Nein, das klingt albern. Vielleicht, dass sie den Hof aufräumen? Aber Moment mal. Wenn die wirklich denken, ich bin der König der Welt … da muss ich doch was Größeres draus machen, oder?

»Ähm«, sage ich, »ja, also … vielleicht … bringt erstmal … mehr Bier.«

Die Kreatur sieht mich an, als hätte ich gerade das tiefgründigste und weiseste aller Gesetze erlassen. Sie verbeugt sich erneut und beginnt, in einer Sprache zu sprechen, die ich nicht verstehe. Die anderen Aliens – oder was auch immer sie sind – verbeugen sich ebenfalls, drehen sich um und marschieren zurück in ihr glänzendes Raumschiff.

»Äh, wartet mal!«, rufe ich ihnen nach, aber sie ignorieren mich völlig.

Ich schaue fassungslos hinterher, wie das Raumschiff mit einem leisen Summen abhebt und in den Himmel verschwindet, als wäre es nie da gewesen.

Ich reibe meine Augen und haue mir mehrmals mit der flachen Hand auf die Stirn. Hab ich das wirklich gerade erlebt? Oder habe ich doch zu tief ins Glas geschaut? Aber dann sehe ich den Abdruck des Raumschiffs auf dem Feld, wo es gelandet ist, und mir wird klar: Das war echt. Wirklich echt.

Und ich habe gerade eine Gruppe Aliens losgeschickt, um mehr Bier zu besorgen.

Verdammt.

Ich bleibe eine Weile wie angewurzelt stehen, starre auf die leere Stelle am Himmel, wo das Raumschiff verschwunden ist. Mein Herz klopft immer noch wie verrückt, und ich kann nicht anders, als zu lachen. Die haben wirklich geglaubt, ich bin der König der Welt. Die Sache mit dem Bier war nur so dahingesagt, aber jetzt? Was, wenn die wirklich zurückkommen?

»Willi, alles in Ordnung bei dir?« Eine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist der Bürgermeister, der langsam auf mich zukommt. Seine dicke Brille sitzt schief auf der Nase, und er sieht so aus, als hätte er gerade einen schlechten Witz gehört. »Hast du wieder zu viel Kornbrand gehabt? Du redest ja mit dir selbst.«

»Du wirst es mir nicht glauben«, sage ich und deute mit einem unsicheren Lächeln auf die Stelle, wo das Raumschiff gerade noch war. »Da waren Aliens, Egon. Sie haben mich … na ja … sie haben mich für den König der Welt gehalten.«

Er lacht laut, aber es ist mehr ein Grunzen. »Jaja, Willi. Aliens. Und ich bin der Kaiser von China.« Er klopft mir kumpelhaft auf die Schulter, dreht sich dann um und will schon wieder gehen.

»Nee, ohne Quatsch, Egon, das ist wirklich passiert!«, rufe ich, ein bisschen lauter als beabsichtigt. »Die haben wirklich geglaubt, ich bin der Anführer der ganzen Welt!«

Egon bleibt stehen, dreht sich langsam um und mustert mich. »Willst du mir jetzt erzählen, dass ein Haufen außerirdischer Wesen aus dem All zu dir gekommen ist, dir die Weltherrschaft angeboten hat und dann … was, nach Bier gefragt hat?«

»Nein, ich hab sie um Bier gebeten«, sage ich und merke, wie dämlich das klingt, sobald ich es laut ausspreche. Aber es ist die Wahrheit. »Sie sind losgeflogen, um mehr Bier zu holen.«

Egon hebt eine Augenbraue und schüttelt dann den Kopf. »Willi, du solltest echt mal weniger Korn trinken. Das ist nicht gut für dich. Und hör auf, auf dem Misthaufen zu krähen wie so ein bekloppter Gockel. Irgendwann glaubt dir noch jemand.«

»Ja, also die haben das!« Ich deute wieder wild auf den Himmel. »Die haben mich zum König der Welt erklärt!«

»Klar, Willi«, murmelt Egon, dreht sich um und stapft kopfschüttelnd zurück in Richtung seines Hauses.

Dann geh doch, denke ich im Stillen. Und dann fällt mir auf: Was, wenn er recht hat? Was, wenn ich das nur hallo... halluzo... Was, wenn ich mir das nur vorgestellt habe? Aber … die Abdrücke auf dem Feld, die glühenden Augen dieser Kreatur … das war doch viel zu real.

Gerade als ich überlege, in den Stall zu gehen und alles zu vergessen, höre ich es wieder. Ein leises Summen. Es kommt von oben.

»Das … das gibt’s doch nicht«, murmele ich, als der Schatten des Raumschiffs erneut über die Felder fällt. Ich blinzle in den Himmel, und da ist es wieder. Das gleiche glänzende Ding, schwebt langsam herab. Die Luke öffnet sich, und dieses Mal tragen die Aliens … Kisten.

»Großer König«, sagt die Kreatur wieder mit ihrem Quitschen, als sie auf mich zukommen. »Wir haben den kostbaren Nektar besorgt, den du verlangt hast.« Sie zeigen mir eine Kiste mit Flaschen. Ich kneife die Augen zusammen. Bierflaschen. Echter, deutscher Gerstensaft.

Ich muss lachen. Das kann doch nicht wahr sein.

»Äh, danke«, sage ich und kratze mich am Kopf. »Äh … gut gemacht.« Was soll ich denn sonst sagen? Das ist doch komplett irre.

Die Kreatur lächelt – zumindest glaube ich, dass das ein Lächeln ist – und sagt: »Was ist dein nächster Befehl, oh weiser König?«

Mein nächster Befehl? Ich habe keine Ahnung, wie ich hier wieder rauskomme, also improvisiere ich. »Äh … wie wäre es, wenn ihr … äh … das Dorf ein bisschen aufräumt?«

Die Aliens verbeugen sich tief. »Wie du wünschst, großer König.«

Und bevor ich es richtig realisiere, laufen sie los. Drei der Wesen gehen direkt auf Egons Hof zu und fangen an, seinen Misthaufen zu begradigen. Andere Aliens laufen zu den Nachbarn und beginnen, Zäune zu reparieren, und einer dieser Glitzerwichte … poliert meinen Traktor.

Ich reibe mir die Augen. Das ist kein Traum. Das ist echt. Und ich bin anscheinend der König der Welt … zumindest glauben das die Aliens.

Aber dann überkommt mich ein Gedanke. Was, wenn die das irgendwann merken? Was, wenn die herausfinden, dass ich nicht wirklich der Anführer bin?

Mit einem mulmigen Gefühl im Magen schaue ich den fleißigen Aliens zu, wie sie die Chaos-Höfe des Dorfes in Rekordzeit in kleine Schmuckstücke verwandeln. Das kann ja heiter werden …

Ich sehe den Aliens zu, wie sie mit einer Präzision arbeiten, die mich an eine gut geölte Landmaschine erinnert. Zäune werden repariert, Misthaufen und Kompost neu aufgeschichtet, und sogar die alte, klapprige Bank vor dem Dorfladen sieht plötzlich aus, als wäre sie neu. Es ist faszinierend, wie schnell sie sich an die Arbeit gemacht haben. Eigentlich ganz praktisch, denke ich. Wenn das so weitergeht, haben wir bald das gepflegteste Dorf in ganz Ostfriesland.

»Großer König«, sagt die Kreatur, die als Erste vor mir gekniet hat, und unterbricht meine Gedanken. Sie tritt wieder auf mich zu, mit dieser ernsten Miene, als stünde sie kurz davor, eine bahnbrechende Entscheidung zu verkünden. »Wir haben die primären Befehle ausgeführt. Gibt es noch weitere Aufgaben, die du uns übertragen möchtest?«

Ich kratze mich am Kinn. Was jetzt? Mir fällt nicht viel ein, das sie noch tun könnten. Das Dorf sieht schon besser aus als jemals zuvor, und das mit dem Bier hatten sie ja auch schon erledigt.

»Äh …« Ich schaue mich um. Vielleicht könnte ich … Nein, das wäre zu viel verlangt. Aber andererseits – wenn sie wirklich denken, ich sei der König, warum nicht? »Vielleicht könntet ihr das Haus von der alten Frau Meier streichen? Sie beschwert sich seit Jahren über den Zustand ihrer Fassade.«

Die Kreatur nickt wieder so eifrig, dass ich fast Angst habe, sie bricht sich das Genick. »Wie du wünschst, großer König!« Sie dreht sich zu ihren Kollegen um, hebt eine ihrer vielen Arme und ruft etwas in ihrer eigenen Sprache. Innerhalb von Sekunden bewegen sich zwei Aliens in synchronisierter Perfektion in Richtung von Frau Meiers Haus.

Ich kann nicht anders, als zu grinsen. Das läuft ja besser als erwartet.

Plötzlich taucht Egon wieder auf, der Bürgermeister. Diesmal hat er einen ernsthaften Blick im Gesicht. »Willi, was zum Teufel machen die da?«, fragt er und zeigt auf die Aliens, die nun das Dach von Frau Meiers Haus auf Vordermann bringen.

»Na ja, sie streichen das Haus«, sage ich beiläufig. »Sie haben sich angeboten.«

Egon starrt mich an, als wäre ich derjenige, der den Verstand verloren hat. »Bist du dir sicher, dass das in Ordnung ist? Ich meine, die sind … Aliens!«

Ich zucke mit den Schultern. »Tja, sie haben mich zum König erklärt. Was soll ich sagen?«

Egon schüttelt den Kopf, als könne er nicht glauben, was er hört. »Das ist verrückt. Sie werden das doch irgendwann merken, oder?«

Und da ist er wieder, dieser Gedanke. Was, wenn die Aliens herausfinden, dass ich nur ein einfacher Bauer bin, der ab und zu auf seinem Misthaufen rumsteht und sich über einen fetten Strahl freut? Was passiert dann?

»Ach, das regeln wir, wenn es so weit ist«, sage ich und tue so, als wäre ich völlig entspannt. Aber tief im Inneren wächst die Unsicherheit. Wie lange kann das gutgehen?

Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, ertönt ein lautes Summen, und ich sehe, wie ein weiteres, noch größeres Raumschiff am Himmel auftaucht. Es ist doppelt so groß wie das erste, und ich habe keine Ahnung, was das jetzt zu bedeuten hat. Die Luke öffnet sich, und eine ganze Horde neuer Aliens strömt heraus – alle in prächtigen Gewändern. Eins von ihnen tritt in einen Kuhfladen und ist sichtlich angeekelt. Willkommen auf der Erde, willkommen in Ostfriesland, denke ich lächelnd.

Die Kreatur, die mich bislang immer »großer König« genannt hat, verbeugt sich noch tiefer als zuvor. »Die Galaktischen Ältesten«, sagt sie ehrfürchtig. »Sie sind gekommen, um deine Krönung zu vollziehen.«

Krönung? Mir wird plötzlich heiß und kalt gleichzeitig. »Krönung?«

»Ja, großer König«, sagt sie feierlich. »Es ist an der Zeit, dich offiziell zum Herrscher über die Erde zu erklären.«

Ich schlucke und brauche dringend einen Schnaps. Das … war nicht Teil des Plans.

Egon sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Willi, das ist deine Chance, das Ganze zu beenden. Sag ihnen, dass es ein Missverständnis war!«

Aber ich? Dem ganzen Universum erklären, dass ich nur ein Bauer bin, der gerne mal auf den Misthaufen pinkelt? Ich schaue zu den Aliens, die sich aufreihen, um mich zu krönen, und mir wird klar: Das hier ist nicht nur ein dummer Zufall. Das ist größer, als ich es mir je hätte vorstellen können.

Aber was passiert, wenn sie herausfinden, dass ich doch nicht der König bin?

Ein Alien mit einem gigantischen, blinkenden Helm tritt vor. In seinen Händen hält es … eine Krone. Aus glänzendem, durchsichtigem Material, das wie flüssiges Licht aussieht.

»Großer König«, sagt es mit einer tiefen Stimme, die wie Donner klingt, »bist du bereit, deine Krone anzunehmen und die Erde zu führen?«

Ich schaue in die Runde. Auf einmal fühlen sich meine Füße so schwer an, als wären sie im Boden verwurzelt. Das kann doch alles nicht echt sein, oder? Aber bevor ich etwas sagen kann, bevor ich erklären kann, dass ich nur Willi bin – der Typ, der Kühe melkt und nachts gern einen zu viel trinkt – setzt das Alien mir die Krone auf den Kopf.

Ein warmes, seltsames Gefühl durchströmt mich, und plötzlich weiß ich: Egal, was passiert, ich bin jetzt offiziell der König der Welt. Und wenn das bedeutet, dass ich ein paar Kühe und Zäune in Ordnung bringen lasse, dann soll es so sein.

Inzwischen sind einige Bewohner des Dorfes eingetroffen und sehen mich verwirrt an, Egon schüttelt den Kopf, und ich … ich stehe da, mit einer Krone auf dem Kopf, die irgendwas mit meinem Gehirn macht.

Na super.

Mir brummt der Schädel, dabei habe ich nur drei Korn intus, na ja, und das Bier. Es fühlt sich so an, als hätte ich plötzlich eine Verbindung. Ich muss kurz an die AOL-Werbung von damals denken. Die mit Boris Becker. Ja, ich bin drin. Das ging ja einfach. Die Aliens, die mich umzingeln, blicken ehrfürchtig zu mir auf, während Egon neben mir steht und mir einen Blick zuwirft, der irgendwo zwischen Unglauben und Panik liegt.

»Willi, das geht zu weit«, flüstert er. »Du musst denen sagen, dass das ein Irrtum ist!«

Ich öffne den Mund, aber bevor ich etwas sagen kann, hebt der Anführer der Aliens seine vielen Arme und spricht mit donnernder Stimme: »Der große König hat seine Krone empfangen! Lasst das Universum wissen, dass der rechtmäßige Herrscher der Erde nun offiziell gekrönt ist!«

Stille. Die Aliens stehen in perfekter Formation, und ich kann sehen, wie sie mit ernsten Gesichtern auf mich warten. Soll ich was sagen? Irgendeine weise, tiefgründige Ansprache, die meinem neuen Titel gerecht wird. Aber … ich bin doch nur Willi. Bauer Willi. 

»Äh … ja, danke«, stammele ich schließlich. »Äh … weitermachen. Alles ist gut.«

Die Aliens verbeugen sich tief. Sie scheinen zufrieden mit meiner Aussage, was mich umso mehr verwirrt. Was auch immer in deren Kultur als »weise Worte« gilt, ich hab’s offenbar getroffen. Aber was jetzt? Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens mit diesen Aliens verbringen und so tun, als wäre ich der König der Welt!

»Großer König«, sagt ein Alien mit Helm, »wir haben die Erde auf deinen Wunsch hin vorbereitet. Aber nun steht die Entscheidung an, ob du den nächsten Schritt in deinem galaktischen Herrschaftsplan gehen möchtest.«

Galaktischer … was? Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren, aber ich finde keinen logischen Weg aus diesem Schlamassel. »Äh, welchen Plan?«, frage ich, in der Hoffnung, dass sie mir eine verständliche Antwort geben.

»Dein Plan, das Universum zu erobern«, sagt der Helm-Typ, als sei es schon längst beschlossene Sache.

Ich brauche einen Moment, um das zu verarbeiten. »Erobern? Das Universum?« Ich kann nicht anders, ich muss lachen. »Nee, nee, also so war das nicht gemeint. Ich wollte nur ein bisschen mehr … Schönheit in mein Dorf bringen.«

Das Alien runzelt seine Stirn – oder das, was ich als Stirn interpretieren würde. »Keine Eroberung?«, fragt es verwundert und hält den Kopf schräg – sieht ein bisschen aus wie mein verstorbener Schäferhund Karlchen.

Ich schüttele schnell den Kopf. »Nee, das war nicht Teil des Plans. Ich wollte nur, dass die Zäune repariert werden und … vielleicht noch ein paar Kühe gestriegelt.«

Die Aliens sehen mich mit offenen Mündern an. Der große Anführer nimmt einen Schritt zurück und tuschelt etwas mit seinen Kollegen. Ihre Gewänder, die ein bisschen an Wärmedecken aus Verbandskästen erinnern, rascheln im Wind, während sie sich beraten. Ich schaue verzweifelt zu Egon, der mir irgendwie helfen könnte, aber der Bürgermeister scheint nicht weniger verwirrt zu sein als ich.

Plötzlich wendet sich der Anführer wieder mir zu und sagt mit tiefer Stimme: »Großer König, wir verstehen deine Weisheit. Du möchtest die Eroberung nicht mit Gewalt vorantreiben. Stattdessen setzt du auf Geduld und strategischen Taoismus. Das ist die höchste Form der Herrschaft!«

Ich öffne den Mund, um zu widersprechen, aber da beginnen die Aliens bereits, sich erneut vor mir zu verbeugen. »Lang lebe der geduldige König!«, rufen sie im Chor, und ich spüre, wie mein Magen sich zusammenzieht. 

Egon tritt einen Schritt näher und flüstert: »Willi, das ist deine Chance. Sag ihnen, dass du abdanken willst. Bevor das hier noch schlimmer wird.«

Ich schaue zu ihm, fühle mich, als würde etwas meine Kehle zuschnüren und krächze leise: »Meinst du, das würden die verstehen?«

Egon zuckt mit den Schultern. »Es ist einen Versuch wert, oder willst du die Verantwortung für die ganze Erde übernehmen?«

Ich atme tief durch. Vielleicht hat er recht. Vielleicht ist das die Gelegenheit, diese verrückte Krönung zu beenden. »Äh, hört mal …«, beginne ich vorsichtig. »Vielleicht wäre es besser, wenn wir das mit der Krönung einfach … rückgängig machen. Ich meine, ich bin ja doch eher so ein einfacher Typ.«

Die Aliens sehen mich mit geweiteten Augen an. Ihre Gesichter sind schwer zu deuten, aber ich spüre, wie sich die Atmosphäre verändert. Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass sie enttäuscht sind. Doch dann beginnt der große Anführer zu lachen. Es ist ein tiefes, durchdringendes Lachen, das von den umliegenden Feldern widerhallt.

»Das ist die größte Weisheit, die du bisher gezeigt hast, großer König!«, ruft er. »Den Thron ablehnen zu können, zeigt wahre Größe!«

Die Aliens brechen in Jubel aus, als wäre das die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe. Sie scheinen meinen Versuch, die Sache zu beenden, als weiteren Beweis meiner »Weisheit« zu sehen.

Ich sehe Egon an, der mit offenem Mund dasteht. »Na toll«, murmelt er, »jetzt halten sie dich für noch weiser.«

Die Aliens beugen sich ein letztes Mal vor mir, bevor sie sich zurückziehen und wieder in ihr Raumschiff steigen. Das Summen ertönt erneut, und ich beobachte, wie das große, Raumschiff langsam abhebt und schnell an Höhe gewinnt, bis es schließlich aus meinem Blickfeld verschwindet.

»Willi«, sagt Egon schließlich, »du hast es geschafft.«

Ich blinzle ein paar Mal und zeige auf die Krone auf meinem Kopf. »Geschafft?«

»Ja«, sagt er. »Du bist immer noch der König der Welt. Aber jetzt erwarten sie, dass du nichts tust. Also, vielleicht … bleibst du einfach bei dem, was du am besten kannst.«

Ich lache trocken. »Was, auf meinem Misthaufen stehen und rumschreien?«

Egon grinst. »Klingt nach einem guten Plan.«

Und so stehe ich in Jeans, Gummistiefeln und Feinrippunterhemd mitten auf meinem Hof, die Krone fest auf dem Kopf, während die Welt – zumindest meine kleine Welt hier in Ostfriesland – wieder zur Normalität zurückkehrt. Vielleicht bin ich der König der Welt, vielleicht auch nicht. Aber eines ist sicher: Ich habe ein paar Aliens ordentlich veräppelt.

Lang lebe der König … oder so.



5 Kommentare

  1. Habe nichts gefunden, an dem ich herummäkeln möchte, außer vielleicht über das Ende der Geschichte, das das Lesevergnügen ein wenig zu rasant abwürgt.

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  2. In Kurzfassung wäre das ein toller Sketch in bester Monty Python Tradition. So ist ist "nur" ein wunderbar blödelnd-witziger Text. Gefällt mir sehr.

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  3. Echt richtig gut abgedreht. Ich musste lachen. Prima.

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  4. Ja wenn wir doch alle ein bisschen mehr wie Willi Gerdes wären. Die Aliens sind auf jeden Fall ein bisschen wie die Minions. Es hat Spass gemacht die Story zu hören und zu lesen.

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  5. Die Geschichte ist sowohl witzig als auch flüssig geschrieben. Man kann der Handlung gut folgen, da gibt es handwerklich nichts dran auszusetzen. Inhaltlich hätte vielleicht noch etwas mehr daraus gemacht werden können. Z.B. als der Bürgermeister meint, er sei der „Kaiser von China“, hätten das die Aliens doch auch hören und für voll nehmen können.

    Warum sie dem vermeintlichen König der Welt unbedingt dienen und mit ihm das Universum erobern wollen, erschließt sich mir dagegen nicht. Die Hellsten sind sie ja nicht gerade. Da muss ich unweigerlich an die Minions aus „Ich, einfach unverbesserlich“ denken.

    Fazit: Am Schreibstil gemessen, ist hier ein Profi am Werk. So skurril die Geschichte auch ist, sie fesselt einen und ist leicht verständlich. Der Humor ist gut, das Thema hätte vielleicht noch mehr ausgereizt werden können.

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