Lux-Aeterna
vonJörn Lausen
Lewis Acheron lag entspannt auf einem Liegestuhl und beobachtete das Farbenspiel des Universums. Die Lux-Aeterna pflügte durch den transdimensionalen Raum wie Thors Hammer durch den Morgennebel. Obwohl Zeit im Transitraum keine Rolle spielte, würde es einige Tage dauern, bis sie das Ziel erreichten. Ein Paradoxon, durch das sich Acheron nicht die Laune verderben lassen wollte. Dennoch beschloss er, Chronos bei nächster Gelegenheit nach den Gründen für diesen Widerspruch zu befragen.
Als eine Schwade aus leuchtendem Lila an den Fenstern vorbeizog, hatte er sein Vorhaben jedoch bereits vergessen. Die farbenfrohe Verzerrung der Raum-Zeit vermischte sich mit einem Klecks Grün und wurde kurzerhand von einem aufdringlichen Orange verdrängt.
So wurde es niemals langweilig.
»Beschäftigt?« Eine sanfte Hand strich durch seine kurz geschorenen Nackenhaare.
»Farbenleere«, grunzte Acheron und freute sich über das Wortspiel.
»Hmm?« Siri hübsch zu nennen, wäre eine grobe Untertreibung gewesen. Aber der hellste Stern in den endlosen Weiten war sie nicht. Oder hatte sie nur keine Lust auf komplizierte Gedanken?
Acheron musterte die junge Frau und schnupperte. Ein Duft von Frühling und Sorglosigkeit umspielte seine Nase. Siris Gewand schimmerte in hellem Lila und wechselte zu einem bläulichen Farbton. Der Stoff ihres Kleides änderte die Farbe und die Durchlässigkeit nach Stimmungslage. Im Moment betonte er ihre sanften Rundungen mehr, als dass er sie verdeckte. Acheron bemerkte interessiert, wie sich die dunklen Nippelchen unter dem Hauch von Stoff abzeichneten.
Er räusperte sich. »Wohin fliegen wir so eilig? Der Aufbruch war ja mehr als hastig.«
Siris Eltern waren wichtige Personen auf der Lux-Aeterna. Die süße Nymphe war daher eine ergiebige Informationsquelle. Wenn sie Lust dazu hatte!
»Die Langstreckenabtaster haben eine Kontamination in einer der Spiralgalaxien gefunden …«, murrte Siri gelangweilt.
»Ach, das ist nur wieder so ein Fehlalarm. Die Schöpfung wird uns schon nicht gleich um die Ohren fliegen«, winkte Acheron lässig ab. »Immerhin sieht es hier ja ganz hübsch aus.«
Die Blonde zuckte mit den Schultern und öffnete das hochgesteckte Haar. Die goldenen Locken fielen schimmernd bis zur schlanken Taille. »Ich bin mir da nicht sicher. Mutter sagt, dass es sich ausbreitet. Eine Art Infektion.«
»Wirklich?« Jetzt interessierte es Acheron doch ein wenig, denn das war sein Fachgebiet. Aber Siri lenkte ihn von weiteren Nachfragen ab. Ihre Finger strichen seine Oberschenkel hinauf. Zufrieden lächelnd erspürte sie die Erektion des Flussgottes.
»Siri lass das. Wenn dein Vater uns sieht!«
»Was soll er schon sehen, mit nur einem Auge?«
»Der Alte sieht mehr, als du denkst«, murmelte Acheron und legte den Arm um die Hüften der schlanken Nymphe.
Zur gleichen Zeit stapfte Mikel McPherson durch das saftige feuchte Gras des sanft ansteigenden Hügels. Die anderen Mitglieder des Erkundungstrupps saßen bereits beim Tee und planten die Erkundung des Planeten.
Natalja aktivierte einen Plummer am Fuße des Hügels und betrachtete die nahe Bergkette. Die Studentin der Quantenphysik war ein Neuzugang auf der Galileo. Sie hielt sich am liebsten in den Eingeweiden des Forschungsschiffs auf, in der Nähe des nagelneuen Dimensionsbrechers und führte irgendwelche Berechnungen durch. McPherson hatte sie förmlich von dem Großrechner wegzerren müssen. Schließlich gab sie seinem Werben nach und meldete sich freiwillig, um im Team mit dem blonden Hünen das Lager mit Annäherungssensoren zu sichern.
McPherson setzte seinen Plummer an die Erdkrume. Der Boden auf dem grünen Hügel war nachgiebig, aber fest genug. Der Exobotaniker hatte keine Schwierigkeiten, den Stab in den Humus zu rammen. Er schaltete das Gerät ein und eine kleine grüne LED flammte auf.
Das war der Letzte.
Ein Ring von Plummern umgab das Lager und würde die Tiere des seltsamen Waldes fernhalten, oder zumindest eine Warnung an die Galileo senden, falls sich etwas Großes näherte.
McPherson sah auf und blickte auf das nagelneue Forschungsschiff hinab. Die Galileo hatte die unspektakuläre, aber praktische Form eines Eies. Die Statiker der Werften von Sosigenes hätten eine perfekte Kugelform vorgezogen. Jedoch entsprach die ovale Form den psychologischen Bedürfnissen nach einer klaren Regelung von vorne und hinten. Zudem verlagerte die breitere Hinterseite mit den ausfahrbaren Kufen den Schwerpunkt nach unten, was sich im Fall einer Landung als praktisch erwies.
Folgerichtig stand die eiförmige Galileo sicher auf dem felsigen Untergrund zwischen den Ausläufern eines Gebirges und dem Wald aus kakteenartigen Bäumen. Von McPhersons Standpunkt aus wirkte das Schiff in der fremdartigen Wildnis wie ein surreales Hochhaus.
Zu Füßen des Raumschiffes errichteten die Forscher eine kleine Zeltstadt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern näherte sich bereits dem nahen Wald. Alle waren begierig, den unerforschten Planeten genauer unter die Lupe zu nehmen.
Der Biologe rückte die Sonnenbrille zurecht. Am Himmel stand die orange Sonne und strahlte freundlich auf die Oberfläche hinab.
Proxima-Centauri rotierte nur langsam. Die Tage und Nächte dauerten daher deutlich länger als auf der Erde. Auf der warmen Tagesseite stieg die Luft hinauf und floss auf der kalten Nachtseite zu Boden zurück. Der dadurch angetriebene stetige Wind sorgte für einen Ausgleich der Temperaturen.
McPherson atmete tief ein, die sanfte Brise strich durch sein schulterlanges Haar. Er genoss den ungewohnten Duft. Die Atmosphäre von Proxima wies einen Hauch von Zimtaroma auf und es schwebte zudem eine angenehme Note von Waldmeister in der Luft. Der Geruch eines neuen Planeten war in den ersten Tagen nach der Landung am stärksten spürbar. Bevor die empfindliche Nase sich nach der sterilen Luft des Raumschiffes an die ungewohnte Umgebung angepasst hatte. Dies war der fünfte bewohnbare Planet, den sie auf der Erkundungsmission besuchten und McPherson war sich sicher, jeden einzelnen an seinem Duft erkennen zu können.
»Ist es nicht seltsam?« Die junge Frau trat geräuschlos neben ihn und musterte den nahen Wald.
»Was ist seltsam, Natalja?«
»Wie viele Planeten hat die Menschheit seit der Erfindung des Dimensionsbrechers besucht?«
McPherson fragte sich, ob dies ein Quiz darstellte, und zuckte mit den Schultern. »Kartiert haben wir Tausende, besucht wohl nur die bewohnbaren und die interessanten.«
»Sag ich ja. Es ist seltsam …!« Die Russin öffnete das kastanienbraune Haar, schüttelte es energisch und band es sorgsam zu einem Pferdeschwanz zusammen. Offensichtlich beabsichtigte sie, ihre dramatische Offenbarung ein Stück hinauszuzögern.
»Sag schon, Wunderkind. Was hast du herausgefunden?«, brummte McPherson.
»Wir Menschen sind die einzigen vernunftbegabten Wesen. Wir haben niemand anderen gefunden. Auch hier nicht. Es gibt eine interessante Pflanzen- und Tierwelt. Aber kein intelligentes Leben, das sich seiner selbst bewusst wäre. Hier nicht und nicht auf den anderen dreihundertzweiundvierzig Planeten mit einer belebten Atmosphäre. Ich habe es geprüft und nachgezählt!«
»Hmm …«, unterbrach der Biologe. Das war eigentlich sein Arbeitsgebiet.
»Nein, lass mich weiterreden! Unsere Raumschiffe haben keine Funksignale aufgefangen. Unsere Sonden und Teleskope haben nichts gefunden. Kein Signal. Garnichts!«
»Dann ist es wohl ein seltenes Ereignis, die Entwicklung von Bewusstsein!«
»Ja!« Natalja sah ihn triumphierend an. »Das scheint so zu sein. Ich habe die Evolutionsmuster der erforschten Planeten genau untersucht und mit der Erde verglichen. Auf all diesen Planeten sind die möglichen Entwicklungsvektoren dergestalt ausgerichtet, dass sich überhaupt kein intelligentes Leben über eine gewisse Stufe hinaus entwickeln kann!«
»Wie meinst du das? Kann nicht?« Jetzt interessierte es ihn doch.
»Schau, in der Evolution entstehen neue Eigenschaften der Organismen durch eine Interaktion mit der Umgebung. Wenn eine zufällige Veränderung des Bauplans einen Vorteil für die Vermehrung beinhaltet, wird sie beibehalten und so schreitet die Entwicklung schrittweise voran. Vom Einzeller bis zu Mikel McPherson.«
»Eine logische Entwicklungslinie«, bestätigte er.
Natalja ignorierte den Anflug von Ironie in seiner Stimme. »Ja. Nur, dass die Entwicklung von Intelligenz und Bewusstsein keinen Überlebensvorteil für eine Art ergäbe, zumindest nicht auf den von uns untersuchten Planeten. Der Aufwand lohnt sich unter dem Strich nicht. So ein Großhirn verbraucht ja beträchtliche Mengen an Energie. Ich habe es genau ausgerechnet. Erst mit dem Taschenrechner, dann habe ich zwei Rechenkerne der Galileo in Beschlag genommen und mehrmals nachgerechnet.«
»Aber …?«
»Aber auf der Erde ist es anders, dort scheinen die Grundvoraussetzungen verändert zu sein. Ich habe natürlich nicht viele Vergleichswerte, dennoch ist es stichhaltig. Das Leben auf der Erde verhält sich nicht, wie es im Rest des Universums angelegt ist.«
»Und was heißt das jetzt?«, fragte der Biologe misstrauisch.
»Das heißt, dass da jemand dran gedreht hat.«
McPherson musterte die junge Frau. Er mochte die feinen Grübchen in den Wangen, wenn sie lächelte. »Du hast also gerade Gott bewiesen?«
»Ja!« Natalja grinste vergnügt und sah den blonden Hünen verschmitzt von der Seite an. »Möchtest du mich zu küssen?»
»Jetzt?«
»Ja. Zur Feier meiner Entdeckung!«
McPherson sah sich um. In der Nähe lockte ein grünes Fleckchen, das von dichtem, weichem Moos bewachsen war.
»Gerne!« Lächelnd nahm er Nataljas Hand.
»Lewis Acheron, bitte finden Sie sich in Besprechungsraum 042 ein. Sie sind Teil der Arbeitsgruppe Infektionsaktivität!«
»Uhhh«, stöhnte Acheron genervt auf. »Gutes Timing!«
Siri hob den Kopf und zog einen kunstvollen Schmollmund. »Ich hatte mir etwas mehr Zeit mit dir erhofft.«
»Da rede am besten mit Chronos drüber. Hier sollte Zeit nämlich keine Rolle spielen!« Acheron sortierte sein verrutschtes Hemd und deutete mit dem Kopf in Richtung Fenster, wo ein kleiner blauer Farbklecks von einer pulsierenden roten Pfütze umschlungen wurde.
Die Nymphe rekelte sich gähnend. »Wegen des transdimensionalen Raums da draußen? Die Lux-Aeterna fliegt in einer Raum-Zeit Blase. Sonst wären wir ja zur gleichen Zeit immer und überall!«
»Ach!« Er musterte das Mädchen, als sähe er es zum ersten Mal. »Na klar. Das macht Sinn! Nun, wenn es so ist. Dann werde ich mich besser beeilen.«
»Bis später, Lewis Acheron.« Die Kleine machte es sich gelangweilt auf dem freigewordenen Liegestuhl gemütlich und betrachtete das Farbenspiel des Universums.
Acheron hatte keinen blassen Schimmer, wo Besprechungsraum 042 zu finden war. Ebene vier, Raum zwei, so waren die Raumnummern einst von den sorgfältigen Zwergen gedacht. Aber kaum hatten die göttlichen Maschinen im Bauch der Lux-Aeterna ihre Arbeit aufgenommen, nahm das Schiff eigenmächtige Änderungen im Bauplan vor. Dem Vernehmen nach, weil ihr der Grundriss ‚zu langweilig‘ erschien. Der Prozess der Umgestaltung war indes nicht abgeschlossen.
»Wo ist Besprechungsraum 042 heute, Luxie?«
»Auf der sechsten Ebene, mein Lieber«, antwortete das Schiff gut gelaunt. »Gehe einfach den Gang entlang, es ist direkt neben Buddhas Baum.«
»Dankeschön!«
Da die sechste Ebene den Platz spontan mit der zehnten Ebene getauscht hatte, kam der Flussgott als letzter zur Besprechung. Möglichst unauffällig setzte er sich auf einen freien Stuhl in der hinteren Reihe. Loki saß wie immer an seinem Lieblingsplatz in der Ecke neben der Zimmerlinde und grüßte Acheron mit einer lässigen Handbewegung.
Maat war mitten in ihrer Erörterung und wies mit dem Pointer auf die dreidimensionale Projektion einer Galaxie.
»Die Infektion scheint sich bisher auf eine der äußeren Spiralarme zu beschränken. Allerdings zeigen die Daten, dass sie sich mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreitet.«
»Das ist offensichtlich ein Rechenfehler. Es ist allgemein bekannt, dass ich ein Geschwindigkeitslimit eingebaut habe. Das ist nicht zu durchbrechen. Simple Physik, jeder Grundschüler begreift das.« Chronos war offensichtlich schlecht gelaunt.
»Ich habe die Daten der Sonde dreimal überprüft, der werte Herr darf gerne nachrechnen. Falls er seinen Taschenrechner dabeihat.« Maat hasste es, wenn man ihre Autorität infrage stellte.
»Der einzige Taschenrechner hier bist doch du!«, brummte Chronos.
»Lass gut sein, Chronos und hör erst mal zu!« Hastig wies Odin den Gott der Zeit zurecht. Das Letzte, was er brauchte, war ein Konflikt zwischen den Göttern. Seit Zeus unentwegt mit Buddha über den Sinn des Seins meditierte, blieb die Führung des zusammengewürfelten Haufens an ihm hängen.
»Maat fahr bitte fort.« Er nickte der empfindlichen Göttin ermutigend zu.
»Danke. Chronos hat insofern recht, dass wir es hier, ohne Frage, mit einem ungewöhnlichen Vorgang zu tun haben.«
Chronos nickte zustimmend.
»Eine evolutionäre Struktur scheint sich in der Spiralgalaxie zu vermehren und sich entgegen den vorgesehenen Gesetzen der Physik auszubreiten.« Maat projizierte einige Formeln in den Raum.
»Eine evolutionäre Struktur?« In Lokis spöttischer Stimme glitzerte ein seltener Funken Neugier. Er hielt nichts von solchen Treffen und beteiligte sich sonst nur aktiv, wenn Schnittchen gereicht wurden.
»Dann fahren wir jetzt dahin, beseitigen die evolutionäre Struktur und sind im Nullkommanichts wieder zu Hause«, gähnte er.
»Das ist leider nicht so einfach. Wir haben das Gebiet der Divergenz zwar grob eingegrenzt, aber wir wissen weder den dimensionalen Kontext, noch die genaue Zeit, auf die wir unsere Suche eingrenzen können.«
»Was heißt das jetzt?«, brummte Odin verstimmt.
»In jedem Moment, in dem wir eine Entscheidung treffen, denken wir, wir wählten eine Möglichkeit auf Kosten einer anderen Möglichkeit. So empfinden wir es zumindest. In Wirklichkeit existieren jedoch alle Möglichkeiten in unendlichen parallelen Universen gleichzeitig. Wir wissen leider nicht, in welchem der parallelen Universen die Divergenz entstanden ist«, erklärte Maat gutmütig.
»Wer hat den diesen Unsinn programmiert?«, blaffte Odin verärgert.
Chronos zog peinlich berührt den Kopf ein. »Nun gut, lassen wir die Theorie. Was bedeutet dies für unsere Suche?«
»Genau!«, stimmte Odin zu.
»Unsere Suche gleicht der Suche nach einer einzelnen Schimmelspore im großen Buch des Seins.«
»Hmm!« Odin versuchte vergeblich, sich eine Schimmelspore vorzustellen. »Das Buch des Seins ist ein ziemlich dickes Buch!«, gab er nachdenklich zu und strich sich durch den verfilzten Bart.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Frigg, die sich auch gerne am Gespräch beteiligen wollte.
»Sehr gute Frage, mein Schatz!« Odin lächelte gutmütig und sah Maat erwartungsvoll an.
Die Göttin der Wahrheit und Gerechtigkeit wiegte verlegen den Kopf. »Da es sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit um eine biologische Anomalität handelt, habe ich Lewis Acheron eingeladen.«
Leises Gelächter erfüllte den Raum.
»So habe ich es nicht gemeint!« Maat errötete. »Als Flussgott ist Acheron Experte, was die Ausbreitungsbiologie lebendiger Spezies betrifft. Schließlich kennt er den Weg von der Quelle bis zum Delta des Flusses. Ich denke, er wird eine akzeptable Lösung präsentieren, wie wir die Infektion lokalisieren können.«
Alle Blicke richteten sich auf Lewis Acheron.
»Ich … Ähh!«
Odin stand behäbig auf und fixierte den jungen Flussgott. Die Stimme des Göttervaters hallte unhörbar für die anderen in seinem Kopf. Denk ja nicht, ich wüsste nicht, was du hinter meinem Rücken mit meiner Tochter treibst. Sieh zu, dass du dich hier nützlich machst. Sonst kannst du ein Praktikum bei Hades machen.
»Ich also …« Acheron stand auf und dachte an die süße Nymphe, ihren frühlingshaften Duft und die runden, festen Brüste. Es wäre eine Schande diesen Genuss mit der Schinderei bei Hades zu tauschen.
»Nun?«, fragte der Göttervater ultimativ.
»Ich habe da schon so eine Idee.«, grinste Acheron und dachte dabei an Siris verführerischen Duft.
»Und? Lass hören, mein Junge!«, rief Chronos aus.
»Wir werden eine Falle vorbereiten. Eine, die sich jeder Art biologischer Infektion anpasst. Mit Speck fängt man Mäuse!«
»Wen?« Chronos Finger strichen ratlos durch das nicht vorhandene Haupthaar.
»Nun. In jeder Lebensform wohnen zwei grundlegende Triebe. Sich zu ernähren und sich zu vermehren. Dies werden wir ausnutzen.«
»Ah. Gute Idee, mein Junge!«, rief Odin begeistert, der sich mit Ernähren und Vermehren auskannte, aber sonst kein Wort verstanden hatte.
Mikel und Natalja schlenderten den Hügel hinab und warfen sich verliebte Blicke zu.
»Hallo ihr beiden!« Kommandantin Anne Wang kam ihnen lächelnd entgegen. Sie hatte die blonden Haare geöffnet und trug einen Kranz frisch gesammelter Blüten im Haar. »Ich sehe, ihr habt euch näher kennengelernt. Sehr schön. Willkommen in der Familie, Natalja.«
»Dankeschön, Kommandantin.«
»Einfach Anne. Hast du Lust, heute Abend in mein Zelt zu kommen? Mikel wird auch da sein.«
»Es wäre mir eine Freude, Anne!«
»Sehr schön! Dies ist ein wirklich netter Planet. Findet ihr nicht? Habt ihr gewusst, dass die Oinok-Herden dem Tag folgen? Sie warten, bis sich die Blätter durch das Licht des Tages entfalten, und beginnen dann zu grasen.«
»Was sind Oinoks?«, fragte Natalja neugierig. Schnell vertieften sich die Frauen ins Gespräch und schlenderten in Richtung Raumschiff davon. McPherson lächelte und freute sich bereits auf das spätere Treffen. Aber bis dahin war noch Zeit.
Am Rande der Zeltstadt stand ein freier Quadrokopter. Der Biologe schwang sich in den federnden Sitz und startete die Motoren. Sanft und geräuschlos glitt der Kopter in die Lüfte. McPherson genoss den Flug über die Wipfel der exotischen Bäume. Er folgte einem Bachlauf, der von den Bergen kommend durch das ausgedehnte Waldgebiet floss. Manche Bäume trugen gelbe, schillernde Blüten, oder rote Früchte, die von kleinen Vögeln umschwirrt wurden.
Er dachte über Nataljas Worte nach. Intelligentes Leben war nicht häufig, das mochte erstaunlich sein. Viel seltsamer fand er die wiederkehrenden Baupläne der Pflanzen und Tiere.
Vögel, Insekten, Säugetiere.
Wohin sie auch kamen. Sie fanden immer das gleiche Muster. Abhängig vom Entwicklungsstand des Planeten gab es natürlich Variationen. Vom Prinzip her blieb alles jedoch ähnlich. Es schien, als folge die Evolution überall dem gleichen Pfad. Oder Nataljas Göttern waren einfach sehr schnell die Ideen ausgegangen.
McPherson lenkte den Kopter tiefer ins Waldgebiet, aber bald langweilte ihn die nicht enden wollende Landschaft aus immer-gleichen kakteenartigen Bäumen. Er fasste gerade den Entschluss umzukehren, da wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Flecken Grün am Horizont gelenkt.
Das sah ungewöhnlich aus!
Ein Blick auf das Bild der Fernsichtkamera bestätigte seine Vermutung.
Mehr noch. Der Anblick ließ ihm den Atem stocken.
Am Ufer eines kleinen, smaragdfarbenen Sees breitete sich eine parkähnliche Landschaft aus. Hohe Buchen säumten breite, weißglänzende Wege. Der Rasen war dicht und so akkurat gemäht, dass jeder englische Golfplatz vor Neid hätte welken müssen. Ein Anblick, der ihn an die Ausflüge in seiner Kindheit erinnerte.
McPherson landete auf dem frisch geschnittenen Grün und stieg misstrauisch aus dem Kopter. Andächtig strich seine Hand über das Gras, eine Mischung aus Wiesen-Rispengras und Weidelgras, typische Gräser für einen gepflegten Rasen. Er fand sogar einige blühende Halme Ehrenpreis und summende Bienen besuchten vereinzelte Gänseblümchen. Über ihm rauschten die Blätter der Buchen im Wind. Die Szenerie wirkte so real, wie sie nur sein konnte. Allerdings waren all diese Pflanzen auf Proxima-Centauri so heimisch wie eine Giraffe auf dem Mars.
Dies alles sollte, ja durfte, hier nicht sein.
Die Wege in dem deplatzierten Park wirkten, als hätte sie ein pedantischer Gärtner frisch geharkt. Allesamt führten sie zu einem grünen Hügel. Dort vereinten sich die leuchtend weißen Pfade zu einem einzigen breiten Weg, der sich die Anhöhe hinaufwand. Stattliche Zypressen verdeckten den Blick zum Gipfel.
Zögernd schritt der Biologe zwischen die Buchen und sah sich um. Er wusste, dass er Kontakt zur Galileo aufnehmen sollte, aber etwas hielt ihn davon ab. Weiße Kieselsteine bedeckten den Weg, sie knirschten unter den Stiefeln. In diesem Moment ertönte ein schnappendes, metallisches Geräusch. Gleichzeitig bahnte sich ein anregender Duft von Frühling und Sorglosigkeit den Weg in seine Ganglien. Er wusste, wenn er die Quelle dieses Geruches erreichte, würde ihm höchste Glückseligkeit zuteilwerden.
Eilig schritt er den Weg entlang dem Hügel zu. Die Zypressen gaben den Blick auf einen kleinen Tempel frei, wie er einst in Griechenland geläufig war. Jemand wartete dort auf ihn. Dorthin zog es ihn mit Macht.
Je näher er dem Tempel kam, desto stärker benebelte ihn der herrliche Duft. Das Blut floss rauschend in seine Lenden und nahm den mahnenden Restverstand mit sich. Stattdessen pulsierte seine Männlichkeit beinahe schmerzhaft. Hastig warf er die Kleidung von sich und eilte dem Tempel entgegen.
Die dorischen Säulen trugen ein schmales Dach aus roten Kacheln, aber der Innenraum lag unter offenem Himmel. Dafür hatte McPherson jedoch keinen Blick, denn auf dem Rand des plätschernden Springbrunnens im Innenhof saß eine junge Frau.
Eine nackte Elfe! Sie kämmte sich die langen goldenen Haare.
Das schöne Geschöpf drehte sich zu ihm und musterte ihn überrascht. »Hallo! Wen haben wir denn da?« Für einen Moment schien sie unschlüssig zu sein, dann zuckte sie mit den Schultern und lächelte einladend. »Möchtest du mich küssen?«
McPherson schnaufte wie ein brünstiger Stier und stolperte auf die verführerische Elfe zu. Nie zuvor hatte er so etwas Anmutiges gesehen. Ihre Lippen waren weich und süß. Seine Erektion pochte fordernd, er drängte an ihren warmen Leib.
Sie lächelte wissend und schlang die Beine um seine Hüften. Ihre festen runden Brüste lagen an ihm und ihre Finger strichen verlangend über die Haut des brünstigen Biologen. Der leidenschaftliche Kuss raubte ihm die Sinne. Selbst die Luft schien zu flimmern und zu vibrieren.
Es war herrlich.
Das Flimmern intensivierte sich. Etwas stimmte nicht.
Etwas stimmte ganz und gar nicht!
Ein leiser Alarm ertönte. Die Versammlung der Götter drehte sich erwartungsvoll zum Podium.
»Ah. Es hat geklappt, die Falle hat zugeschnappt! Mal sehen, was uns da an die Angel gegangen ist!«, rief Acheron erfreut und stellte in Erwartung des infektiösen Organismus einen Eimer auf.
Ein Flimmern erfüllte den Raum vor der altmodischen Schiefertafel, wo eben noch die Projektion der Galaxie den Raum erhellt hatte. Etwas materialisierte und der Eimer rollte scheppernd vom Podium. Der Anblick ließ die Götter erstarren, nur Loki kicherte leise.
Ein stattlicher Mann mit wallendem blondem Haar stand vor der Projektionsfläche und hielt Odins Tochter, die Wassernymphe Siri, in enger Umklammerung.
Offensichtlich waren sie Zeugen einer Paarung. Die Nymphe stöhnte voller Wonne und ließ sich von den anwesenden Göttern nicht weiter stören.
»SIRI!«, donnerten Odin und Acheron entsetzt.
»Ohh. Hallo Papa. Euer Plan hat geklappt!« Die Nymphe gab dem Mann einen Kuss auf die Stirn und rutschte auf die Füße. Als sei nichts weiter geschehen stolzierte sie aus dem Versammlungsraum und warf Acheron einen neckischen Blick zu.
Der Flussgott sah ihr peinlich berührt nach, aber die meisten starrten auf den verwirrt dreinschauenden Mann.
»Was ist das?«, begann Odin misstrauisch. »Der sieht so aus wie wir. Wie kann das denn sein?«
Maat trat näher an den unsicher dreinschauenden Mann und nickte. »Es handelt sich unzweifelhaft um einen Gott, so wie wir es sind.«
»Aber … Das ist unmöglich, wo kommt der denn plötzlich her?« Chronos war fassungslos.
»Diese evolutionäre Divergenz«, murmelte Acheron, der sich wieder gefangen hatte.
Maat nickte. »Er ist in der verdächtigen Spiralgalaxie entstanden. Wartet, jetzt wo wir die dimensionalen Koordinaten und die genaue Zeit haben, schauen wir es uns doch an. Lux-Aeterna flieg mal näher ran.«
»Gerne! Schon sind wir da!«, rief die Lux-Aeterna begeistert. Endlich war mal etwas los.
Das Hologramm flammte auf und der arme, nackte McPherson wich erschrocken zurück.
»Da sind wir!«
Der Bildausschnitt vergrößerte sich. Ein Sternensystem mit einer gelben Sonne wurde sichtbar, dann erschien ein blauer Planet.
»Hübsch«, sagte Frigg, die auch etwas sagen wollte.
»Pscht!«, machte Odin verärgert. »Was ist das da, was fliegt da herum?«
Der Ausschnitt wurde abermals größer. Zahlreiche eiförmige Raumschiffe umschwirrten den Planeten, wie eifrige Bienen ihre Waben. Ein entsetztes Stöhnen hallte durch das Auditorium.
»Wie viele?«, ächzte Chronos.
»Die derzeitige Bevölkerung der Erde beläuft sich auf zehn Milliarden dreihundert Millionen und einhundertdreiundsechzigtausend. Abgerundet«, berichtete die Lux-Aeterna.
»So viele Götter!« Stellte Frigg besorgt fest, wie sollte sie jetzt nur die nächste Grillparty organisieren.
McPherson hatte sich inzwischen auf einen Stuhl niedergelassen und starrte, immer noch leicht benebelt, auf Odin und dann auf die Projektion seines Heimatplaneten.
»WIE IST DAS PASSIERT?«, donnerte der Göttervater und deutete auf den Irdischen, der ängstlich zusammenzuckte. Alle sahen betreten zu Boden, nur Loki suchte den Weg zum Ausgang.
»Da …«, stammelte McPherson, dem Nataljas Worte in den Sinn kamen. Die Götter starrten ihn überrascht an, als hätten sie nicht geahnt, dass der Mann sogar der Sprache mächtig war. »Da hat jemand dran gedreht!«
Odin hob die borstigen Augenbrauen an und schien zu überlegen. Loki hatte gerade die Tür erreicht.
»Loki?«, flüsterte Odin beinahe zärtlich.
»Hmm. Jaaa!« Er trat verlegen lächelnd einen Schritt von der Tür zurück.
»Hast du eventuell mit dieser Sache etwas zu tun?«
»Ich? Nun, nicht direkt.« Loki lächelte so gewinnend wie ein Gebrauchtwagenhändler.
»Nun? Was soll das heißen? Nicht direkt!«
»Nun ja. Das Schiff hat …«
»Ich habe die Programmierung der Evolutionsmatrix dieses Planeten bei unserem letzten Vorbeiflug vor vier Milliarden Jahren geändert«, sagte die Lux-Aeterna stolz.
»Aber warum?« Chronos schüttelte ungläubig den Kopf.
»Um zu sehen, was passiert!«, gab die Lux-Aeterna zu.
»Uns war langweilig«, ergänzte Loki.
»Soo, langweilig?«, brummte Odin und betrachtete McPherson nachdenklich. »Es ist eine Schande, der hätte einen guten Gott dargestellt, so einen mit Hammer, der Blitze schleudert und so.«
»Aber?«, fragte Loki zurückhaltend.
»Naja, ein zusätzlicher Gott ginge noch. Aber zehn Milliarden Götter, das geht nun wirklich nicht. Ihr hattet euren Spaß, aber jetzt macht es gefälligst rückgängig.«
»Hmm.« Maat hob die Hand.
»Ja?»
»Loki hat die Menschen nach dem Vorbild der Götter erschaffen, wenn wir sie aus dem Gewebe des Universums entfernen, dann entfernen wir uns möglicherweise selbst.«
»Was willst du damit sagen? Dass es nicht mehr rückgängig zu machen ist?«
Maat nickte entschuldigend mit dem Kopf.
»Wir könnten das Programm aber leicht verändern«, überlegte Acheron und betrachtete McPherson misstrauisch. Er sah keinen Grund, Siri mit irgendwelchen neuen Göttern zu teilen. Mit einer Handbewegung veränderte er das Hologramm. »Hier. An dieser Stelle zweigen die Entwicklungslinie ab. Hier geht es zu den aggressiven Affen und hier zu den friedlichen Menschen. Wenn wir an dieser Stelle einige kleine Änderungen vornehmen, verändern wir den Charakter der Menschen.«
»Und was bringt das?« Odin war skeptisch.
»Wir machen sie aggressiv, raffgierig und egoistisch. Sie werden sich bekriegen und ihre Umwelt vergiften. All ihre Intelligenz und ihre Technologien werden schlussendlich zu ihrer Vernichtung führen.«
»Das ginge?« Der Göttervater richtete seine Frage an Maat.
»Es ist ein wenig unschön, aber es könnte funktionieren«, nickte diese zustimmend.
»Ich halte das für keine gute Idee«, protestierte Loki. »Die Menschen sind harmlos, die stören doch nicht und für irgendwen müssen wir doch Götter sein.«
»Du … Du bist schön ruhig mein lieber. Du hast uns das Ganze ja erst eingebrockt.« Odin war sichtlich genervt. »Lux-Aeterna, mach es, wie Acheron es vorgeschlagen hat.«
»Sehr wohl, Gebieter!«, säuselte das Raumschiff.
Das Hologramm flimmerte und zeigte dann ein kaum verändertes Bild.
»Und? Hat es funktioniert? Na sag schon!«
»Ich … Ich bin mir nicht sicher.« Maat runzelte die Stirn.
Odin schaute genauer hin. Die Erde war noch da, schimmerte nicht ganz so glänzend wie zuvor, aber sonst zeigte das Hologramm kaum Veränderungen.
»Immerhin sind diese eiförmigen Objekte verschwunden«, gab Acheron zu bedenken.
»Ja schon. Aber was ist das da?«, brummte Odin.
Ein gewaltiges schwarzes Raumschiff tauchte aus der Deckung des Planeten auf. Es erinnerte an einen zu Stahl gewordenen Hammerhai. Als es seinen Kurs veränderte und auf die Lux-Aeterna zuhielt, verdunkelte es für einen Moment die Sonne. Rote Lichtblitze zuckten auf und gleißend helle Objekte lösten sich von dem fremden Schiff. Ein ganzer Schwarm dieser Dinger kam in unheimlicher Geschwindigkeit auf die Lux-Aeterna zu.
»Das sieht aber hübsch aus!«, rief Frigg aufgeregt.
»Jetzt sei mal still, mein Schatz!«, jammerte Odin nervös.
»UhOhh!« Waren Lokis letzte Worte.
Jetzt erreichten die hellen Objekte das Raumschiff der Götter.
»ES WERDE LICHT!«, lachte die Lux-Aeterna.
ENDE
Ja nee, schon klar, die Aliens/Götter können zwar die Gesetze der Physik definieren, aber welche Auswirkungen "»Wir machen sie aggressiv, raffgierig und egoistisch." hätte, das überlegen sie sich nicht, denn es könnte ja - so der "Rat" - funktionieren, also dass sich die Infektion dann nicht mehr ausbreitet, weil sie sich selbst eliminiert. Ja, die Götter/Aliens sind arg verspielt und agieren eher triebgesteuert, da passt dann so eine imulsive Entscheidung durchaus. Aber wie schaffen es die Götter/Aliens eigentlich, soooo lange zu überleben? Doch wohl kaum, weil sdchlaue Schiffe das Ding irgendwie schon richten. Das passt für mich nicht zusammen. Und auch der Witz mit den Götterklischees zieht bei mir nicht wirklich.
AntwortenLöschenBis zum Auftritt der Götter hat mir der Einstieg ganz gut gefallen. Danach hat sich die Stimmung des Texts für mein Empfinden verändert. Vielleicht liegt es daran, dass ich die Serie "Kaos" kürzlich geschaut habe und deshalb das Thema erst mal für mich durch war. Logische Zusammenhänge muss man für diese Kurzgeschichte über Bord werfen, dann funktioniert sie besser. Zumindest ging es mir so. Ich fand sie lustig.
AntwortenLöschenIch habe die Geschichte nach dem Eintritt der Götter sehr genossen. Und ich musste beim Lesen kichern.
AntwortenLöschenDa dreht man einmal an der Menschheit, weil sie zu gut geworden war und löscht sich damit womöglich selbst aus. Lustiger Plot. Gefällt mir. Flüssig geschrieben, amüsant zu lesen.
AntwortenLöschenDas ist unterhaltsam, wenn auch nicht immer logisch. Insofern stimme ich meinen Vorrednern zu. Mit triebgesteuerten Göttern und einem schwarzen Humor erinnert mich die Geschichte an eine Klinik-Kurzgeschichte, die ich mal gelesen habe. Ich habe meine Vermutung, wer hier der Autor sein könnte.
AntwortenLöschenLeider auf privat geschaltet.
AntwortenLöschen