ZACSF2024_005

Interview mit einem Außerirdischen


von Björn Baier





„Bitte entschuldige, dass ich dir nichts anbieten kann“, sagte Ayn zu ihrem Besucher.

„Das macht doch nichts“, hallte es leicht blechern aus der Außensprechanlage des Raumanzugs.

Dieses Ritual war seit zwei Wochen täglich dasselbe.

„Mit wem habe ich heute die Ehre?“

„Nima“, stellte sich der Außerirdische vor, „die aktuelle Wissenschaftlerin.“

Ayn lächelte und verbeugte sich kurz. Sie hatte mit ihr schon vor ein paar Tagen gesprochen.

Förmlich standen sie sich gegenüber, die Fremde war trotz der hohen Sohlen und des riesigen Helms etwa einen Kopf kleiner als sie. Das gelbe Gewand von Ayn schlackerte ein wenig um ihre schlanke Figur, aber wie üblich war Mode nie ein Thema bei ihren Gesprächen.

Professionell bleiben, ermahnte sich Ayn und seufzte innerlich.

„Wir werden heute wieder einen Gast haben. Diesmal von der Presse. Er steht bereits dort drüben und wartet.“, sie deutete in die ungefähre Richtung, hielt aber den Blick auf den Helm gerichtet.

„Ich hab früher damit gerechnet“, die Stimme der Raumfahrerin war klangvoll und melodiös selbst durch die Lautsprecher.

„Es ist erstaunlich, wie schnell ihr unsere Sprache lernt“, lobte sie die Außerirdische, „mit jeder Begegnung könnt ihr sie besser.“

Ihre Gespräche mit dem aktuellen Kommandanten verliefen etwas … seltsam. Sie wusste selbst nicht genau, woran es lag, aber bestimmt nicht an der Sprachbarriere.

„Wir üben täglich miteinander. Und jeder von uns will das Raumschiff verlassen, auch wenn es nur im Raumanzug ist.“, der entschuldigende Unterton war für Ayn überdeutlich, „Wände anstarren war gestern!“

Ayn kicherte über den Witz, Humor ist ein Zeichen von Intelligenz.

„Nun, bist du bereit für die Fragen der Presse?“

Der schwere Raumanzug hob und senkte sich ein wenig an den Schultern.

„Ich wundere mich, dass es nur eine Person ist. Ich hätte mehr Vertreter erwartet.“

Wie ähnlich sie doch dachten, bemerkte sie.

„Glaub mir, seit eurer Landung hier auf dem Flugplatz überschlägt sich die Presse. Es gibt jede Menge sensationslüsterne Journalisten, die heimlich Fotos von uns gemacht haben. Und die Spekulationen erreichen jeden Tag neue Höhen. Es gibt sogar Mitschnitte unserer Gespräche, die sie mit Richtmikrofonen aufgezeichnet haben – bevor sie von dem Tower entdeckt und von der Sicherheit entfernt wurden.“

Ein Lachen ertönte aus den Lautsprechern der Fremden.

„Nun gut. Er wartet dort, also willst du mir noch etwas sagen.“

Die plötzliche Ernsthaftigkeit und richtige Analyse der Situation signalisierte Ayn mal wieder, wie aufmerksam die Spezies war.

„Ja“, gab sie zu, „Erstens, die Sonnenschutzblende bleibt unten und zweitens, keine Informationen herausgeben, die Rückschlüsse auf euren Ursprungsort geben.“

„Verstehe.“

Die Psychologin interpretierte die plötzliche Langsamkeit der Stimme richtig. Wenn sie an ihrer Stelle wäre, hätte sie wohl auch öfter über die militärische Bewandtnis nachgedacht. Sie wusste allerdings nicht, was das Militär mit der Besatzung des Raumschiffs redeten. Aber diese Vorgabe kam direkt von der Einsatzleitung.

Stumm wartete Ayn ein paar Sekunden und stellte sich vor, durch die Blende durchgucken zu können. Das Gesicht der Wissenschaftlerin sehen zu können, wie einstmals beim Kommandanten des Schiffs, Soren. Sie war damals ziemlich erschüttert, blieb aber professionell. Selbst ihre Vorgesetzten konnten ihre Angst nicht komplett verbergen. Aber die Sternenreisenden waren wohl der Empathie fähig und kamen seitdem mit heruntergelassener Sonnenblende aus dem Raumschiff. Ayn glaubte daran, dass sie nicht gefährlich sind und je öfter sie sich mit ihnen unterhielt, desto mehr war sie dieser Überzeugung. Sie nicht sehen zu können, half ihr bei der psychologischen Bewertung, unabhängig von ihrem Aussehen.

Ayn drehte sich um und winkte dem Reporter zu, der ungeduldig bei den Wachleuten vor dem Tower stand. Die Stille wurde nur von den flotten Schritten des Journalisten unterbrochen. Sie klackten zwar nicht so stark auf das Pflaster wie Frauenschuhe, aber sie waren trotzdem deutlich zu hören. Schnell erreichte er die zwei Wartenden. Sichtlich emotional und unruhig wartete der Mann auf ein Zeichen. Nima drehte sich ihm zu und sprach ihn an.

„Wir kommen in Frieden“, erklang ihre Stimme – entspannt und lässig, „aber lasst uns zur Sitzecke gehen. Der Druckanzug wird langsam schwer.“

Die Spezialanfertigung des Stuhls, der für die Besucher entworfen und gebaut wurde, arretierte den Raumanzug beim Sitzen und entlastete den von der Reise erschöpften Körper. Eine Komfort-Funktion wohlgemerkt, die Gäste konnten jederzeit aufstehen. Nima bewegte sich als Erstes, setzte sich und wartete darauf, dass Ayn ihr half. Die Arme des Raumanzugs waren relativ stramm, die Vorrichtungen konnte Nima nicht erreichen. Der Pressevertreter schaute neugierig zu, wie Ayn vorsichtig die Fremde in den Stuhl ‚hängte‘ und setzte sich auf den dritten Stuhl. Ein Funkgerät stand auf einem nahen Tisch und lauschte dem Gespräch.

„Ich bin Keno“, stellte er sich vor und holte einen altertümlich wirkenden Notizblock hervor.

„Angenehm, Nima“, stellte sich die Wissenschaftlerin vor. „Ich bin weiblich.“

„Dafür sind sie aber …“, er bemerkte den kritischen Blick der Kontakterin rechtzeitig, „… weit gereist“, improvisierte er. „Können Sie uns ein wenig über die Reise erzählen, Nima?“

„Nun, die meiste Zeit habe ich in meiner Biokapsel geschlafen. Relativ eintönig. Aufwachen, Trainieren, Integrität des Raumschiffs mit den Ingenieuren überprüfen, Parameter der Reise mit dem Kommandanten diskutieren, und nach einem Vierteljahr wecken wir die nächste Crew und ich steige wieder in meine Biokapsel.“

„Das heißt, wie viele seid ihr insgesamt?“

Klar musste diese Frage kommen. Ayn hatte nur eine vage Vorstellung, ihre Arbeit war die psychologische Bewertung und sie hatte nur die aktuelle Crew durchleuchtet: Soren, der Kommandant. Nima, die Wissenschaftlerin. Und die zwei Ingenieure, Cass und Jon.

„Sechzehn“, kam es prompt, aber ohne weitere Erklärung.

Keno schrieb rege alles mit, ihm fiel Ayns Überraschung gar nicht auf. Verstohlen betrachtete die Kontakterin nochmal das aerodynamische Raumschiff im Hangar, das die anderen Flugzeuge mindestens um das Doppelte überragte. Sechzehn Leute? Gut, sie hatte keine Ahnung, wie groß die Biokapseln sind. Und klein sind die Fremden sowieso.

„Es gibt viele Gerüchte, die in den Nachrichten kursieren. Ich möchte gern ein paar zitieren und ihre Gedanken dazu erfahren, wenn das in Ordnung ist?“

Er wartete gar nicht auf ein Einverständnis und blätterte wahllos in seinem Notizblock rückwärts.

„Außerirdische gelandet! Kommt als Nächstes die Invasion?“

Das Lachen überraschte ihn, selbst durch die Lautsprecher wirkte es erheitert. Der fünfgliedrige Handschuh des rechten Arms legte sich auf die Sonnenblende. Ayn zuckte zusammen.

„Nein, wir sind … waren eine Forschungsmission. Wahrscheinlich immer noch.“

Keno bemerkte die Nervosität der Psychologin.

„Kommen wir kurz zur Blende, warum bleibt sie geschlossen? Wie ähnlich sind wir uns?“

Ayn fasste sich und legte den strengsten Blick auf, zu dem sie fähig war. Sie hoffte, Nima würde ihn verstehen.

„Ich verstehe ihre Neugier, aber haben Sie bitte Verständnis, dass ich die erste Frage noch nicht beantworten kann.“, die Betonung auf dem noch war überdeutlich, „aber unsere Erscheinungsbilder sind weitgehend ähnlich. Zwei Beine, zwei Arme, fünf Finger, ein Kopf. Wir sind allgemein etwas kleiner als ihr, vermutlich weil dieser Planet weniger Massenanziehung hat.“

Keno hob aufmerksam den Kopf und schaute die Psychologin eindringlich an, als ob nur sie die nächste Frage verhindern könnte. Er formulierte trotzdem die nächste Frage um.

„Glaubt ihr, dass diese biologische Ausgestaltung im Universum vorherrschend ist?“

„Wir glauben, dass für eine erfolgreiche raumfahrende Spezies der Daumen das wichtigste Merkmal ist“, antwortete Nima diplomatisch und deutete auf den Finger an der Seite.

Sehr geschickt umschifft, dachte Ayn und machte sich eine geistige Notiz, sie später darauf anzusprechen. Verwandtschaften zwischen interstellaren Völker sind ein sensibles Thema.

Keno notierte das Gespräch, blätterte geistesabwesend um und widmete sich der nächsten Schlagzeile.

„Bringen Außerirdische neue Seuchen oder Krankheiten?“

„Es ist eigentlich andersherum. Wir schützen uns durch unbekannte Gesundheitsgefahren dieses Planeten. Wir forschen derzeit an Proben, die uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden.“

„Unsere Wissenschaftler entwerfen und bauen gerade einen Quarantäneraum“, kam es aus dem Funkgerät.

Ja, ärgerte sich Ayn, das wollte ich auch gerade einwerfen.

Irritiert schaute der Reporter auf den Kasten und sein Blick wanderte zu dem weiß-schwarzen Ungetüm, das die Lufthülle des Planeten durchbrochen hatte. Mit Ach und Krach hatte es auf dem Flugplatz aufgesetzt. Ein Fallschirm hatte die Vorwärtsfahrt gebremst und nach dem Stop wurde das Keramikmonster von der Sicherheit schnell in den Hangar gebracht. Das Militär musste also schon länger mit den Fremden per Funk Kontakt aufgenommen haben, ansonsten hätten die Fremden die Anweisung des Towers nicht verstanden. Über den Daumen gepeilt vielleicht ein oder zwei Monate?

„Ihr wollt das Raumschiff haben?“, fragte Keno kritisch und eine Weile blieb das Gerät stumm.

„Nach internen Gesprächen möchten wir die Besucher willkommen heißen. Den Rückflug werden sie wahrscheinlich nicht überleben“, quäkte es aus dem Funkgerät. Natürlich ignorierten sie die Absicht seiner Frage.

„Das wird einschlagen wie eine Bombe!“, der Stift kritzelte nachdrücklich über das Papier, „und das Militär hat nichts dagegen einzuwenden, dass diese Information gegenüber der Bevölkerung bekannt wird?“

„Je eher, desto besser“, nickte Ayn und wiederholte damit auch die Worte ihres Auftraggebers.

„Ich hab hier noch weitere Fragen, aber das ändert alles!“

Schlagartig wurde ihm eine andere Frage deutlich.

„Was ist heute anders? Warum nicht in einer Presseerklärung? Warum ich allein?“

„Reine Psychologie“, erklärte Ayn ausweichend. „Eine Presseerklärung würde nur Ungemach bringen, und das Militär will die Gäste nicht vor eine sensationsgierige Presse zerren. Hier sind wir unter uns und ich weiß, du schätzt ein persönliches Gespräch mehr als ein Frage-und-Antwort-Spiel mit der Pressestelle des Militärs.“

Sie schaute ihn durchdringend an, lächelte aber. Keno grübelte über die versteckte Andeutung. Es war nicht das erste Mal, dass sie miteinander arbeiteten.

„Ich mag zwar nur Psychologin sein, aber ich habe mitbekommen, dass sowohl Militär als auch involvierte Wissenschaftler der Meinung sind, dass das Raumschiff …“, sie schaute gen Himmel – nicht zum Fluggerät der Außerirdischen, „nicht mehr fliegen wird.“

Ayn warf einen Blick auf Nima und streifte ihr gelbes Kleid straff.

„Ich hab gehört, uns bringt es nichts Neues. Die Raumfahrer sind hier gestrandet.“

Die Offenheit der Psychologin überraschte ihn, zumal er sogar zwei Antworten erhielt, die das Militär wohl nicht als geheim einstufte.

„Oh“, Keno lehnte sich an die Rückenlehne an und versuchte sich an einem durchbohrenden Blick an der Schutzblende des Außerirdischen.

„Oh“, wiederholte er leiser.

„Was blieb uns anderes übrig?“, wehrte sich Nima, „anstatt dem Rückflug haben wir uns für die Landung entschieden. Wir wollen leben und nicht im Weltall vergammeln!“

Die aufgeregte Stimme der Raumfahrerin brachte ihn wieder in die Wirklichkeit. Er wünschte sich, sie ansehen zu können. Sie zu erleben, wie sie ist. Vermutlich gerade am Boden zerstört, zerbrechlich, aber mit genug Energie weiter leben zu wollen. Es muss hart sein, in der Fremde hängenzubleiben.

„Wie lang habt ihr bis hierhin gebraucht?“, fragte er unverblümt.

Obwohl der Helm fest verbaut war und ihre Schultern im Stuhl verankert war, konnte Keno die leichte Drehung zu Ayn erkennen. Das Nicken kam zögerlich, sie vertraute der Fremden, die richtigen Worte zu finden.

„Vierunddreißig unserer Jahre, ich bin jetzt sechsundfünfzig wie die meisten anderen. Im besten Fall ist die Hälfte unseres Lebens um. Und selbst wenn wir es zurückschaffen würden, wäre unsere Welt fremder als vorher.“

„Und doch ist es eure Heimat“, stellte er mitfühlend fest.

„Nein“, gestand die Lautsprecher-Stimme, „unsere Heimat ist viele Jahre lang der Weltraum gewesen, unser Raumschiff. Wenn ich träume, sehe ich die Mannschaft, rieche ich den metallischen Geruch der aufbereiteten Luft und schmecke die tägliche Nährpaste. Ich höre das leise Betriebsgeräusch der Wiederaufbereitungsanlage und spüre die Bänder, die mich an den Trainingsgeräten halten. Oder die Körper meiner Kollegen, wenn wir uns liebten. Oder Knöpfe, Tasten, Hebel. Immer dieselben.“

Eine Pause entstand, in der nur das Kratzen des Stifts zu hören war.

„Es wird Zeit, Neues zu erleben“, fügte Nima hinzu.

„Kannst du dich noch an eure Welt erinnern?“, fragte er.

„Meine Familie hab ich so lang nicht mehr gesehen, dass ich mich kaum an sie erinnere. Wer würde uns willkommen heißen, wenn wir zurückkämen? Niemanden, den ich kennen würde. Meine Hoffnung liegt hier. Nein, unsere Hoffnung liegt hier, unsere Welt ist uns egal geworden.“

Sie sind uns so ähnlich, ging es Keno erneut durch den Kopf.

„Was hat euch weitermachen lassen?“, fragte er warmherzig.

„Dass, wenn wir ankommen, etwas Anderes riechen, schmecken und fühlen können. Wir sehnten uns nach den Monaten der Arbeit nach unseren Biokapseln, nach dem dreiviertel Jahr künstlichem Schlaf, in dem wir schlummerten und alles egal wurde. Wachablösung, Routine, Schlaf. Über die Jahre hinweg haben wir uns so stark auf unser Überleben konzentriert, dass jede Abwechslung willkommen war. Wir haben uns über Nichtigkeiten gestritten, aber wir sind wieder zusammengerückt. Wir haben nur uns. Es hätte nichts gebracht außer jahrelangem Groll und Einsamkeit in einem kleinen Raumschiff, auf dem man eh nicht entkommen konnte.“

Der Arm am Anzug bewegte sich zum Helm, setzte aber wieder ab.

„Wir wollen das kein zweites Mal erleben. Eure Gastfreundschaft ist uns viel wert.“

Keno fiel auf, wie eine Träne über Ayns Wange glitt. Sie rieb sich die Augen, seufzte tief und verschränkte ihre Arme im Sitzen.

„Sie sind uns mehr als ähnlich, oder?“, fragte der Reporter die Psychologin, „würde die Bevölkerung sie unterscheiden können?“

Die Stille war unerträglich und er hielt Ayns kritischem Blick stand.

„Ja“, tönte es aus den Lautsprechern des Raumanzugs leise, „leider.“

Er senkte den Blick und schlug sich die Hände vors Gesicht.

„Was soll ich bloß machen?“

„Das, was du immer schon gut konntest: Deine Arbeit“, konterte Ayn.

Keno seufzte. Die Erkenntnis ließ ihn auf dem Stuhl zusammensacken. Es war mehr als nur eine Aufgabe. Mit den aktuellen Schlagzeilen in der Presse wird das ein hartes Stück Arbeit werden. Als leitender Redakteur der größten Zeitung hatte er zwar anderes zu tun. Aber wen das Militär einlädt, der hatte meistens spezielle Begabungen. Ayn gehörte auch zu diesen Personen.

Außerdem, wer schlägt schon eine Einladung zum Interview eines Außerirdischen aus? Ihm wurde die Verantwortung mehr als bewusst. Die Bevölkerung vorbereiten. Leichter Kopfschmerz setzte ein und Keno setzte sich wieder gerade hin.

„Gut“, meinte er, „aber ich will hinter die Blende gucken. Ich will dich sehen, Nima!“

Er wendete sich dann an das Funkgerät.

„Lasst mich einen Blick auf die Wahrheit werfen. Wenn ich weiß, was uns unterscheidet, kann ich auch besser helfen.“

Ayn runzelte die Stirn, fummelte an ihrem gelben Kleid und schaute fragend auf den brummenden Kasten.

„Boss? Ich vertrau ihm. Was sagt ihr?“

Es rauschte im Gerät, das „Geht klar!“ war jedoch deutlich zu hören.

Ayn war erleichtert, aber auch erschrocken. Sie wappnete sich auf den Anblick. Bislang kannte sie nur Soren von Angesicht zu Angesicht. Gespannt verfolgten beide, wie die Arme die goldene Blende hochschoben. Ein keuchender Atemzug entwich beiden, als sie in den Helm blickten.

Das runde Gesicht offenbarte eine leicht rosa braune Haut, mit schwarzen Haaren, die sich Richtung Rücken fortsetzten. Geschwungene, rote Lippen formten sich zu einem leichten Lächeln. Eine leichte Nase erhob sich in der Mitte des Gesichtes – so weit, so identisch.

Aber die Augen. Hypnotisch fingen sie seinen Blick auf und er merkte, wie er sich in ihnen verfing. Keno fand keine Worte dafür, was an ihnen so faszinierend war. Er vermochte nur zu begreifen, dass sie das Weltall erblickt haben. Ein farbenfroher, ionisierter Nebel materialisierte sich um den Mahlstrom in der Mitte. Das Licht der aufgestellten Lampen wurden als Punkte reflektiert, und erzeugten so den Eindruck mitten in ein Sternenmeer zu gucken. Das schwarze Loch in der Mitte sog ihre Blicke auf und bannte ihre Aufmerksamkeit. Keno wusste, dass es nicht nur ihm so erging und zwang sich Ayn anzugucken.

Ihr Blick war weiter auf Nima gerichtet, aber ihm wurde bewusst, wie schön doch ihre Augen waren. Sehnsucht erfasste ihn, als seine Sicht in das milchige Weiß eintauchte, mit Sprenkeln von Grün, Gelb und Blau. In verschiedenen Winkeln blitzte eine andere Farbe auf, und als ihm klar wurde, dass auch sie in seinen tiefgrünen Augen stöberte, überlagerte sich ihr Verstand. Sie fuhr an seinen hell goldenen Rillen entlang, während er den tiefsten Ausläufern des tiefroten Nebels ihres Rezeptors folgte. Ein intimer Augenblick, den die Fremden nie begreifen werden.

Er wendete sich wieder der außerirdischen Wissenschaftlerin zu.

Die pure Reinheit der fremden Augen, das Weiß im Augapfel, die rostrot braune Iris, zerklüftet an den Rändern der Singularität irritierte ihn. Das Schwarze Loch bewegte sich ständig und fixierte ihn und Ayn abwechselnd wie eine Urmacht des Universums. Obwohl sie wussten, dass Nima weiblich ist, strahlte sie Virilität aus, die unvergleichlich ist.

Sein Innerstes toste und würde er nicht sitzen, er hätte sich zu Boden geworfen und sich so von ihrem Antlitz befreit. Es stand in ihren Augen geschrieben, dass sie jedes Volk zermahlen und in der Unendlichkeit des Weltalls verteilen würden, das ihnen in die Quere kam. Wie ein Mahlstrom der Ewigkeit würden sie der Vergessenheit anheimfallen. Nur noch Relikte würden von ihrer Kultur übrigbleiben, als Mahnmal gegenüber den Völkern, die nach ihnen noch übrig sein würden.

Gäste, dachte Keno und ergänzte es im Geist mit „Geisel“, kein Wunder, dass das Militär unruhig wurde.

Auch in Ayn regte sich erstes Verstehen. Das Gelb des Kleides verblasste wie ein Sonnenuntergang – zuerst zu einem rosa, dann in ein rotes Purpur. Wie eine Schärpe bildete sich ein grüner Streifen von ihrer Schulter zu ihren Hüften.

Sie glaubt noch, dachte Keno und war froh, neben Ayn zu sitzen.

„Wie nennt ihr euren Planeten?“, fragte er, um die letzte Frage abzuhaken.

„Erde“, antwortete Nima.




7 Kommentare

  1. Gut geschrieben. Sehr atmosphärisch, die Schilderung des Lebens auf dem Raumschiff im All.
    Mir war ziemlich schnell klar, dass die „Außerirdischen“ Menschen von der Erde sind. Aber irgendwie verstehe ich das Ende nicht … das mit den Augen und den Geiseln?

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  2. Mhm, mir der Themen zu viele ... Wie kommuniziert man mit einem Alien? Was bedeuten lange Reisen für Sternenreisende? Was ist Schönheit und was macht es mit jenen, diebis dahin unbekannte Schönheit/Erhabenheit sehen? Letzteres hätte mich sehr interessiert, aber gerade bei dem Thema hält sich der Text zurück. Es gibt Andeutungen und dann eben die Wahrnehmungen des Journalisten. Ja, der Journalist, dem nehme ich seinen Beruf nicht ab, denn seine Interviewtechnik erscheint mir arg flach. Da stimmt die Sprache nicht. Und auch die Psychologin wirkt mir zu unfachlich. Leider nimmt mich der Text nicht nur bei den Figuren nicht wirklich mit, auch die Schilderungen dessen, was der Journalist in dem Augen sieht, packt mich nicht. Was wohl vor allem daran liegt, dass mir das nur gesagt, aber kaum Weise gezeigt wird ... Der Text hätte für mich wahrscheinlich besser funktioniert, wenn er als Reportage des Journalisten daher gekommen wäre. Die Momente des Erkennens hätten in all ihrer Wucht erzählt werden können. Erst die Freude über den Job, dann nervige Sicherheitskontrollen, ein dezentes Herantasten aneinander und dann die Enthüllung ... Okay, ist aber wohl Geschmackssache

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  3. Der Journalist, so glaube ich, wurde ausgewählt, weil er sichtlich nicht den Klischees entspricht. Insofern halte ich das nicht für widersprüchlich. Beim ersten Lesen enttäuschte mich der Schluss. Je länger ich aber darüber sinniere, desto besser finde ich ihn. Die Schärpe kann ich nicht einordnen. Sie klingt wichtig, aber ich komme nicht drauf.

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  4. Ich finde, die Geschichte hat einen faszinierenden Sog. Sprachlich ist sie brillant.

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  5. Hmm zwiespältig bin ich. Erst mal wieder das Positive voran: Das ist gut und flüssig geschrieben, einwandfrei in stilistischer Hinsicht (wenn man diesen Stil mag).
    Das nächste, die Idee, das Ganze umzudrehen und die Menschen zu den 'Außerirdischen' zu machen, finde ich sehr interessant und auch als Pointe gut.

    Einen Sog hatte die Geschichte nicht für mich. Es geschah zu wenig .. hmm .. 'Spannendes' für die Länge des Texts (Ansatzpunkte gibt es) -- und es könnte auch mehr Substanz in der Story sein. Politisches, Sozialwissenschaftliches oder Psychologisches. Da ist eine Chance vertan, so mein Empfinden. Und ja, das Setting erinnerte sehr an Erdverhältnisse, war dafür aber ... unrealistisch; ebenso die Figuren. Das Ende kann ich nicht deuten, was das mit dem Glauben und wiedergefundenen Kampfgeist ... ist. Habe ich Anhaltspunkte übersehen?

    Gruß Flac

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  6. Also sprachlich ist die Geschichte recht gut und flüssig geschrieben. Das Ende ist dann aber zu konfus. Warum haben die Augen der Fremden solch eine Wirkung und das nicht nur auf den Geist der Interviewpartner, sondern sogar auf die Farben von Ayns Kleid? Das ergibt für mich keinen Sinn, zumal es sich bei der vermeintlichen Außerirdischen um eine Menschenfrau handelt.

    Und hier kommen meine zwei größten Kritikpunkte: 1. Ist der Titel der Geschichte komplett falsch, da stimmt nicht mal die geschlechtliche Zuordnung. Eigentlich müsste er „Interview mit einer Irdischen“ lauten, was jedoch das Ende verraten hätte. „Interview mit einem Alien“ wäre hier die bessere Wahl gewesen. Die Auflösung kommt aber ohnehin nicht überraschend, womit ich bei 2. wäre. Der Anspruch, etwas noch nie Dagewesenes abzuliefern, ist hier verfehlt worden. Ähnliches gab es bereits in „Twilight Zone“ und das sogar mehrfach. In „Invasion der Zwerge“ stellen sich selbige als Menschen heraus und das umgekehrte Prinzip gibt es in der Episode „Und der Name sei Erde“, in der Menschen zu einem anderen Planeten fliegen, der sich als Erde herausstellt, womit die Menschen in Wahrheit humanoide Außerirdische sind.

    Fazit: Handwerklich ist die Geschichte gut, aber die Idee ist nicht neu und das Ende wirr.

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  7. Die Aufmachung hat mir gefallen, wie der Leser versucht wird, an der Nase herumzuführen. Zwar war in der Ausschreibung die Rede davon, was Außerirdische auf der Erde erleben, aber sei es drum in diesem Fall. Sie sind sich schließlich ziemlich ähnlich. Text und Beschreibungen sind sehr lebhaft geschrieben und auch die raumfahrttechnischen Aspekte mit Virenschutz etc. kommen nicht zu kurz.

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